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Das Wort Tischleramt ist nach unserem heutigen Verständnis gleichbedeutend mit Innung, Zunft oder Gilde. Im norddeutschen Sprachgebrauch finden sich solche Bezeichnungen aber erst gegen Mitte des 19. Jh.s. Bis dahin galt die Bezeichnung Amt. Die Statuten, das heißt die Maßgaben bei allen das Gewerk betreffenden Vorgängen – von der Wahl der Vorsitzenden (Alterleute) über Lehrzeiten und Prüfungsbedingungen bis hin zum Fall, dass beim Tode eines Amtsmeisters die Familie ohne Ernährer zurückblieb und vieles mehr – waren in der Amtsrolle schriftlich fixiert.

Wer waren die Tischler und was waren ihre Aufgaben? Traditionell übernahm mindestens ein Sohn, zumeist der älteste, den Vaterberuf. Auf diese Weise sicherte er das Fortbestehen der familiären Werkstatt, die ihre Mitglieder und den Haushalt ernährte. Damit ist nicht nur die lebende Elterngeneration samt den Kindern, sondern auch die Großelterngeneration und im plötzlichen Todesfall des Meisters ebenso seine Witwe gemeint. Sollte der älteste Sohn entweder noch nicht alt genug sein oder seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben, war es der Witwe möglich, die Werkstatt mittelbar über einen Vormund weiterzuführen. Das belegen vielerlei Akten über die sogenannten Tischlerwitwen in allen hier untersuchten Archiven. Der älteste Sohn konnte in solch einem Fall auf Antrag die Wanderschaft verkürzen oder brauchte sie gar nicht erst anzutreten. Es ist gut belegbar, dass die Handwerksämter, denen die sogenannten Alterleute vorstanden, hierbei große Rücksicht übten. Außerdem etablierten sich Sterbe- und Witwenkassen in den Ämtern, die Prototypen eines sozialen Versicherungssystems zur finanziellen Entlastung der Hinterbliebenen sind.

Generell war die Meisterschaft Voraussetzung zum Eröffnen und Führen einer Werkstatt, wozu auch das Halten von Gesellen sowie die Ausbildungshoheit gehörten. Der Status eines Meisters setzte eine Lehrburschenzeit von mehr oder weniger drei Jahren, eine ebenso lange Gesellenwanderschaft und schließlich die bestandene Meisterprüfung voraus. In der Abschlussphase der Ausbildung wurde ein Geselle regional als Gernmeister bezeichnet. Die Prüfungsmodalitäten differierten von Amt zu Amt. Nicht alle Gesellen kehrten zur Meisterprüfung in ihre Heimatstädte zurück, sondern beabsichtigten gelegentlich, sich an

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einem anderen Ort niederzulassen. Dazu mussten sie zunächst das Bürgerrecht eben jener Stadt erwerben – etwas, das nicht immer von Erfolg gekrönt war.

Gelegentlich wurden Mitglieder ins Tischleramt aufgenommen, die nicht aus dem eigenen Handwerk stammten. Vor allem Söhne aus artverwandten Professionen, wie zum Beispiel die Stuhlmacher, Drechsler oder Zimmerleute wechselten bisweilen zum Tischlerhandwerk.

Lehrburschen, deren Vaterhandwerk ein sachfremdes war, waren dagegen besonders selten.

Zudem wurden in allen in dieser Arbeit untersuchten Städten nur wenige sogenannte Freitischler zugelassen, denen es gestattet war, ohne Zunftzugehörigkeit kleine Werkstätten zu betreiben. Zum Teil waren sie, quasi als Kompromiss, in ihren Kompetenzen eingeschränkt und durften lediglich ausgewählte Aufträge annehmen. So gestaltete es sich im Durchschnitt für alle norddeutschen Tischlerämter, wobei zur Mitte des 19. Jh.s eine Aufweichungen dieser Gepflogenheiten eintrat. Sie ist im Zusammenhang mit dem Bestreben nach Auflösung der Organisation Handwerksämter zu ebenjener Zeit zu sehen.

