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Irina Jerofejewa

DIE GESCHICHTE KASACHSTANS

Dank seiner spezifischen Umwelt- und Klimabedingungen gilt Kasachstan seit drei Jahrtausenden als klassisches Nomadengebiet. In der Tat wurde diese Gegend stets von Nomadenvölkern besiedelt. Die Stämme und ihre Kulturen wechselten sich im Laufe der Zeit ab und prägten die Kultur und Zivilisation sowie die Besonderheiten der historischen Entwicklung Kasachstans bis ins heutige Jahrhundert hinein.

Einst war Kasachstan ein Teil des russischen Zarenreiches und später auch der Sowjetunion. Das Land wurde von unterschiedlichen fremden Ethnien kolonisiert und musste die imperialistische Politik des russischen Reiches ertragen. Diese Faktoren führten zu tiefgreifenden sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und zivilisatorischen Transformationsprozessen in dieser Region, sie veränderten entscheidend ihr ethnisches und kulturelles Gesicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts und trugen schließlich zum multinationalen Aufbau der Bevölkerungsstruktur bei. In jüngster Zeit verwandelte sich Kasachstan vom unterentwickelten kulturellen Hinterhof des nördlichen Eurasiens in eine der größten multikulturellen Regionen der einstigen Sowjetunion, die eine dynamische Entwicklung erlebt.

Die im späten Mittelalter entstandene Machtordnung der kasachischen Nomadenstämme und die ethnische und kulturelle Gemeinschaft der Kasachen entstanden in Zusammenwirkung von mehreren komplexen sozialen, wirtschaftlichen, migratorischen, ethnischen und politisch Abläufen, die sich innerhalb der Nomadenbevölkerung des einst existierenden Landes mit dem Namen «östliches Descht-i Kiptschak» abspielten. Die kasachische Gesellschaft und ihre Machtordnung erlangten ihre endgültige Form im kasachischen Khanat zwischen dem 15. und dem 17. Jh.

Entstehung des kasachischen Khanats (1459–1470)

Die Entstehung des kasachischen Khanats ist wahrscheinlich auf die Umsiedlung einer größeren turksprachigen Nomadengruppe aus dem Staat der Nomaden-Usbeken (Khanat von Abulchair) nach Mogulistan ungefähr im Jahre 1459 sowie auf den Zerfall dieses Staatsgebildes mit dem Tod seines Herrschers Abulchair-Khan (1428–1468) im Jahre 1468 zurück zuführen. Die umgesiedelten Nomadenstämme wurden von abtrünnigen Sultanen regiert, die zur Nachkommenschaft von Urus-Khan (1368–1377) gehörten.

Der Staat der Nomaden-Usbeken entstand Ende des 15. Jh. durch die Auflösung des geerbten Nomadenlandes (Ulus) von Dschutschi, des ältesten Sohnes von Dschingis Khan, und erstreckte sich zwischen der zweiten Hälfte des 14. Jh. und der Mitte des 15. Jh. über weite Teile der Waldsteppen,

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Steppen, Halbwüsten und Wüsten, die zwischen dem Irtysch-Fluss im Osten und der Wolga im Westen lagen, sowie über die Gebiete am rechten Ufer des Syrdarja-Flusses in seinem Mittel- und Unterlauf im Südwesten und über die Steppen und Wüsten im Oberlauf des Irtysch-Flusses im Südosten bis zum südlichen Hang des Tarbagataj-Gebirgskammes und den Balchasch-See.

Bis Ende der 20er Jahre des 15. Jh. bestanden ungefähr fünf unabhängige Provinzen innerhalb des usbekischen Uluses, die von den Sprösslingen der Dschutschi-Dynastie und Vertretern des traditionellen Stammadels der Steppenvölker im östlichen Descht-i Kyptschak (Biys und Beks) regiert wurden.

