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Der Begriff Ungeziefer

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 22-29)

Nach Angaben des Deutschen Wörterbuchs von WILHELM und JAKOB GRIMM besitzt der erstmals im 12. Jahrhundert bezeugte Begriff Ungeziefer eine gemeingermanische Grundla-ge. Er wurzelt im heidnischen Opferwesen und bezeichnet das nicht zum Opfer Geeignete, das Unreine. Hierzu werden neben verwesendem Fleisch und verdorbenem Obst auch ver-schiedene Tiere gezählt.1 Im Verlauf der Zeit tritt diese Verbindung zum Opferwesen all-mählich zurück, der Begriff erhält stattdessen verschiedene Bedeutungen. Im 18. Jahrhdert lassen sich in den von mir berücksichtigten Quellen folgende drei Begriffsinhalte un-terscheiden:2 Der Terminus wird verwendet, um schädliche Tiere, Tiere, die einen Wider-willen hervorrufen sowie Tiere mit anatomischen Gemeinsamkeiten zu bezeichnen. Die morphologische Perspektive wird in etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts angewendet. Sie findet sich beispielsweise bei ABRAHAM FRIEDRICH KRAFFT,derden Begriff Ungeziefer auf fol-gende Weise bestimmt:

„Ungeziefer, so von denen Griechen Εντομά, und von denen Lateinern Insećta benahmset werden, sind Thiere, so meistentheils ohne Blut, und viel unvollkommener am Leibe, als alle andere Thiere, mit unterschiedlichen Abtheilungen oder Ringlein begabet, und bestehen so wohl in- als auswendig aus einer harten Haut.“3

Dieser Definition ist zu entnehmen, dass mit ‚Ungeziefer’ zwei fremdsprachige Begriffe übersetzt werden, die Tiere mit spezifischen inneren und äußeren anatomischen Merkma-len erfassen. Diese Charakteristika unterscheiden ‚Ungeziefer’ nicht nur von anderen Tie-ren, sondern führen dazu, dass es als unvollkommen und damit als minderwertig wahrge-nommen wird. Schließlich besäßen sie, wie KRAFFT weiter ausführt, anders als die voll-kommenen Tiere kein Blut4 und nur weniger schöne und perfekte Gliedmaßen. Als ein weiteres Charakteristikum unvollkommener Tiere gilt ihre nicht-geschlechtliche Fortpflan-zung. Es wird angenommen, dass sie stattdessen durch die Urzeugung, das heißt aus dem

1 Vgl. Grimm 1854-1960, Stichwort „Ungeziefer“, Bd. 24 (1936), Sp. 943-951, 943.

2 Laut GRIMM wird der Begriff auch als Schimpfwort für Menschen verwendet (Vgl. Ebd., Sp. 949.). Diese etymologische Bedeutung findet sich nicht in meinen Quellen.

3 Krafft 1712, S. 1.

4 Insekten besitzen Blut, das allerdings nicht zwingend rot sein muss, sondern auch farblos sein kann.

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

Staub entstehen.5 Diese Auffassung lässt sich bis zu ARISTOTELES zurückverfolgen. Die morphologische und physiologische Unterlegenheit derartiger Tiere wird grundsätzlich damit begründet, dass sie einen als Norm definierten Entwicklungsstand nicht erreicht ha-ben.

In einem religiösen Kontext, nämlich im Zusammenhang mit der 1478 erfolgten Bannung von Maikäfern, ist vom Bischof von Lausanne dagegen folgende Begründung für die Un-vollkommenheit überliefert:

„Du unvernúnftige und unvolkomne creatur mit namen enger, und nennen dich darumb unvolkomen, wann dins geslechtes ist nit gesin in der arch Noe in der zite der vergiftung und plage des wassergus-ses“.6

Der Terminus Ungeziefer diente also auch hier der Klassifizierung von Tieren und – damit einhergehend – ihrer Bewertung.

Die Annahme, bei Insekten handele es sich um unvollkommene Tiere, wird in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts allmählich abgelöst durch die auf mikroskopische Untersu-chungen zurückgehenden Erkenntnisse von der geschlechtlichen Fortpflanzung der Insek-ten, die vor allem mit dem Namen JAN SWAMMERDAM (1637-1680), einem niederländi-schen Naturforscher, verbunden sind.7

