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Gombrowicz gehört ersichtlich zu den Autoren, die den Drang verspüren, ihre Werke selber bis in das kleinste Detail literaturkritisch zu deuten. Jede mediale Form – ob das Tagebuchnotizen sind, ein Interview, ein Vorwort zum Kunstwerk oder das Kunstwerk selbst – macht er sich zu Nutze. In Pornographie legt er den Schwerpunkt seiner Interpretationshilfe auf das Verfassen von Vorworten (für die polnische, französische, italienische und deutsche Ausgabe). Nicht anders verfährt er bei Trans-Atlantik. Außer dem Vorwort zur deutschen Neske-Ausgabe, das mit dem zur Warschauer Ausgabe aus dem Jahre 1957 übereinstimmt, schreibt er noch das Vorwort zu den ersten, in Kultura abgedruckten Auszügen aus dem Roman 1951 und das Vorwort zur Pariser Ausgabe 1953. Alle drei sind auch in der Hanser-Ausgabe aus dem Jahr 1987 enthalten. Darin erscheinen außerdem zum ersten Mal auf deutsch bisher unveröffentlichte Polemiken Gombrowiczs über die Dichtung und deren Schöpfer (Gegen die Dichter 1952, TA, 231-245;

Antipoetische Kleinigkeiten eines Poeten 1936, TA, 269-273; Bemerkungen eines Dilettanten über Gałczyński, TA, 274-275).

Für Trans-Atlantik sind die Erklärungen und Ergänzungen aller Art von besonderer Bedeutung, weil dieser Roman unter dem Verdacht steht, mit Vorsatz antipolnische Stimmungen zu schüren. Gombrowicz, der im argentinischen Exil seine Landsleute als lächerliche und mitleiderregende Patrioten und Edelmänner kritisierte, ahnte die zu erwartende Empörung und bemühte sich, seine Kernaussagen abzuschwächen. Im Vorwort zu Trans-Atlantik, der im Neske-Verlag 1964 erscheint, schreibt er:

259 Ebd.

Ich bestreite nicht: „Trans-Atlantik“ ist unter anderem eine Satire.

Und auch, unter anderem eine, sogar recht intensive, Abrechnung ...

nicht mit einem besonderen Lande Polen, das ist ja klar, sondern mit einem solchen Polen, wie es die Umstände seines historischen Daseins und seiner Placierung in der Welt geschaffen haben (d.h. mit einem schwachen Polen). Und ich gebe zu, dass dies ein Piratenschiff ist, das eine ziemliche Menge Dynamit schmuggelt, um unsere bisherigen nationalen Gefühle zu sprengen.260

„Trans-Atlantik“ ist von allem, was ihr wollt, etwas: Satire, Kritik, Traktat, Spielerei, Absurdum, Drama – aber nichts ist es ausschließlich, da es nur ich selber ist, meine ‘Vibration’, meine Entladung, meine Existenz.

Ist das über Polen? Aber niemals habe ich ja auch nur ein Wort von etwas anderem geschrieben als nur von mir – ich fühle mich nicht dazu ermächtigt.261

Anstatt der erwarteten Aufschlüsselung der mitunter chiffrierten Inhalte sorgt Gombrowicz für allgemeine Verwirrung, woraufhin Urs Jenny rät, von den Autokommentaren abzusehen.262 Bei all seinem Respekt vor dem Schriftsteller ist der Kritiker der Meinung, dass Gombrowicz außerstande sei, sich selbst verbindlich zu kommentieren. Die Mehrheit will dennoch Gombrowiczs Worte nicht anzweifeln und sucht mit dessen Hilfe nach einer annähernd befriedigenden Interpretationslösung. Während die einen beim Aufgreifen des ersten Fragments des Vorworts zur Satire auf Polen tendieren, sprechen sich die anderen in Bezug auf das zweite Fragment für einen autobiographischen Roman aus. Wenn sie von der Satire berichten, dann nennen sie diese „hintergründig“, „schlagkräftig“,

„boshaft“263 und einfach ohnegleichen.264 Sie betonen zunächst deren universellen Charakter. Am Beispiel Polen werde die Scheinhaftigkeit des Emigrantendaseins schlechthin und die Verlogenheit eines sich selbst beweihräuchenden Patriotismus aufgezeigt. Urs Jenny erweitert das Wirkungsfeld der Satire um die arrogante

260 W. Gombrowicz: Trans-Atlantik. Pfullingen: Neske Verlag 1964, S. 6.

261 Ebd. S. 7.

262 U. Jenny: Vaterland und Sohnland. In: Süddeutsche Zeitung, 14./15. Nov. 1964.

263 P. Kliemann: Ein ungeformter Sohn Polens. Witold Gombrowicz’ Phantasien gegen sein Vaterland. In: Christ und Welt, 18. Dez. 1964.