1428 wurde der siebzehnjährige Sultan Abulchair, unterstützt vom einflussreichen Adel zahlreicher nomadisierender Usbekenstämme, zum Khan des Uluses in der Stadt Tura (Tschimgi-Tura) im Süden Westsibiriens gekrönt. Seinen Khan-Titel behielt er danach fast über 40 Jahre. Den Thron hatte Abulchair einflussreichen Häuptlingen der Nomadenstämme zu verdanken. Deshalb war er darauf angewiesen, ihre politischen Interessen zu berücksichtigen und musste Kriegszüge in die benachbarten Regionen führen, die von sesshaften Ackerbauvölkern bewohnt wurden, um sowohl sesshafte als auch nomadisierende Völker zu unterwerfen. Während seiner zahlreichen Feldzüge in die um den Syrdarja-Fluss liegenden Steppen eroberte er bis 1446 mehrere Städte, die im Mittellaufgebiet von Syrdarja und im Karatau-Vorgebirge lagen: Sygnyk, Arkuk, Suzak, Ak-Kurgan, Uzgend u.a. Danach wurde der Herrschersitz des Abulchair-Khans aus der Gegend Ordu-Bazar im Norden des östlichen Descht-i Kyptschak nach Sygnak verlegt und beeinflusste damit entscheidend die spätere historische Entwicklung der nomadisierenden Usbeken.

Dennoch vermochte es weder das gestiegene militärpolitische Potenzial des usbekischen Nomadenstaates, noch die erhebliche Größe des Abulchair-Reiches, dem Khan zum Sieg im Kampf gegen die benachbarten mongolischsprachigen und nomadisierenden Oyraten (Kalmaken) zu verhelfen. Deren Weideflächen erstreckten sich im 15. Jh. vom westlichen Hang des Hangai-Gebirges im Osten, der Gobi-Wüste im Süden bis nach Mogulistan im Westen und bis zum Oberlauf des Irtysch und des Jenissei im Norden.

In den 20er und 30er Jahren des 15. Jh. unternahmen die Oyrat-Stämme ihre Kriegszüge zum Illy-Fluss und dem Issik-Kul-See und erreichten bereits in den 50er Jahren den Syrdarja-Fluß. 1457 fand eine blutige Schlacht zwischen den Truppen von Abulchair und dem Oyraten-Häuptling Zu-Timur-Tajdschi bei der Burgstadt Sygnak statt, die dem Khan des usbekischen Nomadenstaates eine schwere Niederlage bescherte.

Nach dieser Niederlage spaltete sich ein Teil der usbekischen Nomadenstämme mit den Nachkommen von Urus-Khan an der Spitze von den vom Abulchair-Khan regierten Volksstämmen ab und zog gen Süden nach Mogulistan, wo man sich im Land des Herrschers Esen-Buki-Khan (1429–

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1462) im Flusstal von Tschu und Koz-Baschi niederließ. Diese Trennung der Nomadenstämme war Basis für die Entstehung des kasachischen Khanats und damit eines neuen politischen Gebildes auf dem Kontinent.

Die Nachkommen von Urus-Khan standen einer größeren inhomogenen Gruppe aus den Clans und Stämmen des usbekischen Nomadenstaates vor, die mit der vom Khan betriebenen Politik nicht einverstanden waren. Diese Gruppe verfügte damals nicht über die nötige Kraft, den Abulchair-Khan zu stürzen und entschied sich daher für die Abspaltung und den Wegzug aus der Heimat in die naheliegenden Steppen Mogulistans, um da den kasakischen, also den nomadisierenden Lebenswandel zu führen.

Im neuen Siedlungsgebiet trafen die Sultane Dschanibek und Girej auf den Regenten der dortigen turksprachigen Stämme und die Nachkommen von Tschagatai-Khan, Esen-Buka-Khan.

In den nachfolgenden Jahren nahm die Zahl der Anhänger der abtrünnigen Sultane durch den stetigen Zuzug immer neuer Nomadengruppen aus den Steppen des usbekischen Nomadenstaates zu, die mit der von Abulchair-Khan betriebenen Politik unzufrieden waren. Vermutlich versammelten sich um Dschanibek und Girej bis Mitte der 60er Jahre des 15.

Jh. rund 200.000 Nomaden. Die beiden ernannten sich zu Herrschern über die sich vom Abulchair-Khanat abspaltenden Gruppen von Nomadenstämmen.

Somit kann die Entstehungszeit des kasachischen Khanats mit frühestens 1465 bis 66 datiert werden.

