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Die mecklenburgische Möbeltischlerei im Vergleich zu Berlin, Lübeck, Hamburg, Altona und weiteren Städten

Die in Mecklenburg und im westlichen Pommern wirksamen Ideale bei der Gestaltung von Möbeln konnten auf Grundlage einiger erhaltener Möbelstücke und des Aktenmaterials bereits punktuell dargestellt werden. Dabei wurde auch ein Zusammenhang mit den englischen, schwedischen, dänischen und französischen Möbelstilen deutlich. In Norddeutschland hatte zudem besonders die Architekturtheorie Vignolas Einfluss auf die Gestaltung der Tischlerwaren. Die Amtsgröße, Prüfungsbedingungen, modischen Strömungen und Marktbedingungen in den Städten Berlin, Lübeck, Hamburg und Altona – die allerdings auf die in der vorliegenden Arbeit vornehmlich zu bearbeitenden Tischlerämter keinen direkten Einfluss hatten – werden nun geschildert, um die Geschehnisse in der nordöstlichen Region Deutschlands zu kontextualisieren. Dabei wird zunächst auf die weiter von Mecklenburg gelegenen Städte eingegangen, ehe die im Westen liegenden, benachbarten Hansestädte folgen. So kann die Situation der Tischler des 18. und 19. Jh.s im heutigen Gebiet des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern genauer eingeschätzt werden.

Es lässt sich nicht nachweisen, dass die bürgerlich initiierten Zeichenschulen in Hamburg und Lübeck sowie die großen Akademien in Kopenhagen und Berlin maßgeblich für die (theoretische) Ausbildung der Tischler im heutigen Nordosten waren; gleichwohl lässt sich ein Impuls in den Tischlerentwürfen und Meisterprüfungsbedingungen aufgrund der Rezeption der Architekturtheorie erkennen. Wahrscheinlich wurde das Wissen traditionsgemäß von den Werkstattmeistern an die Gesellen und von ihnen an die

287 S. Stratmann-Döhler/Wiese 1994 für die Häuser mit (groß-) herzoglichem Rang, aber auch München und St.

Petersburg.

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Lehrburschen weitergegeben. Den darzulegenden Ergebnissen zur Zeichenausbildung in den Vergleichsstädten wird wegen ihres Umfanges und ihrer Bedeutung ein eigenes Kapitel gewidmet.

7.1 Die Verhältnisse in Berlin, Braunschweig und Bremen

Im Berliner Tischlergewerk sind ab den 1790er-Jahren bis zur Einführung der Gewerbefreiheit im Jahr 1810 zwischen 339 und bis über 400 Werkstätten nachweisbar.

Danach ist ein stetiger Anstieg bis auf 1.531 Werkstätten im Jahr 1846 zu verzeichnen.288 In Braunschweig arbeiteten 1820 98 Tischler, deren Anzahl im Jahr 1840 auf circa 140 gestiegen war.289 Bereits in der Mitte des 18. Jh.s waren mehr als 70 Tischlerwerkstätten zu verzeichnen, und als 1807 die Gilden aufgelöst wurden, belief sich ihre Zahl schon auf rund 100.290 Nicht nur in diesen, sondern auch in weiteren Städten gab es, wie noch zu sehen sein wird, weit mehr Tischler als in den mecklenburgischen und pommerschen Ämtern, wo die Zahl der Meister in den größeren Städten etwa um die 50 schwankte. Dazu sind allerdings noch die Gesellen und Lehrburschen einer Werkstatt zu zählen, deren Anzahl sich indessen nicht nachweisen lässt. Für Bremen können die Zahlen ebenfalls nicht genau ermittelt werden, da die Meisterlisten lückenhaft überliefert sind.291 Berlin, die preußische Königsstadt, gehörte zu den pulsierensten Handwerkerzentren im deutschsprachigen Raum, was sowohl mit ihrer Größe und der Anwesenheit des königlichen Hofes zu tun hatte als auch mit der 1810 eingeführten Gewerbefreiheit.292 Durch sie war es erstmals möglich, dass unter dem Dach einer Werkstatt oder Manufaktur verschiedene Gewerke arbeiten konnten.293 Ähnlich verhielt es sich am Ende des 18. Jh.s in Stralsund mit der königlich konzessionierten Fabrik des Tischlermeisters Johann Heinrich Dumrath oder mit der von Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin gegründeten Möbel- und Bronzefabrik. Doch beides waren unbedingte Ausnahmeerscheinungen im Gebiet des heutigen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern.