Für viele Werkstätten des hier zu untersuchenden Gebietes ist belegbar, dass keine strenge Spezifikation erfolgte, sprich nicht nur Möbel hergestellt wurden, sondern das Geld mit allen Arbeiten verdient wurde und werden musste. Beispielhaft lässt sich dies im einzig erhaltenen Kontobuch der Stralsunder Möbelfabrik Dumrath nachvollziehen – wobei die aus dem Französisch stammende Bezeichnung (fabrique) nach dem heutigen Verständnis eine Manufaktur war. Unter den Aufgaben des Tischlergewerks versteht man landläufig die Herstellung von hölzernen Einrichtungsgegenständen. Dabei wird allzu leicht vergessen, dass nicht nur mobile Ausstattungsstücke von Wohn-, Geschäfts- und Arbeitsräumen dazu zählen, sondern auch genauso Fenster, Fensterläden, Türen, Treppen, Parkette, Wandpaneele, Särge, Schiffsausstattungen, Reisekoffer u.v.m. Das heißt also, dass nur ein kleiner Teil der tätigen Handwerker ihr Hauptaugenmerk auf die Herstellung von Möbeln oder gar eine (künstlerische) Entwurfstätigkeit lenken konnte. Für den Hof von Friedrich Franz I. können denn auch nur wenige Ebenisten, zumeist aus der Familie Busch, in der Zeit um 1800 nachgewiesen werden.92

Die größten Probleme der Tischler waren bis zur Mitte des 19. Jh.s neben den Importen von ausländischen Möbeln auch der große Andrang auf die Meisterschaft als Tischler sowie die historisch als Eingriffe ins Amt bezeichneten Geschäftsschädigungen. Das heißt, dass fremde Gewerke vorschriftswidrig Aufgaben wahrnahmen, die die Tischler für sich beanspruchten.

Dazu gehörten vor allem die Anwendung der Technik des Furnierens sowie die Verwendung

92 S. Teilkapitel über die hofnahen Tischlerämter, Schwerin.

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von bestimmten Arten der konstruktiven Holzverbindungen, wie Verzinkungen etc.

Außerdem ist die feine Oberflächenbehandlung durch Polieren und Mattieren dazuzurechnen.

Damit alle Handwerker sich von der Ausübung ihrer Profession ernähren können, sollte die Zahl der Amtsmeister dadurch beschränkt bleiben, dass die Prüfungsbedingungen sowohl inhaltlich als auch finanziell anspruchsvoll gestaltet wurden. Nur so konnte sichergestellt werden, dass von jeder Werkstatt genügend Aufträge akquiriert werden konnten.

In jedem der nachfolgenden Kapitel zu den einzelnen Städten werden diese Punkte spezifisch aufgearbeitet. Die bereits genannten Bedingungen herrschten allerdings nicht nur in den Ämtern des Nordostens, sondern lassen sich auch im gesamten deutschsprachigen Raum über viele Jahrhunderte hinweg nachweisen.93

So wie die Anforderungen an die Ausbildung und Arbeit der Tischlermeister von Stadt zu Stadt und von Region zu Region leicht variierten, so verhält es sich ebenfalls mit den Typenbezeichnungen der Möbelstücke, den Namen der Werkzeuge und Materialien. In der vorliegenden Arbeit werden hauptsächlich die in den Tischleramtsakten verwendeten Begriffe gebraucht, um damit der Diversifikation der historischen Begriffe gerecht zu werden. Das Verständnis der tischlereispezifischen Materialien und Arbeitsprozesse sollte dadurch allerdings nicht beeinträchtigt werden, zumal fallweise auf hinreichendes Bildmaterial verwiesen wird. Als Beispiel soll an dieser Stelle der Möbeltyp des Sekretärs angeführt werden,94 der synonym Schreib(e)schrank, (Schreib-) Schatulle, Schreibsekretär, Sekretärschrank oder Klappsekretär95 genannt wird und in den Varianten des Pultsekretärs (mit etwa 45 Grad schrägliegender Klappe) (z. B. Abb. 5) und des Zylinderbureaus (als Variante des Verschlusses mit einem Rollladen aus Einzelgliedern oder als starrer Ausschnitt aus einer hölzernen Zylinderwand) mit und ohne Aufsatz in Erscheinung tritt (Abb. 28 u. 30).

Finden sich gelegentlich in den Akten parallel Typenbezeichnungen wie Canapee und Sopha, kann davon ausgehend nicht direkt auf das Aussehen des Möbelstücks geschlossen werden, denn es mag damit derselbe oder eine spezielle regionale Varietät ein und desselben Sitzmöbeltyps gemeint sein.

93 Zu den bisher genannten Aspekten s. Hellwag 1924, Fehring 1929. Speziell für Rostock s. Festbuch Tischler-Innung HRO 1909.

