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4. Organisationsweisheit in der Regula Benedicti

4.3 Management by Ethics – Werte-Management

4.3.2 Führung als Systemsteuerung

Während Teilaspekte von Führung bereits unter den beiden anderen Di-mensionen der Organisationsgestaltung behandelt wurden, geht es nun an dieser Stelle um Führung im Sinne von Systemsteuerung im Kontext ei-nes funktionalen Verständnisses von Organisation. Diese Dimension von Führung ist nicht trennscharf von den anderen Dimensionen (Personal-führung, Leitungsstrukturen) und deren Aspekten zu unterscheiden.

Überlappungen und Wechselwirkungen führen hier zu Betonungen oder gar Redundanzen, die durchaus intendiert sind.

Als die drei Hauptfunktionen von Führung wurden der Vorbildcharakter der Person, Verantwortungsbereitschaft und -bewusstsein und die Fä-higkeit zur discretio analysiert. Hinzu kommen einige Einzelkompetenzen.

Ausführungen über Unter- und Überordnungen verschiedener

15 Böckmann, 1986, S. 61

funktionen und Auswahlkriterien für die Besetzung einer Führungspositi-on runden den Themenkomplex ab.

An erster Stelle ist zunächst noch einmal auf den Vorbildcharakter der Person zu verweisen. Die Person in ihrem Handeln und Tun, die Persön-lichkeit steht über der Funktion und Rolle. Führung ist in diesem Sinne

„Lehre“ in Wort und Tat, wobei der Tat noch ein höherer Stellenwert beigemessen wird als der theoretischen Sachkompetenz. Beweisen muss sich eine Leitungsperson in dem, was sie tut! In der täglichen, situations-gerechten und operationalisierten Umsetzung der organisationalen Werte und Ziele beweist sich die Führungskompetenz.

Für die Führungsfunktionen wird ganz grundsätzlich eine sehr hohe Ver-antwortung, die mit diesen Ämtern verbunden ist, konnotiert. Das ist zu-nächst naheliegend und evident. Bedeutsam ist, dass diese Verantwor-tung nicht nur als VerantworVerantwor-tung Menschen gegenüber bzw. als wirt-schaftliche Verantwortung gesehen wird, sondern ebenso als übergeord-nete Verantwortung. Führung heißt in dieser Hinsicht, in einem umfas-send ethischen Sinne für Menschen und Dinge Verantwortung zu tragen.

Konkret bedeutet diese Verantwortungsbereitschaft, für eine Sache ein-zustehen und sie nachhaltig zu verfolgen. Aber nicht nur die konsequente Zielverfolgung, sondern auch die Kompetenz zur Folgenabschätzung des eigenen Handelns sind Merkmale der Verantwortungsbereitschaft.

Zu dieser postulierten Verantwortung tritt deren Reflexion hinzu. Eine Leitungsperson hat nicht nur qua Amt die beschriebene Verantwortung, sie muss sich dieser auch bewusst sein und sie beständig reflektieren, um ihr gerecht zu werden.

Damit dieses hohe Maß an Verantwortungsbewusstsein nicht zur Über-forderung wird, weiß sich die Führungskraft ebenso wie alle Mitglieder der Organisation in der Kraft der Gnade und Vergebung. Damit werden ihr – genauso wie allen anderen – menschliche Fehlbarkeit einerseits, Lern- und Veränderungsbereitschaft andererseits zugesprochen. Die Möglichkeit zum wiederkehrenden Neuanfang ist für alle gleichermaßen institutionalisiert.

Discretio wurde mehrfach als markantes Wesensmerkmal der Regel

deutlich. Sie zeichnet idealerweise gleichzeitig die Führungsperson selbst aus. Für eine Leitungsaufgabe bedeutet discretio, unterscheiden zu

kön-nen und sich unter Abwägung der Alternativen und Folgenabschätzung für die jeweils bessere Lösung zu entscheiden: Sie ist „Klärungsprozeß (...) der Unterscheidung der Geister zum Zwecke des Findens des angemes-senen Lebensmaßes“16. Sodann geht es um die Umsetzung dieser Ent-scheidung, die maßvoll sein soll: ziel- und sachorientiert, ohne die Men-schen aus den Augen zu verlieren. Die ursprüngliche Konnotation von discretio als „die Geister unterscheiden“ könnte hier bedeuten, Intention und Gesinnung von Lösungsmöglichkeiten zu erkennen.

