III HISTORISCHE EINBETTUNG UND LEGENDENBILDUNG 1) Der Kampf für Baden
6. Argumente im Abstimmungskampf 1951
Im Vorfeld der Abstimmung des Jahres 1951 tobte ein zuweilig sehr
emotionaler Wahlkampf um die Gunst der Stimmen. Politische Karikaturen, beidseitige Verunglimpfungen hatten Hochkonjunktur. Nichts desto trotz gab es auch an der Sache orientierte Argumente auf beiden Seiten. Im Vorfeld des Abstimmungskampfes ging es also nicht nur um die Bildung des Südweststaats oder die Rückkehr zu den alten Traditionsländern, sondern auch um ein
Kräftemessen zwischen Emotion und rationalen Zwecküberlegungen. Betrachtet man die Argumente der Befürworter des Südweststaates, so treten vor allem ökonomische Argumente in den Vordergrund. Ein geeintes Bundesland hätte vor allem den Vorteil einer größeren Wirtschafts- und Finanzkraft, die sich auch bei der Beseitigung der Kriegsschäden und dem Wiederaufbau einer
leistungsfähigen Infrastruktur durch die doppelte Finanzkraft beider Länder besser nutzen ließe. Der Länderzusammenschluss habe aber auch politisch erhebliche Vorteile gegenüber einer jeweiligen Autarkie. Insbesondere sei man nicht auf den Länderfinanzausgleich des Bundes angewiesen und man könne über ein stärkeres Gewicht im Bundesrat ein bundespolitisch größeres Gewicht
334 ebenda, Bury, 1988, S. 305
188
beanspruchen. Hinzu kamen Argumente von niedrigeren Verwaltungskosten in einem geeinten Bundesland. „Auch die Probleme von En- und Exklaven in den Grenzräumen könnten durch eine Länderehe behoben werden. Nicht zuletzt führten einige Gelehrte auch die vermeintliche Existenz einer historischen Traditionslinie der Staufer aus dem Mittelalter ins Feld, um einen
landsmannschaftlichen Zusammenschluss zu rechtfertigen.“335
Auch die Verfechter einer badischen Traditionslösung waren um plausible
Argumente nicht verlegen und versuchten z.T. die Argumente der Gegenseite zu widerlegen. Vor allem die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit Badens wurde immer wieder betont, zumal Baden über zahlreiche Industrie- und
Kraftwerksbetriebe entlang der Rheinschiene verfüge und somit in einer
zunehmend europäisch ausgerichteten Zukunft berechtigte Überlebenschancen habe. Die durch den Schwarzwald gegebene topographische Abgrenzung von Württemberg stelle einen naturgegebenen Widerspruch zu jedweden
Vereinigungsplänen dar. Gerade der viel beschworene und befürchtete Stuttgarter Zentralismus spielte im Abstimmungsvorfeld eine zentrale Rolle.
„Einer Stuttgarter Regierung misstraute man von Grund auf, zumal man aus badischer Sicht durch einen Länderzusammenschluss definitiv nicht nur geographisch, sondern auch politisch an die Peripherie gedrängt würde.“336 Diese Sorge wird auch bei Theodor Eschenburg in seiner Einschätzung von Leo Wohlebs Kampf für den Erhalt Gesamtbadens deutlich.
„Das imperialistische Württemberg drohe Baden zu vergewaltigen. Ständig fühlte er sich und sein Land von den Schwaben betrogen und glaubte, diese Gefahr nur durch deren Übertrumpfung bannen zu können.“337 Es erschien
geradezu unmöglich zu sein, dass sich eine Stuttgarter Landesregierung auch nur in Ansätzen für die badischen Interessen einzusetzen bereit gewesen wäre,
zumal die Württemberger in einem gemeinsamen Parlament ohnehin die
335 Hepp, 1997, S. 258
336 ebenda, Hepp, 1997, S. 259
189
Mehrheit stellen würden und somit eine Majorisierung unumgänglich erschien.
