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Soziale Lebenssituation

Im Dokument Geschäftsbericht 2011 (Seite 58-61)

Flüchtlingsstatus in Deutschland 2011

2 Flüchtlingspolitik in Niedersachsen

2.1 Das Nds. Aufnahmegesetz

2.1.4 Soziale Lebenssituation

Neben der – vermutlich verfassungswidrigen – Absenkung der Regelsätze des AsylbLG kommt hinzu, dass Flüchtlinge ihre Leistungen zu einem großen Teil als „Sachleistung“

erhalten: Flüchtlinge in den landeseigenen Lagern erhalten ihre Hilfe zum Lebensunter-halt über Kantinenverpflegung. Aber auch die in den Kommunen untergebrachten Flücht-linge erhalten für ihren Lebensunterhalt – ggf. bis auf das „Taschengeld” in Höhe von 40,90 Euro monatlich – kein Bargeld. Stattdessen geben die Landkreise bzw. kreisfreien Städte Wertgutscheine aus, welche allerdings nur von einer stark eingeschränkten Zahl an Geschäften akzeptiert werden. Bestimmte Waren wie Alkohol, Zigaretten und Fahr-karten können von den Gutscheinen generell nicht erworben werden, zudem wird Wech-selgeld lediglich bis zu einer Grenze von 10% des Gutscheinwertes herausgegeben. Für die Asylsuchenden ist dies Diskriminierung und Stigmatisierung par excellence, für den französischen Konzern Sodexho, der (neben der Firma Accor) mit der Herstellung und Abrechnung von Gutscheinen Geschäfte macht, eine Möglichkeit, „Effizienzpotenziale zu sichern” (so das Unternehmen auf seiner Homepage), kurzum: über diesen Weg an luk-rative kommunale Auftragsarbeiten zu kommen.

Viele Kommunen sind mit dieser restriktiven Ausgestaltung des Asylbewerberleistungs-gesetzes nicht einverstanden. Immer wieder haben sie eine Rückkehr zur Bargeldpraxis gefordert, schließlich verursacht das Gutscheinsystem hohe Verwaltungskosten. Zuletzt hat der Stadtrat von Oldenburg am 27.02.2012 eine Resolution verabschiedet, in der er die Ausgabe von Wertgutscheinen an Stelle von Geld an Flüchtlinge ablehnt. Neben dem bürokratischen Aufwand verweist die beschlossene Resolution v.a. auf die diskriminie-rende Wirkung der Gutscheine. Innenminister Schünemann hat mit Schreiben vom 10.

April an den Oberbürgermeister von Oldenburg, Gerd Schwandner, daraufhin noch ein-mal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Land auf der Fortsetzung der Gutschein-praxis aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung besteht. Die ggf. entstehenden höheren Verwaltungskosten rechtfertigt der Innenminister mit Einsparungen, die entstehen, wenn Menschen auf Grund der abschreckenden Wirkung gar nicht erst nach Deutschland kommen. Mit dieser Argumentation hat er in der Vergangenheit auch die kostenintensive Unterbringung von Flüchtlingen in den landeseigenen Lagern begründet. Es ist das Ab-schreckungskonzept der 80er Jahre, dessen Stimmigkeit noch nie nachgewiesen werden konnte und dessen weitere Verwendung offenkundig vor allem dem Wunsch entspringt, mit Ausgrenzungspolitik populistisch Stimmung zu machen, was Uwe Schünemann zu dieser rigiden Linie treibt, starrköpfig und von der Tatsache unbeirrt, dass mittlerweile fast

alle Bundesländer zu Bargeldleistungen an Flüchtlinge zurückgekehrt sind. So werden in Hamburg, Bremen, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern flächendeckend Geldleistungen gewährt. Nur in Niedersachsen, Thüringen, Bayern und im Saarland werden zur Abschreckung flächendeckend Gutscheine oder Es-senspakete ausgegeben.

