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Unsch¨ arfe- und Kommutatorrelation

Im Dokument Zur Interpretation der Quantenphysik (Seite 31-37)

I. Grundstruktur der Quantenmechanik 11

3. Zu den Postulaten 22

3.3. Unsch¨ arfe- und Kommutatorrelation

Wir kommen nun noch zu zwei weiteren interessanten Aspekten quantenmechanischer Messungen. F¨ur die mathematische Behandlung dieser ben¨otigt man den Kommutator zweier Operatoren, weshalb dieser hier kurz eigef¨uhrt wird:

Kommutator

Der Kommutator zweier OperatorenA und B auf H ist durch

[A, B]..=AB−BA (76)

definiert. Es handelt sich dabei also ebenfalls um einen Operator aufH, welcher genau der ˆ0 -Operator ist, wenn AB = BA, wenn also die beiden Operatoren A und B kom-mutieren. (Der ˆ0 -Operator ist jener Operator, welcher alle Vektoren |ψi ∈ H auf einen Vektor der L¨ange 0, den~0 -Vektor, abbildet. Er ist bei jeder beliebigen Wahl einer Basis die Matrix mit nur 0 -Eintr¨agen.)

Kommutieren die Operatoren zweier Observablen, so nennt man diese kompatibel.

Die entscheidende Besonderheit kommutierender Operatoren ist, dass eine Orthonor-malbasis in H existiert, welche aus gemeinsamen Eigenvektoren von A und B besteht.

(Man bedenke, dass jeder selbstadjungierte Operator f¨ur sich immer eine OEB besitzt.) Tats¨achlich sind die Eigenschaften

”AundB kommutieren” und

”AundB besitzen eine gemeinsame orthonormale Eigenbasis” sogar ¨aquivalent. Es gilt also: 6

[A, B] = 0 ⇐⇒ ∃{|eii}ni=1ONB : ∀i∈ {1, . . . , n}:∃{ai}ni=1,{bi}ni=1∈Cn: :A|eii=ai|eii ∧B|eii=bi|eii (77) Gegenseitige Beeinflussung von Messungen

In der Quantenmechanik sind die Messergebnisse mehrerer aufeinanderfolgender Mes-sungen am selben System in der Regel nicht unabh¨angig voneinander. Erh¨alt man bei Messung einer Gr¨oße A den Messwert λA und misst man anschließend eine Observa-ble B am selben System, so erh¨alt man bei einer wiederholten Messung von A nicht notwendigerweise den urspr¨unglichen Messwert λA, auch wenn sich der Zustand zwi-schen den Messungen nicht unit¨ar weiterentwickelt hat; wenn also kaum Zeit zwischen den Messungen vergangen ist oder die Zeitentwicklung den Zustand in diesem Zeitin-tervall nicht ver¨andert hat. In der klassischen Physik braucht man sich ¨uber derartige Probleme keine Gedanken zu machen. Es wird dort einfach angenommen, Messungen sei-en deterministisch vorhersagbar, sie ver¨anderten den Zustand des gemessenen Systems nicht und unterschiedliche Gr¨oßen k¨onnten unabh¨angig voneinander gemessen werden – was auch sinnvoll, weil experimentell gest¨utzt ist. Aus Sicht der klassischen Mechanik scheint dieses Ph¨anomen deshalb ziemlich eigenartig und unintuitiv. Im Folgenden wird eine Bedingung daf¨ur angegeben, wann auch quantenmechanische Messungen an einem System unabh¨angig voneinander durchgef¨uhrt werden k¨onnen:

Kommutieren zwei selbstadjungierte Operatoren, so gilt dies auch f¨ur jedes Paar von Projektoren auf deren Eigenr¨aume. Es gilt also7

[A, B] = 0⇒ ∀λa∈σ(A),∀λb ∈σ(B) : [Pλa, Pλb] = 0. (78)

6Ein Beweis ist beispielsweise in [34, S. 167 f.] angef¨uhrt.

7Da Operatoren in endlichdimensionalen Vektorr¨aumen durch ihre Wirkung auf eine Basis eindeutig festgelegt sind, gen¨ugt es, die Aussage f¨ur eine Basis zu zeigen. Durch Nachrechnen f¨ur eine gemeinsame orthonormale Eigenbasis (welche nach Gl. 77 existiert) kann die Aussage relativ einfach bewiesen werden.