Dem Argument einer kostengünstigeren geeinten Verwaltung hielt man entgegen, dass in einem geeinten größeren Bundesland verwaltungspolitische Mittelinstanzen eingeführt werden müssten, die letztendlich teurer seien als zwei eigenständige Verwaltungsapparate. In Baden spielten neben den genannten Argumenten vor allem auch landsmannschaftliche Gesichtspunkte eine sehr große Rolle. „Man fürchtete, dass das über 150 Jahre gewachsene und
überlieferte Heimatgefühl sowie das badische Staatsgefühl, württembergischen Zweckmäßigkeiten weichen müsse. In diesem Zusammenhang sprach man auch vom so genannten Stuttgarter „Reißbrettföderalismus“.“338
Wohleb verstand es meisterhaft, das badische Volk, insbesondere Südbadens, zu mobilisieren. „ Die badische Regierung in Freiburg unter der Leitung von
Staatspräsident Leo Wohleb wurde zur Vorkämpferin für eine Wiedererrichtung der Vorkriegsländer, und sie verstand es, durch wirkungsvolle Propaganda in Südbaden, aber auch in Nordbaden weite Bevölkerungskreise für ihr
politischesProgramm zu gewinnen.“339 Nicht zuletzt fühlte man das badische Rechtsbewusstsein und das badische Selbstbestimmungsrecht durch den
Abstimmungsmodus des Zweiten Neugliederungsgesetzes aufs tiefste verletzt.
Unter ökonomischen Aspekten war der Länderzusammenschluss ein voller Erfolg, der vor allem auch dem wirtschaftlich ärmeren Landesteil Baden zu Gute kam. So war Baden-Württemberg nach 25 Jahren zum zweitgrößten
Industrieland der Bundesrepublik aufgestiegen. Die Südweststaat-Anhänger sahen sich dadurch natürlich bestätigt. Und selbst der Ministerpräsident
Filbinger meinte als Badener im Vorfeld der Abstimmung von 1970, dass Baden zwar als eigenständiges Bundesland weder finanz- noch wirtschaftspolitisch
337 Eschenburg, Die Entstehung Baden-Württembergs, in: Bausinger/Eschenburg, Baden-Württemberg, eine politische Landesskunde, Stuttgart, 1975, S. 50
338 ebenda, Hepp, 1997, S. 259
339 Sauer, 1997, S. 255
190
überlebensfähig, allerdings auch, gemessen an seiner Bevölkerungszahl, an den Leistungen des Landes überproportional beteiligt gewesen sei. „Es gab in Baden allerdings auch andere Stimmen, die die Dinge nicht nur etwas
differenzierter, sondern mitunter auch genau umgekehrt betrachteten. Bestimmte Bevölkerungskreise sahen den wirtschaftlichen Aufschwung nicht als eine
Leistung des geeinten Bundeslandes, sondern vielmehr in einem größeren Zusammenhang des allgemeinen Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit, von dem die gesamte Bundesrepublik profitierte. Diese Einschätzung beruhte vor allem auf dem so genannten Luther-Gutachten des Jahres 1957.“340 Es handelte sich dabei um eine unabhängige Sachverständigenkommission, die dem
badischen Landesteil auch eine selbständige solide finanz- und
wirtschaftspolitische Überlebensfähigkeit bescheinigte. Heftige Kritik äußerte man auch gegen die schwäbischen Großprojekte wie der Ausbau des
Neckarkanals bis Plochingen oder die Bodenseewasserversorgung des
Stuttgarter Großraumes. Hierin sah man eine klare Bevorzugung Württembergs gegenüber badischen Großprojekten. Besonders die Elektrifizierung der
Schwarzwaldbahn von Offenburg nach Konstanz und die Schiffbarmachung des Hochrheins vom Bodensee nach Basel empfand man als minderwichtig
behandelt. Die Elektrifizierung der Schwarzwaldbahn wurde zwar nach langer Verzögerung 1977 endlich abgeschlossen, jedoch in Sachen Schiffbarmachung des Hochrheines gab es keine Fortschritte, obwohl auch die Schweiz an diesem Vorhaben Interesse bekundete und bereits 1963 der baden-württembergische Landtag in einer Resolution den baldigen Beginn des Ausbaus beschlossen hatte.
