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4. Organisationsweisheit in der Regula Benedicti

4.3 Management by Ethics – Werte-Management

4.3.3 Position beziehen – Veränderungen wagen

Eine moderne Organisation ist sicher in keinem Fall so autonom und klar abgegrenzt, wie die RB den Benediktinerorden konzipiert; die vielfältigen Verflechtungen, Interdependenzen und Abhängigkeiten sind geradezu Wesensmerkmal einer Organisation heute. Gleichwohl lassen sich aus der

Textanalyse Interpretationsansätze für eine Aktualisierung und Adaption ableiten.

Auf der Grundlage eigener Werte, die für alle transparent, von allen ge-teilt und vor allem als alltägliche Kultur (siehe auch Kapitel 4.4) gelebt und erlebt werden, kann eine Organisation zumindest ein bestimmtes Maß an Unabhängigkeit im Sinne einer Werte-Autonomie erreichen. Verflech-tungen, die sich aus Interdependenzen mit Wirtschaft, Recht und Politik ergeben, implizieren auch normative Abhängigkeiten. Im Dienste ihrer political correctness muss eine Organisation einen hohen Aufwand be-treiben, um sich über diese Zusammenhänge einen Überblick zu

verschaffen und zu bewahren. Insbesondere für ein

Wirt-schaftsunternehmen, dessen primäres Ziel eine wie auch immer geartete Wertschöpfung ist und das wiederum mit anderen Unternehmen

kooperiert und konkurriert, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren, sind an dieser Stelle Zielkonflikte zwischen Normen und Werten und den wirtschaftlichen Interessen anzunehmen. Klare ethische Prämissen bilden jedoch gleichwohl eine wertvolle Orientierungsleitlinie und somit einen Handlungsrahmen für die Mitglieder einer Organisation. Sie konstituieren zum einen die Identität der Organisation und grenzen sie damit durch ihr genuines Profil von ihrer Umwelt und von anderen Organisationen ab.

Zum anderen erhalten die übrigen Ziele der Organisation zumindest ein ethisches Korrektiv bzw. Regulativ.

In einer derartigen Verankerung und aus dieser Bestimmung und Identität heraus ist für eine Organisation eine Interaktion mit der Umwelt als rela-tiv autonomes System denkbar. Auf der Basis einer Binnenethik kann die Organisation gezielt und sehr bewusst ihre Schnittstellen mit der Umwelt gestalten und steuern; ihrer eigenen Grenzen – im Sinne von Identität – eingedenk, öffnet sie sich an definierten Punkten für eine selbstbestimm-te Inselbstbestimm-teraktion mit der Umwelt.

Allerdings birgt diese Form der Abgrenzung über Werte auch eine große Gefahr, was die Übertragbarkeit dieses Prinzips einschränkt. Die Binnen-orientierung an einem eigenen Wertesystem kann eben auch zu einer Ab-grenzung führen, die die Überwindung der Systemgrenze von außen un-überwindlich erscheinen lässt. Es muss also gewährleistet sein, dass trotz eines starken Profils ein wechselseitiger Austausch zwischen

Sys-tem und Umwelt möglich ist, der sich nicht nur einseitig von der Organi-sation her definiert.17

Die Übertragungspotenziale liegen vielmehr darin, die Schnittstellen sorgfältig und achtsam zu gestalten und die Verfahrensweisen und Zu-ständigkeiten dafür zu regeln. Außen-Kontakte ggf. zur Chefsache zu machen, verleiht der System-Umwelt-Steuerung eine ganz eigene Digni-tät. Sie begründet sich einerseits aus dem Bewusstsein einer eigenen I-dentität. Sie ist andererseits Ausdruck einer generellen Wertschätzung organisationsexterner sozialer Systeme, ihrer Objektivationen und Kultu-ren. Im Bewusstsein der eigenen Besonderheit ist eine Begegnung und ein Austausch mit dem Anderen und dem Fremden möglich.

