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Nach dem Tod Gombrowiczs, der in der deutschen Presse mit vielen respektvollen Nachrufen bedacht worden ist, veröffentlicht der Neske Verlag 1969 einen Band mit Gesprächen, die der französische Schriftsteller und Verleger Dominique de Roux im Jahre 1968 mit ihm geführt hatte.

Die Selbstkommentare, die Gombrowicz darin unterbreitet, begrüßen die Kritiker mit Wohlwollen, denn nach dem Erscheinen seiner Werke bei Neske – für Gottfried Just eine reine Finsternis und Magie293 – besteht von nun an der Bedarf an Aufklärung seitens des Verfassers. Gombrowicz enttäuscht seine Leser

291 U. Jenny, (Anm. 285)

292 P. Kliemann, (Anm. 284)

293 G. Just: Spät eingeholt vom Ruhm. Gespräche Witold Gombrowicz’ mit dem französischen Schriftsteller Dominique de Roux. In: Die Welt der Literatur, 14. Aug. 1969.

nicht und bietet in der Tat, behauptet Just, eine Art „Gebrauchsanweisung“ über sein Werk und Leben. Aus den aufgezeichneten Gesprächen stellen die Kritiker ein Porträt zusammen, welches einen Menschen von bizarren und profunden Dualismen zeigt, von denen der der hassgeliebten Reife und Unreife wegen seines

„Umschlag(ens) aus exklusiver Subjektivität ins Objektive“294 hervorragt.

Einerseits stilisiere er sich gerne als ein feinfühliger polnischer Aristokrat, andererseits als ein primitiver Gesindeliebhaber.295 In dessen Aussage: ich bin ein Humorist, Hampelmann, Seiltänzer, Provokateur und meine Werke stehen Kopf, um zu gefallen (G, 137) sehen die Kritiker nur die Bestätigung ihrer Mutmaßungen über Gombrowiczs literarische Praxis. Nach der Überzeugung eines Spiegel-Rezensenten verstricke er sich in Widersprüche, nur um nicht zu langweilen;296 laut Just, um eine lebensnahe, praktische und frische Literatur hervorzubringen.297 Daraus resultiert, dass die Kritiker die Angst vor der Langeweile als Triebkraft eines Schöpfungsaktes als eines seiner grundlegenden Schreibprinzipien deuten. Dieselbe Angst, wie sie vermuten, verleite den Autor dazu, um über sich selber in einem, so Karl Korn, „locker(en) Salonton, aus Passion und untertreibender Plauderei gemischt, zu erzählen,298 einem Ton übrigens, den Urs Jenny Gombrowiczs Temperament und seiner Impulsivität zuschreibt.299

Just bedauert aber, dass Gombrowicz die Gespräche vieler ästhetischer Ambitionen entkleide und nur auf die exakte Wiedergabe der einzelnen Stationen in seinem Leben acht gebe, ohne von dem Thema über den Werdegang als Schriftsteller ablenken zu wollen.300 Der Vorwurf des Egozentrismus, der ihm hiermit gestellt wird, kann dieses Mal leicht mittels der Tatsache entkräftet werden, dass Gombrowicz in dem Interview ausschließlich nach seiner Person gefragt wurde.

Trotz des unbegründeten Vorwurfs der Selbstbezogenheit und trotz der Überzeugung, dass Gombrowiczs Tagebuch scharfsinnigere, schärfere und

294 [anonym]: Exklusives Ich. In: Der Spiegel, 18. Aug. 1969.

295 Ebd.

296 Ebd.

297 G. Just, (Anm. 293)

298 K. Korn: Unreife als Idol. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Juli 1969.

299 U. Jenny: Gombrowicz’ Selbstporträt. In: Süddeutsche Zeitung, 2./3. Aug. 1969.

300 G. Just, (Anm. 293)

schlüssigere Selbstdarstellungen biete, hält Jenny das Buch für äußerst hilfreich für die Leser, die mit Gombrowiczs Oeuvre noch nicht vertraut sind.301 Es sei ein Selbstporträt, das einem Lust mache, sich auf die verführerischen Spiele dieses Katastrophenerfinders einzulassen.