94 Preining 2008, S. 6–7.

95 Secretaire à abbatant, d.h. die Schreibklappe ist im geschlossenen Zustand Teil der Möbelfassade und steht vertikal, beim Öffnen schlägt man sie um 90 Grad nach vorne auf.

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3. Stralsund

Im Stadtarchiv Stralsund liegen drei kleinere Aktenbestände vor, aus denen sich sehr viel zu den dortigen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sowie zur Möbelproduktion und deren Absatz entnehmen lässt.96 Hervorzuheben ist der Fall eines nicht angenommenen Meisterrisses vom Gernmeister Johann Jochim Seehase, der vor dem Magistrat in den Jahren 1806 und 1807 verhandelt wurde, und aus dem relativ präzise die zeitgenössische Diskussion über ästhetische Ideale sowie generelle Ansprüche an die werdenden Meister bezüglich ihrer theoretischen Fähigkeiten und praktischen Fertigkeiten abgeleitet werden können. All dieses wird aufgrund des Umfangs in einem eigenen Unterkapitel dargelegt. Zudem ist ein kleiner Bestand an Dokumenten mit detaillierten Informationen über die Möbelfabrik Dumrath (gegründet 1796) vorhanden, der gleichfalls ein Unterkapitel gewidmet wird.

Es ist zu betonen, dass über das Tischleramt Stralsunds keine umfangreiche Sekundärliteratur wie für Lübeck oder gar Berlin existiert. Glücklicherweise kann über die einzelnen Dokumente im Archiv hinaus auf eine besonders aussagekräftige Quelle, die Chronik der eben erwähnten Familie Dumrath, zurückgegriffen werden. Sie wurde in der Mitte des 19.

Jh.s geschrieben und enthält unter anderem wichtige, das Tischleramt betreffende Daten.97 Da in den Amtsakten meistens genaue Beschreibungen der Meisterstücke vorhanden sind, diese gut verkaufbar sein mussten und folglich weit verbreitet waren, lässt sich heute auf das Aussehen der zum größten Teil verlorenen Möbel schließen. Begünstigend kommt hinzu, dass zwei Pultsekretäre (Meisterstücke) sowie weitere Möbel aus der Dumrath‘schen Fabrik identifiziert werden können. Sie werden ausführlich vorgestellt.

Basierend auf den Dokumenten zu den drei Tischler-Generationen aus der Familie Dumrath – man kann geradezu von einer Dynastie sprechen – können überdies die Verbindungen nach Stockholm von der damals unter schwedischer Verwaltung stehenden Stadt Stralsund exemplarisch dargestellt werden. Auf dieser Grundlage wird es möglich, einzelne Angaben zur Klientel, die von der Hansestadt aus bedient wurde, sowie dem vorherrschenden Kaufverhalten zu machen.

Schließlich kann anhand historischer Quellen noch ein punktueller Einblick in die Wohnkultur der Stadt Stralsund gegeben werden.98 Doch sind zunächst die notwendigen Eckdaten zur Entwicklung des Amtes und seinen Meisterstücken seit der Mitte des 18. Jh.s, über die Zeit um 1800 sowie die weiteren Veränderungen im Jahr 1839 und später abzuhandeln.

96 S. Quellenverzeichnis.

97 Chronik in Auszügen wiedergegeben in Rieck 1968.

98 Der Nachweis der Signaturen findet sich im Quellenverzeichnis.

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3.1 Größe des Amtes, Entwicklung der Prüfungsbedingungen und Meisterstücke

Für das Stralsunder Tischleramt sind keine Dokumente erhalten, aus denen sich auf die Anzahl der dort zu einem bestimmten Zeitpunkt arbeitenden Meister schließen lässt. Es existiert lediglich das Buch der Totenkasse aus der Zeit zwischen 1792 und 1869, welches 69 Sterbefälle namentlich aufführt (Anhang 1). Die Quelle weist einen mechanischen Papierverlust am Ende auf und ist damit unvollständig. Anhand der Todesfälle lässt sich leider nicht darauf schließen, ob es in Stralsund – wie im etwa gleich großen Rostock – eine Überzahl an Tischlern im Verhältnis zur Größe der Stadt gab.