264 P. Laregh: Trans-Atlantik. In: Bücher-Kommentare, 15. Nov. 1964.

Exklusivität des argentinischen Großbürgertums.265 Gombrowiczs provokantes Pamphlet, schreibt Dietrich Scholze, sei universell und allgemein und richte sich vehement gegen jedes verkehrte, zuweilen ins Irrationale weisende nationale Selbstverständnis und nicht nur gegen das polnische.266 Für universell hält auch Wolfgang Steuhl die Satire, indem er hinsichtlich des Grundthemas vom Menschensein spricht, welches Gombrowicz gegen jede Form, Tradition und kulturelle Angepasstheit zu verteidigen versuche.267

Manche wie Rolf Fieguth oder Bondy betonen allein das karikierte polnische Element. Fieguth spricht im Nachwort zur Hanser-Ausgabe von einem satirischen Großangriff auf die „bedrückende Form“ der polnischen Nation (TA, 281). Er sieht darin nicht die destruktiven, sondern die den polnischen Geist beflügelnden Absichten des Autors hervorgekehrt. Die Satire Trans-Atlantik sei laut Fieguth unter Berufung auf Gombrowicz als Stärkung und Befreiung des Individuums in Polen gegen die übermenschlichen kollektiven „Formungen“ gedacht (TA, 281).

Bondy, der Trans-Atlantik für Gombrowiczs „polnischstes“ Buch hält, verbreitet die Meinung, dass Gombrowicz darin nur an seine Landsleute appellieren wolle, um sie von dem Weg des Nationalstolzes abzubringen.268 Als einziger geht er bei der Gelegenheit auf Gombrowiczs erklärungsbedürftige Sonderbegriffe:

„Vaterland“ und „Sohnesland“ ein und dechiffriert sie.269 Er behandelt sie analog zu Gombrowiczs beliebtem Gegensatzpaar „Reife“ vs. „Unreife“. Das Vaterland verweise demnach auf die polnische Märtyrernation, die zum Trost in der Vergangenheit des 17. Jahrhunderts schwelge, deren Rituale weiter pflege und sich für die Klassiker der Romantik begeistere. Das Sohnesland hingegen habe eine polnische Nation zu vertreten, die frei und unvoreingenommen in die ungewisse Zukunft strebe. Das Vaterland in Trans-Atlantik symbolisiert der alternde pensionierte polnische Offizier; das Sohnesland versinnbildlicht die Gestalt eines jungen Matrosen Ignaz. Beide stehen zueinander in der Vater-Sohn Beziehung. Laut Bondy plädiert Gombrowicz wie selbstverständlich für den

265 U. Jenny, (Anm. 262)

266 D. Scholze: Absage an Überlebte. In: Neues Deutschland, 9./10. Sept. 1989.

267 W. Steuhl: Für Polen ein Ärgernis. In: Saarbrücker Zeitung, 17./18. Juni 1987.

268 F. Bondy: Lachorgie und Provokation. Witold Gombrowicz’ Roman Trans-Atlantik in der Werkausgabe. In: Süddeutsche Zeitung, 12./13. Jan. 1987.

269 In den 60er Jahren ist es Karl Korn, der die zwei komplementäre Sonderbegriffe zwar erwähnt, aber sich um deren Aufschlüsselung nicht weiter kümmert. K. Korn: Emigration ins Bizarre. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Feb. 1965.

Übertritt in das Sohnesland, wo für die überholten Traditionen nur Hohn übrig bleibt. Scholze sieht diese Traditionen im Roman kompromittiert, deformiert und zerstört nicht nur in der Gestalt des Ignaz.270 Schon dadurch, dass Gombrowicz an Mickiewiczs Nationalepos Pan Tadeusz anknüpfe und dieses als Vorlage für seine Parodie auf die polnische Nation benutze, verspotte er erbarmungslos das Erbe der polnischen Romantik. Wie in Pan Tadeusz so auch in Trans-Atlantik werden Jagdausflüge, Duelle und Intrigen gesponnen, zum Schluss ein Ball veranstaltet, nur mit dem Unterschied, dass es in dem ersten Fall auf die Verherrlichung der im 19. Jahrhundert von der Landkarte ausgelöschten polnischen Nation ankommt, im zweiten auf die bewusste Verunglimpfung des Polen der Vorkriegszeit. Durch die vorsätzlich verzerrte Verwertung der Sprache des sog. sarmatischen Barock parodiere Gombrowicz, behauptet Bondy, die Kunstprinzipien der Romane des 16. und 17. Jahrhunderts, ohne dass der Kritiker erwähnt, um welche es sich konkret handelt.271 Da diese leicht identifizierbar sind, sollte es erlaubt sein, wenigstens den einen herausragenden zu nennen: Jan Chryzostom Paseks Memoiren (1656-1688).

