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Ungeziefer als Unordnung

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 178-183)

5. Kontextur der Ordnungen

5.2 Ungeziefer als Unordnung

Tiere werden aufgrund verschiedener Eigenschaften zu ‚Ungeziefer’, nämlich entweder, weil sie als schädlich gelten, eine unangenehme Ausstrahlung besitzen oder über bestimmte anatomische Merkmale verfügen. Im Gegensatz zur zuletzt genannten Begriffsbestimmung bleibt bei den beiden anderen Varianten offen, ob sich die Charakterisierung als Ungeziefer auf das Wesen oder nur auf gewisse Merkmale der jeweiligen Tierart bezieht. Deshalb ist jeweils zu untersuchen, ob die Zuschreibung, ein Tier sei schädlich oder eklig, an die bloße Existenz des Tieres geknüpft wird oder nur in bestimmten Situationen beziehungsweise unter bestimmten Bedingungen erfolgt. Hierdurch wird ein weiterer Aspekt aufgezeigt, der über die Zuordnung von Tieren in die Kategorie des Ungeziefers entscheidet und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Tiere als schädlich oder eklig bestimmt werden:

ihre Kompatibilität mit einer Ordnungsvorstellung. Bei ‚Ungeziefer’ handelt es sich dabei um Tiere, deren Anwesenheit eine vorherrschende Ordnung stört.

Tatsächlich werden Tiere nur selten als prinzipiell schädlich beschrieben. Dennoch finden sich solche Fälle, zum Beispiel im Lexikon der Künste und der Wissenschaften:

„Maus, Mus, Souris. Ein kleines vierfüßiges tierlein, so insgemein ein graues aschen-farbes zuweilen auch röthlich oder falbes haar hat. Es hält sich in häusern und feldern auf, und nährt sich von allem, woran es nagen kan, vornemlich aber von körnern und feldfrüchten. Es ist sehr fruchtbar ... . Nach dem unterschied des orts, wo dieses schädliche thier sich aufhält, wird es unterschiedlich beygenamet.

Die haus-mäuse halten sich in den speis-kammern, kellern, scheunen und korn-böden. Die feld-mäuse thun in den gärten an den wurtzeln der gewächse, an den saamen, und auf dem acker an feld-früchten

45 Bechstein 1800, S. 4.

5.KONTEXTUR DER ORDNUNGEN

grossen schaden. Sie enthen zuweilen plötzlich, und in solcher menge, daß sie gantze felder verwüsten, verlieren sich aber auch, ohne daß man wisse, wo sie bleiben.“46

Die Maus wird in diesem Zitat als ein genuin schädliches Tier bestimmt: Ihr Vorkommen wird auf Haus und Feld beschränkt. An beiden Orten ist sie schädlich, egal in welcher Menge das Tier auftritt.

Ein zweites Beispiel für eine wesenhafte Schädlichkeitszuschreibung findet sich im Voll-ständigen und sehr Nutzbaren Haußhaltungs-Lexikon zum sogenannten Kornwum:

„Korn-Wurm, ist ein höchst schädliches Ungeziefer, welches in dem ausgedroschenen und ausge-schütteten Korn wächset, und solches zum grossen Nachtheil des Hauß-Vatters ausfrisset und ver-derbet.“47

Das Wesen des Kornwurms wird dahingehend beschrieben, dass er im Kornhaufen vor-kommt und das Korn schädigt. Sein Vorkommen ist zudem namensgebend: Der Korn-wurm ist ein Wurm, der nur im Korn vorkommt. In dieser spezifischen anthropozentri-schen Perspektive gibt es keinen Kornwurm außerhalb des Korns und damit keinen un-schädlichen Kornwurm.

Im Rahmen der Hauswirtschaft und in Bezug auf den menschlichen Körper finden sich häufiger Tierarten, bei denen die Schädlichkeit als ein Wesensmerkmal betrachtet wird, weil ihr Vorkommen ähnlich dem des Kornwurms außerhalb des menschlichen Lebensraumes nicht bekannt ist. Dies betrifft die sogenannten Holzwürmer,48 die Motten, deren Vor-kommen auf Tapeten und Bekleidung begrenzt wird49 oder auch Läuse, die sich vom Blut eines fremden Organismus ernähren und deshalb auf einen Wirt angewiesen sind: „Laus ...

