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4. Organisationsweisheit in der Regula Benedicti

4.1 Zur Verantwortung befreiende Strukturen

4.1.3 Transparenz und Partizipation als Strukturprinzipien

Eine zeitgemäße Organisation besticht sicher eher durch flache Hierar-chien (Lean Management) als durch ausgefeilte Führungsstrukturen.

Während sich aus der RB keine Anhaltspunkte für die Leitungstiefe (An-zahl der Hierarchiestufen) bzw. -spanne (An(An-zahl der einer Leitungsfunk-tion zugeordneten Stellen)5 ableiten lassen, sind hier die

Wesensmerkmale von Führung von Interesse. Die normative Vergewisserung von Führung und Leitung, die daraus abgeleitete Verantwortung und ihre Reflexion sind eine sinnvolle Orientierung für diesen maßgeblichen Bereich einer Organisation und können hinlänglich bekannte Fehlformen dieser Funktion (Machtmissbrauch, Mobbing) ver-meiden helfen.

4 Böckmann, 1986, S. 46

5 Siehe Gabler Wirtschafts Lexikon. Band 2: E–J. Wiesbaden (Gabler) 15., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2000. S. 1973

Die in der Regula nur durch die Verantwortung gegenüber Gott limitierte Führungskompetenz wäre heute nicht mehr vorstellbar; Aufsichtsgremien üben zu Recht eine Kontrollfunktion über die Leitungsämter einer

Organisation aus. Das Bewusstsein der eigenen Verantwortung der Organisation und ihrem Kontext gegenüber könnte jedoch eine sinnvolle intrinsische Ergänzung zur extrinsischen Aufsicht sein.

Die Aufbauorganisation wurde in der Analyse als Linien-Organisation identifiziert. Nun geht es nicht um die Übertragbarkeit dieses Struktur-modells auf Organisationen heute; es gibt mit Sicherheit andere Modelle, die der Komplexität einer Organisation heute in besserer Weise gerecht werden. Vielmehr können Prinzipien und Charakteristika des Organi-gramms Ausgangspunkt weiterer Überlegungen sein. Dazu zählen die klaren Strukturen der Aufbau-Organisation, die transparente Rahmenbe-dingungen für alles Handeln in der Organisation schaffen. Verfahrens- und Entscheidungswege sind für alle nachvollziehbar über die Statuten der Organisation geregelt. Geklärte Rahmenbedingungen tragen zur Ver-haltenssicherheit und damit zur Stabilität des sozialen Systems bei.

Als weiteres wichtiges Element sind in diesem Zusammenhang die kom-plementären Beratungsfunktionen zu nennen. In der RB grenzen sie die weitreichende Autorität der Leitungspersonen lediglich beratend ein; sie haben weder Beschluss- noch Veto-Recht. Übertragbar ist also nicht das Ausmaß an Mitbestimmung6 als vielmehr deren Institutionalisierung. Das Mitspracherecht in wichtigen Angelegenheiten muss sichergestellt sein.

Eine Leitfrage dabei ist, wie einerseits für die Erfahrung (Seniorat), an-dererseits für die halb-externe Sicht derer, die neu im System sind, Aus-druck und Einfluss institutionalisiert werden können. Beide Perspektiven sind im Rahmen der Mitbestimmung die Pole, die die durchschnittliche Binnensicht sinnvoll erweitern.7

Hervorzuheben ist dabei, dass die transparenten und klaren Strukturen mit ihren institutionalisierten Elementen der Beratung und Mitbestim-mung die Mitverantwortung aller zulassen und geradezu einfordern. Die

6 Zum Ausmaß der Mitbestimmung ist anzumerken, dass diese auch Gefahren und Nachteile birgt, die gerade im Diskurs um organisationales Lernen wenig berücksichtigt werden. So kann Mitbestimmung mit großem Zeitverlust einhergehen. In sozialpsychologischen Forschungen wurde außerdem beob-achtet, dass Gruppen eine höhere Risiko-Bereitschaft als Individuen aufweisen (Risikoschub oder Risky-Shift-Phänomen); siehe Staehle, 1999, S. 291–294

7 Diese beiden Perspektiven in die Organisation zu holen, setzt – im Übrigen und nebenbei bemerkt – Heerscharen von Berater/innen in Lohn und Brot.

Mitwirkung im Sinne einer konstitutiven Beratungsfunktion im Rahmen von Entscheidungsprozessen wird damit nicht nur zum Recht, sondern gleichsam zur Pflicht aller Beteiligten.

