• Keine Ergebnisse gefunden

Umgang des Bundesamtes mit geschlechtsspezifischer Verfolgung

Im Dokument Geschäftsbericht 2011 (Seite 26-30)

1.5 Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 2011

1.5.1.1 Umgang des Bundesamtes mit geschlechtsspezifischer Verfolgung

Mit Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgungsgründe haben insbesondere Frau-en verbesserte ChancFrau-en, als Flüchtlinge nach § 60 Absatz 1 AufFrau-enthG anerkannt zu wer-den. „Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unver-sehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft“, so heißt es seither in § 60,1 des Aufenthaltsgesetzes. Die Verfolgung kann dabei auch durch nichtstaatliche Ak-teuren erfolgen. Vermag der Staat in einem solchen Fall seine Bürger/innen nicht zu schützen, toleriert oder unterstützt er die Verfolgungstatbestände, liegt ein Schutzinte-resse vor.

Schutzquote 2011 2010 2009 Afghanistan 34,3% 43,8% 58,6%

Irak 53,8% 52,3% 64,0%

Serbien 0,4% 0,6% 1,6%

Iran 52,7% 52,2% 21,3%

Somalia 57,8% 50,8% 80,2%

Kosovo 2,5% 3,5% 4,7%

Syrien 41,1% 18,0% 17,3%

Türkei 8,6% 12,7% 11,3%

Russland 14,1% 20,6% 21,9%

Mazedonien 0,3% 0,2% 4,0%

Quelle: BAMF

Angaben in Personen; Quelle: BAMF

Etwas mehr als ein Drittel aller Asylanträge – 16.825 - (36,8%) wurden 2011 von Frauen gestellt. Der Anteil der männlichen Antragsteller überwiegt in den Altersgruppen bis „unter 50 Jahre“, wohingegen in den Altersgruppen der „50-jährigen und älteren Asylbewerber“

der Anteil der weiblichen Antragsteller größer ist. Insgesamt sind 73,1 % aller Asylbewer-ber jünger als 30 Jahre (2010: 74,9 %). 359 Personen wurde im Jahr 2011 ein Flücht-lingsschutz aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung gewährt (2010: 460). Dies ent-spricht 9,1 % der Entscheidungen, für die ein eigenständiger Verfolgungstatbestand nach

§ 60,1 Aufenthaltsgesetz (ohne Familienflüchtlingsschutz) festgestellt wurde (2010:

11,1%). In den allermeisten Fällen war dies eine Anerkennung aufgrund nichtstaatlicher Verfolgung. Hauptherkunftsländer waren Somalia, Afghanistan, Irak.

Die EU-Aufnahmerichtlinie zählt Frauen, die geschlechtsspezifischer Verfolgung ausge-setzt waren, zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge. Laut Dienstanwei-sung des Bundesamtes sollen Frauen, bei denen Indizien einer geschlechtsspezifischen

Quelle: BAMF

Verfolgung vorliegen, von einer Sonderbeauftragten interviewt werden. Wenn ein männli-cher Anhörer Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung erhält, soll dieser die Anhö-rung abbrechen und die Antragstellerin an eine Sonderbeauftragte weiterleiten. Die An-tragstellerin hat außerdem das Recht, eine weibliche Anhörerin und Dolmetscherin aktiv einzufordern.

Die Umsetzung dieser positiven Regelungen scheitert jedoch oft am mangelnden Wissen der Antragstellerinnen über diese Rechte. Eine obligatorische Erstberatung für alle Ver-fahren könnte hier weiterhelfen. Eine progressivere Form der Anerkennung ist jedoch weder mit der Erstberatung noch mit der Einsetzung von Sonderbeauftragten garantiert.

Immerhin werden geschlechtsspezifische Verfolgungstatbestände vom Bundesamt mitt-lerweile ernstgenommen.

1.5.2 Flughafenverfahren

Von insgesamt 819 Flüchtlingen, die in 2011 ihren Asylantrag im Flughafenverfahren stellen mussten (davon 688 am Frankfurter Flughafen), wurde 774 die Einreise nach § 18 a AsylVfG gestattet, weil entweder das Bundesamt der Grenzbehörde mitgeteilt hat, dass es nicht kurzfristig entscheiden kann, oder weil das Bundesamt nicht innerhalb von zwei Tagen über den Antrag entschieden hat, oder weil das Gericht nicht innerhalb von vier-zehn Tagen über den Antrag auf vorläufigen Rechtschutz entschieden hat, oder weil die Grenzbehörde keinen Haftantrag gestellt hat, oder weil das Gericht diesen abgelehnt hat.