Der unter dem Pseudonym KRÄUTERMANN schreibende VON HELLWIG verwendet den Begriff Ungeziefer vorrangig in seiner morphologischen Bedeutung. Er unterteilt das Tier-reich in vier Klassen:8 Er unterscheidet zwei- und vierfüßige Tiere von Vögeln, Fischen und dem „Ungeziefer und Gewürm“. KRÄUTERMANN erläutert nicht, was die Klassen vor-einander auszeichnet beziehungsweise was sie konstituiert. Die Kriterien, die die Einteilung der Tiere leiten, nämlich gemeinsame Eigenschaften, lassen sich jedoch teilweise aus den Namen der Tierklassen ableiten. So werden der Klasse der zwei- und vierfüßigen Tiere alle diejenigen Tiere zugeordnet, die über zwei und vier Gliedmaßen verfügen und nicht fliegen können. Dazu gehören neben Säugetieren auch Amphibien wie Kröten und Frösche. Zur vierten Klasse des Ungeziefers und Gewürms zählt KRÄUTERMANN beispielsweise Fliegen, Wespen, Heuschrecken, Käfer und Spinnen, daneben aber auch Schlangen und Schnecken.

Ihr gehören damit nach dem heutigen Verständnis Insekten und Reptilien an. Anhand

5 KRAFFT geht davon aus, dass ‚Ungeziefer’ sowohl durch die geschlechtliche Fortpflanzung als auch durch die Urzeugung entsteht. (Vgl. Krafft 1712, S. 4.)

6 Zitiert nach Tobler 1901, S. 182.

7 Vgl. Bäumer 1996, S. 19.

8 Kräutermann 1728, S. 1.

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

ser Einordnung von Tieren ist zu vermuten, dass KRÄUTERMANN den Begriff Ungeziefer anatomisch verwendet. Demgegenüber verwenden andere Autoren die Begriffe Ungeziefer und Insekt explizit synonym, so beispielsweise LESSER, um den Inhalt eines Werkes von STEVEN BLANKAART (1650-1702), einem niederländischen Arzt, Anatom und Pharmazeu-ten, wiederzugeben.

„Er hat sich die Mühe gegeben, allerhand Ungeziefer aus eigener Erfahrung zu sammlen, und zu be-schreiben; ... Es sind mehrentheils einheimische Insecta, doch hat er auch einige fremde mit angeführet; in dem letzten Capitel zeiget er, wie das Ungeziefer zu fangen und zu conseruiren sey.“9

BLANKAART beschäftigt sich mit Tieren, die LESSER mal als Ungeziefer, mal als Insekten bezeichnet. Gleiches ist auch bei BOCK der Fall: Laut BOCK könnten die „Klassen von In-sekten und Würmern“ Preußens ein eigenes Werk füllen, denn überall „wimmelt es von diesen Geschöpfen auf unserm Boden. Siehet man bey warmen Tagen in die Luft so ist ein Gedränge in derselben von beflügeltem Ungeziefer“.10 Von einer Sinnverwandtschaft der Wörter Insekt und Ungeziefer wird überwiegend zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausgegan-gen. Später wird das Wort Insekt als eingedeutschte Variante des lateinischen insectum als taxonomischer Begriff gebräuchlich. Dieser Terminus geht auf das lateinische Wort insecare, das ‚einschneiden’ bedeutet und eine Lehnübersetzung des griechischen éntomon ist, zu-rück.11 Er bezieht sich auf die Gestalt der Tiere, nämlich auf ihre deutliche Untergliederung in Kopf, Brust und Hinterleib.

Mit der Etablierung des Begriffes Insekt wird der Begriff Ungeziefer insbesondere ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht mehr ausschließlich auf Tiere mit anatomischen Gemeinsamkeiten bezogen. Derart werden nun eher die Tiere bezeichnet, denen eine negativ konnotierte Wirkung – hauptsächlich in ökonomischer Hinsicht – zugeordnet wird. Auf diese Weise wird der Terminus beispielsweise im Lexikon der Künstebestimmt:

„Unziefer; Ungeziefer, Insecta, Insectes. Ingemein allerley fliegendes, kriechendes und gehendes ge-würm, so menschen, vieh, gewächsen und anderen dingen beschwerlich und schädlich ist, dergleichen sind allerley mücken, fliegen, käfer, raupen, maden, läuse, flöhe, u.d.g.“12

Bei ‚Ungeziefer’ handelt es sich folglich um Tiere, die über gemeinsame morphologische Merkmale verfügen und die zugleich als „beschwerlich und schädlich“ gelten. Auch hier fungiert das Wort Ungeziefer als Übersetzung des lateinischen insecta, sodass sich beide Wortbedeutungen weitgehend entsprechen. Inwieweit das auch für die negativen