ist ein kleines Gewürm und Ungeziefer, das auf deren Thieren wächset, dieselben beisset und das Blut aus ihnen sauget.“50

Von unterschiedlichen Schädlichkeiten der sich am und im menschlichen Körper befindli-chen Würmer geht JÖRDENS aus. Er unterscheidet die Würmer, die „zu den eigenthümlichen Bewohnern des menschlichen Körpers gehören“, wie Band- und Blasen-würmer, von jenen, die „dem menschlichen Körper nur zufällig schädlich werden“.51 Die

46 Anonymus 1721, Stichwort „Maus“, S. 436.

47 Anonymus 1752, Stichwort „Korn-Wurm“, Teil 1, S. 726-729, 726; vgl. auch die Beschreibung des sogenannten „Fichtensaugers“. (Vgl. Gleditsch 1774, S. 508.)

48 „Holtz-Wurm, ist ein Wurm, der das Holtz zerfrißt.“ [Herv. i. O.] (Anonymus 1752, Teil 1, S. 589.)

49 Vgl. Bock 1785, S. 140f; Goeze 1787, S. 169; Seidenburg 1800-1803, Stichwort „Kleidermotte“, Bd. 2 (1801), S. 269.

50 Zedler 1732-1754, Stichwort „Laus“, Bd. 16 (1737), Sp. 1102-1104, 1102; vgl. u. a. Büsching 1787, S. 184;

Jördens 1801, S. 10.

51 Jördens 1802, Inhaltsverzeichnis.

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Schädlichkeit ist der ersten Gruppe von Würmern genuin, da sie nur im menschlichen Körper vorkämen. Die zweite Gruppe dagegen könne auch außerhalb des Menschen exis-tieren, weshalb sie nur als begrenzt schädlich wahrgenommen wird. Hier handelt es sich um ein Beispiel dafür, dass die Schädlichkeit dem Tier nicht wesenhaft zugeordnet, sondern auf einen Geltungsbereich beschränkt wird. Eine ähnliche Charakterisierung erfahren auch die Ameisen im Adelichen Land- und Feld-Leben des Freiherrn VON HOHBERG:

„Unter andern Garten-Feinden und schadhafften Thieren, die dem Gärtner Verdruß, und dem Garten Schaden verursachen, sind nicht die geringsten die Ameissen“52.

Die Ameisen hält VON HOHBERG für schädlich, er bezieht diese Bewertung aber nicht auf die Existenz der Ameisen überhaupt, sondern auf ihr Vorkommen im Garten als einer menschlichen Nutzungsansprüchen unterliegenden Fläche. Auf den Garten begrenzt VON

HOHBERG auch die Schädlichkeit weiterer Tierarten, wie zum Beispiel die der Maulwürfe und der Spatzen.53 Teilweise wird die Schädlichkeit gar nur auf einzelne Pflanzen bezogen:

„Es ist bekannt, daß die Krautpflanzen in ihrer zarten Jugend keinen ärgern Widersacher haben als den garstigen Erdfloh.“54 In diesem Fall wird die Schädlichkeit dieses Insektes aus seiner Beziehung zu diesen Pflanzen hergeleitet und darauf beschränkt.

Auch BECHSTEIN spezifiziert die Schädlichkeit von Tieren: Er hält es für „gewiß ..., daß die Elster bloß in der Nähe der Häuser dem jungen Federvieh und in Gärten durch Raubung des Obstes, Abbeißen der Blütenknospen und Abtreten der Pfropfreiser schädlich“55 wird.

Die Problematik des Vogels ist demnach zunächst von seiner Entfernung zu menschlichen Siedlungen abhängig. Doch die Nähe stellt kein hinreichendes Kriterium dar, um die Elster für schädlich zu erklären. BECHSTEIN führt zusätzlich zwei weitere Bezugsbereiche an, das Geflügel und die Gärten, welche wiederum auf die darin stehenden Obstbäume beschränkt werden. Die Schädlichkeit wird in diesem Beispiel also mehrfach spezifiziert.

