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Unfall beim Betreiben eines Glühofens

Im Dokument Landesamt für Verbraucherschutz (Seite 54-58)

Dezernat 53 - 57 - Gewerbeaufsicht West, Ost, Mitte, Nord, Süd

5.5 Unfall beim Betreiben eines Glühofens

Im letzten Jahr ereignete sich in einem Metallbaubetrieb in der Nähe von Halle ein Unfall beim Betreiben eines Glühofens.

Davon waren über 20 Mitarbeiter betroffen. Im Nachgang kann glücklicherweise von einem glimpflichen Ausgang dieses Ereig-nisses gesprochen werden, da bei den Betroffenen keine blei-benden Gesundheitsschäden aufgetreten sind.

Nachfolgend werden die Ereignisse am Unfalltag, die Auf-klärung der Unfallursachen, die Schlussfolgerungen sowie die abgeleiteten Maßnahmen für den künftigen Betrieb näher aus-geführt.

Die Gewerbeaufsicht Süd wurde mittags vom Lagezentrum darüber informiert, dass es in einem Metallbetrieb zu einem Un-fall gekommen ist. Die Rettungskräfte seien bereits vor Ort. Nach ersten Aussagen von Betriebsangehörigen stellte sich folgendes Bild der Ereignisse dar:

Am Vormittag wurden vorgefertigte Metallkomponenten in ei-nem Glühofen behandelt. Nach dem Ende des Glühvorgangs beklagten sich einige Mitarbeiter über Schwindel und Übelkeit.

Insgesamt traten bei 21 Mitarbeitern gesundheitliche Beschwer-den auf. Daraufhin wurde der Rettungsdienst alarmiert, welcher nach kurzer Zeit eintraf.

Im Blut der betroffenen Mitarbeiter wurden erhöhte Kohlen-monoxidkonzentrationen festgestellt, woraufhin sie zur Behand-lung und Kontrolle ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

Kohlenmonoxid ist ein geruch- und reizloses Gas und hat eine hohe Affinität zu Hämoglobin, den roten Blutfarbstoff, wel-cher für den Sauerstofftransport im Körper verantwortlich ist.

Den Hämoglobin-Kohlenmonoxid-Komplex nennt man Carboxy-hämoglobin. Dieser Komplex ist etwa 300-mal stabiler als der

vergleichbare Sauerstoffkomplex. Dadurch blockiert Kohlenmo-noxid die Sauerstoffbindungsstellen und verringert so die Sauer-stofftransportkapazität. Schon geringe Mengen Kohlenmonoxid in der Atemluft genügen daher, um einen großen Teil des Hämo-globins zu inaktivieren (Abbildung 37).

Abb. 37 Bildung von Carboxyhämoglobin bezüglich des Gesamthämoglobins in Abhängigkeit von der inhalierten Kohlenmonoxidkonzentration;

nach 1 a

1 W. Dekant, S. Vamvakas, Toxikologie für Chemiker und Biologen, Spek-trum Akademischer Verlag, 1994 [ISBN 3-86025-218-6]; a) S. 263; b) S.

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ren (Tabelle 11).

Die Bindung von Kohlenmonoxid an Hämoglobin ist voll-ständig reversibel und abhängig von der Konzentration. Verrin-gert sich die Konzentration, wird Kohlenmonoxid vermehrt ab-geatmet. Diese Rückbildung von Carboxyhämoglobin lässt sich durch Inhalation von reinem Sauerstoff wesentlich beschleuni-gen und stellt daher die wesentliche therapeutische Maßnahme bei Kohlenmonoxidvergiftungen dar.

Die Werkhalle, in der sich dieser Unfall ereignet hatte, war von den Betriebsverantwortlichen gesperrt worden und wurde intensiv gelüftet.

Eine Spezialfirma wurde mit einer Freimessung beauftragt, in deren Ergebnis noch am Nachmittag des Unfalltages kein Koh-lenmonoxid mehr nachgewiesen werden konnte. Daraufhin wur-de die Werkhalle wiewur-der freigegeben. Der Glühofen wurwur-de vor-erst nicht betrieben.

Da andere Kohlenmonoxidquellen ausgeschlossen werden konnten, lag das Hauptaugenmerk der Ermittlungen auf dem Glühofen. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Herd-wagenofen mit einem Volumen von ca. 100 Kubikmetern (Ab-bildung 38).

Die Befeuerung erfolgt mit Gas. Die Abluft wird über einen unterflurigen Schacht und einen Schornstein nach außen ge-führt (Abbildung 39).