Die Kritiker, die Trans-Atlantik als einem autobiographischen Roman behandeln, empört Gombrowiczs Egozentrismus.272 Aus dem Tagebuch wird eine Stelle zitiert, in der Gombrowicz herausfordernd seine Person zur einzigen ihm obliegenden Angelegenheit erklärt (Ich bin mein wichtigstes und wohl gar mein einziges Problem: der einzige aller meiner Helden, an dem mir wirklich gelegen ist. TB 188), um in der naiven Argumentation zu beweisen, dass alle anderen behandelten Themen den Autor ernsthaft nichts angingen. Tadeusz Nowakowski setzt sich an dieser Stelle für ihn ein und versucht aus der polnischen Perspektive seinen deutschen Kollegen klar zu machen, dass Gombrowicz, der „Anstifter intellektueller Unruhen“ nicht unüberlegt solche Aussagen und Auskünfte von sich gebe.273 Er sieht darin die Methode des Autors, die unerhörten Unwahrheiten auf dem Papier in die Welt zu setzen, um diese bei der nächstbesten Gelegenheit prompt zu widerlegen. Auch Kliemann fällt ein milderes Urteil, indem er in der absichtlich überspitzten Hervorhebung der Person des Ich-Erzählers dessen

270 D. Scholze, (Anm. 266)

271 F. Bondy, (268)

272 K. Korn, (Anm. 269)

Abwehrreaktion gegen die Bedrohung durch die gefürchteten Anderen sieht.274 In Argentinien, schreibt der Kritiker, habe sich Gombrowicz durch die polnische Kolonie bedroht gefühlt, die sich seiner bemächtigt und ihn in den Dienst der nationalen Propaganda gestellt habe. Der nach dem realistischen Bild geschaffene Protagonist in Trans-Atlantik stelle laut Gombrowiczs Wunsch – so Kliemann – zum Zwecke der Absonderung von den Anderen nachdrücklich seine privaten Rechte in den Vordergrund, was den Eindruck seiner starken Ich-Bezogenheit hinterlassen habe. Ichbezogen und autobiographisch sei aber nicht Trans-Atlantik allein:

Es gibt keine uns bekannte Prosaarbeit des Polen Witold Gombrowicz, die nicht Autobiographie wäre, die nicht immer wieder fordernd und herausfordernd das Ich des Autors ins Zentrum einer autoritativen erzählerischen Welt rückte.275

Abgesehen von der Diskussion über das gattungsspezifische Etikett des Romans werden Überlegungen darüber angestellt, wie Gombrowicz den Humor erreicht, den die Kritiker dem Roman als sein markantestes Stilelement bescheinigen. Es sei ein „den Leser anspringend(er), überfallend(er) Humor“, den Bondy für typisch slawisch hält, und der ihn an Nikolaj Gogol denken lässt.276 Zur Erklärung verweist man gerne auf die zahlreichen absurden Szenen der Duelle (Lach-, Grimassen-, Blick-, Schreiduelle), der Jagden und Verführungen, die allesamt eins gemeinsam haben: ihre Scheinhaftigkeit. Jedes Geschehen im Roman, das zunächst den Anschein der Realität erweckt, steigt abrupt in den bizarr grotesken Abgrund hinab. Die Verführung eines polnischen Matrosen durch einen wohlhabenden Argentinier Gonzalo spielt sich nur im Geiste der Agierenden ab.

Die Hasenjagd wird auf Wunsch des polnischen Botschafters in Argentinien zum Vergnügen seiner Gäste aus der Heimat veranstaltet, obwohl jeder wusste, dass es in der Gegend keine Hasen gibt. Man duelliert sich, ohne dass es dabei zum Blutvergießen kommt, weil die Pistolen mit blinder Munition geladen werden.277

273 T. Nowakowski: Ein Engagierter im Elfenbeinturm. Der Unruhestifter Witold Gombrowicz. In: Die Welt der Literatur, 18. März 1965.