In vielen Städten und Gemeinden haben sich Initiativen gegründet, die – teilweise schon seit Jahrzehnten – einen Umtausch von Gutscheinen in Bargeld organisieren und so da-für sorgen, dass Flüchtlinge ihre geringe Hilfe wenigstens disponibel einsetzen können48. 2.1.5 Wegweiserkurse

Im Dezember 2011 hat Landesregierung angekündigt, dass sie einen alle Zuwanderer-gruppen umfassenden, einwöchigen Einstiegskurs in Friedland etablieren werde. In Be-antwortung einer Anfrage der SPD führte das MI hierzu aus:

“Eingliederung und integrative Angebote beginnen weiterhin bereits unmittelbar nach An-kunft in der Aufnahmeeinrichtung. Als Einstieg bietet es sich an, zunächst ein Bild über das Leben in Deutschland (Geographie/Kultur/Umwelt) zu skizzieren, einen Überblick über die unsere Gesellschaft prägenden Grundwerte zu vermitteln sowie zu ersten Schritten in der Anwendung der deutschen Sprache zu ermuntern und damit den Men-schen das „Zurechtfinden“ in diesem für sie neuen Lebensabschnitt zu erleichtern.

Hierzu konzeptioniert die Niedersächsische Landesregierung derzeit für alle Bewohner in Friedland unabhängig von Status und jeweiliger Aufenthaltsperspektive ein Kursangebot in modularer Struktur. Die Kursmodule beinhalten ein Sprachatelier, das eine erste sprachliche Orientierung vermittelt, sowie Module zu Themen wie z.B.: Rahmenbedin-gungen in Deutschland (verfassungsrechtliche Grundwerte, Toleranz, Gleichberechtigung und Schulpflicht), Vermittlung lebenspraktischer Informationen (Verhalten im Straßenver-kehr, Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel, Gesundheit, Hygiene), Kontakt zu Behörden oder Deutschland und Niedersachsen im Überblick.

Im Haushaltsplanentwurf 2012/2013 sind zusätzlich 1,6 Mio. Euro u.a. für die Durchfüh-rung vorgenannter Kurse eingestellt.”49

Diese Kurse haben Anfang Mai 2012 begonnen. Die Sprachmodule und eines der Infor-mationsmodule werden vom Land durchgeführt, die übrigen vier Infomodule von den Ver-bänden, die sie auch inhaltlich mit ausgestaltet haben (wobei die Themen vom Land vor-gegeben sind).

Der Flüchtlingsrat hat die Öffnung der Kurse für Asylsuchende begrüßt, gleichzeitig aber erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Integrationskurs grundsätzlich auch für

48 siehe http://www.nds-fluerat.org/projekte/solitausch-bargeld-statt-wertgutscheine/gutscheintausch-initiativen-in-niedersachsen/

49 http://www.nds-fluerat.org/7530/aktuelles/ab-2012-wegweiser-fuer-deutschland-mit-integrierten-sprachmodulen/

Asylsuchende zu öffnen. Auch die seit Jahresbeginn bestehende Möglichkeit, im Rahmen der Netzwerke "Integration durch Qualifizierung" eine Prüfung und Anerkennung beste-hende Qualifikationen herbeizuführen, sollte in den Erstaufnahmelagern genutzt werden.

2.1.6 Abschreckung

Die Flüchtlingspolitik der Nds. Landesregierung baut nach wie vor auf Abschreckung und Abwehr. Durch Lagerunterbringung, Gutscheinpraxis und ausländerrechtliche Arbeits-verbote sollen Flüchtlinge dazu gedrängt werden, Deutschland „freiwillig“ zu verlassen.

Gegen eine solche Behandlung haben Flüchtlinge in Niedersachsen immer wieder pro-testiert und durch Boykotte oder Hungerstreiks versucht, auf ihre Situation aufmerksam zu machen und ein menschenwürdiges Leben zu erstreiten. Sie wollen mit ihrer Asylan-tragstellung nicht in Loch der vollständigen Tatenlosigkeit fallen, ihre Potentiale weiter-entwickeln und - zumindest auf Zeit – am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Fehlende Lebens- und Entwicklungsperspektiven, ein monotoner Tagesablauf und ein oftmals rigo-roses Arbeitsverbot verhindern ein selbstbestimmtes Leben in Würde. Die Flüchtlingsauf-nahme wird somit nach der Flucht zu einem zweiten existenziellen Bruch im Leben der Flüchtlinge.

