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4. Organisationsweisheit in der Regula Benedicti

4.4 Übung unter idealen Trainingsbedingungen

4.4.3 Anpassungslernen und Alltagskultur

Abzuleiten und übertragbar ist aus den Ausführungen zum impliziten Ler-nen im Rahmen der Arbeitsaktivitäten einerseits die Bedeutung dieses mitgängigen Lernens. Andererseits lassen sie sich als Appell für eine Alltagskultur auffassen, die mit den Basisprämissen einer Organisation übereinstimmt. Ausgangspunkt dafür sind die Arbeitsaktivitäten als Scharnier zwischen individuellem und organisationalem Lernen, worauf sich deshalb die nachfolgenden Überlegungen beziehen.

Für den/die Einzelne/n sollten die Arbeitsaktivitäten kompatibel sein mit individuellen Entwicklungspotenzialen und -wünschen. Aus

organisationaler Sicht ist eine Voraussetzungen für Lernen dann

gegeben, wenn die Arbeitsaktivitäten als verbindendes Element erfahrbar und in ihrem Gesamtzusammenhang transparent werden. Aus dieser Transparenz resultiert beim Individuum eine Verantwortungsbereitschaft, die wiederum in eine Identifikation für das Ganze mündet und als

Solidarität im Arbeitsalltag erfahrbar wird.

21 Etwas vereinfachend gesprochen geht es dabei um die Bewertung der Intention einer Handlung.

Dabei wird hier nicht dichotom – im Sinne von Max Weber – zur Verantwortungsethik abgegrenzt, weil die Orientierung an der Intention natürlich nicht unter Absehung der Folgen und nicht mit Legiti-mierung jeglicher Mittel erfolgen kann. Siehe hierzu: Austeda, Franz: Lexikon der Philosophie. Wien (Hollinek) 1989, S. 129. Vgl. auch: Ganslandt, Herbert R./Weyma Lübbe: Verantwortungsethik. In:

Blasche, Siegfried/Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie.

Band 4: Sp–Z. Stuttgart/Weimar (Metzler) 1996, S. 501f; Regenbogen, 1998, S. 260; Reiner, H.: Ge-sinnungsethik. In: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 800 Fachgelehrten. Völlig neubearbeitete Ausgabe des „Wörterbuchs der philosophi-schen Begriffe“ von Rudolf Eisler. Band 3 (G–H). Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1974, S. 539f

Es bedarf der Fantasie, diese Zusammenhänge in komplexen Organisatio-nen durchschaubar zu machen. Hilfreich ist es an dieser Stelle, sich auf die Essentials zu beziehen und weniger die Details in ihrer Differenziert-heit zu vermitteln. Wichtig ist hier die Veranschaulichung des

Primärzweckes, der Sekundärfunktionen und der ihnen zugrunde

liegenden Normen und Werten. Auf dieser Kenntnis kann die Zuordnung zum je eigenen Funktionsbereich und Aufgabenprofil vorgenommen werden. Bei komplexen Strukturen ist ein Mindestmaß an Transparenz dadurch zu gewährleisten, dass Teilzusammenhänge und -abläufe in ihrer Beziehung zum Gesamtzusammenhang deutlich werden. In jedem Fall sollten die Struktur, Aufgaben- und Funktionsbereiche, Zuständigkeiten und Befugnisse so weit bekannt sein, dass sich jede/r in diesem Gefüge mit den je eigenen Kompetenzen verorten kann.

Eine ideale Voraussetzung für den Übergang von individuellem zu organisationalem Lernen ist dann gegeben, wenn sich einzelne, vom Subjekt ausgeführte Arbeitsaktivitäten mit einer Gruppenaktivität

wechselseitig verschränken. Diese Interdependenz entsteht dann, wenn das eine jeweils Voraussetzung für das andere ist: Auf einer Arbeits-aktivität des/der Einzelnen baut eine organisationale auf und umgekehrt.

Interessant ist, dass das mitgängige Lernen im Rahmen der Alltags- und Arbeitsaktivitäten im Diskurs um Lernende Organisation eine eher nach-geordnete Rolle spielt. Dabei bietet dieses Lernen eine Reihe von Vortei-len: Es ist Zeit sparendes Lernen, das auf die Gegenwart bezogen ist und somit die direkten Wirkungen des eigenen Handelns erfahrbar macht.

Durch direktes und zeitnahes Feedback hat es hohe qualitätssichernde Effekte. Dieses Lernen ist eng gebunden an die äußeren und sozialisie-renden Rahmenbedingungen, die nachfolgend unter dem Stichwort „Kul-tur“ verhandelt werden.

Die äußere Form bietet den Kontext des mitgängigen Lernens und bildet damit gleichsam die alltägliche (Lern-)Kultur. Eine Organisationskultur, die sich aus den Normen und Zielen speist, diese konsequent umsetzt und auf Einzelsachverhalte operationalisiert, wirkt formend und gestaltend – und damit bildend – auf die psychischen Systeme ein, die wiederum aktiv an dieser Kultur mitwirken und sie weiter entwickeln. Diese Interdepen-denz hat Bildungs- und Entwicklungsimplikationen sowohl für das Indivi-duum als auch für die Organisation. Auch hier bleibt die conditio sine qua non, dass die persönlichen Werte und organisationalen Ziele zumindest

weitgehend widerspruchsfrei, im besseren – aber selteneren – Fall kom-patibel sind.