Neben dieser relativen Autonomie auf Basis einer ethischen Identität und den definierten Interaktionsprozessen mit der Umwelt dient die externe Verortung in einen übergeordneten Rahmen dazu, die oben beschriebene Gefahr der Abschottung nach außen zu minimieren. Die Zuordnung zu ei-nem relevanten, übergreifenden Bezugssystem mit kompatiblem Werte-kanon hat außerdem stabilisierende und regulative Effekte. Für die Orga-nisation entsteht damit das Bewusstsein, in einen größeren Kontext sinn-voll eingebunden zu sein. Diese externe Orientierung kann auch für die Interaktionen zwischen System und Umwelt insofern hilfreich sein, als sie sich identitätsstützend und -stärkend auf die Organisation auswirkt.

Was nun in organisationaler Hinsicht als besondere Chance hervorgeho-ben wurde, lässt sich mit Blick auf das Individuum kritisch wenden. Die Regelungsdichte gestaltet sich so, dass ein Grund-Kanon an Bestimmun-gen vorliegt, der die Anpassung auf situative Gegebenheiten erlaubt. An-ders betrachtet könnte man auch sagen, dass diese relativ geringe Rege-lungsdichte die Ergänzung der Bestimmungen um Motive und Haltungen erforderlich macht. Daraus resultieren eine hohe Identifikation mit der Organisation und ihren Zielen und ein hohes Ausmaß an Selbstverant-wortung und -kontrolle. Diese Betonung der Eigenverantwortlichkeit kann zur Überforderung des Subjekts werden. Aus individueller Sicht kann diese starke Einbindung über intrinsische Motive als Vereinnah-mung erlebt werden, vor allem dann, wenn individuelle Einstellungen und

17 Veranschaulichen lässt sich dieser Sachverhalt am Beispiel von Sekten, die durch eine ideologische Abgrenzung gegenüber ihrer Umwelt sich nur sehr bedingt und zu ihren Zwecken öffnen.

organisationale Werte differieren. Aus diesem Grund kommt der Ein-trittspassage in der Regula Benedicti eine so hohe Bedeutung zu.

Für die Rekrutierung von Personal kann es sich keine Organisation leis-ten, so differenziert vorzugehen, wie es die RB für die Probezeit, Initiati-onsphase bis hin zum weitreichenden Eintritt in Form der Profess be-schreibt. Übertragbar ist jedoch der Gedanke, die Mitgliedschaft in einer Organisation an eine gegenseitige Prüfung zu binden, die auch die Basis-prämissen sowohl des sozialen wie auch des psychischen Systems be-rücksichtigt. Der vielfach konstatierte Wertepluralismus bis hin zu Wer-teverfall macht es für eine moderne Organisation schwer, hier eine voll-kommene Kongruenz zu erzielen. Ein sinnvoller Kompromiss kann sein, die Grundwerte zumindest auf ihre Widerspruchsfreiheit und damit Kom-patibilität zu befragen. Dafür kann beispielsweise die Probezeit beim Ein-tritt in ein Beschäftigungsverhältnis genutzt werden. Eine Übereinstim-mung in diesem Sinne ist vor dem o. g. Hintergrund – vereinfachend als Beck´sches Risikotheorem (Individualisierung, Pluralisierung)18 benannt – schon viel! Auch hier sei nochmals an den aktuellen Trend erinnert, dass Organisationen ein Leitbild im Sinne gemeinsam geteilter Werte entwi-ckeln und verbindlich formulieren.

Die Aufnahme und Eingliederung in eine Organisation kann durchaus als Statuspassage betrachtet und entsprechend gestaltet werden. Sie hat die Funktion, den Übergang gezielt und geplant als schrittweisen Lernpro-zess zu konzeptualisieren. Definierte Zäsuren können für eine gegenseiti-ge Rückmeldung gegenseiti-genutzt werden, so dass auch die Organisation von die-ser noch halb-externen Sicht profitiert. Diese Art Standardisierung von Aufnahme und Eingliederung hätte insofern ein egalitäres Moment, als sie zu Chancengleichheit hinsichtlich der Ausgangsbedingungen innerhalb der Organisation beiträgt.

Eine moderne Organisation kann in den wenigsten Fällen auf eine dauer-hafte Bindung ihrer Mitglieder setzen. Dennoch steht sie vor der Heraus-forderung, aus einer inneren Stabilität heraus Flexibilität zu erreichen.