Ungeachtet des Engagements der Mitarbeiter/innen der LAB Niedersachsen zur Gestal-tung eines „sozialen Raums” innerhalb der EinrichGestal-tungen erfüllt die Lagerunterbringung eine ausschließlich ordnungspolitische Funktion. Erklärtermaßen soll der Aufenthalt im Lager nach Auffassung des MI nicht attraktiv sein, vielmehr sollen die BewohnerInnen davon überzeugt werden, dass eine Rückkehr, Ausreise oder einfach nur das Verschwin-den die beste Lösung sei. In einer der Ordnungspolitik eigenen, aber Verschwin-dennoch paradoxen Logik des „Fordern und Fördern” profitieren nur diejenigen in den Lagern von Qualifizie-rungsangeboten und anderen Hilfen, die zugesagt haben, Deutschland freiwillig verlassen zu wollen. Das niedersächsische Innenministerium drückt das wie folgt aus: „[Die] Durch-setzung der Pflicht abgelehnter Asylbewerber, das Land zu verlassen, spricht für die Nut-zung landeseigener Einrichtungen”. Und weiter: „So können Personen durch die Mitar-beiter der Einrichtungen sehr viel wirkungsvoller als bei einer dezentralen Unterbringung zum freiwilligen Verlassen des Landes veranlasst werden”. Hingegen führe „das Leben in einer Gemeinde erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts”.

Flüchtlinge sollen also gezielt daran gehindert werden, soziale Kontakte aufzubauen, die als hilfsbereite Stütze dienen und Schutzsuchende in ihrer Mitte aufnehmen könnten.50 Freilich hat das Abschreckungskonzept mittlerweile auch in Niedersachsen erste Risse bekommen: Die Residenzpflicht wurde entsprechend dem Beispiel anderer Bundesländer gelockert. AsylbewerberInnen in Niedersachsen können sich seit dem 1. März 2012 im

50 Mehr Informationen zur Unterbringung von Flüchtlingen in Niedersachsen und Gesamtdeutsch-land finden sie im aktuellen Sonderheft 133 der Flüchtlingsräte mit dem Titel “AusgeLAGERt”, als PDF verfügbar unter http://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2011/03/webversion2.pdf

ganzen Bundesland frei bewegen. Bis dahin durften Asylsuchende, deren Anerkennungs-verfahren noch nicht abgeschlossen waren, den Bezirk ihrer Ausländerbehörde nicht oder nur mit Erlaubnis verlassen. Die vom Land durchgeführten Wegweiserkurse in Friedland mögen v.a. von dem Ziel bestimmt sein, im offenen Lager Friedland das Miteinander der verschiedenen Gruppen zu befördern, sie signalisieren damit aber gleichzeitig auch, dass Flüchtlinge sind in Deutschland nicht mehr nur als „Störenfriede“ wahrgenommen werden.

2.2 Integration

Eine dezidierte Integrationspolitik für Flüchtlinge gibt es in Niedersachsen nicht. Als Ziel-gruppe der Integrationsmaßnahmen des Landes definiert das 2008 erstellte Handlungs-programm Integration des Landes „sämtliche Zuwanderinnen und Zuwanderer, deren rechtlicher Status einen Verbleib in Deutschland erlaubt“51. Darunter subsumiert die Lan-desregierung zwar auch GFK-Flüchtlinge, Asylsuchende und Flüchtlinge mit einer Dul-dung gehören nach Auffassung des Landes aber nicht dazu. Für sie soll die Tür zur Ge-sellschaft verschlossen bleiben. Lediglich bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen macht das Land eine Ausnahme: „Die besondere Situation der unbegleiteten minderjähri-gen Flüchtlinge wird berücksichtigt.“ Für die anderen steht allenfalls „Rückkehrberatung“

auf dem Programm: „Die Landesregierung ist der Auffassung, dass es eine umfassende Integrationsberatung auch erfordert, ausreisepflichtigen Perspektiven aufzuzeigen, wie sie in ihren Herkunftsländern weiterleben können. Die Erfahrungen zeigen, dass oftmals eine Rückkehrbereitschaft besteht, deren Umsetzung an einer fehlenden Perspektive scheitert. Hier setzen die Überlegungen einer umfassenden, realitätsbezogenen Beratung noch in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes an, um Migrantinnen und Migranten oh-ne Aussicht auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht auf die bestehenden Rückkehr- und Wiedereingliederungsprogramme aufmerksam zu machen.“

Zu den Programmen des Bundes und der EU für eine Integration auch von Asylsuchen-den und Geduldeten äußert sich die Landesregierung nur am Rande: „Flüchtlingsprojekte auf Bundes- und EU-Ebene werden seitens des Landes unterstützt.“

Im Dokument Geschäftsbericht 2011 (Seite 58-61)