Wie in Berlin gab es auch in Mecklenburg Indikatoren, die bereits zu Beginn des 19. Jh.s die perspektivische Aufhebung der Zünfte anzeigten. Jedoch bis nach der Mitte des 19. Jh.s

288 Stiegel 2003, Tabelle zum Ausklappen zwischen S. 80 u. 81.

289 Christiani 1979, S. 18.

290 Winter 2005, S. 55

291 Post 1995, S. 382.

292 Stiegel 2003, S. 155.

293 Die Aufhebung der Zunftverordnungen, um verschiedene Gewerke in einer Werkstatt zu vereinen, um für das französische Königshaus Luxuswaren herzustellen, zeichnet sich mit dem 16. Jh. ab (Eberle 2012, S. 88).

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änderte sich erst einmal nichts. Solange wurden hauptsächlich Debatten um die Abgrenzung fachlich und sachlich ähnlicher Ämter voneinander geführt, wie zum Beispiel der Stuhlmacher von den Tischlern, der Tischler von den Zimmermännern, der Zimmermänner von den Bootsbauern etc. Unter diesem Gesichtspunkt verwundert es also wenig, dass die Vorgaben zum Meisterstück und zur -prüfung hier wesentlich präziser gefasst waren als in Berlin, wo man der Klientel nicht mit einer Unzahl ewig gleicher Meisterstücke aufzuwarten brauchte, auf denen noch schlimmstenfalls die jungen Meister resultierend aus der mangelnden Nachfrage sitzengeblieben wären. Außerdem bewirkte die Aufweichung der Vorschriften einen Konkurrenzdruck und damit eine automatische Anhebung der Qualität der Prüfungsstücke. In Berlin traten ab 1794 maßgebliche Veränderungen ein. So musste ein Gernmeister nicht mehr nach einem ihm vorgelegten Entwurf einen fourniert Spint anfertigen, sondern konnte sich an Musterrissen orientieren. Der Möbeltyp und dessen Ausformung sowie die Holzauswahl waren ihm freigestellt. Gleichzeitig wurde die Anfertigung eines eigenen Risses Pflicht und damit das Beherrschen der Zeichnung bestätigt.294 1787 wurde der Zeichenunterricht an der Berliner Akademie eingeführt.295 Es ist allerdings nicht klar, ab wann Handwerker daran zum Zwecke ihrer professionellen Schulung partizipieren konnten.

Das eigentliche Entwerfen war auch in Städten wie Bremen296 und Braunschweig297 nicht zwangsläufig geforderter Bestandteil der Prüfung, aber ein möglicher. So ist es bereits aus Rostock und Stralsund bekannt. Das dortige traditionelle Meisterstück des Kleiderschrankes wurde in den norddeutschen Ämtern erst gegen Ende des 18. Jh. langsam durch die französischen und englischen Typen der Schreibmöbel ersetzt; es sind dies Pultsekretäre und sogenannte Roll- oder Zylinderbureaus mit und ohne Aufsatz sowie secrétaires à abbatant.

Die Kosten einer Meisterprüfung am Ende des 18. Jh.s beliefen sich in Berlin auf 600 Taler,298 einen immensen Betrag. In Bremen wurde sie ebenfalls von der Zunft bewusst sehr teuer gemacht,299 was sich naturgemäß nur wenige leisten konnten. Auf diese Weise konnte man also die Zahl der Meister regulieren, was vergleichsweise für Rostock bereits nachgewiesen werden konnte.

