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Natur als Subjekt

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 194-198)

6.1 Das Ganze und das Wesenhafte. Naturkonzeptionen im Rahmen der Ungezieferthematisierung

6.1.3 Natur als Subjekt

Als Ergebnis der göttlichen Schöpfung ist die Natur von göttlichen Maßgaben abhängig.

Sie wird aber auch als ein Subjekt betrachtet, also als eine – mehr oder weniger – eigen-ständig handelnde Größe. Es ist nun zu prüfen, welcher Aktionsrahmen der Natur jeweils zugestanden wird und wie das Verhältnis zwischen Natur und Gott konzeptualisiert wird.

Die Natur wird im 18. Jahrhundert nicht nur als eine Institution im Sinne einer Referenz angesehen, sondern in zweierlei Hinsicht auch im Sinne einer kausalen Erklärungsgröße:

Zum einen werden Ausstattung und Eigenschaften von Tieren ursächlich auf die Natur zurückgeführt. In einer Predigt wird beispielsweise folgender Zusammenhang hergestellt:

„So wol nun als die Natur diese oder andere dergleichen Thiere alle es gelehret hat, und ihnen es so eingepflantzet, daß sie thun, wie sie pflegen; eben so wol hat es auch die Heuschrecke von Natur, und ist so ihre besondere ordentliche Eigenschafft, daß sie nicht in ihrer Heimat bleibet; sondern auszeucht und wandert.“55

Bei ZOOPHILUS heißt es, dass das Gift von Schlangen und Ottern in deren Mund „in einen eignen von der Natur darzu formirten Bläßgen“56 enthalten sei. Und HALLE bemerkt:

„Es hat die Natur alle Stellen, und Winkel der Erde und Gewässer, ihrem besondern Thiere, Vogel, Fische oder Insekte eingeräumt, und es verlezzet kein Geschöpf das Grenzrecht des andern.“57

Zum anderen aber wird davon ausgegangen, dass die Natur die Abläufe auch aktiv beein-flusst beziehungsweise beeinflussen kann:

„Es hat aber die Natur schon Mittel zur Hand, ihrer allzugroßen Vermehrung Schranken zu setzen.

Denn erstlich wachsen in diesen Insecten eine besondere Art Würmer, welche sie ausfressen und viele tausend zu Grunde richten. Zweytens ... .“58

53 Anonymus 1795a, Vorrede, o. S.

54 VALENTINI geht gar davon aus, dass aufgrund der Perfektionalität der Natur menschliche Verbesserungsbestrebungen unnötig sind. (Vgl. Valentini 1704, Einleitung oder Vorbericht, o. S.) Vgl.

hierzu auch 6.2.2.

55 N. 1693, S. 39.

56 Zoophilus 1726, S. 249; vgl. u.a. auch Anonymus 1749-1751, Bd. 1 (1749), S. 671; Müller 1774, S. 104;

Dallinger 1798, S. 17.

57 Halle 1760, Vorrede, o. S.; vgl. auch Rösel von Rosenhof 1746, Der Tag-Vögel zweyte Classe. N. IV. Die schädliche, gelb- und graue Kraut-Raupe ..., S. 21-28, 23.

58 Müller 1774, S. 510; vgl. auch Hagen 1805, S. 30. HAGEN gesteht ihr aber nur beschränkte

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Die aktive Rolle der Natur wird folglich nicht nur darauf beschränkt, die Konstitution der Tiere veranlasst zu haben. Die Natur gilt vielmehr auch als eine regulierende Instanz, die verschiedene Hebel – in Form der Witterung oder von Fraßfeinden – bedienen kann, um beispielsweise die uneingeschränkte Vermehrung von Pflanzenläusen zu begrenzen. Sie beuge dem Auftreten der Tiere in großer Zahl zwar nicht – prinzipiell – vor, reduziere sie aber nachträglich. Auch BECHSTEIN fasst die Natur als eine Art Schaltstelle, die die Abläufe justiert, ein Verfahren, dass er gegenüber den menschlichen Bekämpfungsmaßnahmen, vor allem dem Einsatz von Gift, bevorzugt:

