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Topologische Defekte in nematischen Fl¨ussigkristallen

P

Mbiax

−1

−0.5 0 0.5 1

−1

−0.5 0

0.5 1 0

0.2 0.4 0.6 0.8 1

Abbildung 2.3: Das Biaxialit¨atsmaß in Abh¨angigkeit von den Parametern S und P

2.3 Topologische Defekte in nematischen Fl¨ ussigkri-stallen

Die verschiedenen Arten fl¨ussigkristalliner Orientierungsordnung, die im vorigen Abschnitt im Zusammenhang mit dem tensoriellen Ordnungsparameter eingef¨uhrt wurden, legen fest, welche Arten von topologischen Defekten sich in einem nematischen Fl¨ussigkristall aus-bilden k¨onnen. Topologische Defekte sind Orte, an denen der Ordnungsparameter nicht definiert ist. Die Regionen der Singularit¨at k¨onnen aus Punkten, Linien oder W¨anden bestehen. Wenn sich diese Singularit¨at nicht durch eine kontinuierliche Deformation des Ordnungsparameterfeldes beseitigen l¨asst, spricht man von einem stabilen Defekt.

Die Homotopietheorie liefert die M¨oglichkeit, verschiedene Defekte zu klassifizieren. Die wesentlichen Schritte hierzu sind folgende: Wenn der Ordnungsparameter des betrachteten Systems bekannt ist, muss der Ordnungsparameterraum R bestimmt werden, der von den m¨oglichen Werten des Ordnungsparameters gebildet wird. Zur Klassifizierung der Defekte ist man nun an den Abbildungen i-dimensionaler Sph¨aren, die den Defekt im realen Raum umschließen, in den Ordnungsparameterraum interessiert. Die aus diesen Abbildungen re-sultierenden geschlossenen Konturen im Ordnungsparameterraum werden in Homotopie-klassen unterteilt. Die Elemente einer Klasse sind durch kontinuierliche Deformationen ineinander ¨uberf¨uhrbar. Die Klassen wiederum sind die Elemente einer Homotopiegruppe πi(R). Um die Defekte der Dimensiont0 in einemt-dimensionalen System zu klassifizieren, muss die Homotopiegruppeπi(R) miti=t−t0−1 ermittelt werden. Jedes Element der

Ho-motopiegruppe entspricht einer Klasse topologisch stabiler Defekte. Sie sind topologische Invarianten, die mit sogenannten topologischen Ladungen identifiziert werden.

Diese Schritte werden nun im einzelnen genauer erl¨autert. Die folgenden Abschnitte haben zusammenfassenden Charakter und orientieren sich an den Ausf¨uhrungen in [17, 9, 13], auf die zum ausf¨uhrlicheren Studium verwiesen sei.

2.3.1 Ordnungsparameterraum

Die gebr¨auchlichen Ordnungsparameter werden mit einer Gruppe von Transformationen, genannt G, in Verbindung gebracht. Die Elemente dieser Gruppe lassen das thermodyna-mische Potential unver¨andert, bilden aber einen Wert des Ordnungsparameters auf den anderen ab. In dieser Gruppe gibt es auch Transformationen, die den Ordnungsparame-ter unver¨andert lassen. Dies ist die Isotropiegruppe, eine UnOrdnungsparame-tergruppe von G, die mit H bezeichnet wird. Der Ordnungsparameterraum R ergibt sich damit als der Raum der Ne-benklassen von H inG, was durch die Formel

R =G/H (2.9)

ausgedr¨uckt wird.

Im Falle eines nematischen Fl¨ussigkristalls ist G identisch mit O(3), also der Gruppe, die alle Rotationen und Spiegelungen enth¨alt. Die Isotropiegruppe istDh, die in Abschnitt 2.1 eingef¨uhrt wurde. Unter ihrer Wirkung ist die nematische Ordnung lokal invariant. Der Ordnungsparameterraum ergibt sich damit zu O(3)/Dh, was der Projektiven Ebene P2 = S2/Z2 entspricht, also der Zwei-Sph¨are S2, deren diametrale Punkte identifiziert werden. F¨ur cholesterische Fl¨ussigkristalle sind Spiegelungen als Symmetrieelemente her-auszunehmen. Damit ist G = SO(3) und H = D, woraus sich wiederum die projektive EbeneP2 =SO(3)/D als Ordnungsparameterraum ergibt.

