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1 Epidemiologie ausgewählter Infektionskrankheiten in Sachsen-Anhalt

1.5 Tuberkulose

Meldungen: 2015: 194 Erkrankungen 2014: 120 Erkrankungen

Inzidenzen: 2015: 8,32 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner 2014: 5,09 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner

Zeitlicher Verlauf

Während der Jahre 2001 bis 2009 ist die Tuberkulose (TB)-Inzidenz in Sachsen-Anhalt stetig gesunken und lag von 2008 bis 2014 unter 6 Erkrankungen pro 100.000 Ein-wohner. Im Vergleich zu 2014 mit 5,09 Fällen pro 100.000 Einwohner war 2015 ein Anstieg der kumulativen TB-Inzi-denz um 64 % auf 8,32 Fälle pro 100.000 Einwohner zu ver-zeichnen. Die Inzidenz des Jahres 2015 lag damit deutlich über dem Median der 5 Vorjahre (2010-2014: 5,01 Erkran-kungen pro 100.000 Einwohner). Auch die bundesweite Inzi-denz stieg im Jahr 2015 auf 7,27 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner an.

Abb. 82 Inzidenz der Tuberkulose seit 2006, Sachsen-Anhalt und Deutschland im Vergleich

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Inzidenz

Jahr Sachsen-Anhalt Deutschland

Steckbrief

Erreger: Bakterien: Mycobacterium-tuberculosis-Komplex:

v. a. Mycobacterium tuberculosis, M. bovis, M. africanum, M. microti, M. canetti, M. pinnipedii, M.caprae; weltweit verbreitet

Reservoir: M. tuberculosis und M. africanum: Mensch; M. bovis: Mensch, Rind, manche Wildtiere; M. canetti:

Menschen am Horn von Afrika; M. microti: kleine Nager; M. pinnipedii: Seehunde

Übertragungsweg: fast immer Tröpfcheninfektion, ausgehend v.a. von an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

die Infektion mit M. bovis durch nicht pasteurisierte Milch infizierter Rinder spielt in Mitteleuropa

keine Rolle mehr

Inkubationszeit: ca. 6 Wochen bis mehrere Jahrzehnte

Ansteckungsfähigkeit: am höchsten, wenn säurefeste Stäbchen mikroskopisch nachweisbar: Risiko steigt ab kumulativ 8 h Aufenthalt im geschlossenen Raum mit an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

lediglich kultureller oder molekularbiologischer Nachweis: Risiko steigt ab kumulativ 20 h Aufent- halt im geschlossenen Raum mit an offener Lungentuberkulose Erkrankten;

Kinder unter 10 Jahren sind häufig mikroskopisch negativ und gelten zudem aufgrund ihres schwächeren Hustenstoßes in aller Regel nicht als infektiös;

mit wirksamer antituberkulöser Kombinationstherapie sind Patienten meist innerhalb von 2 bis 3 Wochen nicht mehr infektiös

Symptome: LTBI (latent tuberkulöse Infektion ohne Symptomatik, kann in Erkrankung übergehen); in 80%

der Fälle als Lungentuberkulose auftretend, jeder länger als 3 Wochen andauernde Husten sollte abgeklärt werden;

bei Säuglingen und Kleinkindern Gefahr der primären Generalisation mit Miliartuberkulose und

tuberkulöser Meningitis

Diagnostik: Tuberkulin-Hauttest und Interferon-Gamma-Tests (IGRA) weisen nur eine tuberkulöse Infektion nach, keine Unterscheidung zwischen LTBI und Tuberkuloserkrankung möglich;

Nachweis der Tuberkulose: Erregerisolierung; mikroskopisch färberischer Nachweis säurefester Stäbchen, bestätigt durch Nukleinsäurenachweis nur in Material des gleichen Organsystems Therapie: Kombinationsschemata mit mehreren Antituberkulotika

Prävention: Isolierung und Atemschutzmasken bei Erkrankten bzw. med. Personal/ Besucher;

rasche Entdeckung erkrankter/ infizierter Personen; Chemoprophylaxe bei exponierten Kindern unter 5 Jahren, Chemoprävention/ regelmäßige med. Untersuchungen (Röntgendiagnostik) bei exponierten Personen mit LTBI

Tab. 16 Anzahl und Inzidenz der Tuberkuloseerkrankungen nach Staatsbürgerschaft, Sachsen-Anhalt, 2015

Abb. 84 Tuberkulose, Verteilung der Altersgruppen bei in Deutsch-land bzw. im AusDeutsch-land geborenen Patienten, Sachsen-Anhalt, 2015

Staatsbürgerschaft Personen Fälle Inzidenz Sachsen-Anhalt

(Deutsch-land) 2.158.628* 88 4,08

Sachsen-Anhalt (Ausland) 85.096* 106 124,47

davon: Afrika 6.808* 48 705,05

Die höchsten altersspezifischen Inzidenzen fanden sich 2015 bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Mit 138 (71 %) von 194 Fällen erkrankten deutlich mehr Männer an einer Tuberkulose als Frauen. Dieser Unter-schied war insbesondere bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausgeprägt.