Daraus folgt nun in Kombination mit Gl. 8 f¨ur ein beliebiges System|ψi, f¨ur kompatible ObservablenA, B und die Projektoren Pλ auf deren Eigenr¨aume:

PλbPλa|ψi=PλaPλbPλa|ψi=PλbPλaPλbPλa|ψi=. . . . (79) Aus dieser Gleichung kann man schließen, dass sich der Zustand des Systems nach ein-maliger Messung beider Observablen durch weitere Messungen dieser beiden Gr¨oßen nicht mehr ver¨andert, sofern zwischen den Messungen keine unit¨are Entwicklung statt-findet. Demnach werden sich auch die MesswerteλAundλBwiederholen. Die Messungen scheinen einander in diesem Fall nicht zu beeinflussen. Die Messergebnisse mehrerer auf-einanderfolgender Messungen kompatibler Observablen A und B werden also von der Form

λA −−−−−→Mess. B λB −−−−−→Mess. A λA −−−−−→Mess. B λB −−−−−→Mess. A λA . . .

|ψi−−−−−→ |ψMess. A Ai−−−−−→ |ψMess. B ABi−−−−−→ |ψMess. A ABi−−−−−→ |ψMess. B ABi−−−−−→ |ψMess. A ABi . . . sein. Man kann sehen, dass |ψABi = PλbPλa|ψi wieder in dem von λa erzeugten Ei-genraum von A liegt; es sich also um einen gemeinsamen Eigenvektor von A und B handelt. Ansonsten w¨urde eine weitere Projektion auf einen dieser Eigenr¨aume den Zu-stand ver¨andern.

Im Falle nicht-kompatibler Observablen projiziert die nachfolgende Messung den Zu-stand im Allgemeinen nicht in den Eigenraum der vorherigen Messung. In Folge werden sich bei multiplen Wiederholungen keine fixen Messwerte einstellen – die Messungen be-einflussen einander. Die beiden Gr¨oßen

”Spin in x-Richtung“ und

”Spin in z-Richtung“

sind beispielsweise inkompatibel. Misst man mithilfe eines Stern-Gerlach-Apparates (vgl.

Abschnitt 3.1) abwechselnd den Spin in x- und z-Richtung, so wird sich unabh¨angig vom anf¨anglichen Zustand niemals ein fixer Messwert einstellen, da diese beiden Observablen keinen einzigen gemeinsamen Eigenvektor besitzen. Im Allgemeinen k¨onnen allerdings auch nicht-kommutierende Operatoren gemeinsame Eigenvektoren besitzen, weshalb sich in Einzelf¨allen auch bei inkompatiblen Observablen eine Wiederholung der Messwerte einstellen kann. Dies geschieht genau dann, wenn der Zustand durch eine der Messungen auf den gemeinsamen Eigenzustand projiziert wird, also zum Beispiel bei einer Messung der Form:

λA −−−−−→Mess. B λB −−−−−→Mess. A λA . . .

|ψi−−−−−→ |ψMess. A Ai−−−−−→ |ψMess. B Ai−−−−−→ |ψMess. A Ai . . . Unsch¨arferelation

Wir kommen nun zu der ber¨uhmten Unsch¨arferelation bzw. Unbestimmtheitsrelation.

Es handelt sich dabei um eine Ungleichung, anhand derer Aussagen ¨uber die Streuung von Messergebnissen bei Messung verschiedener Observablen an einem System getroffen werden k¨onnen. Bevor wir uns der Ungleichung und deren Interpretation widmen, f¨uhre ich die daf¨ur notwendige Standardabweichung ∆ρA bzw. ∆|ψiA einer quantenmechani-schen Messung der ObservableAam Systemρbzw.|ψiein, welche in diesem Fachgebiet

meistStreuung oder Unsch¨arfe genannt wird. Die Definition baut auf den in Gl. 35 und 38 eingef¨uhrten Erwartungswert einer quantenmechanischen Messung auf:

ρA..=

DieStreuungist ein Maß daf¨ur, wie stark die m¨oglichen Messergebnisse bei Messung der ObservableAan einem System mit Zustandρbzw.|ψiim Mittel um den Erwartungswert streuen. Befindet sich ein System zum Beispiel in einem Zustand, der Eigenvektor der betrachteten Messgr¨oße ist, so erh¨alt man mit Sicherheit den zugeh¨origen Eigenwert. Bei multiplen Messungen w¨urde sich immer derselbe Messwertλeinstellen. Der Erwartungs-wert dieser Messung w¨areλund die Standardabweichung w¨are gleich 0. Betrachten wir dahingegen eine Messung an einem System, bei welcher die beiden m¨oglichen Messwerte

−1 und +1 mit der gleichen Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent eintreten, so ist der Er-wartungswert der Messung gleich dem arithmetischen Mittel 0. Die Streuung dahingegen ist in diesem Fall 1.

