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Untersuchung der Feierlichkeiten zu den Landesjubiläen im Zehnjahresrhythmus

II STAATLICHE INTEGRATIONSVERSUCHE IN BADEN-WÜRTTEMBERG

6. Untersuchung der Feierlichkeiten zu den Landesjubiläen im Zehnjahresrhythmus

Im Mittelpunkt der nachfolgenden Betrachtungen stehen die jeweiligen

Feierlichkeiten und Festansprachen des Landtages von Baden-Württemberg zu den entsprechenden Landesjubiläen. Als Forschungsstrategie wurde eine

Untersuchung der Jubiläumsfeierlichkeiten im Rhythmus einer Dekade

vorgenommen. Das bedeutet konkret die Betrachtung der Feierlichkeiten nach 10, (20), 25, 30, 40 und 50 Jahren. Von der Konsequenz dieser

Untersuchungsmethodik wird allerdings an einer Stelle abgewichen, so dass nach der Untersuchung der Feierlichkeiten zum 10-jährigen Bestehen Baden-Württembergs nicht, wie zu erwarten wäre, die genauere Betrachtung der

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Feierlichkeiten zum 20. Landesjubiläum steht, sondern sich der Fokus erst wieder auf die Feierlichkeiten nach einem Vierteljahrhundert richten wird. Der Hintergrund für dieses Vorgehen besteht darin, dass das 20. Landesjubiläum Baden-Württembergs eher als Randnotiz vermerkt wurde und keine ausgiebigen Feierlichkeiten begangen wurden. Über die Motive für sehr bescheiden

ausgefallene Festivitäten und damit einer eher mageren Würdigung nach

zwanzig Jahren Baden-Württemberg kann nur spekuliert werden. Vermutlich hat sich die Gesamtsituation des Landes, verglichen mit dem Gesamtbild des

Landes nach zehn Jahren, nur unwesentlich verändert, so dass man von größeren Feierlichkeiten abgesehen hatte, da man sich zum 25-jährigen Bestehen

wiederum in der Pflicht sah, in größerem Stile das Landesjubiläum zu begehen.

So beschränkten sich die Feierlichkeiten nach zwanzig Jahren lediglich auf wenige Äußerungen des Abgeordeten Dr. Brandenburg (FDP/DVP) wie folgt:

„Die Verfassungsgebende Landesversammlung des neuen Bundeslandes trat am 25. März 1952 zu einer konstituierenden Sitzung zusammen und verabschiedete am 22. April ein Gesetz über die Wahl des ersten Ministerpräsidenten und über die Bildung der Regierung.(...) In der Sitzung am 25. April 1952 – das ist der entscheidende Tag; ich sehe das noch heute vor mir – stand der damalige

Ministerpräsident, Dr.Reinhold Maier, am Rednerpult in der Heusteigstraße und verkündete die Zusammensetzung der Regierung. Dann zog er die Uhr aus der Westentasche und sagte: Es ist 12.30 Uhr – so ungefähr - , ich stelle fest, daß gemäß dem bestehenden Gesetz von diesem Moment an, von der Bildung der Regierung an, das Bundesland, der Südweststaat besteht. Baden-Württemberg existierte als Name noch nicht; der wurde erst später durch die Verfassung festgelegt. Das war die eigentliche Stunde, Herr Ministerpräsident, in der rechtlich das Land entstand. (...) Ein Land ohne Verfassung mit drei Verfassungen, die weitergalten, war natürlich keine komplette Sache.“107

107 Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 6.WP 1972-1976, Protokollband 3.1, 41.-50. Sitzung, 12.12.1973-1.3.1974, S. 2373

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10 Jahre Baden-Württemberg (1962)

Die Reflexionsgrundlage zum zehnjährigen Bestehen des Landes Baden-Württemberg bilden die Festansprachen des Landtages vom 18. Mai 1962.

