• Keine Ergebnisse gefunden

Theorie der Raman-Spektroskopie

2.2 Theorie der Messmethoden und der zu erwartenden Effekte

2.2.1 Theorie der Raman-Spektroskopie

Inelastische Lichtstreuung unter der Generierung verschiedener Anregungszustände in einem Festkörper wird als Raman-Effekt bezeichnet [Jorio11]. Der indische Phy-siker C. V. Raman entdeckte den Effekt 1927 und wurde dafür 1930 mit dem No-belpreis ausgezeichnet [Raman28]. Der Raman-Effekt eignet sich zur Untersuchung von Materialeigenschaften, denn über die Spektroskopie der Phononen können Infor-mationen über Bindungstypen und die elektrischen Eigenschaften der untersuchten Strukturen gewonnen werden.

Raman-Effekt

Wird ein einfallendes Photon mit der EnergieEiund einem Impulski an einer Probe gestreut, so besitzt es nach dem Raman-Streuprozess die Energie Egestreut=Ei±Eq und den Impuls kgestreut=ki±q [Jorio11].

Die der Probe durch inelastische Lichtstreuung übertragene Energie Eq kann un-terschiedliche An- oder Abregungszustände in der Probe bewirken. Die Erzeugung oder Vernichtung von Phononen gehören zu den häufigsten Anregungen.

Das Photon kann die Elektronen zum Schwingen bringen. Dabei können durch Generierung von Phononen charakteristische Vibrationen des Festkörpers ausgelöst werden. Wenn die Elektronen die Energie des einfallenden Photons durch Generie-rung eines neuen Photons emittieren, so wird dieses neue Photon, verglichen mit dem eingefallenen, entweder Energie durch die angeregten Phononen gewonnen oder verloren haben. Die Energie Eq und der Impuls ±q sind daher Energie und Impuls des durch den inelastischen Streuprozess erzeugten oder vernichteten Phonons.

Dieser inelastische Streuprozess, der Phononen absorbiert bzw. erzeugt, wird Raman-Streuung genannt.

Ein Raman-Streuprozess besteht generell aus drei Ereignissen: ein Elektron wird durch Absorption eines Photons angeregt. Danach wird das angeregte Elektron durch Absorption oder Emission von Phononen gestreut. Nach dem Streuprozess 18

2.2. THEORIE DER MESSMETHODEN UND DER ZU ERWARTENDEN EFFEKTE

(a) (b) (c)

Abbildung 2.10: (a) Elastischer Rayleigh-Streuprozess und (b) inelastische Stokes- und (c) Anti-Stokes-Streuprozesse. Die durchgezogenen Linien stellen die Energieniveaus|ai,|bi und |ci dar. ~ωi ist die Energie der einfallenden Photonen,~ωs ist die Engergie der nach dem Streuprozess emittierten Photonen. In allen oben gezeigten Streuprozessen werden durch Photonenabsorption die Elektronen auf die gestrichelt eingezeichneten virtuellen Niveaus angeregt. Die eingezeichnetenΩij bezeichnen die Energiedifferenzen zwischen den Niveaus, die das Elektron nach Rückrelaxation besetzt. Entnommen aus [Wegscheider10].

relaxiert das Elektron durch Emission eines Photons ins Valenzband. Durch Auf-nahme der Intensität des gestreuten Lichts als Funktion der Frequenzänderung des gestreuten Lichts erhält man Informationen über die Phononenenergien eines Mate-rials.

Die Raman-Streuprozesse werden entsprechend der Anzahl von Streuungen pro einfallendem Photon in Ordnungen klassifiziert, wobei als Streuungen auch elasti-sche Streuungen mitgezählt werden. Ein Raman-Prozess erster Ordnung ist also ein Streuprozess, bei dem nur ein Phonon direkt generiert wird.

Da Energie und Impuls bei der Ramanstreuung erhalten bleiben müssen und die Elektronen nach der Anregung mit einem Loch rekombinieren, beträgt der maximal mögliche Impulsaustausch zwischen einem Photon und einem Phonon bei Streupro-zessen erster Ordnung 2k. Da bei Raman-Spektroskopie mit Licht im sichtbaren Be-reich angeregt wird, ist der resultierende Phononenimpulsqfür Ein-Phononenprozesse etwa drei Größenordnungen kleiner als die Ausdehnung der Brillouin-Zone. Daher können mit Ein-Phononen-Prozessen nur Phononen aus der Zonenmitte nahe dem Γ-Punkt untersucht werden. Bei Prozessen mit mehreren Phononen bzw. der Mitbe-trachtung von Streuprozessen mit elastischen Anteilen, d.h. Streuprozessen höherer Ordnung, können auch Phononen außerhalb der Brillouin-Zonenmitte untersucht werden [Jorio11].