Bei der biaxialen Phase ist die Isotropiegruppe durch drei zueinander senkrecht ste-hende, zweiz¨ahlige Rotationsachsen gegeben, sie wird mit dem SymbolD2 abgek¨urzt. Der Ordnungsparameterraum ist damit SO(3)/D2.

2.3.2 Homotopiegruppen

Die Topologie der Ordnungsparameterr¨aume wird durch die Homotopiegruppen beschrie-ben. Dazu stelle man sich den Ordnungsparameterraum R als eine zusammenh¨angende Oberfl¨ache vor. Auf dieser Oberfl¨ache w¨ahle man einen Punkt M, von dem man aus ge-schlossene Konturen ziehe, d.h., die von M ausgehen und wieder zu M zur¨uckgef¨uhrt werden. Diejenigen Konturen, die kontinuierlich ineinander ¨uberf¨uhrbar sind, repr¨asentie-ren dieselbe Homotopieklasse. Die Menge der Homotopieklassen in R bilden eine Gruppe, genannt die erste Homotopiegruppe oder Fundamentalgruppe von R am Basispunkt M, kurz: π1(R, M). Wenn R zusammenh¨angend ist, spielt die Wahl des Basispunktes keine Rolle mehr und die Fundamentalgruppe wird nur noch mit π1(R) bezeichnet.

Abbildung 2.4: Kontinuierliche Deformation einer Disklination mit k= 12 in eine Dis-klination mit k =−12. Oben sind die Direktorkonfigurationen im realen Raum durch St¨abchen dargestellt, unten die Abbildungen der Konturen, die den Defekt im realen Raum umschließen, im OrdnungsparameterraumS/Z2. Aus [9].

2.3.3 Liniendefekte in uniaxialen Nematen

Wenn der Ordnungsparameter auf einer Linie im realen Raum nicht definiert ist, spricht man von einem Liniendefekt oder einer Disklination. Diese Defekte werden von der ersten Homotopiegruppe klassifiziert. Hierzu betrachtet man die Abbildung von geschlossenen Li-nien, die den Liniendefekt im realen Raum umschließen, in den Ordnungsparameterraum.

Die so entstehenden Konturen im Ordnungsparameterraum, die kontinuierlich ineinander

¨uberf¨uhrbar sind, bilden ein Element der ersten Homotopiegruppe. Die erste Homotopie-gruppe der projektiven Ebene ist die aus zwei Elementen bestehende Gruppe

π1(S2/Z2) =Z2. (2.10)

Ein Element der Homotopiegruppe besteht aus denjenigen Konturen, die von einem Punkt ausgehen und im selben Punkt wieder enden. Sie k¨onnen kontinuierlich auf einen Punkt zusammengezogen werden und enthalten damit nur topologisch instabile Defekte. Die zwei-te Klasse von Konturen beszwei-teht aus denjenigen, die an einem Punkt starzwei-ten und auf dem diametralen Punkt der Zwei-Sph¨are enden. Diese sind nicht in einen Punkt ¨uberf¨uhrbar, da die diametralen Punkten als Anfangs- und Endpunkte immer erhalten bleiben. Diese Konturen entsprechen einer halben Windungszahl k=±12, die eine Drehung des Direktors um ±π bezeichnet. Die Konturen, die von einer halbzahligen Windungszahl repr¨asentiert werden, sind ineinander ¨uberf¨uhrbar, wie Abbildung 2.4 zeigt.

2.3.4 Punktdefekte in uniaxialen Nematen

Punktdefekte in dreidimensionalen nematischen Phasen werden durch die Elemente der zweiten Homotopiegruppe bestimmt. Um die Stabilit¨at eines solchen Punktdefektes zu

¨uberpr¨ufen, wird dieser im realen Raum von einer Oberfl¨ache umschlossen, die zun¨achst auf eine Fl¨ache im Ordnungsparameterraum eines Vektor-Ordnungsparameters abgebildet wird. Wenn diese zun¨achst resultierende Fl¨ache, die mit Σ bezeichnet sei, zu einem Punkt zusammengezogen werden kann, ist der Punktdefekt topologisch instabil. Wenn die Fl¨ache Σ dagegen N 6= 0 mal um die Sph¨are S2 gewickelt ist, ist der Punktdefekt stabil und besitzt die topologische Ladung N 6= 0. Betrachten wir z.B. einen radialen Punktdefekt wie in Abbildung 2.5. Die Fl¨ache Σ umschließt die Sph¨areS2 einmal. Er besitzt die Ladung

Abbildung 2.5: radialer Punktdefekt, die Orienterung des Direktors ist durch Linien dargestellt.

eins und geh¨ort derselben Klasse an wie der in Abbildung 2.6 dargestellte hyperbolische Punktdefekt. Wie Abbildung 2.6 zeigt, k¨onnen diese beiden Arten kontinuierlich ineinander transformiert werden.