Damit kommen wir zur als Unsch¨arferelation bekannten Ungleichung:

Unsch¨arferelation

Das Produkt der Unsch¨arfen zweier ObservablenA, B∈L(H) ist durch die Relation

Selbige Ungleichung gilt auch f¨ur reine Systeme. Man braucht nurρ durch

|ψizu ersetzen.

Die Aussage der Ungleichung ist, dass das Produkt der Streuungen zweier Observablen A und B bei Messungen an Systemen mit demselben Zustand ρ bzw. |ψi durch den Betrag des Erwartungswertes des Kommutators nach unten beschr¨ankt ist. Dieser h¨angt vom Zustand|ψi bzw.ρ der Systeme und von den beiden ObservablenA und B ab.

Da die Bedeutung der Ungleichung m¨oglicherweise etwas schwierig greifbar ist, folgen an dieser Stelle einige Bemerkungen:

• Was nicht gilt: Es ist wichtig zu erkennen, dass die Unsch¨arferelation die linke Seite der Ungleichung – also das Produkt der Streuungen – lediglich nach unten beschr¨ankt. Man kann deshalb aus [A, B] = 0 und damit aus

wird; geschweige denn, dass beide Streuungen 0 werden. Im Normalfall existieren

sehr wohl Systeme, an welchen keine der beiden Observablen streuungsfrei gemes-sen werden kann.

Aus demselben Grund kann die Tatsache, dass f¨ur zwei kompatible Observablen immer Systeme existieren, an welchen beide Gr¨oßen streuungsfrei gemessen werden k¨onnen, auch nicht aus der Unsch¨arferelation folgen. Die Aussage folgt stattdessen aus der erw¨ahnten Eigenschaft kommutierender Operatoren, dass diese eine ge-meinsame orthonormale Eigenbasis (insbesondere also auch einzelne gege-meinsame Eigenvektoren) besitzen, an welchen die betreffenden Observablen bekannterweise streuungsfrei gemessen werden k¨onnen.

• Was ebenfalls nicht gilt: Die Unsch¨arferelation impliziert nicht zwingend, dass zu zwei inkompatiblen Observablen keine Systeme existieren, an welchen bei-de Gr¨oßen streuungsfrei gemessen werden k¨onnen. Im Regelfall k¨onnen auch f¨ur inkompatible Observablen Systeme gefunden werden, f¨ur welche beide Unsch¨arfen 0 werden. Der Erwartungswert des Kommutators kann abh¨angig vom betrachte-ten Zustand n¨amlich auch 0 sein, wenn dieser nicht der ˆ0 -Operator ist. A und B besitzen in diesem Fall zwar keine gemeinsame orthonormale Eigenbasis, jedoch einzelne gemeinsame Eigenvektoren. Befindet sich ein System in so einem Eigen-zustand beider Operatoren, so sind die Unsch¨arfen von A und B bez¨uglich dieses Systems 0.

Nur f¨ur den Fall, dassAundBkeinen einzigen gemeinsamen Eigenvektor besitzen, existiert auch kein einziges System, f¨ur welches beide Streuungen 0 sind. So ist es zum Beispiel bei den Spinobservablen σxy und σz der Fall. Dies kann in einer Stern-Gerlach-Apparatur (vgl. Abschnitt 3.1) nachvollzogen werden, in welcher man an gleich pr¨aparierten Teilchen zwei Spinobservablenσx undσzmultiple male misst (bei jedem Teilchen nur eine der Observablen) und die Messstatistik festh¨alt.

Sind die Teilchen derart pr¨apariert, dass ihr Spin genau in z- oder x-Richtung zeigt, so werden die Messergebnisse einer der Observablen streuungsfrei sein, w¨ahrend die der anderen Gr¨oße maximal streuen werden. Ist der Spin der betrachteten Teilchen in einer Superposition der Eigenvektoren dieser beiden Observablen, werden die Messungen beider G¨oßen eine Streuung aufweisen, welche kleiner als die maximale und gr¨oßer 0 ist.