Untersucht wurden in diesem Zusammenhang die Ansprachen der

nachfolgenden Landtagsabgeordneten: Dr. Franz Gurk, (Landtagspräsident, CDU), Camill Wurz (CDU), Dr. Hermann Veit (SPD), Dr. J. Peter Brandenburg (FDP/DVP), Dr. Karl Bartunek (GDP) und Kurt Georg Kiesinger

(Ministerpräsident, CDU).

Der Landtagspräsident Dr. Gurk (CDU) betont die Einzigartigkeit des

Gründungsaktes von Baden-Württemberg und er glaubt die Bereitschaft aller zu erkennen, zum Wohle dieses Landes beitragen zu wollen. „Der in dieser Art erstmalige Akt der Bildung eines neuen Bundeslandes ist Geschichte genug, um ihn als Beispiel einer Staatsbildung in der Demokratie, wenngleich er erst zehn Jahre zurückliegt, würdig zu feiern.“108 Des Weiteren hebt er die Qualität der entstandenen Landesverfassung hervor und lobt die zum Aufbau des Landes zustande gekommenen notwendigen Gesetze. Es werden grundsätzliche Schwierigkeiten bei Staatsumbildungen erläutert und auf die damit häufig verbundene emotionale Problematik verwiesen. Hinsichtlich der noch

ausstehenden Volksabstimmung mahnt er zu einer verantwortungsbewussten Mitarbeit. Wenn er auch das Heimatgefühl der Bürger als einen irrationalen Wert betrachtet, so scheint es ihm doch ein wichtiger Wert der Menschen zu sein, der nicht übergangen werden darf. Eine Verwurzelung mit dem neuen Land sei am ehesten zu erzielen, wenn alle Bürger sich an öffentlichen

Angelegenheiten beteiligten. Schließlich spricht er all denjenigen seinen Dank aus, die beim Aufbau des Landes mitgewirkt haben.

Der Abgeordnete Wurz (CDU) betont in erster Linie die Leistungen der vergangenen zehn Jahre und dankt den Regierungen des Landes für deren Arbeit. Er hebt gezielt den „Fleiß und die Arbeitsamkeit der Bevölkerung aller

108 Gurk, Festakt zum 10-jährigen Bestehen Baden-Württembergs, 3. Landtag von Baden-Württemberg, Haus der Landtags, Stuttgart, 1962, S. 5

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Landesteile hervor. Als zentrale Zukunftsaufgabe ist eine harmonische, auf Ausgleich zwischen allen Landesteilen bedachte Entwicklung zu erkennen“109. Das ausstehende Plebiszit über den Fortbestand des Landes stellt eine schwere Belastung für das Land dar. Diese Badenfrage sieht er vor allem für weite Kreise der badischen Bevölkerung, aber auch für den Rest des Landes als schwere Belastung. „Aber wie eine dunkle Wolke liegt über dem Land Baden-Württemberg die sogenannte Badenfrage, das ausstehende Plebiszit über den Fortbestand des Landes.“110 Er apelliert an eine fruchtbare und respektvolle politische Zusammenarbeit.

Der Abgeordnete Dr. Brandenburg (FDP/DVP) betont die Befürwortung des Südweststaates durch seine Partei. Baden-Württemberg habe sich bewährt, und er hebt vor allem die wirtschaftlichen Leistungen des Landes in den

vergangenen zehn Jahren hervor.“Die gesetzgeberische Neuordnung und die administrative Leistung, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und der Prozeß des Angleichens, des Ausgleichens, über den heute schon gesprochen wurde, und des Zusammenwachsens verdienen nach diesen zehn Jahren doch als ein großartiger politischer Vorgang bezeichnet und gewürdigt zu werden.“111 Der Prozess des Zusammenwachsens der beiden Landesteile sei von großem Bemühen geprägt. „Durch seine Leistung habe sich das Land bereits seine innere Legitimität gegeben“112, daher sei es wichtig hinsichtlich der

ausstehenden Volksabstimmung, dass das Land vereint bliebe. Er betont zudem die wirtschaftlichen Negativfolgen einer erneuten Teilung. Wirtschaftlicher Erfolg als Legitimation politischer Herrschaft ist ein Phänomen, das man auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges am Beispiel der jungen