Dennoch bleibt bei objektiver Betrachtung festzuhalten, dass bis zu diesem Zeitpunkt badische wie württembergische Projekte ungefähr in gleichem Maße gefördert wurden. Somit lässt sich unter finanzpolitischem Aspekt keine
Benachteiligung des badischen Landesteils feststellen, auch wenn man es dort
340 ebenda, Hepp, 1997, S. 260
191
subjektiv anders empfunden hatte, weil die aus badischer Sicht vorrangigen Projekte zunächst keine Realisierung erfuhren. Württemberg konnte seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Vorsprung gegenüber Baden zwar ausbauen, jedoch muss man berücksichtigen, dass Württemberg gegenüber dem badischen Landesteil in Sachen Finanzkraft bereits von einem höheren Niveau aus startet.
Neben dem so genannten Hotzenwaldprogramm, der Wiederherstellung und Elektrifizierung der Bahnlinie Mannheim-Basel, dem Ausbau der Autobahn Karlsruhe –Basel, dem Wiederaufbau der Universität Freiburg und den
Sonderhilfen für den Wiederaufbau besonders kriegszerstörter Städte wie Kehl, Neuenburg und Breisach könnte man noch viele weitere Projekte nennen, die tatsächlich realisiert wurden. Aufgrund der Vielzahl badischer Anliegen wäre es an dieser Stelle ebenso wenig ein Problem, eine Negativliste nicht realisierter Projekte zu erstellen. An dieser Stelle muss der Ausgewogenheit wegen erwähnt werden, dass man für den württembergischen Landesteil in gleicher Art und Weise Positiv- und Negativlisten aufstellen und
gegenüberstellen könnte. Regionale Diskrepanzen treten dann eher zum
Vorschein, wenn man den Blick nicht auf die beiden Landesteile wirft, sondern auf die vier Regierungsbezirke. Dass Nordwürttemberg, insbesondere der mittlere Neckarraum, in Sachen Wirtschaftskraft eine klare Spitzenposition innerhalb des Landes einnimmt, ist wegen des Großraums Stuttgart nicht verwunderlich. Auch Nordbaden schneidet dank des Industriepotenzials im Rhein-Neckar Gebiet verhältnismäßig gut ab und liegt mit seiner
Wirtschaftskraft deutlich vor Südwürttemberg-Hohenzollern. Ein deutliches Nord-Süd-Gefälle erkennt man im Vergleich zwischen Nordwürttemberg und Südbaden. Nicht von ungefähr kam daher die Sorge der Bevölkerung
Nordbadens, dass sie ökonomische Nachteile zu erleiden hätte, wenn sie zugunsten der Wiederherstellung der Traditionsländer aus dem Land
Württemberg-Baden, herausgelöst würden. Dies spiegelte sich dann auch im Votum Nordbadens für den Südweststaat wider. Sauer sieht darin sogar einen
192
„eindeutigen Vetrauensbeweis für das Land Württemberg-Baden, in dem im Verlauf von sechs Jahren Badener und Württemberger in gleicher Weise heimisch geworden waren, sich gemeinsam aus tiefster Erniedrigung und fast hoffnungsloser Not emporgearbeitet und die große demokratische Tradition ihrer beiden alten Länder in das neue politische Gemeinwesen eingebracht hatten“.341 Die Schaffung des durch die amerikanische Besatzungsmacht geschaffenen Landes Württemberg-Baden stellt somit eine entscheidende Weichenstellung für die Bildung des Südweststaates bzw. des Landes Baden-Württemberg dar. Südbaden stellt die wichtigste Ferien- und Freizeitregion Baden-Württembergs dar. Geplante Großprojekte wie der Bau der
Schwarzwaldautobahn oder der Bau des Atomkraftwerkes Wyhl waren mit dem Charakter dieser Region nicht vereinbar und stießen folgerichtig bei
Umweltschützern auf erbitterten und erfolgreichen Widerstand.