9 Lesser 1740, S. 23.

10 Bock 1785, S. 1.

11 Vgl. Müller 1774, S. 1; Wissenschaftlicher Rat der Dudenreaktion 2001, Stichwort „Insekt“, S. 364.

12 Anonymus 1721, Stichwort „Unziefer, Ungeziefer, Insecta, Insectes, S. 827.

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

bungen gilt, die der Begriff Ungeziefer in dieser Quelle erhält, muss offen bleiben. FRISCH

dagegen geht davon aus, dass die Bezeichnung Insekt im Gegensatz zu ‚Ungeziefer’ wer-tungsfrei ist. Deshalb plädiert er dafür, beide Begriffe nicht synonym zu verwenden:

„Solche schlimme Bedeutung hat auch das Wort Ungeziefer, mit dem man die Insecta aus Verachtung nennet, indem man damit etwas beschreibet, das man wegwerfen, ausrotten und nicht nähren soll, im Gegensatz andrer nützlichen Thiere, die man nährt und aufziehet. Ungeziefer heißt so viel als Ungezüchte, das man nicht zur Zucht behält... . Weil aber einige von solchen Thieren sind, als Bienen u. Seiden-Würme, die man nicht Ungeziefer nennen kan, weil man sie nicht austilget, sondern zur Zucht hält, so hab ich indessen den Namen Insecte behalten, biß ein andrer in den Gang kommt, der bequemer ist.“13

FRISCH bezieht die Begriffe Ungeziefer und Insekt auf Tiere mit denselben anatomischen Gemeinsamkeiten, als Ungeziefer markiert er jedoch diejenigen Insekten, die zu bekämpfen sind. Wodurch Insekten zu unbeliebten Insekten werden, erläutert FRISCH nicht. Da er sie aber den ‚nützlichen’ Tieren gegenüberstellt, scheint hierfür ihre Schädlichkeit ausschlagge-bend zu sein.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass das in weiten Teilen des 18. Jahrhunderts vor-herrschende Verständnis des Begriffes Insekt von dem heutigen Begriffsverständnis ab-weicht. So gelten beispielsweise auch Frösche als Insekten. Es kann nur darüber spekuliert werden, was diese Zuordnung veranlasst: In diesem Fall könnte die Gestalt von Froschlur-chen ausschlaggebend sein, denn sie werden wie Insekten auch als wurmartig beschrieben.

Somit zeigt sich, dass im 18. Jahrhundert nicht nur Tiere mit gemeinsamen morphologi-schen Merkmalen, die schädlich oder „vorzüglich schädlich“14 sind, zum ‚Ungeziefer’ ge-zählt werden,15 sondern auch Tierarten mit gänzlich anderen anatomischen Merkmalen.

Schließlich ist es nicht die Gestalt, die in dieser zweiten Begriffsbedeutung als das zentrale

‚Ungeziefer’ konstituierende Merkmal gilt, sondern die Schädlichkeit der Tiere.16 Deshalb bezeichnet beispielsweise ELIESER auch Mäuse, Maulwürfe, Iltisse, Katzen oder Marder als

‚Ungeziefer’. In seinem Buch schreibt er über:

„allerley schädliches unnützes Ungeziefer und Gewürme, als Ratten, Mäuse, Maulwürfe, Wieseln, Schlangen, Ottern, Ameisen, Wand-Läuse, Läuse bey Menschen und Viehe, Flöhe, Erd-Flöhe,

13 Frisch 1720-1738, Bd. 3 (1721), Vorrede, o. S.

14 Müller 1774, S. 1.

15 Vgl. Zedler 1732-1754, Stichwort „Ungeziefer“, Bd. 49 (1746), Sp. 1489-1516, 1489.

16 Im 18. Jahrhundert gilt etwas als schädlich, wenn es Lebewesen in ihrem Befinden oder den Zustand einer Sache beeinträchtigt. Beim Schaden handelt es sich demnach um einen Verlust oder Mangel, den eine Sache erfährt. (Vgl. Ebd., Stichwort „Schade“, Bd. 34 (1742), Sp. 722f.) ‚Schädlich’ wird definiert als

„Schaden bringend, die Unvollkommenheit anderer Dinge befördernd, und in dieser Eigenschaft gegründet, im Gegensatz des nützlich“ [Herv. i. O.]. (Kruenitz 1773-1858, Stichwort „Schädlich“, Bd. 138 (1824), S. 539f.)

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

pen, Korn-Würmer, Fliegen, Mücken, Käfer, Schwaben, Heimen, Heuschrecken, Maden und Scha-ben“.17

Insekten, Amphibien und kleinere Säugetiere fasst ELIESER in einer Kategorie zusammen.

