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Ökonomie in Baden und Württemberg

III HISTORISCHE EINBETTUNG UND LEGENDENBILDUNG 1) Der Kampf für Baden

2. Ökonomie in Baden und Württemberg

Wenn heute vom „Musterländle“ die Rede ist, dann weiß jeder, was damit gemeint ist und wo dieses zu finden ist. Mit diesem Prädikat schmückt sich heute das 1952 geschaffene Bundesland Baden-Württemberg. Weniger bekannt ist die Tatache, dass sich die Bezeichnung des „Musterländles“ ursprünglich im 19. Jahrhundert auf den badischen Landesteil, genaugenommen auf das

Großherzogtum Baden bezog. Baden war zu dieser Zeit Württemberg gegenüber ökonomisch überlegen und galt als vorbildhaft, nicht nur im Bereich der

wirtschaftlichen Entwicklung. Die wirtschaftliche Überlegenheit Badens endete nach dem Ersten Weltkrieg. Dieser stellte in Baden eine besondere Zäsur, auch in Sachen ökonomischer Entwicklung, dar. Baden erwies sich in den von Krisen gebeutelten frühen und späten Zwanzigerjahren der Weimarer Republik als besonders anfällig im Vergleich zu seinem württembergischen Nachbarn.

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Baden wurde in dieser Zeit von Württemberg nicht nur ökonomisch eingeholt, sondern sogar überholt. Durch die Ereignisse und Folgen des Ersten Weltkriegs geriet Baden im Vergleich mit Württemberg ökonomisch ins Hintertreffen.

Das bis auf den heutigen Tag in Baden existierende Gefühl einer

wirtschaftlichen Benachteiligung gegenüber Württemberg, erklärt sich daher nicht allein aus den Geschehnissen rund um die Auseinandersetzungen um die Landesgründung des Jahres 1952 und den Folgejahren bis zum Plebiszit des Jahres 1970. Das Gefühl einer Zurücksetzung ist somit schon deutlich älter als das Bundesland selbst. Natürlich haben die Querelen im Zusammenhang mit der Landesgründung, das bereits latent vorhandene Gefühl der Benachteiligung zusätzlich verstärkt, da es dabei natürlich auch um viel weitreichendere Fragen, wie etwa die der politischen Selbständigkeit, ging. Der badische Vorwurf, die Stuttgarter Landesregierung bevorzuge den württembergischen Landesteil und insbesondere den mittleren Neckarraum, ist zumindest aus wirtschaftspolitischer Sicht, zumindest für die Zeit von der Landesgründung 1952 bis zum badischen Plebistzit von 1970, nicht haltbar. Dennoch fürchtet man in Baden bis auf den heutigen Tag eine Benachteiligung seines Landesteils. Die permanente Sorge, vor allem vor einer ökonomischen Benachteiligung, wird regelmäßig und im Besonderen von der „Landesvereinigung Baden in Europa“ formuliert.

Seit langem warnt die Landesvereinigung vor einer Zentralisierung der Landespolitik, gerade wenn es um die wirtschaftliche Entwicklung und Förderung des Landes geht. Dahingehend äußerte sich deren Vorsitzender Robert Mürb gegenüber dem Südkurier.231 „ Das Bahnprojekt Stuttgart 21 (…) sei auch eine Bedrohung des Schienenverkehrs jenseits der Ballungsräume. Es sei abzusehen, dass bald schon immer weniger Mittel dort ankommen. (…) Das ländlichere Baden hinke bei den Mittelvergaben in einigen Bereichen hinter dem Württembergischen hinterher.“232 Mit vergleichbarer Intention äußert sich auch der Chef der südbadischen CDU, Andreas Jung: „ In der Prioritätenliste 1 ist

231 Südkurier Nr. 291, vom 15. Dezember 2012

232 Köhler, Die Sorge vor dem Ausbluten, in: Südkurier Nr. 291, vom 15. Dezember 2012, S. 3

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kein einziges Projekt aus Südbaden dabei. (…) Wir müssen darauf achten, dass unsere Region nicht abgehängt wird.“233

Nachfolgend sollen die Vorzüge und Nachteile der wirtschaftlichen

Rahmenbedingungen und deren Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert in Baden und Württemberg in ihren groben Zügen aufgezeigt werden. Hierzu ist es notwendig, dass man auch die Mentalität der Menschen und ihre religiöse

Prägung in beiden Ländern beleuchtet, da beide Faktoren in einer gewissen Wechselwirkung zueinander stehen und einander beeinflussen.