Von den Einzelkompetenzen, die eine Führungskraft auszeichnen, ist an erster Stelle die Sachkenntnis zu nennen. In aktueller Diktion wäre dies die Fachkompetenz. Dieser Befund alleine wäre trivial; bedeutsam sind hier die Ergänzungen. Zum Fachwissen muss die Vermittlungskompetenz hinzukommen. Die Sachkenntnis beweist sich in der Vermittlung durch Instruktion, vor allem aber Vermittlung in der konkreten Umsetzung und Anwendung.

Als weitere charakteristische Eigenschaft ließ sich Gerechtigkeit ermit-teln. Die Gerechtigkeit der Leitungsperson erweist sich darin, keine Un-terschiede aufgrund des Ansehens einer Person zu machen und jeweils für die konkrete Situation gerecht zu entscheiden (vgl. auch „Vertei-lungsgerechtigkeit“ in Kapitel 4.2). In diesem Zusammenhang steht die Gefahr, vor der mehrfach gewarnt wird: Machtstreben und -missbrauch.

Die leitende Funktion darf nicht dazu genutzt werden, willkürlich zu be-vorzugen oder zu benachteiligen und die Entscheidungsbefugnis als Druckmittel einzusetzen. Schon vor Stolz als einer Vorstufe zu den Ver-fehlungen einer Leitungsfunktion wird ausdrücklich gewarnt.

Bei den verschiedenen Leitungsfunktionen fällt auf, dass die wirtschaft-lich-organisatorische Leitung der Gesamtführung untergeordnet ist. Die betriebswirtschaftliche Seite hat also eine subordinierte Funktion und dient der ihr übergeordneten geistlichen Leitung. Die normative Seite von Führung ist in der RB damit der administrativen übergeordnet.

Zuletzt ist noch die Frage zu stellen, wie eine Führungskraft ausgewählt werden soll. Der vorab genannte Kriterienkatalog bildet einerseits ein klares Qualifikationsprofil. Darüber hinaus ist es wichtig, dass sich die Person durch „Bewährung im Leben und Weisheit in der Lehre“ (RB

16 Jaspert, 1989, S. 228

21,4b) auszeichnet. Für die Auswahl und Eignung kommen noch einmal – wie schon an verschiedenen anderen Stellen – die Kongruenz von

Grundsätzen und Verhalten und die Integrität der Person zum Tragen.

Entscheidungsfindungsprozesse wurden in dieser Untersuchung als Stan-dardprozeduren der Systemsteuerung eingeführt und untersucht. Für die Übertragung sind mehrere Gesichtspunkte aus der hermeneutischen Analyse von Bedeutung. Die Institutionalisierung von Beratungsebenen wurde in Kapitel 4.1 dargestellt und interpretiert. Die Entscheidungsab-läufe als solche sind gekennzeichnet als ausgewogene und sachorientier-te Suche nach einer sinnvollen Lösung. Ziel dieser aufwändigen Prozedur ist es nicht nur, die Variante mit der besten direkten Mittel-Nutzen-Relation herauszufinden. Vielmehr geht es auch an dieser Stelle um die normativen Implikationen und die Einordnung des Partikularfalles in den Gesamtzusammenhang. Die Beratung in diesen Fragen erfolgt sachlich und als vorsichtiges Abwägen unter Einbeziehung aller Kenntnisse und Erfahrungen.

Hier liegen wichtige Anhaltspunkte für diesen zentralen Bereich der ope-rativen Dimension von Organisation und ihrer Leitung. Trotz des meist mit Entscheidungen einhergehenden Zeitdrucks kann es der Lösungsfin-dung nur gut tun, wenn eine Frage sorgsam und ausgewogen behandelt wird. Dass Beratungen über anstehende Entscheidungen von den Betei-ligten zu Profilierungszwecken genutzt werden können, ist eine zusätzli-che Gefahr. Die bewusste Ausrichtung an der Sazusätzli-che, ihre ausgewogene Behandlung und die Einordnung des Einzelfalls in den Gesamtzusammen-hang können dagegen zu nachhaltigen Lösungen führen. Auch die Erwei-terung um die Sinn-Dimension, d. h. die ethischen Implikationen, die mit der zu treffenden Entscheidung und den zur Verfügung stehenden Lö-sungsvarianten in Verbindung stehen, ist für jede organisationale Ent-scheidung eine substanzielle Bereicherung. Sie dient einem an den Grundwerten der Organisation orientierten Wandel und damit deren Be-stand in einem dynamischen Umfeld.