Die bei Neske erschienene Übersetzung der Gespräche wird für die Hanser-Ausgabe 1996 gründlich umgearbeitet. Hinzu kommen 21 aus dem Band Varia (Instytut Literacki, Paris 1973) ausgewählte Texte, die dem deutschsprachigen Leser zeigen sollen, wie intensiv Gombrowicz als Rezensent auf die Literatur seiner Zeit reagiert hat. Den Varia-Texten folgen: Die Einleitung von de Roux aus dem Jahr 1968, Wie das Testament entstand von Rita Gombrowicz und die von Fritz Arnold zusammengestellte Chronik von Leben und Werk des Witold Gombrowicz.

Haben sich die Kritiker in den 60er Jahren in den Werturteilen eher positiv bis zurückhaltend geäußert, so bringen sie in den 90ern mehrheitlich ihre Unzufriedenheit mit den Gesprächen zum Ausdruck. Besonders vor dem Hintergrund des inzwischen im deutschsprachigen Raum in seiner Gesamtheit bekannten Werks von Gombrowicz, das sich unter den Experten hohen Ansehens erfreut, fällt das letzte Prosawerk minderwertig aus. Um dem Ruf des geachteten Autors nicht zu schaden, hebt man – in der Überzeugung, dass die von ihm verfassten Gespräche ein fehlgeleiteter Kunstgriff seien – seine bisherigen Leistungen um so deutlicher hervor. Ein anonymer Rezensent der FAZ rechnet z.B. das Tagebuch zu den Glanzstücken des Genres im 20. Jahrhundert und findet Yvonne wegen ihres enormen Inszenierungspotenzials beinahe unübertrefflich.302 Man ist dennoch gewillt, den Gesprächen die informativen Inhalte anzurechnen:

Klaus Konjetzky findet darin die Auflösung mancher im Gesamtwerk verstreuten Widersprüche bezüglich der ideologischen, ethischen und literarischen Position des Autors.303 Obwohl die meisten schon im Tagebuch gründlich aufgearbeitet worden sind, meint Konjetzky sie erst jetzt ausgeräumt zu sehen. Als Ergebnis der in den Gesprächen betriebenen Aufklärungsarbeit ergibt sich für den Kritiker ein

301 U. Jenny, (Anm. 299)

302 [anonym]: Ein Aal und Edelmann. Witold Gombrowicz als Amateur und Entwindungskünstler. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Juli 1996.

303 K. Konjetzky: Zündstoff langwieriger Prügeleien. Eine Art Testament des Witold Gombrowicz. In: Süddeutsche Zeitung, 27./28. Juli 1996.

metaphorisch treffend umrissenes Bild des Autors: dieser sitze zwar „geistig fest im Sattel, aber zwischen allen Lehrstühlen“.

(Gombrowicz), Kind und Opfer aller polnischen Strömungen, in Opposition zu allen europäischen Tendenzen, teilhabend an der Kirche, die ihn als Atheisten exkommuniziert, an der Wissenschaft, die ihn des Subjektivismus zeiht, am Marxismus, der ihn als anarchistischen Egoisten und Egozentriker schmäht, am Kapitalismus, der ihn als proletarischen Phantasten verdächtigt, und an der Literatur, die ihn als anachronistischen Traumtänzer zum Außenseiter stempelt.304

Der den Kritiken entnommene Eindruck, das Buch sei vom ästhetischen und interpretatorischen Wert her verfehlt, bleibt dennoch bestehen. Die den Gesprächen beigefügten Rezensionen und Polemiken des jungen Gombrowicz werden ebenfalls vom negativen Urteil betroffen: Für den anonymen Rezensenten der FAZ geben sie einen Beleg dafür, dass Gombrowicz auf dem Gebiet der poetisch-politischen Reportage ein Dilettant gewesen sei.305