Carboxyhämoglobin

(%-Gesamthämoglobin) Symptome

10 – 20 leichter Kopfschmerz, Unwohlsein,

Mattigkeit

20 – 30 Schwindel,

Bewusstseinseinschrän-kung, Lähmung

30 – 60 tiefe Bewusstlosigkeit, Lähmung,

stoß-weise Atmung

60 – 70 tödlich in zehn Minuten bis zu einer

Stunde

> 70 tödlich in wenigen Minuten

Tab. 13 Symptome einer Kohlenmonoxidvergiftung in Abhängigkeit von der Carboxyhämoglobinkonzentration im Blut; nach 1b

1 W. Dekant, S. Vamvakas, Toxikologie für Chemiker und Biologen, Spek-trum Akademischer Verlag, 1994 [ISBN 3-86025-218-6]; a) S. 263; b) S.

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Abb. 38 geöffneter Herdwagenglühofen

Um klären zu können, was genau zum Unfall geführt hat und welche Parameter für diesen Vorfall ursächlich waren, wurde vereinbart, dass der Glühofen unter messtechnischer Überwa-chung kontrolliert angefahren wird. Um die Gefährdung für die Beschäftigten zu minimieren, wurde dieser Versuch an einem Wochenende durchgeführt, an dem regulär keine anderen Arbei-ten auszuführen waren.

Für den Versuchsaufbau wurden in der gesamten Halle sta-tionäre Messgeräte aufgebaut. An diesen war jeweils ein Vor-alarm bei Erreichen eines Messwertes von 15 ml/m³ und ein Hauptalarm bei Erreichen von 30 ml/m³ Kohlenmonoxid einge-stellt. Letzterer Wert entspricht dem aktuellen Arbeitsplatzgrenz-wert (AGW).

Ein mit der erforderlichen Schutzausrüstung ausgestatteter Mit-arbeiter einer Fachfirma nahm in der Halle zusätzlich Messun-gen mit einem mobilen Messgerät vor. Schon kurze Zeit nach dem Anfahren des Glühofens wurde der derzeit gültige AGW für Kohlenmonoxid von 30 ml/m³ in Ofennähe überschritten. Inner-halb einer Inner-halben Stunde wurden an allen Messgeräten in der Halle die Alarmschwellen überschritten und in Ofennähe wur-de eine fast 10-fache Überschreitung wur-des AGW gemessen. Der Versuch wurde dann vorzeitig abgebrochen.

Somit konnte sicher davon ausgegangen werden, dass der Glühofen eindeutig die Quelle für austretendes Kohlenmonoxid war. Offensichtlich wurde die Abluft nicht bzw. nur ungenügend über den Kamin abgeführt und es musste zudem Undichtigkei-ten am Ofen geben, durch welche die Abluft in die Halle gedrückt wurde.

Im Ergebnis dieses Versuches wurde eine Fachfirma für sol-che Öfen beauftragt, um zu klären, ob Beeinträchtigungen im Abluftsystem vorliegen und welche Umbaumaßnahmen ggf. er-forderlich sind, um den Glühofen wieder sicher betreiben zu kön-nen.

Abb. 39 Schornstein für Glühofenabluft

behindern könnten.

Ein Umbau des gesamten Abluftsystems war aus wirtschaft-lichen Gründen vorerst nicht vertretbar, solange eine alternative technische Lösung möglich schien.

Eine solche Lösung konnte nach intensiven Überlegungen ge-funden werden.

Ansatzpunkt für diese Lösung war hier die Nutzung des Ka-mineffektes, um die anfallende heiße Abluft nach außen abzu-führen. Der Kamineffekt beruht darauf, dass warme Luft eine geringere Dichte besitzt als kalte Luft. Es entsteht eine thermi-sche Konvektion und die Luft tritt aus der oberen Öffnung ei-nes Schornsteins aus. Im Inneren entsteht dadurch ein Unter-druck. Durch den äußeren Luftdruck, in diesem Fall zusätzlich verstärkt durch ein Gebläse, erhält sich dieser Effekt selbst und es werden ständig heiße Abgase nach außen abgeführt (Abbil-dung 40a).

Dieser Effekt kann jedoch gestört werden, wenn sich ein soge-nannter Kaltluftpfropfen im Schornstein bildet und so die thermi-sche Konvektion ganz oder teilweise blockiert wird (Abbildung 40b). Nachfolgend können die Abgase nicht abgeführt werden, sammeln sich im Ofen und suchen sich andere Wege ins Freie.

Dieser Prozess wurde durch die Wirkung des Gebläses verstärkt und die Abgase konnten in erheblichem Ausmaß durch vorhan-dene Undichtigkeiten am Glühofen in die Halle entweichen. Dies erklärt auch, weshalb in kurzer Zeit die Kohlenmonoxidgrenz-werte in der ganzen Halle überschritten wurden.