Wenn auch eine Stabilität im Sinne von stabilitas loci/in congregatione nicht zu verwirklichen ist, kann sie im übertragenen Sinne als innerer Standpunkt erreicht werden. Wenn die Basisprämissen einerseits geklärt,

18 Siehe Beck, Ulrich: Risikogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/Main (Suhr-kamp) 152000 (edition suhrkamp; 1365)

andererseits beständig sind, ist eine flexible Öffnung gegenüber der Um-welt ohne Identitätsverlust möglich.

Das gesamte Anforderungsprofil, das sich aus der Analyse rund um das Thema Führung ergibt, lässt sich auf aktuelle Herausforderungen des Management übertragen. Die Integrität einer Führungskraft als Mensch, ihre Glaubwürdigkeit in der Übereinstimmung von Postulaten und Taten, ist nach wie vor in seiner Binnen- und Außenwirkung kaum zu

überschätzen. Auch kann wer in führender Position ist, sich der eigenen Verantwortung, die damit verbunden ist, nie genug eingedenk sein. Das Bewusstsein dafür, dass diese Verantwortung über die Grenzen der Organisation hinausreichen kann, ist mehr als das Schlagwort

„Globalisierung“. Eine derart personalisierte und zugleich weitreichende Verantwortung lässt Zusammenhänge und ethische Implikationen

deutlicher erkennen und berücksichtigen. Entlastend kann dabei sein, sich der eigenen Grenzen bewusst zu sein und aus der Kraft des Neuanfangs und der Veränderungsbereitschaft zu leben. Das rechte Gespür zur Unterscheidung ist sicher eine Gabe, die mehr auf Intuition und Lebenserfahrung beruht als auf Fachwissen und Ausbildung. Das Erkennen und Bewerten einer Situation und ihrer

Handlungsherausforderungen wird erweitert und ergänzt durch Entscheidungskraft und die Bereitschaft, eine Entscheidung

durchzusetzen und durchzutragen. Konsequente Zielverfolgung und Nachhaltigkeit des Handelns sind die oft aufreibenden Alltagsherausfor-derungen einer Führungskraft!

Gleichwohl darf das Fachwissen und die Sachkompetenz nicht gering ge-schätzt werden. Natürlich sind sie Voraussetzung für eine moderne Füh-rungsfunktion. Weiterführend ist hier die Erweiterung um den Aspekt der Vermittlungskompetenz: Wer sein Wissen adäquat verbalisieren und tat-kräftig umsetzen kann, stellt es multiplikatorisch der Organisation zur Verfügung.

Die Ausführungen über Gefahren und Missbrauchspotenziale, die mit Machtstellungen verbunden sind, besitzen ungebrochene Aktualität. Es bedarf einer hohen Reflexivität, um diesen Gefahren – und sei es auch nur in ihrer subtilsten Ausprägung – zu widerstehen. Hilfreich ist hier die bereits in anderen Zusammenhängen hervorgehobene ethische Orientie-rung und Verortung der Leitungsfunktion.

Die Stärke einer Leitungsfunktion und deren weitreichende Befugnisse in der RB sind auf den Normalfall von Organisation nicht zu übertragen. Sie

erklären sich daraus, dass Benedikt seine relativ geringe Regelungsdich-te einerseits durch Motive und Haltungen (s. o.), andererseits durch star-ke Führungspositionen ergänzt.

Für die Besetzung von Leitungspositionen lassen sich aus den Ergebnis-sen der Textanalyse zusätzliche Impulse und Anhaltspunkte für das Qualifikationsprofil der Führungskraft ableiten. Zur Fachkompetenz tritt auch hier die Bewährung in Theorie und Praxis. Die Glaubwürdigkeit der Person und die Übereinstimmung von Handlungsmaximen und

Alltagshandeln sind sinnvolle Parameter für die Personalentwicklung im Führungskräftebereich.

Hinsichtlich der Zuordnung und Gewichtung verschiedener Leitungsfunk-tionen ist der Gedanke verallgemeinerbar und weiterführend, dass

Hauptfunktion und zugeordnete Funktionen als Zielhierarchie betrachtet werden. Verwaltungshandeln und Betriebswirtschaft könnten somit in ih-rer Dienstfunktion für übergeordnete Zwecke und Werte verstanden und vor einer Hypertrophierung als Selbstzweck geschützt werden.