Diese Tiere kennzeichne, dass sie schädlich und unnütz sind. Dagegen wird die Bedeutung des Begriffes Ungeziefer in der Technisch-Oekonomischen Enzyklopädie auf die Schädlichkeit von Tieren reduziert:

„Ungeziefer, hierunter versteht man überhaupt alle schädlichen kleinen Thiere, welche sowohl den Menschen, als auch die größeren Tiere plagen, und dann die Bäume, Feld- und Gartenfrüchte, die Früchte in den Getreidehäusern, Vorrathskammern x., sowohl ganz, als auch theilweise verzehren.“18

Neben der Körpergröße bestimmen somit auch die Auswirkungen der Tiere auf den Men-schen darüber, ob es sich um ‚Ungeziefer’ handelt oder nicht. Die Kategorie ist insofern nicht für eine spezifisch morphologisch definierte Klasse von Tieren vorgesehen. In dem Artikel wird allerdings kritisiert, dass diese Definition zeitgenössisch nicht konsequent ver-wendet wird, weshalb auch unschädliche oder gar nützliche Tiere wie Kröten und Eidech-sen als ‚Ungeziefer’ gelten.19 Der Autor führt diese Abweichungen darauf zurück, dass nicht die Schädlichkeit, sondern das Aussehen der Tiere als entscheidendes Kriterium fungiert:

So werde der Begriff zeitgenössisch vorwiegend auf Tiere bezogen, deren Anblick einen Widerwillen erzeugt. Damit ist auch die dritte Bedeutungsdimension des Begriffes ange-sprochen, die in der Technisch-Oekonomischen Enzyklopädie jedoch abgelehnt wird. Die zeitge-nössische Begriffsverwendung zusammenfassend heißt es da:

„Wie dem auch sey, so verbinden wir mit dem Worte Ungeziefer etwas Verächtliches, was einen widri-gen Eindruck auf uns macht, also nicht allein, was schädlich oder Nachtheil brinwidri-gend ist, ... sondern auch, was ein widriges Aeußere hat, einen unangenehmen Eindruck beim Anblick verursacht, und da-her sind auch Thiere dazu gezählt worden, wie die Frösche, Kröten, Salamander x, die keinen Schaden thun, sondern deren Aeußeres nur nichts Anziehendes hat“.20 [Herv. i. O.]

Im Artikel ‚Ungeziefer’ der Technisch-Oekonomischen Enzyklopädie werden folglich zwei Be-griffsbestimmungen unterschieden, nämlich schädliche kleine Tiere und – im Alltagsver-ständnis – jene Tiere, die negative Empfindungen hervorrufen. Um als ‚Ungeziefer’ zu gel-ten, müssen Tiere somit nicht aktiv werden, bereits passive Eigenschaften wie ihr Geruch und ihr Aussehen lassen sie zu ‚Ungeziefer’ werden. So sagt bereits ZOOPHILUS: „Die

17 Elieser 1737, Titel.

18 Kruenitz 1773-1858, Stichwort „Ungeziefer“, Bd. 196 (1848), S. 344-361, 345.

19 In dieser Definition wird die Schädlichkeit der Tiere als das entscheidende Kriterium bezeichnet, sodass nützliche Tiere von dieser Bezeichnung ausgenommen sind. Wie im Kapitel 3 gezeigt wird, ist die Schädlichkeit zwar bezeichnungsgebend, ‚Ungeziefer’ geht darin aber nicht auf. Derart bezeichneten Tieren werden nämlich zugleich auch nützliche Eigenschaften zugeordnet.

20 Kruenitz 1773-1858, Stichwort „Ungeziefer“, Bd. 196 (1848), S. 358.

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

ten sind auch ein gemeines, bekandtes und verdrüßliches Ungeziefer, deren greulicher An-blick einen erschrecken möchte.“21