Um die Bildung von Kaltluftpfropfen im vorhandenen Abluft-system des Glühofens künftig auszuschließen, wird der Schorn-stein nunmehr mittels Brenner auf eine Temperatur von 80 °C vorgeheizt.

Nachdem die Undichtigkeiten am Glühofen beseitigt und die vorhandenen Gasbrenner für eine optimale Verbrennung neu eingestellt wurden, erfolgten mehrere Testläufe unter Kontrol-le der KohKontrol-lenmonoxidkonzentration, auch bei unterschiedlichen Wetterlagen. Es zeigte sich, dass unter den neuen Betriebspara-Abb. 40 a) ungestörter Kamineffekt

b) gestörter Kamineffekt (Kaltluftpfropfen)

Neben der Ermittlung und Beseitigung der primären Unfallur-sachen wurden von betrieblicher Seite zusätzliche Maßnahmen eingeleitet, um den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Mitarbei-ter bei zukünftigen Arbeiten am Glühofen weiMitarbei-ter zu verbessern.

Der Unfall wurde mit der gesamten Belegschaft ausgewer-tet und diejenigen Mitarbeiter, welche mit dem Glühofen arbei-ten, wurden und werden regelmäßig speziell unterwiesen. Beim Betrieb des Glühofens sind zukünftig von den dort beschäftigten Mitarbeitern mobile Kohlenmonoxidmessgeräte zu tragen und es ist ein stationäres Messgerät am Glühofen aufzustellen. Die aufgezeichneten Messwerte werden protokolliert und zusam-men mit dem Glühprotokoll archiviert.

Die vorhandene Betriebsanweisung zum Betreiben des Glühofens wurde überarbeitet. Es wurde u. a. aufgenommen, dass erst nach Vorheizen des Schornsteins und Aktivierung der Kohlenmonoxid-messgeräte der Glühofen in Betrieb genommen werden darf.

Darüber hinaus wurde aufgrund der neuen Erkenntnisse die Ge-fährdungsbeurteilung des Betriebes aktualisiert.

Seit den aufgrund des Unfalls zusätzlich eingeleiteten Maß-nahmen wurde der Glühofen wieder vielfach betrieben. Die pro-tokollierten Messwerte belegen, dass die durchgeführten Maß-nahmen geeignet waren, um den Glühofen sicher betreiben zu können.

Welche Schlussfolgerungen können nun aus dem beschrie-benen Unfall gezogen werden?

Aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es nicht nur wichtig zu erkennen, dass ein Prozess, ein Verfahren oder ein Betriebsablauf gut und sicher funktioniert, sondern auch, weshalb bzw. auf welcher Grundlage dies gewährleistet ist. Ein problemloses Funktionieren ist fast immer abhängig vom Zu-sammenspiel verschiedenster Parameter. Diese Parameter dür-fen sich jeweils nur in bestimmten Grenzen verändern, um nicht das gesamte System zu gefährden. Manchmal genügen schon kleine Veränderungen in ungünstigen Kombinationen, um eine große unerwünschte Wirkung hervorzurufen.

Im vorliegenden Fall gab es, wie eingangs erwähnt, nie Pro-bleme beim Betreiben des Glühofens und plötzlich kam es zu diesem Unfall, obwohl weder an den Betriebsbedingungen noch beim verwendeten Material große Veränderungen vorgenom-men wurden. Nach einigen Überlegungen stellte sich dann aber heraus, dass der Glühofen in früheren Jahren aufgrund eines anderen Leistungsspektrums viel öfter (bis zu fünf Mal wöchent-lich) in Betrieb war und damit das Gesamtsystem nie richtig aus-kühlte. In den letzten Jahren ging die Betriebszeit des Ofens stark zurück. Dies hatte zur Folge, dass das Gesamtsystem zwi-schen den einzelnen Betriebszeiten stärker auskühlte und der für eine optimale Abgasführung erforderliche Kamineffekt im Zu-sammenspiel mit ungünstigen meteorologischen Bedingungen gestört war. Da dieser Prozess über Jahre schleichend verlief, wurde dieser nicht bewusst wahrgenommen. Auswirkungen auf den sicheren Betrieb des Glühofens wurden demzufolge nicht in Betracht gezogen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass auch funktionie-rende Prozessabläufe nicht als Selbstläufer betrachtet werden dürfen und in regelmäßigen Abständen hinterfragt werden soll-ten, insbesondere bei sich ändernden Randbedingungen. Das Stichwort lautet auch hier wieder: Aktualisierung der Gefähr-dungsbeurteilung.

Im Dokument Landesamt für Verbraucherschutz (Seite 54-58)