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Väter und Vaterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven

Im Dokument Permanente Vaterschaft (Seite 68-94)

1.3.2 V ATERSCHAFT – V ÄTERFORSCHUNG – EIN Ü BERBLICK

1.3.2.2 Väter und Vaterschaft aus unterschiedlichen Perspektiven

Jede wissenschaftliche Perspektive betrachtet Vaterschaft aus dem ihr eigenen Forschungsinteresse heraus. In dieser Arbeit umreiße ich drei Perspektiven: die rechtlichen, die psychologischen sowie die soziologischen Aspekte.

Rechtliche Perspektive

Rechtlich gesehen (nach dem Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)) ist die Mutter eines Kindes die Frau, welche es geboren hat (§ 1591 BGB). Beim Vater kennt das BGB heute (§1592) drei Möglichkeiten der Abstammung. Der rechtliche Vater eines Kindes ist der Mann:

1. welcher zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist.382 2. welcher die Vaterschaft anerkannt hat383 oder

3. bei den die Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.384

Mit der rechtlichen Feststellung sind verschiedene Pflichten und Rechte verbunden (s.o.) und werden vor allem in einer „Verantwortung“ gesehen. Unter die Rechte der Eltern fallen: das Verwalten des Vermögens, Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr sowie das Recht, den Kindern Anweisungen zu geben, sie zu kontrollieren und in engen Grenzen zu sanktionieren und die Unterhaltspflicht auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit, damit ein Kind z.B. seine Ausbildung abschließen kann. Zudem sind die Rechte der Eltern durch das Kinder- und Jugendschutzgesetz, die UN-Kinderrechtskonvention oder durch das Schulgesetz begrenzt.385

Die heute existierenden Rechtslagen waren und sind einem Entwicklungsprozess und Wandel unter-zogen. Im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung kam es zu einer generellen juristischen Auseinan-dersetzung mit dem Thema „Väter“. Es kam, beginnend Ende der 1950er über die 1970er bis Ende der 1990er Jahre, zu einer Reform des Familien- und Kindschaftsrechts. In der Retroperspektive be-trachtet zeigt sich, dass sich die Kritik lange an die Vorrechte von Ehemännern und Vätern richtete und der Ehefrau und Mutter Rechte zu entziehen. Zudem war es ein Ziel, der Diskriminierung von nichtehelichen Kindern und unverheirateten Müttern entgegenzuwirken. Im Verlauf dieser Entwick-lung kam es zu einer annähernden, wenn auch nicht gänzlichen GleichstelEntwick-lung von Vätern und

381 Vgl. ebd.

382 Dabei muss der Ehemann nicht der „biologische“ Vater des Kindes sein (vgl. SCHEIWE 2006, S. 51). Im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod wird der Mann als Vater eingetragen, welcher 300 Tage vor der Geburt des Kindes mit der Mut-ter verheiratet war (vgl. § 1593 BGB in NOMOS GESETZE 2015, S. 613).

383 Ist die Mutter nicht verheiratet, kann die Vaterschaft vom Mann, mit der Zustimmung der Mutter, anerkannt werden (vgl. SCHEIWE 2006, S. 51).

384 In diesem Fall kann eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung aufgrund der genetischen Abstammung festgestellt wer-den (vgl. ebd.).

385 Vgl. WILLEKENS 2006, S. 27ff.

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tern sowie von nichtehelichen und ehelichen Kindern. Im Zuge dessen entstanden die Fragen um die

„Väterrechte“.386 Grundsätzlich fasst Harry WILLEKENS (2006) zusammen: Vaterschaft im westeuropäi-schen Recht kommt vor allem mit der Festlegung der Vaterschaft der biologiwesteuropäi-schen Abstammung sehr nahe. Zudem werden derzeit die Pflichten mehr betont als die Rechte.387 Gerade die „Väterrechte“

stehen heute in der gesellschaftlichen Diskussion. Zentrale Fragen sind hier vor allem die Sorge-rechtsregelung nach einer Scheidung und um die Rechte der Väter, welche nicht mit der Kindsmutter verheiratet waren oder sind.388

Psychologische Perspektive

Wie bereits erwähnt setzte die Forschung zunächst aus psychologischer Sicht ein. Diese beschäftigte sich explizit mit der Vaterschaft. Ihre Perspektive liegt auf der Beziehungsebene und der Bedeutung des Vaters für das Kind.389 Auch wenn es in diesem Bereich noch Forschungsbedarf gibt, lassen sich dennoch Tendenzen und Richtungen zeigen.390 Eines der ersten Themen als Reaktion auf den II.