Bundesrepublik aufzeigen kann. Auch in diesem Falle, vor dem Hintergrund des einsetzenden Kalten Krieges, untermauerte die Bundesrepublik Deutschland ihre

109 ebenda, Wurz, 1962, S. 8

110 ebenda, Wurz, 1962, S. 8

111 Brandenburg, Festakt zum 10-jährigen Bestehen Baden-Württembergs, 3. Landtag von Baden-Württemberg, Haus der Landtags, Stuttgart, 1962, S. 12

112 ebenda, Brandenburg, 1962, S. 13

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Rechtmäßigkeit und systemische Überlegenheit gegenüber der DDR durch ihren wirtschaftlichen Erfog, der entscheidend auf Adenauers Politik der

Westintegration der westlichen Sektoren im geteilten Deutschland zurückzuführen war.

Auch der Abgeordnete Dr. Karl Bartunek (GDP) als Vertreter der

Heimatvertriebenen bezieht klar Stellung für den Südweststaat und bejaht somit vor allem aus wirtschaftlichen, aber auch aus gesamtdeutschen Motiven das neu entstandene Land.

Im Unterschied zu allen anderen Festansprachen entwirft der Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger einen sehr weit ausgreifenden historischen Exkurs zur Entstehungsgeschichte des neuen Bundeslandes. Er hebt vor allem die weit zurückreichende Stammesgeschichte des Landes hervor, die schließlich älter sei als die Geschichte des Deutschen Reiches. „ Lange vor dem Jahre 962, vor der Gründung eines deutschen Königreichs diesseits des Rheines im Jahre 911, ja, vor dem Frankenreich Karls des Großen und vor dem des Merowingers

Chlodwig, gab es hier eine gemeinsame Stammesgeschichte (...) Unsere Stammesgeschichte ist also viel älter als die deutsche Geschichte und die

Geschichte des Deutschen Reiches.“113 In diesem Zusammenhang betont er die geistig-kulturellen Leistungen des besagten Landstrichs, der seinen politischen Höhepunkt mit dem Aufstieg der Staufer erfahren und nach deren Niedergang eine territoriale Zersplitterung eingesetzt habe, die erst durch Napoleon und dessen gewaltsame Neuordnung ein Ende genommen hätte. Somit seien die drei neuen Länder des Südwestens, nämlich das Königreich Württemberg, das

Großherzogtum Baden und Hohenzollern kreiert worden.

Eine erneute willkürliche Aufteilung habe das Land nach dem Zweiten

Weltkrieg durch die Siegermächte erfahren (Württemberg-Baden, Südbaden, Südwürttemberg-Hohenzollern). Des Weiteren erläutert er das Zustandekommen des Landes Baden-Württemberg. Er erwähnt, dass „eine Vereinbarung der drei

113 Kiesinger, Festakt zum 10-jährigen Bestehen Baden-Württembergs, 3. Landtag von Baden-Württemberg, Haus der Landtags, Stuttgart, 1962, S. 16

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Länder schon vor der Gründung der Bundesrepublik am Widerstand Südbadens gescheitert sei und auch nach der Annahme des Grundgesetzes nicht

Zustande kam.“114 Betont wird auch die neu gewonnene Einheit des Landes im Jahre 1952. Er lobt die Arbeit des gesamten Landes der vergangenen zehn Jahre.

So „gedieh das neu gegründete Bundesland Baden-Württemberg (seit) 1952 zu einer neuen Einheit.“115 Die Grußbotschaft des Bundespräsidenten Lübke wird vom Herrn Ministerpräsident vermutlich u.a. auch deshalb verlesen, da dieser ebenfalls die paritätische und nachhaltige Förderung aller Landesteile des neu geschaffenen Bundeslandes würdigt. In sehr pathetischer Art und Weise dankt Herr Kiesinger abschließend dem Herrgott für das gute Gelingen des neuen Bundeslandes in seiner ersten Dekade.