294 Stiegel 2003, S. 61–62.

295 Ebd., S. 101.

296 Post 1995, S. 45.

297 Christiani 1979, S. 20–23.

298 Stiegel 2003, S. 95.

299 Post 1995, S. 94.

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7.2 Die Verhältnisse in Hamburg, Altona und Lübeck: Vernetzung, Marktbedingungen und Möbelqualität

Die zeithistorischen Rahmenbedingungen zu Beginn des 19. Jh.s waren wegen der napoleonischen Unruhen nicht nur für das Tischlerhandwerk denkbar schlecht. In der Zeit von 1806 bis 1813 war Lübeck von den Franzosen besetzt. Hamburg wurde zunächst zur Hauptstadt des Departements Elbmündung des französischen Kaiserreichs und 1813/14 von den Russen belagert. Ab 1815 wurden beide infolge des Wiener Kongresses Freie Städte, wodurch sich das Gewerbetreiben erholen konnte. Altona stand bis 1864 unter der Verwaltung des dänischen Königs, jedoch brachten die napoleonische Elbblockade im Jahr 1803 und die spätere Kontinentalsperre von 1806 bis 1814 auch das dortige Gewerbeleben aufgrund von Materialmangel beinahe zum Erliegen.300 Diese Voraussetzungen mögen dazu geführt haben, dass der Aktenbestand aus dieser Zeit eher spärlich ist.

Im dänischen Altona herrschte bereits seit 1664 die Gewerbefreiheit, was den Amtsmeistern das Überleben schwer machte, da zum einen viele Tischlerwerkstätten betrieben wurden, zum anderen allerhand fremde Waren auf dem Markt verkauft wurden. Dagegen wehrten sich die Meister mehr als 100 Jahre lang erfolglos. Allerdings begünstigte diese frühmerkantilistische Politik ein maximales Aufblühen des Gewerbes sowie einen großen Konkurrenzdruck, sodass sich Möbelfabriken wie jene der Familie Köster entwickeln konnten.301 Ähnliche Impulse gab es am Ende des 18. Jh.s etwa in Berlin, wo die Gewerbefreiheit, wie gesagt, im Jahr 1810 eingeführt wurde.302

Gleichwohl waren die Städte Hamburg, Altona und Lübeck in der ersten Hälfte des 19. Jh.s die Zentren des Handels im norddeutschen Raum. Allerdings sind die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen im Hamburger Tischleramt vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jh.s bisher nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Dies muss zunächst geleistet werden. Überall waren die Tischler im Zugzwang, ebenso gefällige Möbel zu entwerfen und herzustellen, wie sie dem Publikum durch die Importe aus England und Frankreich sowie durch Journale, Vorlagenwerke oder gar Importe bekannt waren; auch im Falle von Rostock ist dies bereits belegt worden. Weil die Städte Lübeck und Hamburg keine Universitäten oder Akademien besaßen, erwuchs ein bürgerliches Interesse, den gesellschaftlichen Bildungsstand durch Vereinsinitiativen zu erhöhen. Dabei wurde auch der (architektonische) Zeichenunterricht

300 Kratz 1988, S. 15.

301 Ebd., S. 17–28.

302 Stiegel 2008, S. 155.

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implementiert, der von Handwerkern in Anspruch genommen werden konnte und sollte, um die Qualität ihrer eigenen Entwürfe zu verbessern und diese mindestens genauso beliebt zu machen, wie die aus dem Ausland bekannten und angebotenen Stücke. Im Folgenden wird erst auf Ausbildungsbedingen in Hamburg und dann auf jene in Lübeck eingegangen.