Der ursprüngliche Entstehungsort des kasachischen Khanats liegt im westlichen Siebenstromland. Mit dem Tod von Esen-Buka-Khan im Jahre 1462 entstand eine Situation in Mogulistan, die sich für die Macht der zugezogenen Sultane als sehr förderlich erwies. So ergab sich die Möglichkeit, sich zu selbständigen Khanen der neuen politischen Gemeinschaft der turksprachigen Nomaden zu ernennen.

Im frühen Winter 1468 starb Abulchair-Khan. Nach seinem Tod spitzte sich die politische Krise im usbekischen Nomadenland zu und mündete in Stammesfehden und häufigen Konflikten. Dadurch begannen verschiedene Nomadengruppen, in die Landgebiete der Khane Dschanibek und Girej abzuwandern.

Die beiden Khans nutzten die Gelegenheit, um ihre Ansprüche auf den Thron des östlichen Descht-i Kyptschak geltend zu machen. Zusammen mit anderen zugezogenen Sultanen fielen sie in den 60er und 70er Jahren des 15. Jh. in den Staat der Nomaden-Usbeken ein, der damals von Schah-Haidar-Khan, dem Sohn des verstorbenen Abulchair und seiner Frau aus dem Kongrat-Stamm, regiert wurde.

Nach seiner Niederlage und dem Tod in einer Schlacht gegen die angreifenden Sultane verloren die Stammesgemeinden, die im usbekischen Nomadenland lebten und die Regenten aus der Scheibaniden-Dynastie unterstützten, mehrere andere Schlachten. Schließlich ging die Macht im Staat

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der nomadisierenden Usbeken im Jahre 1470 von der Scheibanidendynastie auf die Nachkommen von Urus-Khan über. Die neue Herrscherdynastie behielt ihre Macht über mehr als 350 Jahre von 1465 bis 1822 bei, bis die russische Krone in ihrem kasachischen Protektorat die Macht der Khane gesetzlich abschaffte.

Nach Überlieferungen von moslemischen Chronisten des Mittelalters bezeichnete man die Anhänger von Dschanibek und Girej als Usbek-Kasaken. Ein Jahrhundert später hatte sich der Name «Usbek-Kasake», der für die abgespaltenen turksprachigen Nomadenstämme aus dem usbekischen Nomadenstaat stand, in den kürzeren Begriff «Kasaken» umgewandelt und das entstandene politische Gebilde wurde später als kasachisches Khanat oder die Kasakenhorde (insbesondere in Russland und Europa) bezeichnet.

Entwicklung Kasachstans zwischen dem 16. und dem frühen 18.

Jahrhundert

Die Entwicklung Kasachstans seit den 70er Jahren des 15. Jh. bis in die 30er Jahren des 18. Jh. war die Periode der endgültigen Ausprägung und Verstärkung des autarken kasachischen Khanats. Die Khans Dschanibek und Girej bemühten sich um die Einbeziehung immer neuer Nomadenstämme im westlichen Siebenstromland und dem östlichen Descht-i Kyptschak und konnten das Territorium des kasachischen Khanats um mehrere Gebiete Zentralkasachstans, des westlichen Siebenstromlandes, des nördlichen Aralsee-Vorlandes, des Syrdarja-Unterlaufs sowie des Karatau-Vor- und Hochgebirges bis Ende des 15. Jh. ausbauen.

Dennoch waren die von der sesshaften Ackerbaubevölkerung besiedelten Randgebiete des neuen kasachischen Khanats nicht groß genug, Wirtschaftsgrundlage für die Existenz eines größeren und stabilen Nomadenstaates zu bilden. Daher bestand der außenpolitische Schwerpunkt des kasachischen Khanats in der Ausweitung der Macht auf das gesamte Grenzgebiet um den Syrdarja-Fluss. Außerdem sollte militärische und wirtschaftliche Kontrolle über die untergeordneten Nomadengruppen erlangt werden.

In den nachfolgenden Jahren konnte Kasim-Khan den Einfluss des kasachischen Khanats im westlichen Siebenstromland und in Turkestan wesentlich verstärken und verlagerte seine außenpolitischen Schwerpunkte vom Südwesten auf den Norden des östlichen Descht-i Kyptschak, wo die Nomadenstämme der Nogajerhorde umherzogen. Mit einem Krieg erweiterte der Khan die Grenzen des kasachischen Nomadengebietes zu Beginn der 20er Jahre des 16. Jh. bis an die Region zwischen dem Jaik und der Wolga im Nordwesten und bis hin zum Ulutau-Gebirge im Norden.