Es ist deutlich erkennbar, dass die Reden der Regierungsparteien inhaltlich allesamt in ihrem Wesenskern sehr ähnlich gelagert sind. Sie betonen stets das bisher Erreichte und schwerpunktmäßig die positiven wirtschaftlichen

Entwicklungen während der ersten Dekade. Durchgehend wird auch das gelingende Zusammenwachsen beider Landesteile hervorgehoben, und die vermeintlichen Schwierigkeiten in diesem Vereinigungsprozess werden eher am Rande erwähnt und mit dem Verweis auf ein möglichst verantwortungsvolles und betont konstruktives Abstimmungsverhalten für das noch ausstehende Plebiszit über den Fortbestand des neuen Bundeslandes. Von den tatsächlichen Widerständen während dieser Dekade ist nicht nennenswert die Rede.

In einem gewissen Gegesatz dazu steht die Festansprache der Oppositionspartei von Herrn Dr. Veit (SPD), die die genannten Schwierigkeiten bezüglich des Zusammenwachsens beider Landesteile herausstellt. Zwar wird ebenfalls die Leistung bei der Aufbauarbeit des Landes hervorgehoben, allerdings betont man den sozialdemokratischen Anteil daran. Es wird deutlich betont, dass der

badische Landesteil wirtschaftlich, aber auch kulturell durch den

114 ebenda, Kiesinger, 1962, S. 17

115 ebenda, Kiesinger, 1962, S. 17

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Zusammenschluss profitiert und somit keinen Schaden erlitten habe. Materielle Vorteile seien vor allem dem badischen Landesteil zugute gekommen. Eine Majorisierung Badens habe nie stattgefunden. „Nie ist die badische Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren majorisiert worden, nie haben die

Abgeordneten aus den badischen Landesteilen eine Abstimmung im Landtag erlebt, bei der die Württemberger gegen die Badener gestanden haben. Nie ist im Lande Baden-Württemberg eine Regierung gebildet worden, in der nicht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Regierungsmitliedern aus Baden

und Württemberg bestanden hat, mit Ausnahme der Koalitionsregierung des Jahres 1960.“116 Er betont die Rechtmäßigkeit des einstigen Zusammenschlusses und erwähnt die Unsachlichkeit und Demagogie im Vorfeld der Abstimmung von 1951, bei der vor allem die Württemberger verletzt und beleidigt worden seien. Er kritisiert im weiteren Verlauf den Wortlaut zur Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, in dem Baden als übergangen dargestellt

wird.117

Alles in allem lässt die Rede der Oppositionsfraktion im Landtag erkennen, dass auch sie sich zwar zur Einheit des Landes bekennt und das bis dato Erreichte der ersten Dekade würdigt, sich aber aus parteipolitischen Gründen gegen ein allzu harmonisch gezeichnetes Bild, frei von landsmannschaftlichen Gegensätzen innerhalb des neu geschaffenen Landes zur Wehr setzt.

116 Veit, Festakt zum 10-jährigen Bestehen Baden-Württembergs, 3. Landtag von Baden-Württemberg, Haus der Landtags, Stuttgart, 1962, S. 10

117 DFR, BverfGE 5,34 – Baden-Abstimmung Auszüge aus der Urteilsbegründung, Anhang, S. 351 www.servat.unibe.ch/dfr/bv005034.html (05.03.2012)

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25 Jahre Baden-Württemberg (1977)

Grundlage der Reflexion stellen die Ansprachen im Landtagsgebäude anlässlich des Festaktes zur Eröffnung der Ausstellung des Landtags zum 25-jährigen Landesjubiläum vom 9. März 1977 dar.