7.2.1 Hamburg und Altona

In einer Dissertation aus dem Jahr 1928 wird die Geschichte des Hamburger Tischleramts dargestellt.303 Bei ihr stehen der Ursprung und die ältere Geschichte des Amtes im Mittelpunkt, nicht aber eine genaue Kartographie der Verhältnisse des vorliegenden Untersuchungszeitraums. Überdies werden soziale Phänomene, also Sitten und Gebräuche, beschrieben. Es handelt sich demzufolge um einen sozialgeschichtlichen und kulturellen Ansatz, der außerhalb kunsthistorischer Fragestellungen und im Bereich der speziellen Handwerksgeschichte liegt. Trotzdem seien hier grundsätzliche Angaben zur älteren Geschichte des Handwerks in Norddeutschland und besonders in Hamburg wiedergegeben, um einen Eindruck davon zu vermitteln, auf welchen Gegebenheiten die Entwicklungen in den Ämtern in der Zeit um 1800 aufsetzten. Vorauszuschicken ist, dass Hamburg in seiner heutigen territorialen Form ein Resultat des Groß-Hamburg-Gesetzes von 1937/38 ist. An den Grenzen des alten Hamburgs lagen eigenständige Städte: Harburg, Wilhelmsburg, Altona und Wandsbek. Alle anderen heutigen Stadtteile, die bis dahin nicht zum Kerngebiet Hamburg gehörten, verfügten teilweise über eigene Tischlerämter und hatten eher provinziellen Charakter.

Vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit wurden die Hamburger Tischler unterschiedlich bezeichnet: Kistenmacher, Schottierler, Schnitzer, Schnitker, Kontormacher.304 In diesem Zeitraum entwickelte sich das Amt laut Max Fehring folgendermaßen:

Die Bedeutung des hamburger Tischleramts wächst mit dem Niedergang hansischer Größe Lübecks. Zum Teil liegt das begründet in den wirtschaftlichen Folgen des dreißigjährigen Krieges, der den Reichtum der süddeutschen Städte vernichtete, aber an den Wällen Hamburgs vorüberbrauste. Hamburg überholt Lübeck, sichert sich eine überragende Stellung in ganz Deutschland, nicht zum mindesten auch durch die Tüchtigkeit des hamburger Tischlers, dessen Erzeugnisse – die Hamburger Schapps – Berühmtheit in ganz Deutschland erlangen. Hamburg

303 Fehring 1929.

304 S. ebd., Anhang Nr. 3.

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hat dadurch eine große Anziehungskraft für die wandernden Gesellen gehabt. Von nah und fern strömten sie herzu. Joh. Christian Senckeisen, ‚der Stadt Leipzig Muster-Schreiber und Tischler’, berichtet, ‚daß Hamburg so ein weltberühmter Ort ist, da in einem Jahre mehr denn 2 bis 3000 Burschen ab- und zuzureisen.’305

Die Zeit um 1800 wird von Max Fehring wie folgt dargestellt:

Infolge langwieriger Prozesse und Unterschlagungen von Amtsgeldern durch die Alterleute am Ende des 18. Jh.s und um die Mitte des 19. Jh.s steht das Amt oft auch finanziell vor dem Zusammenbruch.306

Welche langwierigen Prozesse genau zu diesem drohenden Zusammenbruch beigetragen haben, wird allerdings nicht erwähnt. Vermutlich handelte es sich um die Auswirkungen des Imports ausländischer Tischlerwaren und der Napoleonischen Kriege sowie eines großen Konkurrenzdrucks. Zudem setzte sich durch die in Altona eingeführte Gewerbefreiheit die Tendenz durch, die zünftische Organisation der Gewerke allmählich aufzuheben. Die Tischlergenossenschaft in Hamburg wurde dann aber erst 1873 aufgelöst.307

Die immense Anzahl der Tischler belief sich 1811 auf 190 Amtsmeister, 19 Amtsboten, 174 Freimeister, 102 Amtsgesellen, 108 eingeschriebene Lehrburschen (die Zahl der Gesellen lag zuvor wohl bei 150 bis 200). Dazu kamen die Bönhasen.308

