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Der staatliche Antiquitätenhandel der DDR unter Alexander Schalck-Golodkowski, in seiner Funktion Leiter des geheimen Bereiches für Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel, griff auch in die öffentlichen Sammlungen der Museen in den Städten zwischen Anklam ganz im Osten und Wismar im Westen des vorliegend zu untersuchenden Gebietes ein. An vielen, gerade kleineren kulturhistorischen Museen kam es zur Entnahme von Exponaten aus dem Bestand, die für Devisen verkauft wurden. Die dadurch entstandenen Lücken wurden meistens allerdings durch vergleichbare Ersatzobjekte geschlossen, bei denen es sich in der Regel um Stücke geringerer Qualität handelte. Viel markanter ist zudem der dabei entstandene Verlust von wertvollen kulturhistorischen Hintergrundinformationen.83 So können die heute in den Sammlungen befindlichen Möbel in ihrer Provenienz nicht immer der Tischlerproduktion jener Stadt oder jener sie umgebenden ländlichen Region zugeschrieben werden, in welchen sie heute aufbewahrt sind.

80 Freyer 2013.

81 Meiner 2009.

82 Graf 2002a und Ottillinger/Hanzl 1997.

83 Die Angabe fußt auf Aussagen (ehemaliger) Museumsmitarbeiter. Eine Untersuchung dieses Teils der Sammlungsgeschichte(n) ostdeutscher Museen steht nach wie vor aus.

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Lediglich 21 Zeichnungen von Möbel- und Haustischlern liegen im Stadtarchiv Rostock vor, zwei weitere im Stadtarchiv Stralsund. Sie gewähren im Unterschied zu den musealen Sammlungen in kleineren Städten einen präziseren, wenngleich ebenso punktuellen Eindruck vom Aussehen der damaligen Tischlerwaren; die meisten Blätter stammen aus der Zeit um 1800. Hinzukommen außerdem drei nachweisliche Meisterstücke aus Stralsund und Rostock, die als solche allerdings erst im Zuge dieser Forschungsarbeit identifiziert werden konnten. Es handelt sich um drei Sekretäre (Abb. 5, 9 u. 42) Zusätzlich sind einige Stücke aus der Stralsunder Möbelfabrik Dumrath, die entweder im dortigen Kulturhistorischen Museum der Stadt erhalten oder durch Fotografien aus Privatbesitz bekannt sind.

Was das Mobiliar des Mecklenburger Hofes anbelangt, konnte ein Überblickswerk aus den 1920er-Jahren genutzt werden, in dem Einzelaufnahmen aus dem ersten Viertel des 20. Jh.s von herzoglichen Interieurs und Möbeln vorkommen,84 die jedoch mitunter falsch zugeschrieben sind. Eine der größten Schwierigkeiten bei der vorliegenden Arbeit besteht darin, dass die Zahl der Möbel aus herzoglichem Vorbesitz heute aufgrund von Verkäufen nach dem Ersten und Verlusten nach dem Zweiten Weltkrieg stark reduziert ist. Von ihnen konnte im Rahmen dieser Forschung nur eine Handvoll Objekte der herzoglichen Möbel- und Bronzefabrik in Ludwigslust zugeschrieben werden. Sie befinden sich, ebenso wie eine größere Anzahl weiterer Stücke aus der Zeit zwischen circa 1790 und 1840, die aus ursprünglich herzoglichem Besitz stammen, im Staatlichen Museum Schwerin. Auf die verlorenen Einrichtungsgegenstände und ihre Aufstellung in den Räumen von Schlössern und Palais kann aber zum Teil auf Grundlage von Inventaren geschlossen werden. Ihr Aussehen ist in den Dokumenten des 19. Jh.s allerdings nur äußerst selten vermerkt. Ebenso spärlich sind Interieurbilder oder Pläne zu den herzoglichen Ausstattungen, weshalb auch die weiteren herzoglichen Möbelstücke keinem historischen Aufstellungsort zugeordnet werden können.

Über die bis hier genannten Möbel und Zeichnungen hinaus, ist das Planmaterial zu den Innenräumen des Erbprinzenappartements des Schlosses Friedenstein in Gotha besonders hervorzuheben. Die Pläne waren rund zwei Jahrhunderte unentdeckt.85 Sie werden in einem der folgenden Kapitel präsentiert und belegen eindrücklich den dynastischen Bezug zum Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg (Abb. 121–159). Wahrscheinlich sind sie von dort kurz nach 1800 angefordert worden, als man in Ludwigslust das Palais mit dem Appartement für das erste Mecklenburger Erbprinzenpaar ausstatten wollte. Dem damals am Mecklenburger Hof tätigen Architekten Joseph Ramée hätten sie zur Orientierung dienen können.