Weltkrieg ist die Bedeutung der Vaterabwesenheit auf die moralische, kognitive und psychosoziale Entwicklung des Kindes.391 Später folgten Arbeiten zur Mutter-Kind-Beziehung. Darin wurden auch die Vater-Kind-Beziehungen untersucht.392 In der Folge werde ich kurz die bisherigen Erkenntnisse zusammengefasst darstellen:

Auch die Psychologie geht heute davon aus, dass Frauen und Männer nicht als Väter und Mütter geboren werden, sondern ebenso393

„[…] wie die Mutter lernt auch der Vater, welche Rolle von ihm erwartet wird.394 Er passt sein Verhalten, seine eigenen Rhythmen denen des Babys an und lernt dabei seine eige-nen Fähigkeiten keneige-nen, auf das Kind zu reagieren und seine Entwicklung zu fördern.“395 Dem Vater geben die Reaktionen des Kindes auf ihn das Gefühl, wichtig zu sein, was wiederum seine Rolle und damit die Beziehung festigt. Mit der Geburt eines Kindes kommt es zu einer Aushandlung und erneuten Ausbalancierung innerhalb der Paar-/Elternbeziehung und der Aufgaben zwischen den Eltern. BRAZELTON und CRAMER (1994) merken an:

386 Vgl. BERESWILL/SCHEIWE/WOLDE 2006, S. 9.

387 Vgl. WILLEKENS 2006, S. 21.

388 Vgl. BERESWILL/SCHEIWE/WOLDE 2006, S. 9.

389 Vgl. ebd., S. 8.

390 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 35 u. vgl. SCHOFFIT 2010, S. 61.

391 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 29.

392 Vgl. BERESWILL/SCHEIWE/WOLDE 2006, S. 8.

393 Vgl. PETRI 2002u. vgl. FISCHER 2008, S. 45.

394 So werden Jungen auch heute noch dahin erzogen „einen tüchtigen Beruf“ zu erlernen und nützlich für die Gemeinschaft zu sein. Sie werden in ihrem späteren Leben demnach auch folgerichtig von der sozialen Gemeinschaft über ihren Beruf

„definiert“ und definieren sich selbst darüber (durch die neuen Erwartungen an die Väter bzgl. Verfügbarkeit und Emo-tionalität). Hinzu kommen, in der aktuellen Zeit, die Wünsche nach Selbstbestimmung und die freie Gestaltung der Frei-räume. Nach seiner Auffassung ergeben sich für Horst PETRI Wiedersprüche, die für die Väter schwer zu lösen sind(vgl.

PETRI 2002).

395 BRAZELTON/CRAMER 1994 zit. in FISCHER 2008, S. 45.

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„Mütter sind Torwächter, sie können die Vater-Säuglings-Bindung intensivieren oder un-terdrücken. Wenn sie die Dreiecks-Beziehung fördern, eröffnen sie dem Kind die Mög-lichkeit einer künftigen Bindung.“396