In den Fällen der gestatteten Einreise kommt es zu einem regulären Inlandsverfahren.

Lediglich in 60 Fällen wurde innerhalb von zwei Tagen eine Entscheidung getroffen (=

7,3%). Nur solange der Antragsteller sich in den Räumlichkeiten des Flughafens aufhält, handelt es sich um ein Flughafenverfahren.

Das Flughafenverfahren ist darauf ausgelegt, das Asylverfahren in möglichst kurzer Zeit (zwei Tage) abzuschließen. Das Bundesamt konnte aber nur in 7,5% aller Fälle das Asyl-verfahren tatsächlich innerhalb der gesetzten Frist entscheiden. Dieses Missverhältnis führt vor Augen, dass der immense Aufwand für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge im Flughafen nicht gerechtfertigt ist, und dass das Flughafenverfahren gene-rell abgeschafft werden sollte (s. nachfolgende Tabelle).

Das Flughafenverfahren ist aber auch aus rechtspolitischen Gründen fragwürdig: In allen Verfahren, in denen innerhalb von zwei Tagen eine Entscheidung erging, ist der Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Das Fehlen einer Erstberatung und da-mit mangelnde Vorbereitung auf das Verfahren scheint dafür der wesentliche Grund zu sein. Des Weiteren hat der Antragsteller im Falle einer Ablehnung nur drei Tage Zeit, Klage einzureichen. Für einen Eilantrag auf Rechtschutz und die Einreichung der Klage-begründung besteht eine Frist von nur sieben Tagen. Ein wirksamer Rechtschutz ist unter diesen Voraussetzungen kaum gegeben.

Wegen dieser schwerwiegenden Mängel kritisiert u.a. die UN-Arbeitsgruppe „Willkürliche Haft“ das deutsche Flughafenverfahren und bezeichnet es als unvereinbar mit rechts-staatlichen Standards. Die Gerechtigkeit bleibe auf der Strecke, so Direktor Martin Stark vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland.

1.5.3 Widerrufe

Bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen wird automatisch nach drei Jahren ein Widerrufsprüfverfahren eingeleitet (§ 26 AufenthG). Dabei wird nach Aktenlage geprüft, ob eine Änderung der individuellen Sachlage oder der Rechtslage stattgefunden hat, die einen Widerruf der positiven Entscheidung ermöglicht. Nach § 73 AsylVfG ist eine Aner-kennung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen. Wenn beispielsweise eine positive Veränderung der (individuellen) Sachlage stattgefunden hat (z.B. Verfolgungsakteure sind weggefallen), wird ein Widerrufsverfahren eingeleitet: Zu-nächst wird den Betroffenen eine Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme zu dem beabsichtigten Widerruf gegeben. Wenn sich aus Sicht des BAMF unter Berücksichtigung auch der Stellungnahme des/der Betroffenen ergibt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung entfallen sind, wird widerrufen. Wenn kein Widerruf erfolgt, wird eine Nie-derlassungserlaubnis erteilt (§ 26 Abs. 3 AufenthG).

© BAMF

2011 wurden 17.439 Widerrufsprüfverfahren durchgeführt und in 13.813 Fällen Wider-rufsverfahren eingeleitet. In 94,3 % der Verfahren wurde nicht widerrufen.31 Deutschland ist der einzige EU-Mitgliedstaat, der nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum automatisch Widerrufsprüfverfahren einleitet.

In 7.211 Widerrufsprüfverfahren betreffend irakische Flüchtlinge ist 2011 für lediglich 121 Personen (= 1,7%) der Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz widerrufen worden (2010: 18,4%, 2009: 60,3%). Bei türkischen Staatsangehörigen wurden 1.461 Widerrufs-prüfverfahren eingeleitet. Für 221 Flüchtlinge (=15,1%) wurde die Flüchtlingsanerkennung bzw. der ausgesprochene subsidiäre Schutz widerrufen (2010: 15,5%; 2009: 26,3%).

Im Dokument Geschäftsbericht 2011 (Seite 26-30)