Das Ziehen von Staatsgrenzen in der Geschichte oblag stets der herrschenden Klasse oder einem einzelnen Herrscher oder den Siegern. Dabei wurde auf die landsmannschaftlichen Befindlichkeiten der betroffenen Bevölkerung keine Rücksicht genommen. Im Gegenteil, es war ein Akt der Willkür oder des politischen Kalküls absoluter Regenten. Insofern betont der Landtagspräsident Ganzenmüller (CDU) die historische Einzigartigkeit der Entstehung des Landes Baden-Württemberg, „bei welcher die Bevölkerung selbst über die Grenzen und die Form ihres Landes entscheiden konnte.“118 Ganzenmüller betont die

Kleinräumigkeit und die Vielzahl territorialer Selbständigkeiten während der Zeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Erst Napoleons Staatsräson sei es gewesen, welche europäische Mittelstaaten - darunter das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg – schuf. Des Weiteren hebt er die kluge Staatsführung und Verwaltung in beiden Staaten hervor.

Besondere Erwähnung findet das rasch entstandene badische Staatsbewusstsein.

Erstmals, so Ganzenmüller, „ging es nicht mehr um die Frage Alemanne oder Franke, sondern um die Frage Badener oder Württemberger.“119 Im Bezug auf die schwierigen Anfangsjahre des Landes zitiert Ganzenmüller ein Schreiben des württembergischen Landesbischof Dr. Wurm an den damaligen

Staatspräsidenten Wohleb: „ Man wird später nicht danach fragen, ob der

Staatspräsident des Südweststaates ein Württemberger oder Badener ist.“120 An dieser Stelle seiner Rede wird deutlich versucht die vorhandenen beidseitigen Ressentiments abzuschwächen und zu verharmlosen. Für Ganzenmüller stellt das 25-jährige Bestehen des Landes Baden-Württemberg keine Siegesfeier dar

118 Ganzenmüller, Festakt des Landtags, 25 Jahre Baden-Württemberg, Rückblick auf die Entstehung des Bundeslandes, Mittwoch, 9. März 1977, Stuttgart, 1977, S. 3

119 ebenda, Ganzenmüller, 1977, S. 3

120 ebenda, Ganzenmüller, 1977, S. 4

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und in Folge dessen „müsse man auch der einstigen Gegenspieler, allen voran Leo Wohleb, gedenken. Dieser habe vor allem aus Sorge um seine Heimat gehandelt (…) und sein Wirken habe auch Früchte getragen.“121 So sei es großenteils ihm zu verdanken, dass man in unserem Bundesland peinlich genau auf die landsmannschaftliche Ausgewogenheit der Landesteile achte und auch weiterhin Gleichberechtigung eine Maxime bleibe.

Auch der damalige Ministerpräsident Dr. Filbinger hebt in seiner Ansprache hervor, „dass es sich bei der Gründung des neuen Bundeslandes um den bis auf den heutigen Tag einzigen gelungen Fall einer Neugliederung innerhalb der Bundesrepublik handelte. Ohne die Vereinheitlichung des deutschen Südwestens wären vermutlich zwei der drei Länder zu Empfängerländern geworden. Doch stattdessen sei Baden-Württemberg im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zum wichtigsten Geberland der Bundesrepublik geworden“122, so Filbinger. Durch seine Lage zwischen Frankreich, Österreich und der Schweiz sei dem deutschen Südwesten schon immer die Aufgabe der Vermittlung und des Ausgleichs zugekommen. Dieser Aufgabe müsse man nun, gerade wegen der

Unterschiedlichkeit der Landesteile, auch innerhalb des Landes Baden

Württemberg gerecht werden. So gelte es vor allem den wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich zu sichern und zu fördern. Filbinger führt fort,