Unter Khan Kasim wurden in den 20er Jahren des 16. Jh. direkte diplomatische Beziehungen zwischen dem kasachischen Khanat und dem

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Moskauer Staat hergestellt. Als ethnische Gemeinschaft wurden die Kasachen auch in Westeuropa um diese Zeit erstmals bekannt, da eine Beschreibung in die «Aufzeichnungen über Moskowien» des deutschen Diplomaten Sigismund Gerberstein einfloss, der Moskau und einige anliegende russische Gebiete im Mittellauf der Wolga zwischen 1517 und 1526 bereiste.

Eine neue Stufe der inneren Integration des kasachischen Khanats und der Verstärkung seiner außenpolitischen Lage ergab sich aus der Machtübernahme durch die Khans Hakknazar (1538–1580) und Tavakkula (1583–1598).

Durch die von Hakknazar betriebene pragmatische Politik gelang es, sich die Gebiete am linken Jaik-Ufer einzuverleiben, außerdem Botschafter mit der Moskauer Regierung von Iwan dem Schrecklichen auszutauschen und den Einfluss in Südkasachstan zu verstärken. Hakknazar´s Thronnachfolger Tavakkul-Khan setzte diese flexible und weitsichtige Politik erfolgreich fort. Es gab vermehrt politische Kontakte des kasachischen Khans mit dem russischen Zaren, die Einflusssphäre des kasachischen Khanats weitete sich auf weitere Nomadenstämme und angrenzende Baschkirengebiete sowie im letzten Viertel des 16. Jh. um die Herrschaft über die Gebiete am Syrdarja-Fluss aus.

Zu Beginn des 17. Jh. wurde die zwischen Kasachen und Usbeken ausgetragene Rivalität um die Städte und Burgen im Mittellauf des Syrdarja besonders akut. 1611 mischte sich Esim-Khan (1627–1628), in die Fehdenkämpfe ein, die zwischen Aschtarchaniden – der Herrscherdynastie von Buchara, vertreten durch Imamkuli-Khan (1611–1642) – und seinem Gegner Vali-Muhammad (1605–1611) ausgetragen wurden. Er unterstützte dabei den Monarchen von Buchara mit dem Ergebnis, dass das gesamte Gebiet mit den Städten Taschkent, Turkestan, Sygnak, Suzak und anderen Gegenden am rechten Flussufer an den kasachischen Khan überging.

In den nachfolgenden Jahren hatten Esim-Khan, der Khan von Buchara und andere kasachische Khane abwechselnd die Kontrolle über Turkestan und Taschkent. Seit 1627 blieb die Macht über Turkestan endgültig bei Esim-Khan, der das zweite Mal zum oberen kasachischen Khan gekürt wurde. Ab dem zweiten Viertel des 17. Jh. verwandelte sich Turkestan zum politischen Zentrum des kasachischen Khanats und zum ständigen Sitz kasachischer Khans. Zwei Jahrhunderte lang, zwischen 1628 und 1816, spielte diese Stadt eine extrem wichtige Rolle für das innen- und außenpolitische Leben des kasachischen Khanats. Im Mausoleum an der Grabstätte des Sufi-Heiligen Hodschi Achmad Jassawi zelebrierte man den Ritus der Khankrönung durch das Emporheben des zu Krönenden auf ein weißes Vliestuch, man empfing ausländische Gesandte und traf die wichtigsten politischen Entscheidungen.

Auch besonders angesehene Khane und Sultane aus der Nachkommenschaft von Dschingis Khan wurden hier beigesetzt.

1697 bestieg der junge und energische Zevan Rabdan (1697–1727), der Neffe des Altkhans, den dschungarischen Thron. Während seiner Regentschaft löste ein Krieg zwischen den Kasachen und den Oyraten den

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anderen ab. Die schwersten Schlachten trugen sich 1708/09, 1716/17 und insbesondere 1723 bis 1725 zu und gingen als «Aktaban schuburundy» – die Zeit des großen Kummers – in die kasachische Geschichte ein. Ende der 20er Jahre verloren die Kasachen Taschkent, Turkestan und andere Städte sowie fruchtbare Weideflächen im Mittellauf des Syrdarja und mussten sich weit in den Norden zurückziehen, wo die Ländereien des kasachischen Adels an die Nomadenlager der Baschkiren und der Wolga-Kalmyken sowie an die Garnisonen der Russen und die Siedlungen der Jaik-Kosaken unmittelbar angrenzten.