Bei einem inelastischen Streuprozess wird ein Photon absorbiert (Anti-Stokes-Prozess). Das nach dem Streuprozess emittierte Elektron hat eine höhere Energie als das einfallende Photon. Hat das nach dem Streuprozesse emittierte Elektron eine geringere Energie als das zuvor einfallende Photon, so wurde ein Phonon erzeugt.

Dieser Prozess wird als Stokes-Prozess bezeichnet. Diese Streu-Prozesse werden in Abbildung 2.10 veranschaulicht.

KAPITEL 2. THEORETISCHER HINTERGRUND

Zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Stokes- und Anti-Stokes-Prozessen soll die folgende Betrachtung helfen: Phononen sind Quasiteilchen und werden der Gruppe der Bosonen zugeschrieben. Daher lässt sich die Besetzung der vibronischen Zustände nach der Bose-Einstein-Verteilung berechnen. Bei einer gegebenen TemperaturT ist die durchschnittliche Anzahlnder Phononen mit Ener-gie Eq gegeben durch

n= 1

exp(kEq

BT)−1. (2.5)

Da die Energie Eq des harmonischen Oszillators mit n Photonen gegeben ist durch E = Eq(n+ 12), hängt das Streuereignis, das n Phononen generiert von der Temperatur ab. Die Wahrscheinlichkeit für Stokes- und Anti-Stokes-Prozesse unter-scheidet sich, weil das System bei Stokes-Prozessen von n angeregten Phononen zu n+ 1 angeregten Phononen übergeht. Im Anti-Stokes-Prozess geschieht der umge-kehrte Übergang des Systems vonn+ 1 →nangeregten Phononen. Die Zeitumkehr-invarianz vorausgesetzt, sind die Matrixelemente für die Übergangswahrscheinlich-keiten von n → n+ 1 und n+ 1 → n gleich. Teil man die Intensitäten der durch Stokes- und Anti-Stokes-Prozesse emittierten Phononen durcheinander, erhält man

IS

Somit existieren im Gleichgewicht mehr unbesetzte Zustände oberhalb als un-terhalb eines Zustandes. Das bedeutet, dass Stokes-Prozesse bei Raumtemperatur wahrscheinlicher sind als Anti-Stokes-Prozesse. Entsprechend haben erstere eine hö-here Intensität. Daher wird bei der Raman-Spektroskopie in der Regel das Stokes-Spektrum untersucht. Das Anti-Stokes-Stokes-Spektrum ist sinnvoll zu untersuchen, wenn bewusst starke Signale wie Lumineszens umgangen werden sollen.

Innerhalb der Stokes-Prozesse gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, wie ein Photon absorbiert werden kann. Es kann passieren, dass das einfallende Photon eine sehr verschieden Energie von den in der Nähe ligenden optischen Übergängen hat.

Das Elektron wird dann nur auf einen virtuellen Zwischenzustand angeregt, bevor es einen Teil seiner Energie an Phononen abgibt und dann unter der Emission eines gegenüber dem einfallenden Photon geringerenergetischen Photons wieder in seinen Grundzustand zurückkehrt.

Die nächste Möglichkeit ist, dass die Energie eines einfallenden Photons fast ex-akt der Energie eines optischen elektronischen Übergangs entspricht. In diesem Fall repräsentiert die in Abbildung 2.10 gestrichelt gezeichnete Linie kein virtuelles, son-dern ein reelles Energieniveau. Auch hier gibt das Elektron einen Teil seiner Energie für die Phononanregung ab und emittiert ein niedrigerenergetisches Photon als das 20

2.2. THEORIE DER MESSMETHODEN UND DER ZU ERWARTENDEN EFFEKTE anfänglich einfallende.

Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass das einfallende Photon eine etwas höhe-re Energie hat als die Energie, die für einen optischen Übergang notwendig ist. Das Elektron wird entsprechend auf dieses reelle Niveau angeregt und gibt an die Phono-nenanregung die Energiedifferenz ab, um die sich die absorbierte Energie vom reellen Niveau unterscheidet. Beim Zurückfallen des Elektrons auf den ursprünglichen Zu-stand wird so ein Photon mit einer Energie, die exakt (unter Berücksichtigung der Halbwertsbreite für Phononenanregungen) diesem optischen Übergang entspricht, emittiert.

Die beiden zuletzt beschriebenen Prozesse werden als resonante Raman-Prozesse bezeichnet. Diese resonanten Raman-Prozesse an Kohlenstoffnanoröhren haben ei-ne höhere Streueffizienz und entsprechend ein etwa 103 mal höheres Raman-Signal zufolge [Dresselhaus04].

Detektiert man das gestreute Licht, kann man Aufschluss über die vibronischen Zustände gewinnen, und von diesen Aufschluss über die Arten der vorliegenden Bindungen und Atommassen.

Da jedes Material ein charakteristisches Ensemble von Vibrationsmoden hat, eignet sich Raman-Spektroskopie zur strukturellen Untersuchung und zur Charakterisie-rung von Schwingungsmoden von Materialien.

Im nächsten Abschnitt soll auf die charakteristischen Raman-Moden von Kohlen-stoffnanoröhren eingegangen werden.