Neben den Problemen beim Versuch, ein ausgewogenes
Verhältnis unter ökonomischen Aspekten zwischen den Landesteilen zu
generieren, stellte gerade die Absicht der Ausgeglichenheit im administrativen Bereich eine ungleich schwerere Herausforderung dar. „Das neue Bundesland hatte mit seiner neuen Gemeinde- und Landkreisordnung sowie mit dem Landesverwaltungsgesetz und in der Folgezeit mit dem Polizei-,
Lehrerbildungs- und Schulgesetz durchaus erfolgreich zur
Rechtsvereinheitlichung beigetragen. Große Schwierigkeiten ergaben sich bei der ausgewogenen Besetzung der leitenden Ministerialbehörden, da sich vor allem zahlreiche badische Beamte weigerten, ihren Dienst im
württembergischen Stuttgart zu leisten. „Im Jahre 1955 arbeiteten insgesamt in neun Ministerien in leitender Funktion 338 Beamte, davon stammten 155 aus Nordwürttemberg, 64 aus Südwürttemberg-Hohenzollern, 57 aus Südbaden und 46 aus Nordbaden. Von zehn Ministerialdirektoren stammten sieben aus
Nordwürttemberg, zwei aus Nordbaden und einer aus Südbaden. In Sachen
341 ebenda, Sauer, 1997, S. 256
193
Personalstruktur stammten seinerzeit 62 % aus Württemberg und 38 % aus Baden bei einem Bevölkerungsanteil von 57 % : 43 %.“342 Große Bestätigung erfuhren die Skeptiker des Südweststaates aber vor allem bezüglich der
gestiegenen Verwaltungskosten im neuen Bundesland. Hatte man 1951 für die Parlamente, Regierungen und Ministerien der drei südwestdeutschen
Nachkriegsländer Kosten in Höhe von 43,7 Millionen DM veranschlagt, so musste man 1957 feststellen, „dass sich die Kosten durch die neu
hinzugekommenen Regierungspräsidien als Mittelinstanzen auf knapp 60
Millionen DM beliefen und sich somit die Kosten für die Einrichtung der neuen Verwaltung um fast 40 % teurer entpuppten gegenüber den Verwaltungen der drei Besatzungsländer.“343 Baden-Württemberg leistete sich eine der teuersten Verwaltungen im gesamten Bundesgebiet. Erschwerend kam hinzu, dass die geplante Gebietsreform erst dann umgesetzt werden konnte, als über den Verbleib Badens im Südweststaat endgültig entschieden worden war. Erst die Baden-Abstimmung vom 7. Juni 1970 machte den Weg für die Gebietsreform frei, die zum 01.01.1973 in Kraft trat. Somit verschwanden die Grenzen des ehemaligen Landes Baden zumindest von der Landkarte endgültig.