Die Klassen aller Abbildungen Σ bilden die zweite Homotopiegruppe: π2(S2) = Z, wobei Z die Gruppe der ganzen Zahlen bezeichnet. Da die Direktoren n und −n in der nematischen Phase jedoch denselben Zustand beschreiben, kann dem Punktdefekt gleicher-maßen die LadungN oder −N zugewiesen werden. Alle Punktdefekte in der nematischen Phase werden damit durch positive ganze Zahlen ausreichend klassifiziert.

Abbildung 2.6: Ein radialer Punktdefekt, der kontinuierlich in einen hyperbolischen Defekt ¨uberf¨uhrt wird. Aus [31].

2.3.5 Defekte in biaxialen Nematen

Zur Klassifizierung von Liniendefekten in der biaxialen Phase muss die erste Homotopie-gruppe bestimmt werden (s. [33, 17, 9]).

Wie bereits erw¨ahnt wurde, ist der Ordnungsparameterraum der biaxialen Phase gege-ben durch

R=SO(3)/D2, (2.11)

wobei die Diedergruppe D2 durch drei zueinander senkrecht stehende zweiz¨ahlige Rota-tionsachsen gegeben ist. Um die Fundamentalgruppe zu ermitteln, muss die Transforma-tionsgruppe G = SO(3) auf eine einfach zusammenh¨angende Gruppe G

”hochgehoben“

werden. Einfach zusammenh¨angend bedeutet, dass in G keine Singularit¨aten auftreten und alle Konturen ineinander ¨uberf¨uhrbar sind, woraus π1(G) = 0 folgt. F¨ur G =SO(3) istGdie Drei-Sph¨are S3. Diese

”Hochhebung“ besitzt die Eigenschaft, dass die Menge der NebenklassenG/H =G/H und damit auch die Fundamentalgruppe π1(G/H) =π1(G/H) erhalten bleiben. H ist dabei die entsprechend hochgehobene Isotropiegruppe. Es kann au-ßerdem gezeigt werden, dassπ1(G/H) =H, wennGeinfach zusammenh¨angend ist. Damit ergibt sich die Fundamentalgruppe aus der Hochhebung der Isotropiegruppe der biaxialen Nematen D2 in die Drei-Sph¨are S3. Die Diedergruppe D2 ist eine abelsche Untergruppe der SO(3) mit den Elementen I, i, j, p mit den Relationen i2 = I, ij = ji =p. I ist dabei die Identit¨at und i, j, psind die zweiz¨ahligen Drehungen. Die Hochhebung der Symmetrie-gruppe D2 in die Dreisph¨areS3 ist eine Gruppe mit acht Elementen, genannt die Gruppe der Quaternionen. Zu den ElementenI, i, j, p von D2 kommen die Elemente J,−i,−j,−p hinzu. Sie bezeichnen ebenfalls die die Drehung umπ um eine Achse und die Inversen von i, j, p. Die Multiplikationsregeln der Quaternionengruppe lauten

ij =−ji=p, jp=−pj =i, pi=−ip=j (2.12) JJ =i, ii=jj=pp=J, ijp=J. (2.13) Die unterschiedlichen Defekte eines biaxialen Nematen sind nun durch die f¨unf Konju-gationsklassen der Quaternionengruppe bestimmt [9, 33]: C0 = {I}, C0 = {J}, Cx = {i,−i}, Cy ={j,−j}, Cz ={p,−p}.

Abbildung 2.7: Topologisch stabile Disklinationen in einem biaxialen Nematen. Links:

Disklination mit k = 12, die der Klasse Cz angeh¨ort. Rechts: Disklination mit k = 1, Klasse C0. Die langen und kurzen St¨abchen stellen zwei der drei Direktoren dar, die zusammen ein Vektordreibein bilden, das die biaxiale Phase charakterisiert. Aus [9].

Die KlassenCx, Cy undCz entsprechen einer halbzahligen, die KlasseC0einer ganzzah-ligen Windungszahl k. Die Windungszahlen geben im biaxialen Fall eine Rotation zweier Direktoren2 des Direktordreibeins um den Defektkern um den Winkel 2πkan. Verschiedene Defekte werden in Abbildung 2.7 gezeigt.