Dieser Rückzug zerstörte das historisch geprägte Bodennutzungssystem der kasachischen Stämme und verschob die traditionellen Grenzen und Routen ihrer Nomadenzüge. Die Verhältnisse sowohl in Kasachstan selbst, als auch in den Grenzregionen des Südurals und Südsibiriens, spitzten sich zu. Die Situation barg die potenzielle Gefahr einer Krise in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und der vollständigen Zerstörung der politischen Infrastruktur des kasachischen Khanats und seiner materiellen Grundlagen.

Diese Gefahren zwangen die weitsichtigen Vertreter der kasachischen Elite, auf die Suche nach neuen außenpolitischen Partnern zu gehen.

Festigung der russischen Präsenz in der kasachischen Steppe (1731 – Anf. 20. Jh.)

Die Aufnahme Kasachstans in das russische Reich ergab sich folgerichtig aus den sozialen, wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen auf dem Kontinent. Ein Grund war auch die von den größeren europäischen Mächten angestrebte Hegemonie über die Handelswege und ihre sich zuspitzende Rivalität um militärische und wirtschaftliche weltweite Dominanz ausdrückte. In den 20er Jahren des 17. Jh. entsandte Zar Peter I. mehrere Aufklärungstrupps nach Zentralasien, um eine direkte Wasserstraße zwischen Russland und Indien sowie zwischen anderen im Osten liegenden Staaten zu erschließen:

Zwei solcher Trupps unter Befehl des Fürsten Bekowitsch-Tscherkasski wurden ans Kaspische Meer (1714–1715) und nach Chiwa (1716–1717) und zwei weitere unter Befehl vom Oberst I. Buchholz (1717–1718) und dem Major I. Licharew wurden an den Oberlauf des Irtysch (1719–1720) ins Land des dschungarischen Khans Zevan Rabdan geschickt. Während der zwei zuletzt genannten Einsätze beschloss man den Bau von russischen Festungen in einer Linie entlang des Irtysch im Osten des heutigen Kasachstans auf.

Während seiner Rückreise aus Persien nach Petersburg machte Peter I. 1722 in Astrachan halt und «geruhte, über die kasachischen Grenzgebiete aufgeklärt zu werden», wie der Zeitzeuge A. Tewkelew schreibt.

Danach definierte der Zar erstmals den Stellenwert dieser Gebiete für die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen Russlands in Zentralasien: Sie seien die gesuchten «Schlüssel und Tore».

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Während dieser Zeit verschlechterte sich die innenpolitische und geopolitische Lage in der kasachischen Nomadengesellschaft in der zentralasiatischen Region. Im ersten Drittel des 18 Jh. kam es wiederholt zu Gegensätzen innerhalb der kasachischen Gesellschaft: Den oberen kasachischen Khans Tauke (1680–1715), Kaipu (1715–1718) und Abulchair (nach 1718–1748) fiel es immer schwerer, separatistischen Absichten anderer Khans und Sultane Einhalt zu gebieten.

Zwar endete der kräftezehrende Krieg gegen die Dschungaren mit einem Sieg unter Befehl von Abulchair-Khan bei den Schlachten am Fluss Bulanty (1727) und bei Anraka (1730), dennoch löste er nicht seine zentrale Aufgabe, die Rückeroberung der zwischen 1723 und 1725 von den Westmongolen besetzten südlichen Gebiete Kasachstans und der Stadt Turkestan, des Sitzes der kasachischen Khans. Überdies kam es während der späten 20er und frühen 30er Jahre des 18. Jh. zu häufigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kasachen, Wolga-Kalmyken, Baschkiren, sibirischen und Ural-Kosaken im Norden und Nordwesten der Region. Diese Ereignisse veranlasste die jüngeren Khane nach Sicherheiten in den eigenen Steppengebieten zu suchen. Außerdem besetzten sie neue Weideflächen im Unterlauf des Jaik, der unter anderem den Zugang zu den russischen Märkten gewährte.