„Der neue Regierungsbezirk Freiburg gab den Landkreis Rastatt, den Stadtkreis Baden-Baden, Teile des ehemaligen Landkreises Bühl an Karlsruhe sowie im Bodenseegebiet den Landkreis Überlingen und Teile des Landkreises Stockach an Tübingen ab. Aus dem ehemaligen Südwürttemberg-Hohenzollern kamen die Landkreise Tuttlingen und Rottweil neu hinzu. Der neue Regierungsbezirk Karlsruhe erhielt neben den erwähnten südbadischen Kreisen zusätzlich von Südwürttemberg-Hohenzollern die Kreise Calw und Freudenstadt, während der Landkreis Tauberbischofsheim an Stuttgart fiel.“344 Auch wenn man sich aus rein landsmannschaftlicher Tradition betrachtet über den Sinn und Unsinn des Gebieteaustausches zwischen Württemberg und Baden streiten kann, so bleibt
342 ebenda, Hepp, 1997, S. 263
343 ebenda, Hepp, 1997, S. 263
344 ebenda, Hepp, 1997, S. 265/266
194
festzuhalten, dass dieser Gebietsschacher ohne nennenswerte Widerstände in den betroffenen Gebieten erfolgte. Nach der Gründung des neuen Bundeslandes 1952 wäre bereits ein solches Ansinnen undenkbar gewesen. So gesehen ist dies durchaus als ein Stück erfolgreiche Integration zu bewerten.
Allerdings ist es ein Irrtum zu glauben, dass damit alle landsmannschaftlichen Gegensätze verschwunden seien. Man muss dies eher als eine Verlagerung betrachten, die sich von höchster politischer Ebene wegverlagert hatte und sich nun auf kulturell-kommunikativer Ebene ein neues Betätigungsfeld suchte.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang den sozio-kulturellen Aspekt, so drängt sich natürlich auch die Frage auf, ob es sich beim Bindestrichland Baden-Württemberg nun tatsächlich um einen Bindestrich oder vielleicht doch eher um einen Trennungsstrich handelt? Mit der Herausbildung eines spezifischen baden- württembergischen Landes- und Staatsbewusstsein tut man sich in Baden
naturgemäß sehr schwer. Kulturelle und regionale Eigenheiten haben sich schließlich über lange Zeit hinweg entwickelt und sind tief verwurzelt.
Dementsprechend erscheint es nur logisch, dass ein Landes- und
Staatsbewusstsein für ein neues und vor allem nicht geschichtlich gewachsenes und somit künstliches Gebilde, wenn überhaupt, dann nur sehr langsam
entstehen kann. „Bis heute gibt es einen selbständigen badischen Landesverband bei einer Vielzahl von Körperschaften oder Anstalten des Öffentlichen Rechts.
An dieser Stelle seien nur die wichtigsten, wie etwa der
Landeswohlfahrtsverband Baden, die badische Gebäudeversicherungsanstalt, der badische Sparkassen und Giroverband, (sowie der badische Sportbund) genannt.“345 Konkrete Ausführungen zu dieser Thematik finden sich in einem späteren Kapitel.
„Beleuchtet man den politischen Aspekt so wird der Abstimmungsmodus des Jahres 1951 und die gesamtbadische Mehrheit von 52,2 % und somit die
Geburtsstunde des neuen Bundeslandes zu einer schweren Hypothek. In Baden
345 ebenda, Hepp, 1997, S. 267
195
wurde der Länderzusammenschluss als Zwangsehe empfunden, mitunter sogar als Unrechtsstaat bezeichnet.“346 Dass die Gründung Baden-Württembergs mit einem schweren Makel behaftet war, stellt auch Karl Glunk in seiner Chronik der Jahre 1960-1970 fest. „Ein Bundesland, das zustande gekommen ist, weil man erst nach einer Probeabstimmung (1950) den endgültigen Wahlmodus so festlegte, dass das erwünschte Resultat herauskam (1951); die Verzögerung eines vom Bundsverfassungsgericht 1956 vorgeschriebenen Volksentscheids um 14 Jahre; ein Land dessen Verfassung nie dem Volke zur Abstimmung vorgelegt wurde; ein Parlament, das von der selbst erlassenen Verfassung keine Notiz nimmt und sich um das darin vorgesehene Ministergesetz drückt. Das verletzte Recht schrie nach Wiedergutmachung und in vielen badischen Köpfen auch nach Rache!“347