Deutschland ist ein Tuberkulose-Niedriginzidenzland, im Gegensatz zu Tuberkulose-Hochinzidenzländern kommt die Erkrankung innerhalb der deutschen Bevölkerung selten vor.

Stratifiziert man Tuberkulose-Patienten, fällt dementspre-chend auf, dass die Inzidenz der Tuberkulose bei Personen, mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Jahr 2015 wesent-lich höher lag als bei Deutschen (siehe Tabelle 16).

Außerdem fällt eine sehr unterschiedliche Altersverteilung auf. Die in Deutschland geborenen TB-Fälle waren überwie-gend älter als 49 Jahre (61 von 88 bzw. 69 %), während die im Ausland geborenen TB-Fälle meist unter 50 Jahre waren (93 von 106 bzw. 88 %). Wegen der hohen Durchseuchung in ihren Herkunftsländern sind Menschen aus Tuberkulose-Hochprävalenzländern häufiger in jüngeren Jahren betroffen als Personen deutscher Herkunft.

Sowohl die im Ausland geborenen als auch die in Deutschland geborenen Betroffenen waren überwiegend männlich (79 % bzw. 61 %).

Von den insgesamt 194 im Jahr 2015 in Sachsen-An-halt gemeldeten Tuberkulose-Fällen wurden 88 (45 %) in Deutschland geboren und 106 (55 %) im Ausland. Letztere kamen 2015 vor allem aus Somalia, Syrien, Guinea-Bissau, Indien und dem Kosovo.

Unter insgesamt 60 Tuberkulosefällen, welche in Sach-sen-Anhalt im letzten Quartal 2015 gemeldet wurden, wa-ren 19 (32 %) Asylbewerber. Bei der Bewertung der Ergeb-nisse muss berücksichtigt werden, dass bei Asylbewerbern durch die gesetzlich vorgeschriebenen Tuberkulose-Scree-ninguntersuchungen (§ 36 IfSG) aktive Fallfindung betrie-ben wird. Dadurch werden höchstwahrscheinlich mehr Fälle identifiziert als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Eine Ursache für den Anstieg von TB-Fällen in Sachsen-Anhalt und Deutschland lag 2015 vermutlich in der Flücht-lingsbewegung. Anhand der Meldedaten kann bei Fällen bis September 2015 nicht differenziert werden, bei wem es sich um einen Asylbewerber oder um eine seit längerer Zeit in Deutschland lebende Person mit ausländischem Geburtsort handelt. Seit Oktober 2015 wurde der Status „asylsuchend“

zusätzlich in den Meldedaten erfasst. Viele Asylbewerber kommen aus Ländern, in denen TB häufiger vorkommt als in Deutschland (TB-Hochprävalenzländer) und sind bereits infiziert ohne erkrankt und ohne ansteckend zu sein. Die Be-dingungen auf der Flucht sind oft mit einer großen psycho-sozialen Belastung verbunden, die zum Ausbruch der TB-Erkrankung führen können. Deshalb tritt ein hoher Anteil der Tuberkuloseerkrankungen bei Migranten innerhalb der ers-ten 5 Jahre seit ihrer Ankunft auf.

Abb. 83 Tuberkulose, altersspezifische Inzidenzen, Sachsen-Anhalt, 2015

Inzidenz (nach Altersgruppen) Inzidenz Sachsen-Anhalt

1 1 4

Anzahl der im Ausland geborenen Tuberkulose-Fälle nach Herkunft, Sachsen-Anhalt, 2015

Regionale Verteilung

Aus der kreisfreien Stadt Halle (Saale) und dem LK Harz wurden 2015 die meisten Tuberkulosefälle gemeldet (jeweils n = 30). Die mit 14 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner höchste Inzidenz wurde in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau beobachtet, gefolgt vom LK Harz, Halle (Saale) und dem Altmarkkreis Salzwedel.

Abb. 85 Regionale Verteilung der übermittelten Tuberkulosefälle pro 100.000 Einwohner je Landkreis bzw. kreisfreie Stadt, Sach-sen-Anhalt, 2015

Epidemiologische Besonderheiten Extrapulmonale Manifestationen

Folgende extrapulmonale Manifestationen traten 2015 auf:

• 17 x Lymphknoten-Tuberkulose, davon 10 x extrathora-kal und 7 x intrathoraextrathora-kal,

• 13 x Tuberkulose der Pleura,

• 5 x urogenital,

• 4 x Peritoneum, Verdauungstrakt,

• je 1 x Hirnhaut, Wirbelsäule, sonstige Knochen/Gelenke, Zentralnervensystem,

• 1 x nicht näher bestimmbar (Nachweis im Ohrabstrich) Erreger

In 108 Fällen gelang der Nachweis von M. tuberculosis, in 5 Fällen von M. africanum sowie in 2 Fällen von M. bovis.