„Zu ihrer Vertilgung hat die Natur schon von selbst durch ihren Trieb bey ihrer zu starken Vermeh-rung Reisen anzustellen, und durch nasse Jahre gesorgt; allein auch die Wölfe, Füchse, Marder, Iltisse, Wiesel und Raubvögel, als Weihen, Bussarte, Eulen, Kolkraben, Dohlen und alle Arten von Krähen, auch der gemeine Würger, richten besonders im Winter große Niederlagen unter ihnen an. ... allein dieß Mittel ist wegen vieler unvorhersehbarer Unglücksfälle nicht anzurathen, und man muß hier ge-wöhnlich die Natur allein wirken und helfen lassen.“59

Die zitierten Beispiele könnten dahingehend verstanden werden, dass die Natur trotz ihres genuin göttlichen Ursprungs als ein selbständiges Subjekt betrachtet wird. Diese Auffas-sung kann aber nicht verallgemeinert werden, denn wie erwähnt bestehen im Untersu-chungszeitraum unterschiedliche Ansichten über die fortbestehende Präsenz und Ein-flussmöglichkeit Gottes in der Natur. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass die Natur allmählich aus der göttlichen Anbindung befreit wird, im Endeffekt also Naturwis-senschaften und Theologie voneinander getrennt werden und die Natur dadurch im ausge-henden 18. Jahrhundert säkular wird.60 In den dieser Arbeit zugrunde liegenden Quellen lassen sich schematisch drei Positionen zur Beziehung zwischen Gott und Natur unter-scheiden, die parallel zueinander vertreten werden: Es werden erstens, Natur und Gott als weitgehend identisch begriffen, zweitens, die Natur als ein sich nach den göttlichen Vorga-ben richtender Zusammenhang vorgestellt und drittens, die Natur als weitgehend autono-me Größe betrachtet.

Während des gesamten 18. Jahrhunderts finden sich Autoren, die die Begriffe Natur und Gott weitgehend synonym verwenden oder aber eine enge Verknüpfung zwischen beiden unterstellen.61 Eine Synonymie von Gott und Natur ist dann anzunehmen, wenn das

Erfolgsaussichten bei der Bekämpfung von Borkenkäfern zu.

59 Bechstein 1801, S. 970.

60 Vgl. zusammenfassend Krolzik 1988, S. 5, 7; vgl. auch Krafft 1982. Allgemein hierzu vgl. Groh/Groh 1991, S. 50.

61 Diese Gleichsetzung von Natur und Gott widerspiegelt nach SPAEMANN die Bemühungen der Aufklärer, das Übernatürliche zu verdrängen. Dieses werde allmählich durch die Natur ersetzt. (Vgl. Spaemann 1967,

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stehen der Dinge sowohl auf Gott als auch auf die Natur zurückgeführt wird. Das ist bei-spielsweise bei SULZER der Fall:

„Alle Dinge, welche der allmächtige Schöpfer auf unsrer Erdkugel hervorgebracht hat, stehen in einer wunderbahren Ordnung und Verbindung mit einander, und gründen ihre immerwährende Erhaltung auf gegenseitige Dienste. ... Solchergestalt drehet sich alles in einem beständigen Zirkel. Die Natur hat demnach ein jedes Ding zum Nuzen eines andern geordnet, und nicht zugegeben, daß etwas ihm selbst allein diente."62

Auch BECHSTEIN und SCHARFENBERG machen Gott und die Natur für die Genese von Insekten verantwortlich. Einerseits heißt es, „die Natur [habe] mehreren Gattungen die Flügel versagt“, andererseits wird konstatiert, dass die Tiere „vom Schöpfer einen zarten Körper, der durch anhaltendes Ungemach des Wetters leicht aufgerieben werden kann,“

erhielten.63

Eine antizipierte Identität von Gott und Natur kennzeichnet ebenfalls theistische Positio-nen. Theisten betrachten die Natur nicht nur als gottgegeben, sondern nehmen an, dass die fortdauernde Existenz der Schöpfung von der permanenten göttlichen Erhaltung abhängt.