84 Brandt 1925.

85 Janke 2016a.

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Einzig ein Interieurbild aus den 1820er-Jahren zeigt das Wohnzimmer der Erbgroßherzogin Alexandrine im Ludwigsluster Schloss (Abb. 168). Ansonsten existieren keine Innenraumbilder aus diesem Zeitraum. Nur wenige erhaltene technische Risse und Skizzen dokumentieren das Möbelentwerfen des Architekten Johann Georg Barca aus den 1820er-Jahren, der die Ausstattung für den Mecklenburger Erbprinzen Paul Friedrich anlässlich seiner Hochzeit mit Alexandrine von Preußen im Jahr 1822 organisierte (zweite Generation).

Aufgrund der geringen Anzahl erhaltener Möbel und Zeichnungen muss sich in dieser Arbeit also hauptsächlich auf die Auswertung von schriftlichen Archivalien gestützt werden, zumal auch die wandfesten Ausstattungen aller mecklenburgischen Appartements heute verloren sind. Das erbgroßherzogliche Appartement im Schloss Ludwigslust wird derzeit in seinem ursprünglichen Aussehen rekonstruiert und tiefgründig restauriert, weshalb man in den kommenden Jahren zumindest ein Interieur aus der zweiten Dekade des vorvergangenen Jh.s erleben kann. In der vorliegenden Arbeit lieferte außerdem die fotografische Dokumentation der Restaurierung des Alten Palais in Schwerin einige Anhaltspunkte zum ursprünglichen Aussehen und zum modischen Wandel der höfischen Wandgestaltungen im Laufe der ersten Jahrzehnte zwischen circa 1800 und 1850.

Zu einem thematischen Teilgebiet der vorliegenden Untersuchung, nämlich der Möbelproduktion für höfische und bürgerliche Klientel, liegen zahlreiche ungedruckte schriftliche Quellen in städtischen Archiven in Mecklenburg-Vorpommern vor, besonders im Landeshauptarchiv Schwerin.86 Zu den gedruckten Quellen gehören Vorlagenwerke, auf die jedoch wegen der wenigen erhaltenen mecklenburgischen oder vorpommerschen Möbelstücke und Zeichnungen im Folgenden nur selten Bezug genommen werden kann. Das Journal des Luxus und der Moden und ein unter anderem dort rezipiertes französisches Kupferstichwerk (Meubles et objets de goût) sind hauptsächlich zu nennen.87 Hinzu kommen drei Publikationen der drei großen englischen cabinetmaker, Thomas Chippendale (1718–1779), George Hepplewhite (1727?–1787) und Thomas Sheraton (1751–1806).88

In Form von Quellen mit chronikartigem Charakter schildern vielfältige Darstellungen die gesellschaftlichen und kulturellen Geschehnisse am Mecklenburger Hof oder in einzelnen Städten, auf die zur Beschreibung und Rekonstruktion von Rahmenbedingungen zurückgegriffen werden kann.89

86 S. tabellarische Übersicht am Ende der Arbeit.

87 Journal des Luxus und der Moden 2003 und Meubles et objets de goût aus verschiedenen Jahren.

88 Chippendale 1754, George Hepplewhite 1794 (Seine Witwe Alice hat die Muster 1788, 1789, 1790 post mortem publiziert), Sheraton 1793–1802 und Sheraton 1794 (dt.).

89 Heß 1811, Hirschfeld 1891, Hirschfeld 1896, Meyer 1801, Nugent 1781, Saubert 1899, Schmidt 2002, Schreiber 1855, Wundemann 1803.

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1. Einleitung

Die Erforschung eines heterogenen Raumes wie dem im Titel genannten, mit einem hohen Anteil im Land verstreuter, zumeist kleinerer Städte, ist stets eine besondere Herausforderung, da das Aktenmaterial aus solchen Orten generell wenig umfangreich ist und durch die verschiedentlich bedingten Reduktionen der Archivbestände meistens sogar nur Informationsrudimente erhalten sind. Für die ländlichen Städte im westlichen Teil der ehemaligen Provinz Pommern kann aber trotzdem zu Forschungsergebnissen gelangt werden.