Der Standort Baden erwies sich für eine rasche wirtschaftliche Entwicklung zunächst einmal aufgrund naturgegebener sowie mentalitätsspezifischer Merkmale als günstiger gegenüber den Startbedingungen in Württemberg.

Kennzeichnend für Württemberg war ein kontinuierliches wirtschaftliches Hinterherhinken im 19. Jahrhundert. Württemberg war agrarisch geprägt, verfügte über nahezu keine Rohstoffe und lag darüber hinaus auch fernab der großen Handelswege seiner Zeit. Hinzu kamen eine durch Erbteilung bedingte Zerstückelung der Besitzverhältnisse. Während in Württemberg deutliche Skepsis gegenüber der einsetzenden industriellen Entwicklung vorherrschte, verzeichnete Baden eine kontinuierliche und dynamische Entwicklung.

Beispielhaft kann hier die Entwicklung der Eisenbahn angeführt werden.

„ Als auf dem (württembergischen) Landtag von 1842/43 der Eisenbahnbau auf die Tagesordnung gesetzt wurde, hatte Bayern bereits 65 km und Baden 19 km Bahn gebaut.“234 Die in Württemberg vorherrschenden Vorbehalte gegenüber der Eisenbahn erklären sich vorwiegend aus der mentalitätsgeschichtlichen Prägung. Zweifel an allem Neuen und mangelnde Offenheit für neue technische Entwicklungen sowie mangelnde Bereitschaft zur Modernisierung waren hier kennzeichnend. Ideologische Vorbehalte führten dazu, dass die Entwicklung der Infrastruktur nur zögerlich vorankam. Vor allem die Groß- und Schwerindustrie kam in Württemberg nur schleppend voran. „ Bis weit in die vierziger Jahre (des

233 ebenda, Köhler, 2012, S. 3

234 Vgl. Scharfe, Kaschuba, Lipp, 1977, S. 45, zitiert nach Koziol, 1987, S. 73

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letzten Jahrhunderts) herrschte in Württemberg die Meinung vor, dass Württemberg ein Agrarstaat sei und dies auch bleiben müsse.“235

Hingegen beruhte Badens beispielgebende und vorbildhafte Funktion der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem auf der sozialen und religiös stärkeren Heterogenität des Landes, bei zusätzlich günstigeren natürlichen

Rahmenbedingungen. „ (…) so scheint doch das, was in der ersten

Jahrhunderthälfte (des letzten Jahrhunderts) als typisches Erscheinungsbild der Industrie angesprochen wurde, sich in Baden stärker und früher herausgebildet zu haben als in Württemberg.“236 Auch um die Jahrhundertmitte befand sich Baden in einem Zustand industriell-technischer Entwicklung, wie ihn

Württemberg bis dato nicht kannte. In Baden war man gegenüber technischen Neuerungen im Zuge der Industrialisierung erheblich offener und zugewandter als in Württemberg. Zusätzlich wirkten sich die besseren Transportwege in Baden für eine rasche industrielle Entwicklung positiv aus. Mentalitätsbedingte Skepsis gegenüber wirtschaftlichem Wachstum wirkte hier, anders als in

Württemberg, nicht als Hemmschuh. Der Mut in ökonomischen Fragen neue Wege einzuschlagen, zahlte sich für Baden aus. Die Weichen für eine

erfolgreiche Wirtschaftspolitik waren gestellt und Baden wurde rasch zum

„Musterländle“. „Das Großherzogtum Baden war vor dem Ersten Weltkrieg einer der hochindustrialierten Bundesstaaten des Deutschen Reiches, nur etwa ein Drittel der Bevölkerung (1907) lebte noch von der Landwirtschaft.“237 Die sehr schnelle wirtschaftliche Entwicklung in Baden, die das Großherzogtum zum „Musterländle“ werden ließ, erwies sich allerdings in Krisenzeiten als wenig stabil und überaus anfällig. Somit stellte das Ende des Ersten Weltkriegs die badische Wirtschaft vor massive Schwierigkeiten, während Württemberg weitaus besser gewappnet und anpassungsfähiger war gegenüber

wirtschaftlichen Krisenerscheinungen. Die in Württemberg im Zuge der

235 Vgl. Wauschkuhn, 1977, S. 15f, zitiert nach Koziol, 1987, S. 74

236 Vgl. Winkel, 1983, S. 20, zitiert nach Koziol, 1987, S. 149

237 Vgl. Schäfer, 1983, S. 359, zitiert nach Koziol, 1987, S. 150

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Industrialisierung langsamer angelaufene Modernisierung der Wirtschaft, erwies sich in wirtschaftlichen Krisen als stabiler und eher in der Lage, die schlimmsten Folgen von Wirtschaftskrisen abzufedern. Was in Baden durch seine Grenzlage zu Frankreich zusätzlich erschwerend hinzukam, waren die Folgen des