Aus eigener Recherche sind zum Wachstum des Tischleramtes noch einige Ergänzungen zu machen: 1839 bestand das Amt in Hamburg aus 348 Meistern, 11 werkstattführenden Witwen, 29 Witwen ohne Werkstatt, fünf Amtsboten und 215 Tischlern, welche die Freiheit hatten, mit eigener Hand zu arbeiten.309 Davon könnten allein im Stadtteil St. Georg rund 200 gelebt und gearbeitet haben, denn aus einer militärischen Auflistung ließen sich für 1843 200 Tischler namentlich nachweisen. Ihr Grad innerhalb des Amtes bleibt aber unbekannt. So ist nicht zu sagen, welche von ihnen Alterleute, Meister, Freimeister, Gesellen oder Lehrburschen waren (Anhang Nr. 26). Im Vergleich dazu sind noch wesentlich mehr Werkstätten und tätige Tischler in Berlin nachweisbar, was mit der dortigen Gewerbefreiheit

305 Ebd., S. 29–30. Die Aussage Johann Christian Senckeisen betrifft die Zeit um 1700 oder kurz danach, da 1707 sein Buch publiziert wurde (Senckeisen 1707).

306 Thomae 1921, S. 39.

307 Staatsarchiv Hamburg, Findbuch 612-1/56.

308 Fehring 1929, S. 30. Die entsprechende Meisterliste konnte im Staatsarchiv Hamburg nicht ausfindig gemacht werden.

309 Staatsarchiv Hamburg, 612-1/56 I 4, Namen-Verzeichnis des Löbl. Amts der Tischler-Meister, der Meister-Wittwen, Amtsboten, und Derer, welche die Freiheit haben, mit eigener Hand zu arbeiten. Hamburg 1839. – Auf die Wiedergabe der über 500 Namen im Anhang wird verzichtet.

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zusammenhing. – Kaum zu glauben, dass die Aufträge für die dort befindliche Vielzahl an Tischlern ausgereicht haben, um deren Lebensunterhalt zu sichern.

Für die damals eigenständigen Städte am Rande Hamburgs konnten für Harburg im Jahr 1840 26 Amtsmeister belegt werden.310 In Bergedorf sind zwischen 1818 und 1856 16 Amtsmeister namentlich zu dokumentieren (Anhang Nr. 27). Es handelte sich bei diesen Ämtern also um wesentlich kleinere Tischlerzusammenschlüsse. Max Fehring bemerkt bezüglich der Amtsgröße:

Allerdings spiegelt sich in diesen Zahlen nicht eine stetig steigende wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Handwerks wieder. […] Aber sie können doch nicht den Niedergang des Amtes und wohl auch der Kunstfertigkeit seiner Mitglieder verschleiern. Büsch berichtet,

‚daß sich die Tischler zur Zeit der Verfeinerung der Lebenshaltung am Ende des 18.

Jahrhunderts allein auf Herstellung der ihnen einmal geläufigen Arbeit verlassen hätten, die Anfertigung aller feineren aber den Unzünftigen verblieben wäre, soweit nicht Import französischer oder englischer Ware erfolgte.‘311

Gerade der letzte Aspekt ist nochmals hervorzuheben: Wie in keiner anderen Stadt kamen in Hamburg die Auswirkungen der überseeischen Handelsbeziehungen zum Tragen, die einen stetigen Import von ausländischen Möbeln bedingten. Dies war eine Konkurrenz, gegen die die Tischler zu kämpfen hatten und die die in Hamburg entstandenen Waren stark beeinflussten. So bemerkt Thomas Nugent 1781 in seiner „Reise durch Deutschland und vorzüglich durch Mecklenburg“:

Englische Mobilien sind durchgängig in Lübeck Mode, die mehrsten Häuser, die ich gesehen habe, sind mit Londoner Tischen, Schränken und Stühlen von Mahagoniholz aufgeputzt. Kurz der Luxus ist hier ebenso hochgestiegen, als in Hamburg, und man schätzt nur das, was weit hergeholt und teuer bezahlt wird.312

Bereits 1804 wurde erwähnt, dass der Hamburger Dom abgerissen werden sollte und noch als Magazin von Tischlerarbeiten, Schränken, Bettstellen u.s.w. missbraucht und deshalb der Schappendom genannt wurde.313 Im Jahr 1819 gründeten die Meister des Hamburger

310 Ebd., 430-85 IV 5. Ein- und Ausschreibebuch der Gesellen 1840.

311 Fehring 1929, S. 30 (Fehring zitiert Heß 1811, 2 A., II. Aufl. Hamburg 1811, III, S. 392 sowie Thomae 1921, S. 34, 88, 177, 149–150, 154).