„dass laut einer Umfrage der Landesregierung 85 % der Bürger gerne im neu geschaffenen Bundesland Baden-Württemberg lebten. Dies sei ein Beweis, daß gerade der wirtschaftliche und soziale Ausgleich zwischen den Landesteilen in den ersten 25 Jahren gelungen sei. (…) Ziel der Landesausstellung sei es vor allem, der jungen Generation das anfängliche Ringen um die staatliche Neugliederung bewusst zu machen.“123

121 ebenda, Ganzenmüller, 1977, S .4

122 Filbinger, Festakt des Landtags, 25 Jahre Baden-Württemberg, Rückblick auf die Entstehung des Bundeslandes, Mittwoch, 9. März 1977, Stuttgart, 1977, S. 7

123 ebenda, Filbinger, 1977, S. 7

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Walter Krause (SPD), erster Stellvertretende Landtagspräsident, würdigt in seiner Ansprache zunächst die engagierten Vorkämpfer der CDU für den

Südweststaat und hebt deren außergewöhnlich große politische Leistung hervor.

Ebenso wie sein Vorredner Dr. Filbinger sieht er in der Neugliederung einen Glücksfall, der bis zum heutigen Tage kein zweites Mal stattgefunden habe und somit unvergleichbar bleibe. Der Glücksfall bestand darin, „daß es im

Parlamentarischen Rat gelang, die Südweststaatsfrage von der übrigen

Neugliederungsproblematik des Artikels 29 des Grundgesetztes abzutrennen und im Artikel 118 des Grundgesetzes eine Sonderreglung zu treffen.“124

Die Schwierigkeiten der ersten Jahre führt er weniger auf landsmannschaftliche Ressentiments zurück als vielmehr auf konkrete politische Streitfragen, allen voran in unterschiedlichen Auffassungen zur Gestaltung künftiger Schulpolitik.

Der Wille zum Kompromiss aller Beteiligten sei bisher der Schlüssel zum Erfolg des Landes gewesen. So hebt Krause die Leistungen des Landes in den verschiedensten Bereichen ausführlich hervor. In diesem Zusammenhang finden vor allem die 1967 durchgesetzte christliche Gemeinschaftsschule im ganzen Land sowie der erfolgreiche Abschluss der Kreisreform von 1971 Erwähnung.

Krause geht nochmals gezielt auf die Rechtmäßigkeit der Gründung des Südweststaates ein, die vom Verfassungsgericht 1956 bestätigt wurde, bei gleichzeitigem Einräumen eines Volksbegehrens zur möglichen

Wiederherstellung des alten Landes Baden. Die erfolgreiche Durchführung des Volksbegehrens machte dann eine Volksabstimmung notwendig. Erst im Jahre 1969 - also 13 Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum zweiten Neugliederungsgesetz - kam im Deutschen Bundestag eine

Grundgesetzänderung zustande, welche den Weg zu einem Volksentscheid frei machte. Laut Krause wurde mit der Volksabstimmung vom 7. Juni 1970 ein Schlussstrich unter die Südweststaatsfrage gezogen.

124 Krause, Festakt des Landtags, 25 Jahre Baden-Württemberg, Rückblick auf die Entstehung des Bundeslandes, Mittwoch, 9. März 1977, Stuttgart, 1977, S. 8

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Politisch ist dieser Einschätzung sicherlich zuzustimmen. Ob damit

wechselseitige Ressentiments ebenfalls ausgeräumt waren, dieser Frage gilt es in diesem Zusammenhang nachzugehen. Für den Vize-Landtagspräsidenten gilt

„das eindeutige Votum von 82 % der Abstimmenden zum Verbleib im Südweststaat als Beweis für die Richtigkeit der vor 19 Jahren getroffenen Entscheidung zur Gründung des Landes Baden-Württemberg. So betrachtet er dieses Votum als eine späte Quittung für die immer wieder zu Unrecht

verbreitete Behauptung, daß der badische Landesteil benachteiligt werde.“125 Krause betont gegen Ende seiner Ansprache, daß es in Regierung und Parlament keine landsmannschaftlichen Ressentiments mehr gäbe. „ Hier in diesem Hause sind Gott sei Dank alle Ressentiments verschwunden.“126