„Wenn er seine Hand nur einen Augenblick von uns abziehen würde, so würden wir so-gleich dahin sinken, und ein Raub des Todes seyn.“64

In der Physikotheologie wird wiederum die Auffassung vertreten, dass sich die Natur nach göttlichen Vorgaben richtet. Die physikotheologische Grundannahme ist, dass die Natur das Dasein und die Eigenschaften Gottes widerspiegelt,65 sodass es sich bei der Natur ne-ben der Bibel um die zweite Form der göttlichen Offenbarung handelt. Die Naturerkun-dungen dienen somit theologischen Erkenntnisinteressen: Ähnlich einem Artefakt, das über die Möglichkeiten und Fertigkeiten informiert, die in seine Erschaffung eingeflossen sind, verweisen die betrachteten Elemente der Natur auf die göttlichen Wesensmerkmale.

In diesem Zusammenhang erfahren beispielsweise Eigenschaften und Fähigkeiten von Tie-ren eine religiöse Deutung.

S. 66.)

62 Sulzer 1761, S. 1.

63 Vgl. Bechstein/Scharfenberg 1804-1805, Teil 1 (1804), S. 3, 42f; vgl. auch Anonymus: Beweis, daß der Mehl- und Honigthau nicht von Insecten herrühre, in: Allgemeines Oeconomisches Forst-Magazin, Bd. 3 (1763), S. 82-96, 95.

64 Schröter 1776a, S. 17, vgl. auch Münchhausen 1766-1773, Teil 4 (1777), S. 27.

65 Im Gegensatz zum Deismus, der „eine durchgängig kausalmechanische Naturgesetzlichkeit“ annimmt beziehungsweise davon ausgeht, dass sich Gott aus seiner Schöpfung zurückgezogen hat, „will die Physikotheologie von dem Staunen über die naturgesetzlich funktionierende Natur zum Lob der providentia Dei führen.“ (Vgl. Krolzik 1988, S. 168.) Nach KROLZIK stellt die Verbindung von Naturforschung und Theologie eines der zentralen Merkmale der Physikotheologie dar.

6.NATURVORSTELLUNGEN

„Will man die gütige Natur als ordentliche Hand GOttes, loben? Wo soll man eher den Anfang neh-men, als von denen Insectis. ... Mit was vor einer Geschicklichkeit sind nicht die Ameisen bega-bet?“66

KRAFFT macht für die ihn faszinierende „Geschicklichkeit“ von Ameisen Gott verantwort-lich, sie ist für ihn ein Zeichen seiner Größe. In den vorangegangenen Kapiteln ist wieder-holt auf diese Art der metaphysischen Naturdeutung67 hingewiesen worden, sodass stellver-tretend nur noch ein Zitat angeführt werden soll:

Wann diese mit ihrem Fern-Glaß die Allmacht GOttes betrachten, ..., So sehe ich mit meinen Ver-grösserungs-Gläsern, wie eben dieses an dem unmäßlich-kleinen Erden- und Wasser-Gewürme ge-schehen.“68

Die vorausgesetzten göttlichen Eigenschaften werden durch die Naturerkundung aufge-zeigt. Die Zweckmäßigkeit der Natureinrichtung spiegelt sich jedoch nicht nur am einzel-nen Element wider, sondern auch in der Beziehung des Einzeleinzel-nen zum Ganzen. HENNERT

erwähnt beispielsweise verschiedene Einrichtungen der Natur, die einer starken Vermeh-rung von Raupen entgegenstünden. Abschließend weist er darauf hin,