312 Nugent 1781, S. 72 (englischsprachig s. Nugent 1768, Bd. 1, S.122).

313 Meyer 1804, S. 5ff.

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Tischleramts dann eine Allgemeine Mobilien Niederlage.314 Für die Zeit zuvor, die Wende vom 18. zum 19. Jh., konnten drei größere bestehende Möbelmagazine oder Luxuswarenhandlungen, in denen mitunter importierte Möbel angeboten wurden, nachgewiesen werden. Ihre Eigentümer waren Philip und Otto von Axen – die außerdem mit der herzoglichen Möbel- und Bronzefabrik in Ludwigslust in enger Handelsbeziehung standen – sowie die Unternehmen von Joseph Ramée315 und Victor Pretre.316

Jedoch wurde von der Klientel nicht bloß der Import geschätzt, wie er durch die genannten Magazine gefördert wurde, sondern man kann im Falle des Tischlerhandwerks von einem wechselseitigen Transfer sprechen; so schätzte es Margarete Thomae 1921 ein:

Mobilien von Mahagoniholz werden in ausgezeichneter Schönheit gearbeitet, wowohl was die Form als das Holz anbelangt. Hervorzuheben sind die ganz feinen eingelegten Tischlerarbeiten, die auch bei der Ausstellung in London große Anerkennung gefunden haben.317

Es muss sich bei den Hamburger Tischlerwaren wohl um Erzeugnisse höchster Güte gehandelt haben, wofür auch ein Konkurrenzdruck begünstigend wirkte. Die erwähnten Marketeriearbeiten zeigten gelegentlich figürliche Darstellungen, waren aber genauso geometrisch, wie sie in den Rostocker Zeichnungen zu sehen sind (Abb. 30 u. 48). Anders als die Tischlerwaren der nordöstlichen Ämter sind aus der Hamburger Produktion heute noch zahlreiche Stücke bekannt und lassen die englischen Einflüsse ablesen. Viele von ihnen befinden sich im Jenisch Haus und im Museum für Kunst und Gewerbe. Da sie bereits publiziert sind, sei hier nur im Gros darauf verwiesen.318 Zu ergänzen ist nun allerdings die Entwicklung der Prüfungsaufgabe zum Zwecke der Meisterprüfung, da solche Angaben in der Literatur bisher fehlen.

Die Meisterprüfungen in Hamburg unterschieden sich kaum von denen in anderen Städten im Norden und dem deutschsprachigen Raum überhaupt. Max Fehring, der, wie oben erwähnt, die ältere Geschichte der Hamburger Tischler ausführlich darstellt, hatte wohl noch umfangreicheres Archivmaterial zu Verfügung, denn viele seiner Quellenangaben konnten heute im Bestand des Staatsarchivs Hamburg weder nachvollzogen noch aufgefunden werden.

314 Korn 1999, S. 67.

315 Ramée besorgte die Ausstattung des Alten Palais in Schwerin worauf im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit eingegangen wird. Im Kapitel über die Möbel- und Bronzefabrik werden die geschäftlichen Beziehungen der Ludwigsluster Fabrik mit Philip und Otto von Axen ausführlicher geschildert.

316 Das Geschäft des Schweizers Pretre, in dem hauptsächlich französische Waren angeboten wurden, schloss im Jahr 1801 (Meyer 1801, S. 311, nach Schult 2003, o. S.).