Des Weiteren sollte im Zyklus der Festansprachen der Vortrag des ehemaligen Ministerpräsidenten Dr. Gebhard Müller (FDP) Erwähnung finden. Dieser geht sehr detailiert auf die Besatzungsjahre des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Er hebt die neuerlich gewaltsame Veränderung der Landesgrenzen hervor und die politischen Schwierigkeiten und Hemmnisse während der

Nachkriegsjahre. Er betont die Not vor allem der südlichen Landesteile und die Bemühungen der drei südwestdeutschen Regierungschefs, diese Länder zu vereinen. Neben dem weiteren Fortgang zur Neugliederung des Südwestens geht er ebenso auf die Volksbefragung des Jahres 1950 ein, wie auch auf die Position Frankreichs bezüglich eines Länderzusammenschlusses. Gebhard Müller

erläutert sehr ausführlich den Streit um die Rechtmäßigkeit des

Zustandekommens des neuen Landes Baden-Württemberg, zumal sich Baden von den Württembergern majorisiert sah. „Durch die vorgesehene

Majorisierung, die Ablehnung der Durchzählung nach alten Ländern, wird das Sonderrecht des badischen Volkes auf Weiterführung seines staatlichen Lebens gegen seinen Willen und ohne seine Zustimmung verletzt.“127 Bei dieser

125ebenda, Krause, 1977, S. 9

126 ebenda, Krause, 1977, S. 10

127 Müller, Festakt des Landtags, 25 Jahre Baden-Württemberg, Rückblick auf die Entstehung des Bundeslandes, Mittwoch, 9. März 1977, Stuttgart, 1977, S. 16

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Erörterung stellt er nochmals die Hauptargumente der Befürworter und der Südweststaatsgegner gegenüber. Um vermutlich alte Wunden nicht erneut aufzureißen, berichtet Gebhard Müller die einstigen harten

Auseinandersetzungen in einer sehr humorvollen Art und Weise. Es fällt auf, dass er durchaus Verständnis für die Südweststaatsgegner zeigt, da diese in gewisser Weise ihr badisches Staatsgefühl verloren hätten. Er betont,

dass der Wunsch nach einer staatlich verfassten Heimat ein durchaus ehrenhafter Wunsch sei. „Die eigentliche Triebfeder der Gegenwehr war, wie der

Abgeordnete Kopf im Bundestag und vor dem Bundesverfassungsgericht offen und zutreffend aussprach, das badische „Staatsgefühl“, der durchaus ehrenhafte Wunsch nach Erhaltung des badischen Staates, der staatlich verfassten

Heimat,(...) Diesen Staat und seine Verwurzelung in ihm aufgeben zu müssen, hat man vor allem in den führenden, die Volksmeinung maßgeblich

beeinflussenden Kreisen als ungeheuer schmerzlich empfunden.“128 Er bedauert in seiner Ansprache die lange Zeit, welche bis zur endgültigen Abstimmung im Jahre 1970 verstrichen sei, betont aber ausdrücklich, dass die Badener nach 25 Jahren Baden-Württemberg in der Landesregierung und anderen

Spitzenpositionen ein Übergewicht erhalten hätten.

Erwähnt werden sollte auch das Geleitwort des Landtagspräsidenten

Ganzenmüller zur Dokumentation der Landesausstellung von Paul Sauer .129 Ganzenmüller betont ausdrücklich die vermeintlich historische Tradition, die dem vereinten Land Baden-Württemberg zugrunde liegt. Gemäß seinen Ausführungen wurden 1952 nicht zwei künstlich entstandene Staaten

miteinander vereint, sondern „unser Land knüpft bewusst an die Tradition des

miteinander vereint, sondern „unser Land knüpft bewusst an die Tradition des