Die Ergänzung dieser Beratungsfunktionen zu den Leitungsaufgaben nimmt alle Mitglieder in die Gesamtverantwortung mit hinein. Die be-wusste und ausgewogene Vorbereitung einer Entscheidungsfindung in eigens dafür vorgesehenen Foren macht die Gesamtzusammenhänge deutlich, in denen die Tätigkeiten der Einzelnen, aber auch die gesamte Organisation stehen. Die Einbindung in Entscheidungsabläufe bedeutet gleichzeitig eine Integration aller in die ethische Gesamtverantwortung, wie sie für die Leitungsfunktionen beschrieben wurde.

Für eine Adaption auf aktuelle Zusammenhänge der Arbeitsgestaltung von Organisationen ist die normative Verankerung der Aufgaben von Be-deutung. Wenn praktische Arbeitsvollzüge durch geistige und reflexiv-normative Elemente komplementär ergänzt werden, scheint es nahelie-gend und selbstverständlich, dass die Arbeit gleichsam angereichert wird. Sie erhält dadurch Implikationen, die ihr selbst nicht innewohnen.

Als Bereich der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis gewinnt sie so eine pädagogische Bedeutung, von der später noch zu sprechen sein wird.

Weiterführend in diesem Zusammenhang ist der Hinweis darauf, dass die Inhaltsdimension auf einem normativ-ethischen Fundament aufsetzen muss, damit ihr ein Sinn eingelegt werden kann, der über die Tätigkeit als solche hinausgeht. Die aktuelle Tendenz, dass sich Unternehmen und Organisationen auf ein Leitbild besinnen, scheint diesen Befund zu un-terstreichen. Man versucht dabei, Dienstleistungs- und Produktionspro-zesse auf einen Grundkonsens von Normen und Werten zurückzuführen.8 Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass reflexive Anteile und nor-mative Verortung fest in die Abläufe integriert sind. Lesung und Gebet

8 Dass die Leitbild-Entwicklung sicher meist gänzlich oder zu hohen Anteilen mit wirtschaftlichen Inte-ressen und Zielsetzungen geschieht, steht hier auf einem anderen Blatt. Fraglich erscheint in diesem Zusammenhang auch, ob eine Maxime wie „Bedingungslose Kundenorientierung“ zu einer normativen Verortung eines Unternehmens beitragen kann. An dieser Stelle kann dazu leider nicht mehr geäußert werden als kritische Anfragen bzw. Anmerkungen.

Auch kirchliche Institutionen und Ordenswerke nutzen Leitbild-Prozesse, um sich ihrer normativen Grundlagen bewusst zu werden und sie für die aktuellen Herausforderungen zu aktualisieren. Dies er-scheint insbesondere da erforderlich, wo die Arbeitsfelder in hohem Maß in Umwelt-Kontexte einge-bunden sind (z. B. Krankenhäuser, die rechtlichen Bestimmungen unterliegen). Siehe dazu: Fischer, Michael: Identität im Wandel. Mit Leitbildern Werte in Werke einstiften. In: Heller, Andreas/Thomas Krobath (Hrsg.): OrganisationsEthik. Organisationsentwicklung in Kirchen, Caritas und Diakonie. Frei-burg i. Br. (Lambertus) 2003 (Palliative Care und OrganisationsEthik; Band 7), S. 278–293

sind im vorliegenden Forschungsgegenstand natürlich Teil der Aufgaben-erfüllung (sachliche Dimension) der Organisation und in dieser Funktion im Hinblick auf das übergeordnete Ziel sogar wichtiger als die praktische Arbeit. Gleichwohl ist hier der Grundgedanke bestechend: der Institutio-nalisierung beider Elemente, Reflexion und ethische Selbstvergewisse-rung, eine positive Auswirkung auf die Aufgabenerfüllung – wie auch im-mer diese im Einzelfall bestimmt ist – zuzuschreiben. Wenn die Bezug-nahme auf ein Ziel und die Kontextualisierung von Ziel und Tätigkeiten integrale Bestandteile der Organisationsvollzüge sind, kommt die Ethik nicht von außen als limitierender Faktor hinzu,9 sondern bestimmt von innen her das organisationale Handeln.

Die ethischen Grundsätze einer Organisation bilden die Basis oder das Fundament, aus dem heraus sich alles andere konsequent entwickelt.