Damit kann die Mutter die Beziehung und ihre Bedürfnisse zwischen Vater und Kind regeln.397 Ein Einflussfaktor398 auf die Anpassungsleistung sind dabei gesellschaftliche Rahmenbedingungen.399 Die Entwicklung der Beziehung des Vaters zu seinem Kind ist, ebenso wie die Mutter-Kind-Beziehung, durch die eigenen Erfahrungen aus der Kindheit beeinflusst. Der Vater kann unbewusst, vor allem bei einem Sohn, seine eigenen Wünsche und Zielvorstellungen in die Erziehung einfließen lassen. Wäh-rend der Schwangerschaft können bei ihm Selbstzweifel und Ängste entstehen. Er fühlt sich gegebe-nenfalls verantwortlich als „Verursacher“ für die Schwangerschaft. Während der Schwangerschaft, aber vor allem nach der Geburt, besteht für die Väter die Gefahr, dass sie in eine Nebenrolle („Care-Arbeit“) gelangen. In dieser Zeit steht die Mutter mit dem Kind im Mittelpunkt, die Familie organi-siert sich neu und Beziehungen werden neu geordnet – was zu Rivalitätsgefühlen führen kann. In den letzten Jahren kam es durch das sich verändernde Engagement des heutigen Vaters zu einem Um-bruch in der Familienorganisation.400 Wie hat sich also der Blick auf die Vater-Kind-Beziehung sowohl aus bindungs- als auch entwicklungstheoretischer Sicht entwickelt?

DIE VATER-KIND-BEZIEHUNG AUS BINDUNGSTHEORETISCHER SICHT

Ulrich SCHMIDT-DENTER (2005) verweist darauf, dass sich die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes stark verändert hat. Bis etwa in die 1970er Jahre wurde dem direkten Einfluss des Vaters auf die kindliche Entwicklung in den ersten Lebensjahren wenig Bedeutung zugesprochen.401 Vor dem Hintergrund der psychoanalytischen Vorstellung ging die Forschung zuvor davon aus, dass die ödipale Phase (spätes Vorschulalter) den Beginn der Identifikation mit dem Vater darstellt. Zudem war seine Autorität für den Erziehungsprozess gefragt. Aus dieser Annahme heraus wurde davon ausgegangen, dass der Vater vor der ödipalen Phase keine nennenswerten Effekte auf die Entwick-lung des Kindes hat.402 Als ein Grund für diese Perspektive werden die einflussreichen Entwicklungs-theorien (die Psychoanalyse sowie die Attachment- bzw. die BindungsEntwicklungs-theorienvon John BOWLBY) dieser Zeit gesehen, welche vor allem die Mutter-Kind-Bindung unterstützten.403 Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1951 formulierte John BOWLBY in seinem Bericht über

396 BRAZELTON/CRAMER 1994 zit. in FISCHER 2008, S. 45.

397 Vgl. FISCHER 2008, S. 45.

398 Nach heutigem Forschungswissen sind es vor allem drei Faktoren, die für die Anpassungsleistung in der jungen Familie bedeutend sind: Beziehungsqualität vor der Geburt, Erleben von Ungerechtigkeit sowie enttäuschte Erwartungen. So traten enttäuschte Erwartungen bei Frauen mit nichttraditionellen Einstellungen häufiger auf als bei Frauen, welche traditionell orientiert sind. Grund: Bei der Geburt eines Kindes verschieben sich die Aufgabenteilungen von einer egali-tären hin zu einer eher traditionellen Struktur. Wollen Frauen ihre vorgeburtliche Rolle behalten, kann es zu einem Un-gerechtigkeitsgefühl kommen, dies kann sich jedoch auf die Paarbeziehung auswirken (vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 190).

399 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 190.

400 Vgl. Kap. 1.3.2 (Care- Arbeit) u. vgl. FISCHER 2008, S. 45.

401 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 28.

402 Vgl. ebd.

403 Vgl. ebd.

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se Kinder im Nachkriegseuropa grundsätzliche Annahmen über die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. Er war der Auffassung, dass die Mutter von Natur aus die vorbestimmte primäre Bezugsper-son für Säuglinge und Kleinkinder darstellt. Er spricht hier von einer „Monotropie“. Vätern wurde dem entgegen auf Grundlage ihrer Biologie das Aufrechterhalten einer stabilen und sicheren Bindung abgesprochen. Dem Vater wurde eine Unterstützungsfunktion zugeschrieben. Auch MAHLER gibt dem Vater erst ab dem zweiten Lebensjahr Bedeutung, indem er das Kind unterstützt und es so dem „re-gressiven Sog“ der Mutter entkommen könne. 1953 jedoch formulierte LACAN, dass der Vater grund-sätzlich für die menschliche Existenz von Bedeutung sei, unabhängig von den Entwicklungsphasen des Kindes.404 1972 hält dann Mary AINSWORTH fest, dass nicht automatisch die Mutter die erste feste Bindungsperson sein muss.405 Es kann jede Personen sein, die sich aktiv um das Kind kümmert und sich ihm annähert, also auch der Vater.406 SKYNNER (1976) sah – in der Weiterentwicklung von BOWLBYS Auffassung – die Aufgabe des Vaters darin, die Mutter-Kind-Beziehung zu unterstützen. Zu einem späteren Zeitpunkt müsse er in die Beziehung zwischen Mutter und Kind eindringen, um eine eigene Bindung aufzubauen und ein Ablösen von der Mutter zu ermöglichen.407