Anders verhält es sich für den ländlichen Raum des ehemaligen Herzogtums Mecklenburg-Schwerin, weshalb auf eine eigene Darstellung der wenigen, nicht aussagekräftigen Hinweise im Folgenden verzichtet werden muss. An geeigneter Stelle fließen sie aber in den Text mit ein.

In den folgenden Kapiteln sollen zunächst jene größeren Tischlerämter bearbeitet werden, welche im damaligen Gebiet des westlichen Pommerns und im (Groß-) Herzogtum Mecklenburg-Schwerin liegen. Es wird also von Ost nach West vorgegangen, was mit der Gliederung von den größten Ämtern mit dem meisten erhaltenen Archivmaterial zu den kleineren und kleinsten übereinfällt (Abb. 1 u. 2).

Im Archiv der Hansestadt Stralsund, die lange Zeit schwedisch besetzt war und ab 1815 zu Preußen gehörte, fanden sich aufschlussreiche Dokumente des dortigen Tischleramtes, deren Auswertung zu umfangreichen und konsistenten Ergebnissen führt. Das Aktenmaterial bietet einen detaillierten Einblick in die vielschichtigen Bedingungs- und Produktionsebenen.

Exemplarisch gibt es Aufschluss über das Verfahren bei Meisterprüfungen und die dabei wirksamen ästhetischen Diskurse, ferner über Marktbedingungen und Vernetzungen mit Stockholm und anderen Ostseestädten sowie über die Entwicklung der großen bürgerlichen Möbelfabrik der Familie Dumrath in napoleonischen Krisenzeiten. Zudem lässt sich, auf den schriftlichen Quellen fußend, ein schlaglichtartiger Eindruck der hanseatischen Wohnkultur in

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Stralsund erarbeiten. Topografisch betrachtet, bildet Stralsund von Mecklenburg aus gesehen das östliche Pendant zu den Tischlerämtern von Lübeck und Hamburg. Letzteres war von der Stadtgröße und den Einkommensverhältnissen her Rostock ähnlicher als den beiden anderen Städten. Besonders der Hamburger Handel profitierte über Jahrhunderte von dem unmittelbaren Zugang zu den Weltmeeren über die Elbe und die Nordsee.

Die am Beispiel der Tischler Stralsunds erworbene Vorkenntnis hilft, das Verständnis von der Organisation der Möbeltischlerei und ihren vielfältigen wirtschaftlichen Voraussetzungen und ästhetischen Einflüssen in allen anderen Städten des Nordostens zu erleichtern sowie hintergründig zu vervollständigen, da es streckenweise an aussagefähigem Aktenmaterial einiger Mecklenburger Tischlerämter fehlt.

Sinngemäß sind zunächst die einzelnen Forschungsergebnisse zu den Bedingungen und der Produktion in den Tischlerämtern des westlichen Pommerns und Mecklenburgs darzustellen und dann in einem zweiten Schritt in erweiterten Kontext mit anderen Städten des gesamten norddeutschen Raums sowie Skandinaviens zu setzen. Zum einen sind dabei unmittelbare Abhängigkeiten voneinander nicht erkennbar, sondern es treten vielmehr Parallelen durch die gemeinschaftliche Vernetzung der Ämter an allen Orten mehr oder minder zeitgleich zu Tage.

Zum anderen wird es auf diese Weise möglich, sich ein Bild von den damaligen Verhältnissen im Nordosten zu machen, ohne dass zunächst ein vielschichtiges Wissen über die Gegebenheiten in anderen Regionen und großen Städten wie Stockholm, Kopenhagen, Berlin oder Altona ausgebreitet werden muss, wenngleich sie für die Entwicklung der Möbelkunst im 18. und 19. Jh. bedeutender waren. Die Geschichte des Hamburger Tischleramtes muss für den entsprechenden Zeitraum teilweise grundsätzlich aufgearbeitet werden, denn gerade für die (groß-) herzoglichen Käufe von Ausstattungsstücken spielt Hamburg eine Rolle. Im Zusammenhang damit kann der Kanon der Hamburger und Lübecker Zeichenschulen für Handwerker präsentiert und gewürdigt werden, um erstmalig Anhaltspunkte als Antworten auf die Frage nach der theoretischen Ausbildung der Tischler speziell in Norddeutschland zu gewinnen.