Versailler Vertrages. So musste Baden immense Reparationsleistungen erbringen. Außerdem blieb eine entmilitarisierte Zone von den Franzosen besetzt gehalten. Dies verringerte zwangsläufig die Investitionsbereitschaft von Unternehmern. In Baden versäumte man es, die wirtschaftswichtigen Prozesse an die durch den Versailler Vertrag entstandenen veränderten und erschwerten Rahmenbedingungen anzupassen. Anders war die Situation in Württemberg.

„Die langsam angelaufene Diversifizierung und Modernisierung seiner Industrie begann sich (gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise) auszubezahlen. (…) Hohe Flexibilität der Klein- und Mittelbetriebe, regionale Steuerung und Einbindung in ein agrarisches Umfeld sicherten (in Württemberg)

Rückzugspositionen, die sich in Krisenzeiten als stabilisierend erwiesen.“238 In Baden dagegen waren unflexible Wirtschaftsstrukturen in der Industrie zu erkennen, die es in den Krisenjahren gegen Ende der Weimarer Republik und zu Beginn der dreißiger Jahre nicht erlaubten adäquat auf die Wirkungen der

Weltwirtschaftskrise zu reagieren.

„ Ende Januar 1933 kamen auf tausend Einwohner im Reich etwa 92 Arbeitslose, in Württemberg 50 und in Baden 76. Die Arbeitslosenquote

erlangte zwar in Baden nicht die Höhe anderer deutscher Länder, doch hatte das einstige „Musterländle“ nun ein Heer von Arbeitslosen zu verzeichnen.“239 Zum besseren Verständnis der unterschiedlichen Mentalitäten in beiden Ländern ist auch ein Blick auf die religiöse Ausrichtung lohnenswert. Baden war mit Beginn seiner Staatlichkeit im 19. Jahrhundert ein überwiegend katholisch geprägtes Land - allerdings nicht vergleichbar mit der religiösen Homogenität Württembergs. Baden war und ist bis heute in konfessioneller Hinsicht ein

238 Vgl. Winkel, 1983, S. 26/27, zitiert nach Koziol, 1987, S. 150/151

239 Koziol, 1987, S. 151

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Fleckenteppich. Schon die Gebiete der früheren Markgrafschaft waren nicht homogen und die zahlreichen Gebietszugewinne im Zuge der napoleonischen Flurbereinigung brachten sowohl katholisches als auch protestantisches Terrain hinzu. Von der Industrialisierung profitierten vor allem die Städte, die

mehrheitlich protestantisch geprägt waren, während die Katholiken mehrheitlich auf dem Land lebten und somit vom industriellen Aufschwung nicht profitierten.

Es überrascht daher nicht, dass sich ein Gegensatzbewusstsein zwischen Stadt und Land entwickelte und konfessionell verstärkte. Da Baden seine Staatlichkeit Napoleon verdankte, fehlt ihm auch ein historisch gewachsener originärer

Zusammenhalt. Lothar Gall erklärt dies folgendermaßen: „Wirkten in den

anderen Staaten (bei der Neuordnung im Gefolge der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege) die Traditionen der Kernlande bewußt oder unbewußt immer noch mit und drückten so mancher der Reformen doch ihren Stempel auf, so konnte in Baden hiervon kaum die Rede sein. Baden hatte nicht nur, gemessen an seinem ursprünglichen Umfang, den größten Zuwachs an Bevölkerung und Gebieten erhalten – es vereinigte auch die heterogensten Elemente in dem neuen Staatswesen.“240 Äußere Rahmenbedingungen stellten Baden vor die außerordentlich schwierige Aufgabe, aus ganz heterogenen Gebieten, eine Einheitlichkeit und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in Baden zu schaffen. Zusätzlich mussten zunächst die beiden sehr

unterschiedlichen Kernlande, der eher rückständigen kathlolischen Linie Baden und der protestantischen, reformzugewandteren Linie Baden-Durlachs, zueinanderfinden. Eine Folge dieser Ausgangsbedingungen war es,