Raman-Spektroskopie an Kohlenstoffnanoröhren

Die Intensität von Raman-Übergängen ist im Falle der Resonanz um drei Größenord-nungen verstärkt [Dresselhaus04], denn aufgrund der Singularitäten der Zustands-dichte (die Singularitäten stellen besonders hohe ZustandsZustands-dichten dar) sind reso-nante Raman-Signale in Kohlenstoffnanoröhren gegenüber nicht-resoreso-nanten Signa-len etwa um den Faktor 103 verstärkt [Dresselhaus04]. Daher sind nicht-resonante Raman-Prozesse im Spektrum der Kohlenstoffnanoröhren kaum sichtbar und kön-nen vernachlässigt werden.

Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf Prozesse, bei denen die Energie des einfallenden Photons genau einem erlaubten Übergang zwischen zwei Van-Hove-Singularitäten entspricht.

Die zwei Phononenäste bei hohen Energien können der G-Mode in Graphen zu-geordnet werden. Bei Graphen kann die G-Mode bei 1582 cm−1 beobachtet werden.

In einer metallischen Kohlenstoffnanoröhre spaltet die Graphen-G-Mode in zwei Moden auf: in eine höherengergetischeG+- und eine niedrigenergetische G-Mode.

Im Falle der longitudinal-optischen Phononen (LO) schwingen die Kohlenstoffato-me parallel zur Achse der Kohlenstoffnanoröhren (G+), während sie im Falle von transversal-optischen Phononen (TO) orthogonal zur Röhrenachse schwingen (G).

KAPITEL 2. THEORETISCHER HINTERGRUND

Abbildung 2.11: Raman-Spektrum von Kohlenstoffnanoröhren, aufgenommen bei einer anregenden Wellenlänge von λL = 488nm. Die Spektren wurden an einem Bündel von CNTs aufgenommen. Die wesentlichen drei Bereiche, in denen ein Signal zu sehen ist, sind der Bereich (a) der Atmmungsmoden (RBMs), der Bereich (b) der Hochenergiemode (HEM) und der Bereich (c) der Obertöne von D- und G-Mode. Die Zahlen an den einzelnen Kurven des Spektrums geben an, um welchen Faktor die Kurven gegenüber der G-Mode multipliziert wurden. Entnommen aus [Thomsen07].

Aufgrund ihrer hohen Energien im Bereich von etwa 1580 cm−1 werden diese Moden auch Hochenergiemoden (HEM) genannt .

Die Phononenäste bei niedrigen Energien beschreiben die sogenannten Atmungs-moden (englisch RBMs für radial breating modes). Die Kohlenstoffnanoröhre zieht sich kohärent zusammen und weitet sich danach wieder aus, so dass Assoziationen mit einer Atmung der Nanoröhre geweckt werden (siehe Abbildung 2.12 a). Diese Atmungsmoden können ausschließlich an Kohlenstoffnanoröhren beobachtet werden und ihr Auftauchen in einem Raman-Spektrum ist daher gleichbedeutend mit dem Nachweis, dass sich auf der Probe Kohlenstoffnanoröhren befinden. Die Frequenz der Atmungsmoden ist stark vom Durchmesser der Kohlenstoffnanoröhre abhängig, sodass der Durchmesser einer CNT über die Frequenz der Atmungsmode bestimmt werden kann. Es können daher, sollten mehr als eine Kohlenstoffnanoröhre gleich-zeitig mit Raman-Spektroskopie untersucht werden, auch mehrere Atmungsmoden bei verschiedenen Frequenzen im Bereich von 100 bis 500 cm−1 zu beobachten sein.

Außer den Phononenmoden, die durch theoretische Rechnungen für Ein-Phononen-Prozesse vorhergesagt werden, können noch weitere Phononenmoden im Raman-Spektrum von Kohlenstoffnanoröhren beobachtet werden.

Bei etwa 1350 cm−1 erscheint eine Mode, die theoretisch durch ein Streuereignis von zwei involvierten Phononen mit q = 0 erklärt werden kann [Thomsen00]. Dies ist die Defektmode D, die durch die Präsenz von Defekten in Kohlenstoffstrukturen 22

2.2. THEORIE DER MESSMETHODEN UND DER ZU ERWARTENDEN EFFEKTE

(a) (b)

Abbildung 2.12: Atmungsmode (RBM) und D-Moden einer Kohlenstoffnanoröhren.

Die Pfeile deuten die Schwingungsrichtungen der Kohlenstoffatome an. Entnommen aus [Spudat10].

ermöglicht wird. Da ihre Signalstärke proportional zur Defektanzahl der Kohlen-stoffstrukturen ist, können durch ihre Beobachtung Aussagen über den Grad der Zerstörung der spektroskopierten Kohlenstoffstrukturen getroffen werden. Dies wird in Kapitel 4 angewandt.

KAPITEL 2. THEORETISCHER HINTERGRUND