Bezüglich der Ausbildungs- und Prüfungsbedingungen konnten verschiedene Eckdaten gewonnen werden. Die Wanderzeit wurde kurz nach 1800 auf drei Jahre festgelegt.99 In der Bibliothek des Stadtarchivs Stralsund wird ein Typoskript zu einem nicht veröffentlichten Artikel von Käthe Rieck über die Tischlerfamilie Dumrath100 aufbewahrt. Dort heißt es, dass auf der Wanderschaft drei Königsstädte besucht werden mussten, wofür sich in den wenigen historischen Akten betreffs Meisterwerdung jedoch keine Hinweise finden lassen. Als Ziele kämen Stockholm und Berlin in Frage, da einerseits – wie erwähnt – Stralsund unter schwedischer Regierung stand und andererseits das Umland der preußische Verwaltungsbereich Pommern war. Die in der Zeit um 1800 gültigen Amtsstatuten (in der sogenannten Amtsrolle schriftlich fixiert) sind nicht überliefert. So müssen die genauen Vorschriften für das in Stralsund geforderte Meisterstück unbekannt bleiben. Wahrscheinlich war ab 1761 der Sekretär als Prüfungsmöbel an die Stelle des Kleiderschrankes getreten.101 Eine Festlegung der Tischleralterleute vom 7. November 1788 besagt darüber hinaus, dass ein neuer Riss als Vorgabe für das Meisterstück für gültig erklärt werde (Anhang 2). Der Gernmeister konnte demnach zwischen dieser neuen oder einer älteren Vorgabe wählen, wobei ein Meisterstück entsprechend dem neu hinterlegten Entwurf mit Mahagoni zu furnieren war, die ältere Variante aber nicht zwangsweise. In einer Ergänzung zu dieser Verfügung vom Beginn des darauffolgenden Jahres wurde festgelegt, dass im Eingerichte des Schreibmöbels keine Schubladen gemacht werden müssen.102

Obzwar kein Riss für das erwähnte ältere Meisterstück erhalten ist, kann man über ein im Kulturhistorischen Museum der Stadt Wolgast aufbewahrtes Möbel auf die verlangte Prüfungsarbeit der früheren Generation – also zwischen 1761 und 1788 – schließen. Dort wird

99 Stadtarchiv Stralsund, Rep. 16, Nr. 1031, darin: Akte: 1806–1807. Der Tischlergeselle Sehaase [Nur auf den Titelblättern der historischen Akten wird diese Schreibung des Familiennamens verwendet] ./. Alterleute des Tischleramts in pto. Recepitonis, Alterleute des Tischleramtes in puncto Receptionis 19.10.1806. S. Anhang Nr.

3. 100 Rieck 1968.

101 S. Anhang Nr. 2.

102 Stadtarchiv Stralsund, Rep. 16, Nr. 1064, 17.01.1789.

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ein Pultsekretär aus Eichenholz mit Intarsien (Abb. 5) aufbewahrt, der wegen seiner Qualität, gemessen am Entwurf und der sorgfältigen Ausführung, einer Meisterarbeit entspricht. Im Folgenden werden anhand dieses Möbels sowie eines Meisterstückes aus Stralsund aus der Zeit um 1800 (Abb. 9) die theoretischen Anstöße in der technischen und stilistischen Entwicklung der Möbelgestaltung in der norddeutschen Ostseeregion in Abhängigkeit von und im Vergleich mit England, Skandinavien und Frankreich erarbeitet.

Man muss davon ausgehen, dass sich wie alle norddeutschen auch die Stralsunder Tischler des 18. Jh.s sowohl an den berühmten Vorlagenwerken von Sheraton, Chippendale und Hepplewhite103 orientierten als auch durch den (ungewollten, da marktschädigenden) Import die Möglichkeit hatten, die aus England eingeführten Möbel direkt wahrzunehmen. Die Beliebtheit solcher Mobilien bei der norddeutschen Klientel wird bereits von Thomas Nugent für Lübeck in der Mitte des 18. Jh.s konstatiert.104 Ebenso belegen ein Nachlass aus der Hansestadt Wismar sowie ein Import einer ganzen Wohnungseinrichtung aus dem Vereinigten Königreich für die Gräfin Putbus ihre Begehrtheit.105 Die große Beliebtheit der englischen Mode bedingte den Transfer von Gegenständen des Kunsthandwerks und damit von ausländischen Moden nach Norddeutschland mittels der Handelswege der Hanse. Die Gestaltung des oben genannten älteren Pultsekretärs in Wolgast (Abb. 5) ist offensichtlich englischen Vorbildern im Stil von König George III. entlehnt. Der Typus des kombinierten Schreib- und Bücherschrankes – bestehend aus einem kommodenartigen Unterteil, dem ein Fach mit Eingerichte zum Schreiben und ein weniger tiefer, gelegentlich verglaster Schrankaufsatz darüber folgen – ist ein direktes englisches Zitat. Zu den Erscheinungsmerkmalen der Möbelkunst Großbritanniens im 18. Jh. gehören die Gestaltung der Fronten ohne prägnante Applikationen oder Tiefengliederung sowie das weitgehende Vermeiden allzu offensichtlicher, architektonischer Schmuckelemente wie Säulen, Konsolen, Giebel etc. (Abb. 6). Entsprechend sind beim Wolgaster Möbel in der Gestaltung des Kranzes mit seinem profilierten Gesims und einem feinen Klötzchenfries nur subtile Anspielungen auf die Architekturornamente ablesbar.