Als zweiter Grund für die erst spät zugeschriebene väterliche Bedeutung wird die familiäre Rollenver-teilung in der traditionell bürgerlichen Familie gesehen. Dritter Grund ist schließlich, bis in die jüngste Vergangenheit hinein, die unterschätzte soziale Kompetenz von Kleinkindern.408 Eine Folge dieser verbreiteten Annahmen bzw. Konstruktionen konnte dazu führen, dass sich selbst Väter, die sich in die Familie einbringen wollten, oft von der Familie, aber auch von der Gesellschaft ausgegrenzt fühl-ten und durch Trennung oder Scheidung offiziell ausgegrenzt wurden.409

Beim Betrachten des vielschichtigen Geschehens innerhalb eines Familiensystems ist zu beachten, dass sich die Familienmitglieder durch die indirekte wie direkte gegenseitige Interaktion beeinflus-sen. So wird der Vater wichtig für die Geschlechtsidentifikation, aber auch zum Ergänzen, Entschär-fen oder Ersetzen der Mutter und ihres Handlungsmuster bzw. der Bezugsperson.410 Durch die Väter- aber auch die Säuglings- und Kleinkindforschung, ist deutlich geworden, welchen Wert ein verfügba-rer Vater für die Entwicklung eines Kindes hat.411 Die Bindungsforschung geht heute davon aus, dass eine Sicherheit in der Vater-Kind-Beziehung viel zur Sicherheit in der Selbstbehauptung beiträgt und das Autonomiestreben der Kinder stärkt.412 Harald WERNECK (2005) sieht ein

404 Vgl. FISCHER 2008, S. 146.

405 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 12.

406 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 12 u. S. 33 sowie vgl. PETRI 2002.

407 Vgl. FISCHER 2008, S. 146f.

408 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 28 u. vgl. PETRI 2002.

409 Vgl. PETRI 2002.

410 Vgl. FISCHER 2008, S. 146.

411 Vgl. PETRI 2002 u. vgl. FISCHER 2008, S. 146 (Sie bezieht sich auf Forschungen von KLITZING (1998)).

412 Vgl. FISCHER 2008, S. 146.

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„[…] wesentliches, wenn nicht vielleicht das wichtigste Verdienst der Väterforschung in den 70er-Jahren war in weiterer Folge jedoch die Erkenntnis, daß Väter grundsätzlich in demselben Ausmaß wie Mütter dazu befähigt sind, eine Bindung zu ihrem Kind aufzu-bauen. Das Konzept der Exklusivität der Mutter-Kind-Bindung, das sich für viele Mütter ja auch zugleich als Falle herausstellte – etwa in Hinblick auf den oftmals dadurch legiti-mierten Ausschluß vom Arbeitsmarkt - erwies sich als nicht haltbar.“413

Bereits 1985 fasst Wassilios FTHENAKIS zusammen:

„Monotrope Bindung, d.h. Bindung vorwiegend oder ausschließlich an eine einzelne Per-son, dürfte – dies als ein Hauptergebnis der Vaterforschung – in Familien, die aus mehr Personen als nur einer Pflegeperson und dem Kind bestehen, eher die Ausnahme dar-stellen, und auch eine Hierarchie der Bindungsfiguren, wie von Bowlby (1969) postuliert, scheint nicht der Regelfall zu sein.“414

Es gilt heute als belegt, dass der Vater schon während des ersten Lebensjahres genauso eine Bindung zum Kind aufbauen kann wie die Mutter. Säuglinge und Kleinkinder zeigen bei einer Trennung eben-so Protestreaktionen wie Freude bei der Rückkehr.415