Die zeithistorischen Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb Mecklenburgs und Pommerns sind insbesondere durch die Beeinträchtigung der napoleonischen Zeit ähnlich.

Da es, wie eingangs erwähnt, heute vielerorts an Möbeln und meistenteils auch an Möbelzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen 1790 und 1850 fehlt, stehen für jedes städtische Tischleramt im westlichen Pommern beziehungsweise Mecklenburg-Schwerin die Meisterstücke und damit die Prüfungsbedingungen im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Konsequent sollen ausschließlich Möbel und historische Zeichnungen berücksichtigt werden,

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deren Provenienz möglichst zweifelsfrei belegt werden kann. Somit ergibt sich die Chance, auf sicherer Grundlage später einmal weitere Stücke aus einer Stadt oder Region stilistisch zu identifizieren und zu datieren. Im Folgenden können neben den allgemeinen Bedingungen der Möbeltischlerei und des Vertriebs auch einige Meister namentlich mit Möbeln verbunden werden, da beispielsweise ihr erster Versuch einer Prüfung fehlschlug und sie dagegen klagten. Dies ist aus Stralsund und Rostock mehrfach überliefert. Die meisten Tischler aber treten nicht aus ihrer Anonymität hervor, denn bedauerlicherweise signierten sie ihre Stücke nicht. Jene Amtsmitglieder, von denen heute nichts weiter als ihre Namen bekannt sind, finden sich im Anhang der vorliegenden Arbeit in den transkribierten Meisterlisten ihrer Städte wieder. Da diese teilweise aus verschiedenen Quellen rekonstruiert werden mussten, ist ein Anspruch auf Vollständigkeit nicht gewährleistet.

Wie sich zeigen wird, ist es möglich, ein Panorama der Möbeltischlerei vom Ende des 18. Jh.s bis fast zur Mitte des 19. Jh.s in den größeren Städten des heutigen Nordostens zu entwickeln, wenngleich es sich nicht lückenlos darstellen lässt.

Die gewonnenen Erkenntnisse der von den Mecklenburger Amtsmeistern zu erwerbenden Fähigkeiten und Fertigkeiten können einen Eindruck davon vermitteln, auf welche Qualität und welches Angebot der (Groß-) Herzog bei Neuausstattungen im eigenen Land hätte zurückgreifen können. Es lässt sich demzufolge hypothetisch aufzeigen, was ein Erteilen der Aufträge im Inland nur bedingt attraktiv machte.

Folglich wird der Leser mit einer regionalen und überregionalen Kenntnis ausgestattet, um im darauffolgenden Teil der vorliegenden Arbeit die Entscheidung des (Groß-) Herzogs Friedrich Franz I. theoretisch nachvollziehen zu können, bei großen bedeutenden Neuausstattungen für die Erbprinzen des Landes eben nicht auf die einheimische Tischlerproduktion zurückzugreifen.90 In diesem Zusammenhang stellt die herzogliche Gründung der Möbel- und Bronzefabrik in Ludwigslust im Jahr 1798 eine Besonderheit dar. Sie war in direkter Nähe zum Hof angesiedelt und genoss stetes Interesse des Herzogs. Aus ihren Aktenkompendien geht hervor, dass sie für die Einrichtung und den Etat des Erbprinzen Friedrich Ludwig sorgen sollte.91 Das Kapitel mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte bildet quasi das Scharnier zwischen der bürgerlichen Möbelproduktion und den höfischen Anforderungen bei Ausstattungsprojekten, welche im nächsten großen Kapitel der vorliegenden Arbeit analysiert werden.

90 Die Möbeltischlerei in diesen Breiten entwickelte sich auch im Verlauf des 19. Jh.s nie zu einem Luxushandwerk, eingebettet in einen komplexen Markt von Werkstoffangebot und -nachfrage, Angebot von Tischlerwaren und Nachfrage durch eine große, finanzstarke Klientel. Zur Beziehung zwischen dem Handwerk und der höfischen Kultur im 18. Jh. in London, Paris, Berlin und Mainz s. Stürmer 1982.

91 LHAS, 2.26-2, 2390.

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Bevor nun die zentralen Fragen der Amtsgrößen, der Prüfungsbedingungen, der Meisterstücke, des Absatzes und der Verknüpfungen sowie der ästhetischen Kriterien in der Möbeltischlerei erarbeitet werden, sollen spezifische Begriffe und Sachverhalte des Tischlerhandwerks kurz erläutert werden.