Es war die Summe vieler Unstimmigkeiten während der Gründungsphase, die das politische Klima und die Emotionen vergifteten. Entgegen jedem
demokratischen Verständnis konnte die neue Landesverfassung nicht vom Volk abgesegnet werden, da man dem Volk diese Mündigkeit vorenthielt. Somit konstituierte sich die Landesversammlung aus eigener Kraft zum ersten baden-württembergischen Landtag, der gemäß einer Bestimmung der
Landesverfassung bis 1956 im Amt bleiben sollte. Weiteres Öl ins Feuer goss die erste Regierung mit einem denkbar unglücklichen Regierungsbeginn. „Aus taktischen Erwägungen schloss Reinhold Maier die CDU, als stärkste Fraktion des Landes, von der Regierungsbildung aus, was in Baden großen Unmut hervorrief. Nachdem sich Konrad Adenauer nach den erfolgreichen
Bundestagswahlen in die Landespolitik einschaltete, wurde 1953 umgehend Gebhard Müller zum neuen Regierungschef. Während die SPD und FDP sowohl die Existenz wie auch das Zustandekommen des neuen Bundeslandes frei von jedem Makel betrachteten, so war die CDU auch weiterhin in diesen beiden Fragen in sich zerrissen. Auf dem CDU Parteitag in Offenburg 1953 bekannte
346 ebenda, Hepp, 1997, S. 268
347 Glunk, 1992, S. 291/292
196
man sich zwar zum neuen Staatswesen, kritisierte aber die Missachtung des in einer Demokratie verankerten Selbstbestimmungsrechts und legte gegen den undemokratischen Abstimmungsmodus des Zweiten Neugliederungsgesetzes Rechtsverwahrung ein.“348 So stellte vor allem das Abstimmungsverfahren den entscheidenden Knackpunkt für Streitigkeiten dar. „Während die Freiburger dafür eintraten, dass die Stimmen nach den beiden alten Ländern gezählt
werden, verlangte man in Stuttgart die Zählung der Stimmen gesondert nach den vier Landesteilen Nord- und Südbaden, Nord- und Südwürttemberg.
Die Freiburger vertraten den Standpunkt, dass über diese Frage nur die
Gesamtbevölkerung des alten LandesWürttemberg und des alten Landes Baden, die von den Besatzungsmächten willkürlich geteilt waren, entscheiden könnte.
Die Stuttgarter Regierung berief sich auf die Verfassung des neuen Landes Württemberg-Baden und auf ihren Eid. Sie könnte nicht in die Auflösung dieses Landes gegen den Willen der Mehrheit der nordbadischen Bevölkerung
einwilligen.“349 Demgegenüber stand die altbadische Argumentation, die sich vor allem auf das historische Recht des Fortbestandes der Traditionsländer stützte. Damit standen sich das Recht der historischen Tradition und das
bestehende Verfassungsrecht Württemberg-Badens unvereinbar gegenüber. Eine erhoffte Stabilisierung des Südweststaates brachte auch nicht die seit 1953
bestehende Allparteienregierung. Im Gegenteil, von Transparenz politischer Entscheidungen konnte nicht die Rede sein und wegweisende Reformen wie etwa die Gebietsreform oder die Sparpläne für die Verwaltung wurden auf Eis gelegt. Zusätzlich verschärfte sich die Situation durch das 1956 durchgeführte badische Volksbegehren, das eine Neuansetzung der Abstimmung über die Zugehörigkeit des badischen Landesteils zum Südweststaat zwingend
vorschrieb. Solange die badische Bevölkerung nicht die faire Gelegenheit hatte, über den Verbleib im Südweststaat abzustimmen, erschien jede Handlung, Tätigkeit und Entscheidung des Parlaments bzw. der Regierung als
348 ebenda, Hepp, 1997, S. 269
349 ebenda, Eschenburg, 1975, S. 52