„daß der Schöpfer sehr gütig dafür gesorgt hat, daß schädliches Ungeziefer nicht bis zum gänzlichen Verderben und Verwüstung der den Menschen unentbehrlichen Bedürfnisse überhand nehmen kann“.69

Die das Auftreten von Raupen regulierende Natur wird folglich als das ausübende Organ der göttlichen Vorsehung gedacht. Da ein jedes Ding und alle Dinge miteinander nach ei-nem festgelegten Schema – FABRICIUS spricht von den durch Gott etablierten „Naturge-setzen“70 – funktionieren, ist eine unmittelbare göttliche Lenkung der Dinge entbehrlich.

In der Straftheologie wird Gott nicht auf eine Beobachtungsfunktion reduziert, er gilt viel-mehr als handlungsmächtig. Seine Eingriffe äußern sich in Form ungewöhnlicher Naturer-eignisse:

„Von diesen letzten Ursachen zu der theuren Zeit kan man nicht das Beytragen der Elemente durch-gängig anführen, sondern dieses sind besondere Strafgerichte Gottes über uns Menschen, damit wir nicht allein an der Natur und an den Elementen sollen hangen bleiben, sondern daß wir auch erken-nen lererken-nen, wir haben ein höheres wahres Wesen über uns, das uns gar auf vielerley Art finden und treffen kan, und vor welchem wir uns nicht entfernen können“.71

66 Krafft 1712, Einleitung, o. S.; vgl. u. a. auch Lesser 1740, S. 14; Kleemann 1761, Vorrede, o. S.;

Anonymus 1795a, Vorrede, o. S.

67 Vgl. Leinkauf 2005, S. 9.

68 Frisch 1720-1738, Teil 1 (1730), Vorbericht, o. S.

69 Hennert 1798, S. 71; so u. a. auch Carlowitz 1713, Vorbericht, o. S.; Cramer 1766, Vorrede, o. S.;

Bechstein 1800, Vorbericht.

70 Fabricius 1781, S. 158.

71 Leopoldt 1750, S. 192.

6.NATURVORSTELLUNGEN

Nicht die Elemente, das heißt Faktoren wie die Witterung oder das vermehrte Auftreten von ‚Ungeziefer’ werden in diesem Zitat für die erwähnten Preissteigerungen ursächlich verantwortlich gemacht, sondern Gott. In Reaktion auf das unbotmäßige menschliche Verhalten habe er in die Natur eingegriffen und dadurch eine der menschlichen Bestrafung dienende Preissteigerung veranlasst. Es wird folglich davon ausgegangen, dass Gott den Menschen stetig überwacht und sein mögliches Missfallen über die Natur äußert. Diese Deutungslogik ist während des ganzen 18. Jahrhunderts verbreitet.72

Es wurde bereits erwähnt, dass in der Literatur davon ausgegangen wird, dass sich im 18.

Jahrhundert eine säkulare Natur herausgebildet hat. In den im Rahmen dieser Untersuchung ausgewerteten Quellen finden sich vor allem gegen Ende des Untersuchungszeitraumes Autoren, die die Konstitution der Naturelemente sowie die Abläufe in der Natur erklären, ohne hierfür auf Gott zu rekurrieren. Beispielsweise wird das Auftreten der sogenannten Waldraupe als „schreckliche Naturbegebenheit“73 gedeutet. Es heißt weiterhin, Raupen seien den Wildschweinen „als Nahrungsmittel von der Natur angewiesen“.74 Die Natur stellt in diesen Fällen eine eigenständige Erklärungsgröße dar. Ob eine säkulare Naturauf-fassung bereits dann vorliegt, wenn nicht auf Gott rekurriert wird, ist jedoch zu bezweifeln.

Im Dokument Mäuse, Maden, Maulwürfe. (Seite 194-198)