Die Höhen- und Tiefenverhältnisse der einzelnen Möbelgeschosse eines typischen englischen und auch des Wolgaster Sekretärs entstammen offenbar der Konstruktion der fünf klassischen Säulenordnungen durch die Sichtbarmachung der getanen Zirkelschläge, so wie Chippendale sie 1754 veröffentlichte (Abb. 29). Besonders gut nachvollziehbar wird diese Hypothese,

103 S. Teilkapitel zu Realien und Archivalien.

104 Nugent 1781, S. 72 (englischsprachig s. Nugent 1768, Bd. 1, S.122).

105 Die Gräfin Sophie W. von Putbus erhielt aus England die komplette Möblierung ihrer Wohnung, einschließlich eines Billards, der Gläser, Töpfe etc.; Möbel sind nicht näher spezifiziert (Landesarchiv Greifswald, Rep. 38 d, Putbus, 23).

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wenn man der Konstruktion der Säulen beispielsweise einen Sekretär mit Rollverschluss der Schreibfläche und Schrankaufsatz in der Seitenansicht gegenüberstellt (Abb. 28). Es wirkt so, als passe die ionische Ordnung am ehesten als Ausgangspunkt der Proportionsfindung, wobei zum Postament noch circa die Hälfte des darüber liegenden Bereichs geschlagen wird, um die Höhe des Kommodenunterteils anzugeben. Die übrige Hälfte entspricht dann ungefähr der Höhe des Schreibfaches. Nimmt man an, die Linien rechts außen, die die Höhe der einzelnen Zonen der Säulen angeben, entsprächen der Rückwand des Schreibmöbels, wird durch die vertikale Hilfslinie der Volutenkonstruktion (gestrichelt dargestellt) die Tiefe des Aufsatzes für das Schreibmöbel ablesbar. Auf diese Weise tritt die Architektur als Formgeberin und Orientierung für die Gestaltungskunst im Tischlerhandwerk hintergründig zu Tage. Allerdings findet sich an keiner Stelle in historischen Quellen ein konkreter Hinweis auf dieses Vorgehen.

Der Stil der Einlegearbeiten (regional und historisch auch als Mosaik bezeichnet106) sowie der Verzicht auf die Verwendung von Säulen als Dekoration wie bei den bereits erwähnten englischen Möbeln des 18. Jh.s sind ausschlaggebend für die Datierung des Schreibmöbels in Wolgast in vorklassizistische Zeit (Abb. 5). Die eingelegten Intarsienbänder aus zwei kontrastierenden Holzarten sind eine Allusion auf die Zierleisten aus Goldbronze, wie sie an französischen Möbeln in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s und darüber hinaus angebracht wurden. Nach Auskunft der Schenkerin107 stammt der Schrank aus Wolgaster Familienbesitz, wo er als Meisterstück eines aus derselben Familie stammenden, ortsansässigen Tischlers vererbt wurde. Die Aktenlage zum dortigen Amt ist sehr dünn, und dass ein Sekretär in der kleinen Ostseestadt jemals Prüfungsaufgabe war, lässt sich nicht nachweisen. Typisch für derart kleine Städte wäre beispielsweise ein Tisch mit Schachbrett-Marketerie auf der Platte.108 Eine Zuschreibung des Schreibmöbels an Stralsund ist auch möglich, da beide Städte nah beieinander liegen. Stilistisch könnte es sich also um das ältere Stralsunder Meisterstück handeln.109

106 Stadtarchiv Stralsund, Rep. 16, Nr. 1031, darin: Akte: 1806–1807. Der Tischlergeselle Sehaase ./. Alterleute des Tischleramts in pto. Recepitonis. S. Anhang Nr. 5.