197
Entscheidung unter Vorbehalt bzw. von provisorischem Charakter. Die Badenfrage und deren Ausgang stellte somit weiterhin das landespolitische Hauptproblem dar. „ Dem Südweststaatsargument der erhöhten Lebenskraft stand die altbadische Begründung der Tradition und Heimtliebe gegenüber. 150 Jahre hatte das alte Baden bestanden, und man war damit gut gefahren. Warum sollte man es nicht wiederherstellen? Die Altbadener fürchteten, die
Württemberger würden ihr Land unterdrücken und ausnutzen.“350 Auch
Weinacht beschreibt die Stimmungs- und Motivlage in Baden in vergleichbarer Art und Weise, allerdings sieht er auch bei Wohleb mehr wie nur rein emotional begründete Heimatmotive. „ Für die so genannten Altbadener sprach alles gegen ein Zusammengehen mit dem „ellenbogenstarken Volk der
Schwaben“: die strukturelle Minderheit, in der die badische Landsmannschaft künftig lebte, der Wechsel vom Subjekt zum Objekt der Politikgestaltung, die Ablösung der badischen Residenzstadt Karlsruhe durch Stuttgart, die
unvermeidlich folgen musste. Zudem lag für sie auf der Hand, dass als
Bedingung für Zuschüsse und Karrieren nur eines zählte: Wohlverhalten. Darum war die Parole im Abstimmungskampf: „Der Heimat die Treue, Baden die
Stimme“ für Wohleb und die Seinen nicht nur eine Sache des Herzens, sondern auch der Vernunft.“351 Die Badenfrage beherrschte bis in die sechziger Jahre hinein die jeweiligen Landtagswahlen. Das Verzögern der endgültigen
Entscheidung der Badenfrage fand seinen Ausdruck auch in auffallend niedriger Wahlbeteiligung vor allem im badischen Landesteil und innerhalb Badens war ein klares Nord-Süd-Gefälle erkennbar. Die badische Bevölkerung brachte darin einerseits ihren Unmut über die Art und Weise des Zustandekommens des
Südweststaates zum Ausdruck, andererseits zeigte sie mangelnde Identifikation mit dem neu geschaffenen Bundesland. Die Schwierigkeiten, die eine
mangelnde Identifikation mit dem neu geschaffenen politischen Gemeinwesen mit sich bringen konnte, prophezeite Leo Wohleb bereits im Jahre 1948 in einer
350 ebenda, Eschenburg, 1975, S. 51
351 Weinacht, 2002, S. 33
198
Rede, in der er sich vor allem für einen fairen Abstimmungsmodus für beide Landesteile, also sowohl für das alte Baden, als auch für das alte Württemberg aussprach. „ Denn die alleinige Zulassung der Frage nach der Vereinigung würde von den Anhängern der altbadischen Richtung mit Recht als unbillig empfunden werden. Vollends bedeutet das Absehen von einer vorherigen staatsvertraglichen Regelung in diesem Falle eine durch nichts gerechtfertigte Preisgabe altbadischer Belange und könnte unerwünschte innerpolitische Gegenwirkungen in dem dann neugebildeten Südweststaat zur Folge haben.
Darum plädieren wir für eine klare, saubere und gerechte Entscheidung.“352 Diese Prophezeiung Wohlebs wurde in Gestalt der Badenfrage Wirklichkeit.
Und bis zum heutigen Tage hat die Vorhersage Wohlebs Gültigkeit, wenn auch nicht mehr als politische Frage ersten Ranges, aber doch auf einer
kommunikativen Ebene, auf der die Badenfrage weiterhin existent ist. Mit der Wiederwahl Kiesingers zum Ministerpräsidenten 1960 endete die
Allparteienkoalition und die Regierung wurde nun von CDU und FDP/DVP gebildet. Da aber auch die Badenabstimmung weiterhin verzögert wurde konnte von landespolitisch ruhigen Zeiten nicht die Rede sein. Dementsprechend
moderat fielen die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Landesjubiläum 1962 aus.
moderat fielen die Feierlichkeiten zum zehnjährigen Landesjubiläum 1962 aus.