317 Vgl. Thomae 1921, S. 26 und Die Stellung der Hansastädte 1854, S. 83.

318 Kreisel/Himmelheber 1973.

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So wurde im Jahr 1771 im Amtsartikel 7 ein neues Meisterstück genannt, für das auch ein Musterriss vorlag.319 Dabei könnte es sich um die Einführung des Sekretärs als Prüfungsarbeit gehandelt haben. Die nächste Änderung der Meisterstücke fand nachweislich 1803 statt, wonach drei Risse zur Auswahl gestellt wurden.320 Wie bei anderen Ämtern, kann es sich dabei um einen Sekretär, einen Kleiderschrank oder ein Zylinderbureau gehandelt haben. Die hierauf folgende Abänderung aus dem Jahr 1835 enthält dann wesentlich genauere Angaben:

Das Meisterstück besteht, nach der Wahl des Stückmeisters, entweder in einem Kleiderschrank, einem Secretair oder einem Cylinder mit Aufsatz. Das von ihm gewählte Stück muß von gutem eichenen Blindholz gemacht und mit Mahagoni ausgelegt (fournirt) werden. Die Zeichnung wird dem Stückmeister nach dessen Wahl entweder von den Aelterleuten gegeben, oder von ihm selbst, in natürlicher Größe entworfen.321

Zweierlei Dinge sind daran spezifisch: zum einen das Auslegen des Schrankes mit Furnier.

Dies war ansonsten nicht üblich, setzte sich jedoch gegen 1840 in Norddeutschland als Standard hochwertiger Möbel durch; Vorbedingung war die überreiche Versorgung mit Mahagonifurnieren verschiedener Qualität als Überseeimport. Zum anderen waren offenbar Meisterrisse im Maßstab 1:1 einzureichen, was in anderen Ämtern nur für die Ornamente und Profile galt.

Lediglich eine Hamburger Schülerzeichnung aus dem Jahr 1806 ist bisher bekannt und wurde bereits publiziert (Abb. 59).322 Sie hat Ähnlichkeit mit zeitgleichen Bremer Meisterstücken.

Letztere bestanden in Schreibmöbeln mit Rollverschluss und einem niedrigen, dreitürigen Aufsatz. Aber auch ein niedriger secrétaire à abbatant oder ein Rollbureau auf hohen, konischen Beinen ohne Aufsatz bzw. ein Schreibschrank mit nur einer schmalen Klappe konnten gezeichnet und gebaut werden.323 Einfachere Prüfungsstücke wie Kleiderschränke, Tische oder Sofas, also solche, die leichter zu verkaufen waren als luxuriöse Schreibschränke, waren im provinziellen Raum außerhalb der in dieser Arbeit vorgestellten Städte so gut wie

319 Fehring 1929, S. 59–60 (Fehrings Beleg: Archiv der Tischler I, 2, S. 75).

320 Ebd., S. 60 (Fehrings Beleg: Staatsarchiv Hamburg 1619, Art. 3).

321 Ebd., S. 60. So auch Staatsarchiv Hamburg 612-1/56 I 3, Revidirte Special-Rolle von 1844, S. 14.

322 Post 1995, Abb. 62.

323 Ebd., S. 146–151 und Abb. 62–67. Weder die Gestaltungsformen noch die Typen sind auf den norddeutschen Raum limitiert. Dies zeigt auch die stilistische Ähnlichkeit der von B. Post unter Vorbehalt Hamburg zugeschriebenen Zeichnung (Post 1995, Abb. 46) mit Berliner Meisterstücken von circa 1795 und circa 1797 (publiziert von Stiegel 2003, S. 372 und Tafel 20, 21, S. 382–383). Ähnliche Möbel wurden auch von Klinckerfuß in Neuwied und Stuttgart (vgl. Wiese 2003, S. 18, Abb. 8 und S. 63, Abb. 26) sowie Friedrich Gottlob Hoffmann in Leipzig entworfen (vgl. Sulzbacher/Atzig 2014). Freilich ist überall ein (regional) spezifischer Umgang mit den Proportionen und dem Dekor ablesbar.

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immer vorgeschrieben. Dies trifft ebenfalls für alle anderen Städte zu, die an Hamburgs Grenzen lagen. So ist für Bergedorf mit einem untadeligen Kleiderschrank das Meisterstück

immer vorgeschrieben. Dies trifft ebenfalls für alle anderen Städte zu, die an Hamburgs Grenzen lagen. So ist für Bergedorf mit einem untadeligen Kleiderschrank das Meisterstück