107 Laut mündlicher Auskunft der Museumsdirektorin Barbara Roggow.

108 Weitere Informationen zu kleineren Städten im westlichen Pommern finden sich in einem der nachfolgenden Kapitel.

109 Für ein von Stiegel 2003, S. 418, Tafel 30.1 publiziertes Modell desselben Möbeltypus aus dem Jahr 1804 ist die Herkunft noch nicht geklärt. Es könnte ebenfalls aus Stralsund oder einer anderen Stadt an der Ostsee kommen. Für einen Pultsekretär im Bremer Focke-Museum wird vermutet, er sei ein Bremer Meisterstück (Post 1995, S. 103). Er ähnelt aber sehr stark dem Stralsunder Entwurf und Möbel aus den 1780er-Jahren.

Möglicherweise ist er ähnlich wie der Sekretär aus Wismar (Abb. 58) später durch Geschäfts- oder private Beziehungen von Stralsund nach Bremen gelangt.

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Ein anderes Meisterstück, das offensichtlich direkt nach einem neueren Musterriss des Stralsunder Tischleramtes angefertigt wurde, wird im Kulturhistorischen Museum der Hansestadt Stralsund bewahrt (Abb. 8 u. 9). Die Grundsätze seiner Proportionen wurden bereits weiter oben analysiert. Über dem Kranzgesims dieses neueren Meisterstückes ist der typische galerieartige Aufsatz verloren gegangen. Daneben scheint die Schlagleiste eine moderne Ergänzung zu sein. Einige Bronze- oder Messingbeschläge, die der französischen Mode entsprechen, sind ebenfalls verloren, vielleicht ebenso wie die Konsolen zwischen den Füßen und dem Korpus, die im Riss gezeigt werden. Ansonsten gibt es nur kleine Unterschiede zur Zeichnung: Die Kassettenfüllungen der beiden Türen im Aufsatz haben keine eingezogenen Ecken, die Platz lassen für runde Applikationen. Die Klappe vom Schreibfach ist glatt und einfach wie die Füllungen der beiden Türen, die Rahmen-Füllungskonstruktionen der Türen und Schubladen sind überfurniert. Schließlich steht das Möbel auf konischen Füßen. Es handelt sich folglich um eine mögliche Variante nach dem vorliegenden Meisterriss (Abb. 8). Im Besonderen ist auf die Verwendung der vergoldeten Leisten hinzuweisen, die in vertikaler und horizontaler Richtung einzelne Bestandteile des Möbels, wie Schubladen oder Türen, konturieren.110

Ein weiterer sehr ähnlicher Sekretär aus dem Bremer Focke-Museum ist zu nennen, der stilistisch dem Stralsunder Riss und Möbel entspricht (Abb. 10). Möglicherweise ist er, ähnlich wie der beispielhaft zu nennende, rund 20 Jahre jüngere Sekretär aus Wismar (Abb.

58), durch Geschäfts- oder private Beziehungen von Stralsund nach Bremen gelangt. Wie das zuvor beschriebene ältere Möbel in Wolgast (Abb. 5), entspricht auch das Stück in Bremen typologisch englischen Vorbildern. Seine markante Dekoration mit Säulen, die ein Spezifikum der Möbel aus deutschsprachigen und skandinavischen Ländern ist, und die attikaartige Galerie als Möbelkranz mit überhohen Mittelrisaliten kann an verschiedenen Möbeltypen aus dem damals dänischen Altona oder Stockholm gefunden werden. Die Betonung der Mitte durch eine Vase findet sich wiederum häufig an englischen Möbeln (Abb.

7). In Kopenhagen war etwa zur selben Zeit ein formal vergleichbares Schreibmöbel das Meisterstück und blieb es über mehr als vier Jahrzehnte (Abb. 11 u. 12). Daran wird die relative Einheitlichkeit und Statik im Stil der Möbel aus der Küstenregion der Ostsee deutlich.111

Überdies sind das neuere und ältere Meisterstück des Stralsunder Amtes (Abb. 5, 8 u. 9) auch mit der Abbildung eines Zylinderbureaus verwand, das mit zwei Schranktüren im Unterteil

110 Der Berliner Tischler Johann Gottlieb Thielemann formuliert im Jahr 1801, dass genau zu solch einem Zweck die Verzierungen an Möbeln da zu sein hätten (Thielemann zitiert bei Stiegel 2003, S. 115.).

111 Clemmensen 1945, S. 65.

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und einem Aufsatz versehen ist. Es wurde im Journal des Luxus und der Moden aus dem

und einem Aufsatz versehen ist. Es wurde im Journal des Luxus und der Moden aus dem