Gerade das, was außer- bzw. vorsprachlich in der Umsetzung und im Tun erlebbar wird, hat eine hohe Bedeutung für Lernprozesse. Die Sozialisa-tionsfunktion, die vom Alltag in einer Organisation ausgeht, wirkt stärker als ihre expliziten Lernbemühungen;22 sie beeinträchtigt sie erheblich, wenn Widersprüche zwischen Handlungs- und Gebrauchstheorie der Or-ganisation vorliegen. In diesem Fall wird sich den Mitgliedern der Orga-nisation als glaubhafter einprägen, was alltäglich erfahrbar wird, als alle verbalen Selbstdarstellungen und Postulate.

Die Bedeutung der gelebten Alltagskultur für organisationales Lernen ist folglich als äußerst bedeutsam einzustufen. Hier spielt insbesondere die Kongruenz von Postulaten und Realität eine große Rolle. Wenn das, was in „ausgelagerten“ Lernprozessen instruiert wird, sich nicht in der Praxis umsetzen lässt, weil es unverträglich mit den gelebten Normen und Wer-ten ist, wird der Transfer des neu erworbenen Wissens und Know-hows erheblich erschwert. Neben dieser Transfer-Problematik haben die Lernprozesse, die im Rahmen dieser beruflichen Sozialisation stattfinden, eine ganz eigenständige Bedeutung und Funktion. Sie können deshalb auch gezielt genutzt werden, indem alltäglich erfahrbar – und damit lern-bar – wird, was Sinn, Ziel und Zweck der Organisation ist – im Großen wie im Kleinen.

Das mitgängige Üben im Rahmen einer Kultur verweist auf einen Sach-verhalt, der aus heutiger Sicht zunächst unpopulär erscheinen mag: Hier steht die „Rezeptivität vor der Aktivität“23. Eine vorgegebene Kultur wird zunächst im Modus der Rezeption erschlossen, bevor sie im Sinne einer aktiven Mitgestaltung für jede/n Einzelne/n zur Aufgegebenheit wird. Was vor dem Hintergrund hoher Selbstbestimmung für den (post-)modernen Menschen befremdlich erscheint, ist für den hier vorliegenden

For-schungszusammenhang gleichwohl von Interesse: Der Aufforderungscha-rakter, der mit einer Gegebenheit einhergeht, ermöglicht erst eine eigen- und selbstständige Auseinandersetzung, Antwort und Reaktion.

22 Siehe Geißler, Harald: Organisationskultur. In: Arnold, Rolf/Sigrid Nolda/Ekkehard Nuissl (Hrsg.):

Wörterbuch Erwachsenenpädagogik. Bad Heilbrunn/Obb. (Klinkhardt) 2001, S. 248f

23 Böckmann, 1986, S. 21; siehe auch Jaspert, 1989, S. 220.

Böckmann leitet dieses Prinzip aus dem Cantus firmus der Regula ab: „Obsculta (...)!“ (RB, Prolog,1)

Aus den Befunden und Interpretamenten zum Sanktionssystem der RB lassen sich keine Empfehlungen ableiten, Strafordnungen als

lernförderliche Komponente in Organisationsstatuten aufzunehmen.

Allerdings impliziert natürlich jede positive Werte-Skala auch eine Negativliste von Einstellungen, Haltungen, Verfahren und Handlungen, die aus organisationaler Sicht zu vermeiden sind. Diese explizit zu formulieren unter Einbeziehung der damit verbundenen Konsequenzen kann für organisationales Lernen von doppelter Bedeutung sein. Aus Sicht des Subjekts werden dadurch die gültigen Spielregeln auch ex negativo veranschaulicht und im persönlichen Abgleich damit können die individuellen Entwicklungspotenziale erkannt werden. Die Organisation schützt ihre Ziele und Verfahren und legt Interventionsstufen für

Abweichungen verschiedenen Ausmaßes fest.

Da der Umgang mit Abweichungen und Fehlern im Sinne eines Anpas-sungslernens Aufgabe jeder Organisation ist, lassen sich allgemein-adaptive Merkmale dafür festhalten. Abzuleiten ist aus den Ausführungen der Appell, sich an der Gesinnung bei fehlerhaften Handlungen zu orien-tieren, um diese richtig einschätzen zu können. Auch bei der Ahndung dieser Abweichungen ist es zweckmäßig, sich – im Sinne von Einsicht und damit schon auf die nächste Lernstufe verweisend – auf die zugrunde liegende Haltung zu beziehen.

Verallgemeinerbar ist außerdem das Prinzip, transparent und klar zu kommunizieren, welche Abweichungen welche Konsequenzen zur Folge haben. Sanktionen sollten so gestaltet sein, dass sie auf eine Aufklärung, d. h. auf Einsicht abzielen. Insgesamt steht auch hier das Prinzip

Menschlichkeit der unnachgiebigen Konsequenz vor.