274 P. Kliemann, (Anm. 263)

275 Ebd.

276 F. Bondy: Ein polnischer Abgesang. In: Neue Züricher Zeitung 21. Nov. 1964.

277 Auf die gesonderte Problematik der sog. Schattenduelle hat Bondy schon in Akzente 1965 hingewiesen. Sie gehören seiner Meinung nach ins schreibkünstlerische Konzept Gombrowiczs, die aufgebauten Spannungsverhältnisse in einem ergebnislosen Duell zu

Von den grotesken Einzelereignissen, die den Anspruch auf Realität erheben, unterscheiden die Kritiker solche, die auf diesen Anspruch von vornherein verzichten. Als Exemplum dafür wird häufig die Geschichte von den drei Hunde- und Pferdehändlern erzählt, die sich jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens abspielt. Alle drei sitzen in einem Keller und verhindern einander die Ausführung jeglicher Handlungen, indem sie demjenigen, der sich zu bewegen wagt, mit gekrümmten Sporen die Fleischwunden in die Waden schlagen.

Gleich, ob alles frei erfunden oder real, es handle sich hier um lauter obszöne und bizarre Vorgänge, um ein „Pandämonium des Irrsinns“278 und um „schwarze Magie“279. Die dargestellten Geschichten erscheinen umso grausiger und skurriler, je öfters sich die Kritiker die durchaus realistische Ausgangssituation des Romans in Erinnerung rufen. Diese zeigt den Protagonisten namens Gombrowicz in Begleitung des polnischen Botschafters, der, nachdem es ihm misslungen ist, den jungen Exilanten zurückzuweisen, ihn zur Prominenz erhebt und von ihm fordert, Polens Anspruch auf Weltrang und Ruhm durch sein Auftreten zu stärken. Die ihr folgende Szene eines Konversationsduells zwischen dem polnischen und einem argentinischen Schriftsteller, hinter dessen Maske sich Jorge Luis Borges verbirgt, ist nicht weniger realistisch und soll sich gar tatsächlich zugetragen haben. Beide Szenen demonstrieren, so Bondy, dass in Trans-Atlantik mehr als in die anderen Arbeiten Gombrowiczs „Stücke frischer erfahrener Wirklichkeit eingesprengt sind“. Die Verkoppelung der realistischen Schilderungen mit den grotesken erinnert Bondy an Charles Dickens, Peter Laregh mutet hingegen kafkaesk an.280

Für den berühmt-berüchtigten und inzwischen für boshaft gehaltenen Humor im Roman sorgt in den Augen der Kritik außer den Einzelszenen auch die Sprache, die durch den Rückgriff auf die literarische Tradition des Barock bei gleichzeitiger Erschaffung von Neologismen eine explosive Mischung erzeuge,

entladen. Der Kritiker führt dafür u.a. Beispiele eines Grimassenduells und Tennismatschs ohne Ball aus Ferdydurke und eines Pistolenduells mit ungeladenen Pistolen aus Trans-Atlantik an. F. Bondy, (Anm. 52)

278 K. Korn, (Anm. 269)

279 U. Jenny, (Anm. 262)

280 F. Bondy, (Anm. 276), P. Laregh, (Anm. 264)

die das Gelächter erst am Ende des Romans zur Entladung bringe.281 Bondy schwärmt für die orgiastische Qualitäten des Romans, die einen „wild(en) Tanz“, ein „Feuerwerk“ auf den Blättern des Buches zelebrieren würden.

Nicht zuletzt wegen der unzweifelhaften Komik, sondern auch wegen der barocken, phantastischen und übermütig wuchernden Szenerien nimmt Trans-Atlantik für Bondy im Vergleich zum übrigen erzählenden Werk Gombrowiczs einen Sonderstatus ein.

Trans-Atlantik, schreibt resümierend Fieguth, sei außer der skandalisierenden Satire vieles: rücksichtslose Bekenntnisschrift, Schlüsselroman, moral-humoristischer Traktat, aber vor allem das unbedingtere und auch geschlossenere Sprachkunstwerk (TA, 279). Fieguth, dem Herausgeber und Übersetzer des Romans, wollen die Kritiker anscheinend nicht widersprechen:

Vor allem aber ist dieser Roman ein radikales Sprachkunstwerk von ausgeklügelter, aber nie erkünstelt wirkender Schönheit.282