„(dass) der Badener gezwungen war, seine Handlungsmuster eher aus überregionalen Orientierungen zu beziehen (…) Die Freisinnigkeit der

Verfassung von 1818 wie auch später die revolutionären Bewegungen waren zum einen Importware und wurden zum andern schon immer als

Schaufensterpolitik für andere Länder verstanden.“241

240 Vgl. Gall, 1968, S. 6f., zitiert nach Koziol, 1987, S. 116

241 ebenda, Koziol, 1987, S. 117

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Doch nun zurück zu den unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen beider Länder und deren wirtschaftlicher Entwicklung im 19. und 20.

Jahrhundert. Auf Grund des Rohstoffmangels in Württemberg entstand hier zunächst auch kein wirtschaftlicher Ballungsraum, was insgesamt zu eher dezentralen ökonomischen Strukturen führte, die sich wiederum für

Württemberg nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als vorteihaft erweisen sollten. „(Alt-) Württemberg hatte kein dezidiertes „Ruhrgebiet“, sprich Wirtschaftszentrum, hat aber auch kein „württembergisch Sibirien“ (…) Die Zentren des industriellen Aufschwungs waren der Stuttgarter Raum, die alten Reichsstädte im Neckartal (Reutlingen, Eßlingen, Heilbronn) und der Raum zwischen Göppingen, Heidenheim und Ulm. (…) Aus diesem Grund konnte keine dominierende Schwerindustrie entstehen, vielmehr wies die

handwerkliche Tradition in Württemberg der wirtschaftlichen Entwicklung in Richtung Spezialindustrie die Bahn. Dies gab unter anderem dafür den

Ausschlag, daß Württemberg die Wirtschaftskrisen unseres Jahrhunderts relativ gut überstand.

So gesehen war die Gereimtheit in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (keine dominierende Großindustrie, keine bevorzugte Wirtschaftsregion) auch ein Grund für das spätere Gewappnet-Sein gegen den wirtschaftlichen

Zusammenbruch in der Weimarer Republik.“242 Ebenso spielte die weitgehend homogene Konfessionalität in Württemberg eine wichtige Rolle. Somit mag es zwar in Württemberg einfacher gewesen sein, ein geschlossenes staatliches Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, andererseits bremste die Einheitlichkeit in Sachen Mentalität den industriellen Aufschwung, so dass Württemberg im Vergleich zu Baden lange Zeit das Nachsehen hatte. Erst die ökonomischen und politischen Folgen des Ersten Weltkriegs, mit denen

Württemberg aus den dargestellten Gründen besser zurecht kam, führten dazu, dass Baden in ökonomischer Hinsicht allmählich zurückfiel und Württemberg

242 ebenda, Koziol, 1987, S. 34

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die Nase vorn hatte. Die bis heute existierende und zu gegebenen Anlässen immer wieder geäußerte badische Sorge einer wirtschaftlichen Benachteiligung gegenüber dem württembergischen Landesteil ist folglich schon deutlich älter als das Bundesland Baden-Württemberg selbst. Das in Baden oft erlebte Gefühl einer, wie auch immer gearteten Benachteiligung, scheint historisch bedingt und erklärbar zu sein. So kommt etwa Wolfram Fischer zu nachfolgender

Einschätzung: „ Immer wieder geht gerade aus den Landtagsdebatten ein politischer Minderwertigkeitskomplex hervor, der ursprünglich in der

Unsicherheit der napoleonischen Schöpfung gegründet haben mag, (…) und zu einem konstitutiven Faktor der badischen Geschichte wurde. (…) Es ist nicht einfach Heimatstolz, der sich darin ausspricht, sondern ein Gefühl der

Unzulänglichkeit, der Furcht, nicht ganz ernstgenommen zu werden. Die

Steigerung der Verfassungsfragen (man denke an die Verfassung von 1818 oder die juristischen Streitigkeiten im Zuge der Landesgründung von 1952) bis zu ihrer letzten Konsequenz scheint daher auch z.T. in dem Bedürfnis begründet gewesen zu sein, der Umwelt zu zeigen, daß man hier etwas Besonderes

darstelle, daß Baden im europäischen Konzert nicht die letzte Geige spiele.“243