Es müssen nicht alle Bereiche, innerhalb derer Tiere schädlich werden können, erwähnt werden. Die Beispiele haben bereits zweierlei verdeutlicht. Zum einen zeigt sich, dass Tiere nicht zwingend pauschal als schädlich oder als Ungeziefer charakterisiert werden, sondern derartige Aussagen häufig nur eine beschränkte Geltung besitzen. Zum anderen werden die Tiere immer dann zu ‚Ungeziefer’, wenn sie eine bestimmte Vorstellung von Ordnung

52 Anonymus 1701, Teil 1, S. 567.

53 Vgl. Ebd., Teil 1, bezüglich des Maulwurfs S. 622, des Spatzen S. 626.

54 Fortsezung des zweyten Zehendens der vermischten öconomischen Anmerkungen eines Meißnisch.

Landwirths, in: Oeconomische Nachrichten, Bd. 7 (1755), S. 629.

55 Bechstein 1805, S. XXIV.

5.KONTEXTUR DER ORDNUNGEN

ren. So ist der Mehlwurm per se schädlich, weil er nur im Mehl vorkommt und es dadurch beeinträchtigt. Nach zeitgenössischer Vorstellung soll Mehl aber frei von diesen Tieren sein. Gleiches trifft auch auf Wiesen zu. Maulwürfe gelten beispielsweise immer dann als schädlich, wenn sie ihre Haufen in Gärten aufstoßen. Dadurch stören sie – unabhängig von möglichen Schäden – die vorherrschende Vorstellung von einer ordentlichen Wirtschafts-fläche:

„Nächst dem Mos ist der Maulwurff denen Wiesen ein schädliches Ungeziefer, welcher mit seiner Minerir-Arbeit eine gleiche, schöne, geebnete Wiesen voller Bergen und Hügel machet; je fruchtbarer auch und besser der Grund ist, je mehr stehet er demselben nach“.56

Die Bestimmung von ‚Ungeziefer’ erfolgt somit immer in Abgrenzung zu bestehenden Wertvorstellungen. Die Tiere werden als Gegensatz dazu wahrgenommen. Das gilt insbe-sondere auch für Tiere, die aufgrund von als unangenehm empfundenen Eigenschaften zu

‚Ungeziefer’ werden. Im Kapitel über die ästhetische Kontextur wurde bereits dargestellt, dass diese Merkmale den Tieren ebenfalls entweder wesenhaft oder situationsabhängig zu-geordnet werden.57 In beiden Fällen begründen das hässliche Aussehen einer Kröte, die Anwesenheit von Maden in der Nahrung oder übel riechende Ausscheidungen den Ekel vor den Tieren. Hierfür ist entweder verantwortlich, dass ihre Merkmale den als normal definierten Eigenschaften anderer Tiere widersprechen, schließlich ist eine Kröte kein Schmetterling. Der Ekel wird des Weiteren aber auch durch ihr Auftreten an Orten be-gründet, an denen sie nicht nur nicht erwartet werden, sondern denen sie auch nicht zuge-hören sollen.

Dieser hier skizzierte Zusammenhang erinnert an das von der Anthropologin MARY

DOUGLAS entwickelte Konzept der Verschmutzung. Bei ihrer Untersuchung von außereu-ropäischen Stammesgesellschaften und des Alten Testaments stellte sie fest, dass alle dieje-nigen Gegenstände, die sich den bestehenden Kategoriensystemen nicht einfügen, als ver-schmutzt gelten und mit außergewöhnlichen Eigenschaften in Verbindung gebracht wer-den.58

56 Florin 1749, S. 635.

57 Vgl. Abschnitt 4.2.3.

58 Vgl. Douglas 1966.

5.KONTEXTUR DER ORDNUNGEN

5.3 Zwischenfazit

‚Ungeziefer’ wird im 18. Jahrhundert auch als eine Gruppe von Tieren bestimmt, die über gemeinsame anatomische Merkmale verfügt. Sie zeichnet sich ferner dadurch aus, dass sie eine essentielle Position in einer als strukturellen oder funktionellen Zusammenhang kon-zipierten Natur besitzt. Diese Einordnung soll auch den Umgang mit ‚Ungeziefer’ beein-flussen: Sie sollen nur insoweit verfolgt werden, als dadurch nicht die gottgegebene Ord-nung der Dinge gestört wird.

Unabhängig davon, ob die Kategorie ‚Ungeziefer’ nun über anatomische Gemeinsamkei-ten, einen ökonomischen Schaden oder über als unangenehm empfundene Merkmale ge-bildet wird, ‚Ungeziefer’ wird in allen drei Fällen immer in Abgrenzung gegenüber beste-henden Ordnungsvorstellungen konstituiert.

6. Ungeziefer im Naturbild des

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 178-183)