Bei 24 klinisch relevanten Stämmen wurde lediglich bis auf die Ebene des M. tuberculosis-Komplex differenziert. Bei 55 Patienten fehlten die Angaben bzw. waren nicht ermittelbar.

Sterbefälle

Von 194 TB-Fällen verstarben 16, davon 6 an der ge-meldeten Krankheit. Es handelt sich um 5 Männer und eine Frau im Alter von 48 bis 95 Jahren. Von den 5 männlichen Fällen verstarben 2 Fälle (1x Lunge, 1x Pleura) vor Beginn einer notwendigen Behandlung sowie 3 Fälle trotz einge-leiteter antituberkulostatischer Therapie an einer

Lungen-tuberkulose. Eine 57-jährige Frau verstarb trotz eingeleite-ter antituberkulostatischer Therapie an einer Tuberkulose der Hirnhaut und der Pleura. Bei allen 6 Sterbefällen wur-de M. tuberculosis bzw. M. tuberculosis complex nachgewie-sen. Bei 5 von 6 Fällen wurden die Tuberkulose-Stämme auf Erstrangantibiotika getestet, alle 5 waren sensitiv.

Die 6 Verstorbenen stammten aus dem SK Dessau-Roß-lau und dem LK Saalekreis (je 2x) sowie je 1x aus dem LK Anhalt-Bitterfeld und dem LK Börde.

Ausgewählte Kasuistiken/Häufungen

Im Dezember 2015 erfolgte die Meldung über eine be-handlungsbedürftige Tuberkulose bei einer Erzieherin aus dem Saalekreis. Die 33-Jährige wurde Ende November mit starkem Husten und in schlechtem Allgemeinzustand hos-pitalisiert. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt in einer Kinder-tagesstätte im Saalekreis gearbeitet und war bereits 2 bis 3 Wochen symptomatisch. Nach erfolgter Bronchoskopie wur-de aus wur-der Bronchiallavage mittels PCR Mycobacterium tu-berculosis-Komplex nachgewiesen. Kurz vor Weihnachten erfolgte erneut eine Probenahme, da sich nach anfänglicher Besserung der röntgenologische Befund wieder verschlech-tert hatte. In dieser Probe waren bereits im Direktpräparat säurefeste Stäbchen nachweisbar. Eine Resistenztestung am LAV aus einem Bakterienisolat der ersten Probe ergab jedoch keinen Hinweis auf Resistenzen.

Nach Ermittlungen des Gesundheitsamtes in Zusam-menarbeit mit der Leitung der Kindertagesstätte war keine Eingrenzung der 68 Kinder im Alter zwischen 1 bis 6 Jah-ren, welche die Einrichtung besuchten, möglich. Alle hat-ten engen Kontakt zu der Betroffenen. Anfang Dezember veranstaltete das Gesundheitsamt mit Unterstützung eines Kinderpulmologen und eines Kinderarztes eine Elterninfor-mationsveranstaltung, um über die Krankheit Tuberkulose, mögliche Infektionsrisiken und das zukünftige Vorgehen zu informieren. Die Veranstaltung wurde von den Eltern gut auf-genommen. Allen Kindern wurde eine sofortige 3-monatige Chemoprophylaxe über deren Kinderärzte empfohlen (auch den 5- und 6-Jährigen), um eine mögliche Infektion zu ver-hindern. Weiterhin wurden Tuberkulinhauttests (THT) mit Wiederholung nach 3 Monaten vom Gesundheitsamt durch-geführt. Sollten diese positiv ausfallen, wurde empfohlen die Prophylaxe als 9-monatige Chemoprävention fortzuführen, um eine Erkrankung zu verhindern. Eine Thorax-Röntgen-Untersuchung war in diesem Fall ebenfalls nach 3 Monaten geplant, um eine Erkrankung auszuschließen.

Im April 2016 wurde bei den Umgebungsuntersuchun-gen bei einem 3-jähriUmgebungsuntersuchun-gen JunUmgebungsuntersuchun-gen aus der Kindertagesstätte ein positiver THT-Test festgestellt. Das Kind erhielt darauf-hin eine 9-monatige Chemoprävention. Es hatte zuvor kei-ne 3-monatige Prophylaxe erhalten. Die Familie des Kindes wurde bei den Umgebungsuntersuchungen einbezogen und die Untersuchungen verliefen mit negativem Ergebnis. Bei insgesamt 61 Kindern aus der Kita führte der 2. THT-Test zu einem negativen Ergebnis. Bei 3 Kindern wurde die empfoh-lene 3-monatige Prophylaxe durchgeführt.