Nicht weniger aktuell blieb für die Kasachen die Suche nach einem günstigen Alliierten im Kampf mit den Dschungaren um die angestammten Nomadengebiete und die Städte entlang des Syrdarjas im Südosten der Region. All diese komplexen Umstände bewogen einen Teil der politischen Elite der Kasachen, Unterstützung beim russischen Zaren zu suchen.

Im Juni 1730 entsandte Khan Abulchair seine Botschafter Seitkul Koydagulow und Kutlumbet Koschtajew nach St. Petersburg an den Hof der russischen Zarin mit der Bitte um die Aufnahme seines Volkes in die russische Staatsangehörigkeit. Die Zarin Anna entsprach dieser Bitte.

Am 10. Oktober 1731 unterzeichneten der Khan Abulchair und dreißig Sippenälteste die Urkunde am Sitz des Khans in Manitube zwischen den Flüssen Irgis und Tobol. Dieses historische Ereignis legte den Grundstein für einen langen Prozess der Angliederung kasachischer Sippen an Russland.

Tempo und Ausmaß des Prozesses wurde nicht alleine von Interessen und Zielen der russischen Außenpolitik, sondern auch von der Gesamtentwicklung internationaler Beziehungen im kontinentalen Eurasien bestimmt. Einfluss hatten auch die vollständig unbestimmten Staatsgrenzen und die wirtschaftliche und geopolitische Abhängigkeit des agrarwirtschaftlich bestimmten Steppenraums von administrativen und handeltreibenden Zentren wie dem Baltikum, Moskau, sowie der Wolga- und Uralregion.

Das kasachische Khanat erkannte die Wichtigkeit von Handels- und Militärbeziehungen mit dem nördlichen Nachbarn.

ZENTRALASIEN: EINE INNENANSICHT

Der historische Angliederungsprozess der kasachischen Sippen an das russische Reich kann in vier Zeitabschnitte unterteilt werden:

Die erste Etappe (1730 - 1740 des 18. Jh.)

Diese Zeit umfasst die Verbreitung der formalrechtlichen Oberherrschaft des russischen Reiches über die kasachische Bevölkerung der jungen Horde und teilweise der mittleren Horde. Ihre Treue zum russischen Thron schworen die kasachischen Khane und einflussreiche Sultane der beiden Horden je nach Fortschritt der stufenweise abgehaltenen russisch-kasachischen Regierungsverhandlungen.

Während der Tewkelew-Mission in die nordwestlichen Steppengebiete (vom 5. 10. 1731 bis 23. 11. 1732) nahmen mehrere Khane und Sippenälteste die russische Staatsangehörigkeit an.

Acht Jahre später wurde V. Tatistschew (1737–1739), ein hervorragender Verwalter und Historiker, zum Leiter der Orenburger Mission ernannt und schlug dem Khan Abulchair vor, der russischen Zarin wiederholt seine Treue zu schwören, woraufhin der kasachische Khan seinen Treueid auf die russische Krone am 3. August 1738 in der Orsk-Festung wiederholte.

Die dritte Phase des Abkommens über die Annahme der russischen Schutzherrschaft durch die regierende kasachische Elite verlief während persönlicher Verhandlungen zwischen Tatistschews Amtsnachfolger V.

Urusow (1739–1741) und dem Nomadenadel der jüngeren und mittleren Horde, die 1740 in der Orsk-Festung stattfanden. Die Verhandlungen endeten in der Annahme der russischen Staatsangehörigkeit durch den neuen Khan der mittleren Sippe, Abulmamet (1739 – ca. 1771), und den einflussreichen Sultan Ablay (1711–1780).

Im Anschluss an diese Verhandlungen nahm Sultan Barak (verst.

1750) die russische Staatsangehörigkeit im November 1742 in seinem Nomadenlager an, der Regent mehrerer Stämme der mittleren Sippe war, die im Nordosten und im Süden der Region nomadisierten.

Somit nahmen fast alle Khane und einflussreichen Sultane der jüngeren und mittleren Horde die russische Schutzherrschaft Mitte der 40er Jahre des

Somit nahmen fast alle Khane und einflussreichen Sultane der jüngeren und mittleren Horde die russische Schutzherrschaft Mitte der 40er Jahre des