Es zeigt sich also, dass der Terminus Ungeziefer im 18. Jahrhundert über drei verschiedene Bedeutungen verfügt: Er bezeichnet erstens Tiere mit gemeinsamen anatomischen Merk-malen, ein Inhalt, der allmählich vom Begriff des Insekts übernommen wird. Zweitens und drittens werden hierunter kleine Tierarten mit unterschiedlicher Anatomie gefasst, denen negative aktive und passive Eigenschaften zugeschrieben werden. Somit lässt sich der Be-griff nicht auf die Perspektive der Schädlichkeit von Tieren beschränken,22 die drei Bedeu-tungsebenen des Begriffs werden im 18. Jahrhundert vielmehr weitgehend parallel verwen-det. Deshalb lässt sich in den Fällen, in denen Tiere lediglich ‚Ungeziefer’ genannt werden, das zugrunde liegende Begriffsverständnis nicht immer eruieren. Erschwerend kommt hin-zu, dass sich die Autoren nicht prinzipiell auf eine Bedeutungsebene beschränken: So defi-niert KRAFFT den Begriff Ungeziefer im zweiten Band seines Werkes als eine morphologi-sche Größe, er benutzt ihn sporadisch aber auch für Tierarten, die diesen Kriterien nicht genügen.23 Im ersten Teil dagegen verwendet er ihn weitgehend uniform für kleinere, schädliche Tiere wie beispielsweise für Wiesel und Maulwürfe.24 Im Vollständigen Haußhaltungs-Lexikon wird der Begriff sogar in morphologischer, ökonomischer und ästhe-tischer Hinsicht gebraucht: Als ‚Ungeziefer’ gelten die Fliege, der sogenannte Kornwurm25 und der Käfer. Während die Fliege aufgrund ihrer Hartnäckigkeit als „ein verdrüßliches und beschwerliches Thier“26 charakterisiert und deshalb als störend und als unangenehm empfunden wird, gilt der Kornwurm als „ein höchst schädliches Ungeziefer, das in dem ausgedroschenen und ausgeschütteten Korn wächset, und solches zum grossen Nachtheil

21 Zoophilus 1726, S. 251.

22 Erwähnenswert ist, dass der Begriff Schädling im 18. Jahrhundert kaum Verwendung findet. Nach JANSEN wird er erstmals 1880 zur Bezeichnung eines in Deutschland nicht einheimischen, eines ‚fremden’

Insekts, nämlich der Reblaus verwendet. (Vgl. Jansen 2003, S. 14.) Allerdings tituliert bereits LEOPOLDT Maulwürfe als Schädlinge. Es handele sich bei ihnen um „ganz schädliche Thierleins“. Aufgrund dessen, dass Maulwürfe sehr viele Landwirte beeinträchtigten, schlägt er unter anderem vor, einen Maulwurfsjäger zu beschäftigen, „welcher alltäglich solchen Schädlingen nachginge, und solche fangen müste.“ (Leopoldt 1750, S. 223.) Indem LEOPOLDT diese Tiere als Schädlinge bezeichnet, scheint er ausdrücklich und spezifischer als ihm das mit dem Begriff des Ungeziefers möglich zu sein scheint, die Schädlichkeit der Maulwürfe zu betonen.

23 Krafft 1712, S. 596.

24 Ebd., S. 59, 65ff. Auch BOCK benutzt den Begriff mal in seiner morphologischen und mal in seiner ökonomischen Bedeutung. (Vgl. Bock 1785, S. 1, 5.)

25 Die Bezeichnung Kornwurm ist aus heutiger Sicht zoologisch nicht präzise. Dahinter können sich sowohl die Raupe der Kornmotte (Nemapogon granellus) als auch die Larve des Kornkäfers (Sitophilus granarius) verbergen.

26 Anonymus 1752, Stichwort „Fliege“, Bd. 1, S. 433.

2.DER BEGRIFF UNGEZIEFER

des Hauß-Vatters ausfrisset und verderbet.“27 Das Tier wird damit aufgrund seines ihm zugeordneten Schadens zum ‚Ungeziefer’. Beim Käfer dagegen handelt es sich um „ein fliegendes Ungeziefer, welches seine sehr zarten Flügel mit harten Schalen bedecket.“28 In diesem Fall ist ‚Ungeziefer’ eine morphologische Bezeichnung, denn in den nachfolgenden Ausführungen werden verschiedene Käferarten aufgelistet und kurz beschrieben. Lediglich beim Maikäfer werden schädliche Auswirkungen erwähnt.

In der vorangegangenen Darstellung wurden die verschiedenen Bedeutungen, die der Be-griff ‚Ungeziefer’ im 18. Jahrhundert annimmt, vorgestellt. Diese Bedeutungen verweisen jeweils auf einen Bezugsrahmen der Thematisierung von Ungeziefer: die Zuordnung über die Schädlichkeit auf die ökonomische Kontextur, die Zuordnung über den Widerwillen auf die ästhetische Kontextur und die Zuordnung über die Morphologie auf die Kontextur der Ordnungen. Der Bezugsrahmen bestimmt, wie im Folgenden näher gezeigt wird, über die Art und Weise, in der auf die Tiere fokussiert wird.

27 Ebd., Stichwort „Korn-Wurn“, Bd. 1, S. 726-729, 726.

28 Ebd., Stichwort „Kaefer“, Bd. 1, S. 672f, 672.

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 22-29)