DIE VATER-KIND-BEZIEHUNG AUS ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHER PERSPEKTIVE

Heute wird auch in der entwicklungspsychologischen Perspektive die Vater-Kind-Beziehung über die gesamte kindliche Entwicklung hinweg als bedeutungsvoll gesehen, unabhängig davon, wer die Hauptbezugsperson ist. In der Perspektive der Entwicklungspsychologie fordert der Vater als Mann die Kinder, sich in der Umwelt zu orientieren, sie aktiv zu erforschen und sich behaupten zu lernen.

Dies setzt ein Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen bezüglich der eigenen Fähigkeiten voraus. Es entwickelt sich demnach eine moralische Vorbildfunktion, ein sogenanntes „Über-Ich“.416 Studien, z.B. von CLARKE-STEWART (1978, 1980) und LAMB (1980), stellten Unterschiede in der Art und Weise der Interaktionen von Vater und Mutter zum Kind fest. Demnach spielten die Väter eher lebendiger, unvorhersehbarer, körperbetonter, individueller und tobten mit den Kindern. Die Mütter hingegen spielten eher verbalisierend und distanziert, das Spielzeug wurde als Medium genutzt und sie waren eher auf Sicherheit bedacht.417 Die unterschiedliche Art beider Elternteile zu erziehen, zu spielen und ihre Beziehung anzubieten, ist im Idealfall komplementär. Sie ergänzen sich emotional, sozial, kogni-tiv und instrumental in ihren Anreizen.418 Auch in der Pubertät, der Zeit des Überganges und der Schnittstelle zwischen Familie und Gesellschaft – der Zeit der Orientierungslosigkeit – werden die Bewältigungsstrukturen der Eltern relevant. Diese Phase stellt die Identität sowohl der Jungen als

413 WERNECKE 2005.

414 FTHENAKIS 1985,S.285.

415 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 34.

416 Vgl. PETRI 2002.

417 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 34.

418 Vgl. PETRI 2002u. vgl. BAADER 2006, S. 121.

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auch der Mädchen in Frage – es kommt zur „Identitätskrise“. Im Wechselspiel zwischen Vater und Mutter entwickelt sich bei den Jugendlichen eine Geschlechtsidentität.419

Ulrich SCHMIDT-DENTER (2005) stellt ein „inkonsistentes Bild“420 in der Literatur bezüglich der Wech-selwirkung zwischen dem Geschlecht des Kindes und seinen Eltern fest. Wassilios FTHENAKIS et. al.

(1982) schreibt nach Sichtung der Literatur

„[...] daß die affektive Zuwendung der Väter und Mütter mehr auf das Kind des anderen Geschlechts gerichtet ist, während aufmerksamkeits- und stimulierendes Verhalten beim gleichgeschlechtlichen Kind häufiger ist.“421

VATER UND SOHN

Ergebnisse von BILLER (1993) deuten an, dass die männliche Rollenidentität des Vaters die Ge-schlechtsrollenidentität der Söhne beeinflusst. Ob ein Vater drohend, zurückweisend, passiv oder fürsorglich und interessiert ist, welche Rolle er in der Familie innehat, ist bedeutsam für den Sohn.

LAMB (1997) betont, dass Söhne bei einer positiven Beziehung zueinander den Vater als Identifikati-onsobjekt wahrnehmen. Zudem zeigen Studien (z.B. RADIN 1994), dass eine positive Vater-Sohn-Beziehung weniger den stereotypen Geschlechterrollenorientierungen unterliegt.422

VATER UND TOCHTER

Die Väter beeinflussen nicht nur die Geschlechtsrollenidentität ihrer Söhne, sondern auch ihrer Töch-ter. Unterstützt und akzeptiert ein Vater die weibliche Geschlechtsrollenidentität der Tochter, hat dies positive Effekte auf ihr Selbstkonzept. Anderenfalls wird das Selbstkonzept der Tochter ge-hemmt. Töchter sammeln in den Interaktionen mit dem Vater Erkenntnisse, welche sich auf ihre späteren Beziehungen zu Männern auswirken. Frauen, die eine positive Beziehung zu ihrem Vater erlebten, pflegen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine partnerschaftlich befriedigende Beziehung;

zudem seien die Ehen stabiler.423 Auch wenn in der Literatur ein inkonsistentes Bild gezeichnet wird und Langzeitstudien für die Entwicklung des Kindes fehlen, wird heute von einer entwicklungspsy-chologisch großer Bedeutung des Vaters für die Tochter ausgegangen.424