Diese normative Leitorientierung ist sicher nicht immer sichtbar oder explizit vorhanden, muss aber zumindest im operativen Handeln – implizit sozusagen – zum Ausdruck kommen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass trotz der Integration dieser Elemente in die alltäglichen Abläufe klare Zäsuren zwischen Arbeit, Re-flexion und normativer Selbstvergewisserung liegen. Erst in der Freiheit vom Handlungsdruck und Entscheidungszwang ist es möglich, Grundsätz-licheres zu überdenken, sich zu besinnen, um damit erneut Handlungsfä-higkeit zu erlangen.

Komplementär zur normativen Binnenverankerung eines Systems gesellt sich dazu in unserem Fall die externe Verortung in maßgeblichen Be-zugssystemen. Im Beispiel des Benediktiner-Ordens ist das naheliegend-erweise das System Kirche. Über die Bezugnahme auf einen übergeord-neten normativen Kontext bekommt die Aufgabenerfüllung eine Sinnstif-tung, die über die Grenzen der Organisation hinausreichen. Im Bewusst-sein größerer und umfassender Zusammenhänge kann die eigene Be-grenztheit des organisationalen Handelns aufgehoben werden. Die Bin-nenlogik des Systems im Hinblick auf Inhalte und Aufgaben kann damit sinnvoll erweitert und in einen größeren Horizont gestellt werden.10

9 Gemeint ist hier eine Art Schadensbegrenzung und die Einhaltung minimaler ethischer Standards.

10 In den lokalen Agenda-Prozessen bringt diesen Sachverhalt das Schlagwort „global denken – lokal handeln“ zum Ausdruck. Was aus und in übergeordneten Zusammenhängen als sinnvoll und notwen-dig erkannt wird, wird an Ort und Stelle konkret und zeitnah operationalisiert.

Des Weiteren geben die Natur und der Jahresablauf grundlegende Bedin-gungen für die Aufgabenerfüllung vor. Für formal-abstrakte Organisatio-nen haben die Interdependenzen mit der natürlichen Umwelt eiOrganisatio-nen nach-geordneten Stellenwert, obwohl sie nach wie vor gegeben sind. Gleich-wohl könnte die Berücksichtigung natürlicher Rhythmen ein sinnvolles Kontextwissen für eine Organisation darstellen und ökologische Effekte11 zeitigen.

Die Implikationen der RB, die Aussagen über die Gestaltung der inhaltli-chen Dimension der Organisation mainhaltli-chen, lassen sich im Sinne einer A-daption insbesondere als Appell für klare und transparente Strukturen lesen, die für alle nachvollziehbar die Rahmenbedingungen organisationa-len Handelns abbilden. Dieses Handeln ist wiederum normativ verankert in einem umfassenden Ziel, das mit relevanten Bezugssystemen der Um-welt korrespondiert. Das Führungssystem ist konstitutiver Bestandteil der Struktur der Organisation mit weitreichenden Befugnissen und hoher ethischer Verantwortung. Es wird ergänzt durch das Recht und die Pflicht aller Mitglieder zur Mitbestimmung, die fest institutionalisiert ist. Die Strukturen des Systems bilden die Grundlage für die Festlegung der Auf-gabenbereiche, die selbstverantwortlich von den Mitgliedern ausgefüllt werden. Die komplementären reflexiven und normativ-ethischen

Elemente stärken diese Eigenverantwortung.

Bei aller Regelungsdichte lässt sich aus den Interpretamenten ableiten, dass die Anpassungsspielräume für situative oder personelle

Erfordernisse ebenso konstitutiv sind wie die Festlegungen und

Regelungen selbst. In ausgewogener gegenseitiger Ergänzung machen sie die Organisation einerseits in ihrer Struktur stabil und für die Menschen verlässlich, halten sie andererseits aber auch anpassungsfähig, flexibel und menschlich.

Diese Konzeptualisierung der Sachdimension einer Organisation schafft die Rahmenbedingungen für eine verantwortliche Mitgliedschaft, die dar-auf beruht, dass jede/r Einzelne zur selbstständigen Erfüllung des Ver-antwortungsbereiches aufgefordert ist. Diese Befreiung zur Verantwor-tung beruht auf klaren Strukturen und geklärten ErwarVerantwor-tungen. Sie lebt

11 Mit ökologischen Effekten sind hier nicht nur Aspekte des Umweltschutzes gemeint, sondern in einem erweiterten und umfassenderen Sinn die Folgen, die sich aus den wechselseitigen Beziehungen zwi-schen Menzwi-schen und ihrer belebten Umwelt ergeben.

von ihrer Zuordnung auf ein systeminternes Ziel hin, das mit externen Bezugssystemen und deren Normen korrespondiert.