• Weshalb Zweiteres oft behauptet wird: Es gilt also nicht, dass zwei in-kompatible Observablen am selben Zustand niemals streuungsfrei gemessen werden k¨onnen. Den Ursprung hat diese immer wieder anzutreffende Aussage im Spezial-fall der Orts-Impuls-Unsch¨arfe, welche eine sehr spezielle Form hat. Darum wollen wir uns diese noch einmal extra ansehen.

F¨ur die beiden Observablen Ort und Impuls ist die Unsch¨arferelation von der Form Varρ(X)·Varρ(P)≥ 1 Die dritte Relation folgt aus der Definition des Erwartungswertes einer Observable (in diesem Fall der Identit¨at), die vierte aus der Definition eines Dichteoperators.

Der verwendete Kommutator von Orts- und Impulsoperator ist durch

[X, P] =i~·1 (85)

gegeben.

Gl. 84 ist eine sehr spezielle Form der Unsch¨arferelation, da sie f¨ur alle m¨oglichen Zust¨ande dem Produkt der Streuungen die gleiche untere Grenze ~4 setzt und somit eine deutlich sch¨arfere Aussage beinhaltet, als die allgemeine Ungleichung. F¨ur die-se beiden Obdie-servablen existiert tats¨achlich kein Zustand, f¨ur welchen das Produkt der beiden Streuungen kleiner ~4 ist.

• Was die Unsch¨arferelation so bedeutsam macht: Die Unsch¨arferelation verbl¨ufft in derselben Hinsicht wie der grundlegende Indeterminismus in der Quan-tentheorie. Die Tatsache, dass man quantenmechanischen Systemen niemals gleich-zeitig einen scharfen Ort und einen scharfen Impuls zuordnen kann, ist f¨ur uns klassisch denkende Menschen schwer hinnehmbar. Auf der Suche nach einer phy-sikalischen Erkl¨arung entstanden im Lauf der Geschichte verschiedene Interpre-tationen dieser Unsch¨arferelation. So scheiden sich die Geister, ob anhand der Ungleichung eine Aussage ¨uber die Existenz bzw. Nichtexistenz von Eigenschaf-ten des betrachteEigenschaf-ten Systems getroffen werden kann, oder ob es m¨oglicherweise nur an der Mangelhaftigkeit unserer Beschreibung quantenmechanischer Systeme durch den Zustandsvektors liegt, dass wir Messergebnisse nicht scharf bestimmen k¨onnen. Fest steht, dass wir f¨ur ein quantenmechanisches Systems niemals sowohl das Ergebnis einer Ortsmessung als auch das einer Impulsmessung mit Sicherheit vorhersagen k¨onnen. Eine Erkl¨arung f¨ur dieses Ph¨anomen wird in unterschiedlichen Interpretationen an verschiedenen Stellen der Theorie gesucht.

• Uber die gleichzeitige Messung von Observablen:¨ Oft wird im Zusam-menhang mit der Unsch¨arferelation von einer gleichzeitigen Messung zweier Obser-vablen an ein und demselben System gesprochen. Dies ist aber kritisch zu sehen.

Misst man n¨amlich eine der beiden Gr¨oßen, so kollabiert das System instantan und die unmittelbar darauffolgende Messung wird nicht mehr an einem System mit dem urspr¨unglichen, sondern mit dem projizierten Zustand stattfinden. (Wie es in [3.3; Gegenseitige Beeinflussung von Messungen] diskutiert wurde.) Man kann die Idee einbringen, dass man bei gleichzeitiger Messung vonA undB einfach die Observable mit OperatorB◦A betrachtet und die Zustands¨anderung einfach die Projektion auf die Eigenr¨aume dieses Operators ist. Im Fall dass A und B nicht kommutieren gilt aber auch nicht einmalB◦A=A◦B, was bei einer gleichzeitigen Messung der beiden Observablen intuitiverweise gelten sollte. (Welcher der beiden Operatoren B◦Aund A◦B sollte denn ansonsten als der Richtige Messoperator gew¨ahlt werden?). B◦A bzw. A◦B muss auch weder selbstadjungiert sein, noch muss er eine Eigenbasis besitzen, was ihn als Messoperator (im Sinne des Messpos-tulats) ausschließt. Es ist daher zu hinterfragen, ob es ¨uberhaupt Sinn macht, von einer gleichzeitigen Messung mehrerer Observablen an einem System zu sprechen.

Im Dokument Zur Interpretation der Quantenphysik (Seite 31-37)