BEDEUTUNG DER VATERABWESENHEIT

Die große Bedeutung der Väter wird ebenfalls durch die Untersuchung von Kindern mit einem „ab-wesenden Vater“ untermauert. So stellte man bei der Entwicklung der betroffenen Kinder fest, dass es Hinweise auf Defizite im kognitiven sowie schulischen Bereich gab. Zu Beginn (nach dem II. Welt-krieg) gingen die Forscher davon aus, dass das Moment der Abwesenheit allein eine Rolle spielt.

419 Vgl. PETRI 2002 u. vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 34.

420SCHMIDT-DENTER 2005, S. 34.

421 FTHENAKIS et al.1982zit. in SCHMIDT-DENTER 2005, S. 35.

422 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 44.

423 Vgl. ebd., S. 44.

424 Vgl. ebd., S. 34f.

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ter kam es zu Differenzierungen. So zeigten die Ergebnisse: Je länger die Abwesenheit, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für gravierende Folgen.425 In der Forschung zur Väterabwesenheit finden sich bis heute ebenso Mängel wie Schwierigkeiten. Es kann nach aktuellem Stand mit Vorsicht gesagt werden, dass die Vaterabwesenheit zumindest in bestimmten Entwicklungsbereichen des Kindesal-ters die Wahrscheinlichkeit erhöht, sich negativ auszuwirken. Es besteht ein höheres Risiko für Beein-trächtigungen im Leistungsbereich und in der psychosozialen Entwicklung; u.a. zeigten sich bei den Kindern später vermehrt Beziehungsprobleme in der Partnerschaft.426 Entstandene Mängel können durch andere männliche Bezugspersonen - „Ersatzväter“ – kompensiert werden.427 So schreibt z.B.

Hartmut RADEBOLD (2008), dass die Dauer der Abwesenheit bzw. Endgültigkeit sowie das Alter des Kindes wesentlich für die Biographie/Entwicklung der Psyche des Kindes wären.428 Auch weist er da-rauf hin, dass durch den Krieg hervorgerufene, traumatische Erfahrungen bei den Kindern selbst und auch bei den Müttern eine Rolle spielen und Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung zur Folge gehabt haben können.429 Wichtig ist zu betonen, dass die Familien nicht automatisch als defizitär zu sehen sind – es braucht eine individuelle Betrachtung. In der Forschung zu „Kriegskindern“ spielt das Thema der „abwesenden Väter“ heute eine Rolle. Zu nennen sind u.a. Matthias FRANZ (2004), Sepp SCHINDLER (2006) oder Hartmuth RADEBOLD (2008a, 2008b).

Soziologische Perspektive

Im Gegensatz zur Psychologie, welche auf die Beziehung und die Bedeutung für die Entwicklung des Kindes schaut, untersucht die soziologische Perspektive, welchen Platz und Rollen die Väter im sozia-len Netz der Familie einnehmen und welche Bilder vom Umfeld vermittelt werden. Zudem unter-sucht sie, wie sich der Platz des Vaters retroperspektivisch in der Gesellschaft entwickelte.

Michael MEUSER (2009) schreibt: „Väter sind nicht nur in der Familie abwesend, sie sind es auch in der Familienforschung“.430 2005 wurden Männer als „das ‚Vernachlässigte‘ in der Familienforschung“431 bezeichnet. Es gibt bisher nicht nur in Deutschland wenig gesichertes empirisches Material über die Ausübung der Vaterschaft und damit die Frage „Was machen Väter oder auch nicht, wie teilen sie sich ihre Zeit ein?“432 steht im Raum. Den im Vergleich zur Mutterschaft geringen Forschungsstand führt Michael MEUSER auf zwei Gründe zurück: Erstens ist er „Ausdruck der gesellschaftlichen ‚Femini-sierung‘ von Familie“, d.h., dass die Aufgabenverteilung der Frau zugewiesen ist. Zweitens liegen die Wurzeln der Väterforschung in der Frauen- und Geschlechterforschung; diese ist bis heute

425 Vgl. ebd., S. 29.

426 Vgl. FOOKEN 2006, S. 102f.

427 Vgl. SCHMIDT-DENTER 2005, S. 29.

428 Vgl. RADEBOLD 2008b, S. 176ff. Vertiefend dazu auch SCHOFFIT 2010, S. 63ff.

429 Vgl. RADEBOLD 2008a, S. 49; vgl. RADEBOLD 2008b, S. 180f. u. vgl. USTORF 2010, S. 27ff. Hierzu siehe auch die jeweiligen Rekonstruktionen im Kap. 4.

430 MEUSER 2009, S. 146.

431 TÖLKE/HANK 2005 zit. in MEUSER 2009, S. 146.

432 Vgl. MEUSER 2009, S. 146.

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nant.433 Beim Durchschauen der Quellenlage zu Vätern stellt auch Kurt KALLENBACH (1999) fest, dass auffällig viele Forscherinnen zur Perspektive der Väter veröffentlichen.434

Wie schon in der Einführung vorgestellt, wird „Vaterschaft“ als ein „Bündel von Zuschreibungen, Er-wartungsunterstellungen, Handlungsorientierungen und Kompetenzen“435 verstanden. Das bedeutet, dass das Bild des Vaters gesellschaftlich konstruiert ist und einem Wandel unterzogen wird. Es hat sich über die Jahrhunderte nachhaltig verändert. Diese Konstruktionen, die Formen von Leitbildern und Normen, die Gewohnheiten und Sitten haben großen Einfluss auf die jeweilige Ausgestaltung von Väter- und Männerrollen.436 Die jeweiligen Väterbilder geben ein Bild davon ab, was in bestimm-ten Epochen und Kulturen über Väter gesprochen und gedacht, was von ihnen erwartet und ihnen zugeschrieben wurde. Diese Bilder transportieren auch Stereotype, welche wiederum das Bild eines Vaters in seiner Zeit prägen. Damit stellt sich auch die Frage nach der „Vaterfunktion“. Diese umfasst nach Michael MATZNER: „[…] die Stellung und Aufgaben des Vaters innerhalb seiner Familie sowie der Gesellschaft“.437 Obgleich der Vater durch seine „Erzeugerfunktion“ aus biologischer Sicht zunächst getrennt von seinem Kind ist, hängt es viel mehr von der Kultur und damit der Gesellschaft ab, wie

Wie schon in der Einführung vorgestellt, wird „Vaterschaft“ als ein „Bündel von Zuschreibungen, Er-wartungsunterstellungen, Handlungsorientierungen und Kompetenzen“435 verstanden. Das bedeutet, dass das Bild des Vaters gesellschaftlich konstruiert ist und einem Wandel unterzogen wird. Es hat sich über die Jahrhunderte nachhaltig verändert. Diese Konstruktionen, die Formen von Leitbildern und Normen, die Gewohnheiten und Sitten haben großen Einfluss auf die jeweilige Ausgestaltung von Väter- und Männerrollen.436 Die jeweiligen Väterbilder geben ein Bild davon ab, was in bestimm-ten Epochen und Kulturen über Väter gesprochen und gedacht, was von ihnen erwartet und ihnen zugeschrieben wurde. Diese Bilder transportieren auch Stereotype, welche wiederum das Bild eines Vaters in seiner Zeit prägen. Damit stellt sich auch die Frage nach der „Vaterfunktion“. Diese umfasst nach Michael MATZNER: „[…] die Stellung und Aufgaben des Vaters innerhalb seiner Familie sowie der Gesellschaft“.437 Obgleich der Vater durch seine „Erzeugerfunktion“ aus biologischer Sicht zunächst getrennt von seinem Kind ist, hängt es viel mehr von der Kultur und damit der Gesellschaft ab, wie

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