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4 Johann Gottfried Herder: Der menschliche Sprachursprung

4.2 Herders Sprachursprungstheorie

4.2.3 Theologische Aspekte

Nachdem nun Herders Kritik an einem göttlichen Sprachursprung dargelegt worden ist, scheint ein Kapitel zu theologischen Aspekten innerhalb der Abhandlung über den Ursprung der Sprache im ersten Moment wider-sprüchlich. Doch auch Herder, selbst Theologe, kann sich trotz einer starken Befürwortung des menschlichen Sprachursprungs nicht ganz einer theolo-gisch geprägten Weltanschauung entziehen. Er ist durchaus in der Dichoto-mie von weltlicher und geistlicher Weltanschauung befangen.

Es soll in diesem Kapitel der Frage nach semitheologischen Elementen in Herders Abhandlung nachgegangen werden, um im nächsten Schritt eine solide Grundlage für die Beurteilung Herders im Kontext eines Paradig-menwechsels gewährleisten zu können.

Wo lassen sich also theologische Aspekte ausmachen und wie kann Her-der die zwei gegensätzlichen Positionen innerhalb seiner Abhandlung verei-nen, ohne sich in seiner Argumentation gegen Süßmilch selbst zu wider-sprechen? Um diese Frage im Licht ihrer Zeit beantworten zu können, schauen wir noch einmal auf das 18. Jahrhundert, das nicht nur von Säkula-risierungsprozessen geprägt ist, sondern in dem gleichzeitig auch eine Welle eines neu aufkommenden Naturbegriffs entsteht. Die Abkehr von theolo-gisch motivierten Erklärungsmustern geht gleichzeitig mit einem sich ver-ändernden Verständnis des Erkenntnis- und Naturbegriffs einher. Ein Rich-tungswandel, innerhalb dessen die Erkenntnis im Menschen selbst entsteht, zeichnet sich stark in den (sprach-)philosophischen Schriften dieser Zeit ab.

Dabei kommt der Natur eine besondere Rolle zu: In ihr manifestiert sich das Gegenkonstrukt zur Theologie. Der Naturbegriff wird verbunden mit der

4 Johann Gottfried Herder: Der menschliche Sprachursprung 33 Vorstellung, dass im Menschen selbst Erkenntnisprozesse aufkeimen. Diese Annahme ermöglicht dem Menschen auch eine Veränderung der Verortung seiner selbst in der ihn umgebenden Welt. Er wird selbst zum Ursprung von Erkenntnissen ohne eine göttliche Instanz als Initiator annehmen zu müssen.

Doch auch wenn der Naturbegriff eine Ablösung des theologisch motivier-ten Weltbildes darstellt, löst er nicht die Frage nach dem Ursprung an sich auf.

Dieser Zwiespalt zeichnet sich auch innerhalb Herders Abhandlung ab:

Herder negiert grundsätzlich den theologischen Sprachursprung und reiht sich mit dem immer wiederkehrenden Naturbegriff in den aufkeimenden wissenschaftlichen Zeitgeist des 18. Jahrhunderts ein, jedoch scheint der Naturbegriff als eine Art Synonym für metaphysische Erklärungsmuster zu dienen.

Der Leser kann also dazu geneigt sein, Herder zu unterstellen, innerhalb seiner Abhandlung ‚Gott’ durch ‚Natur’ zu ersetzen und sich dadurch dem Vorwurf zu entziehen, auch er könne den sprachlichen Ursprung nicht an-ders als durch eine metaphysische Instanz erklären. Dieser Vorwurf scheint nicht ungerechtfertigt, denn Herder nutzt den Begriff der ‚Natur’ selbst als eine Art metaphysische Instanz, wenn er schreibt:

Nun laßet dem Menschen alle Sinne frei: er sehe und taste und fühle zugleich alle We-sen, die in sein Ohr reden – Himmel! welch ein Lehrsaal der Ideen und der Sprache!

Führet keinen Merkur und Apollo, als Opernmaschienen von den Wolken herunter – die ganze vieltönige, göttliche Natur ist Sprachlehrerin und Muse! Da führet sie alle Ge-schöpfe bei ihm vorbei: jedes trägt seinen Namen auf der Zunge und nennet sich, die-sem verhüllten sichtbaren Gotte! als Vasall und Diener. Es liefert ihm sein Merkwort ins Buch seiner Herrschaft, wie einen Tribut, damit er sich bei diesem Namen seiner er-innere, es künftig rufe und genieße. Ich frage, ob je diese Wahrheit: »eben der Verstand, durch den der Mensch über die Natur herrschet, war der Vater einer lebendigen Spra-che, die er aus Tönen schallender Wesen zu Merkmalen der Unterscheidung sich ab-zog!« ich frage, ob je diese trockne Wahrheit auf Morgenländische Weise edler und schöner könne gesagt werden als »Gott führte die Thiere zu ihm, daß er sähe, wie er sie nennete! und wie er sie nennen würde, so sollten sie heißen!« Wo kann es auf Morgen-ländische Poetische Weise bestimmter gesagt werden: der Mensch erfand sich selbst Sprache! – aus Tönen lebender Natur! – Und das ist, was ich beweise. (ebd.: 43f.)

Herder führt hier aus, dass der Mensch allein durch die ihn umgebende, tö-nende Natur Sprache erlerne. Durch die Geräusche können Objekten be-stimmte Merkmale zugewiesen werden, diese sich wiederum in der inneren und bald auch in der äußeren Sprache des Menschen manifestieren. Der Mensch ist dann fähig, Dinge zu benennen und ihnen Namen zu geben.

Doch Herder benennt gleichzeitig die Natur eine ‚göttliche Natur’. In dieser

4 Johann Gottfried Herder: Der menschliche Sprachursprung 34 Formulierung steckt nicht nur das theologische Grundverständnis Herders, was auch seiner Weltanschauung noch zugrunde liegt, sondern ebenfalls ein guter Argumentationsgang, der ihn aus der Bredouille manövriert, ein theo-logisches Grundverständnis erklären zu müssen: Indem er die Natur als von Gott gegebene annimmt und im weiteren Verlauf seiner Argumentation nur noch auf eben diese verweist, wird die grundsätzliche Annahme, dass es einen Schöpfer gibt, weitestgehend in den Hintergrund gedrängt. Herders Abhandlung ist als aufklärerische Schrift in dem Kontext ihrer Zeit verhaftet und offenbart sich durchaus als ‚modern’ und von einer göttlichen Ur-sprungstheorie losgelöst. Dennoch kann auch Herder den Konflikt nicht überwinden, eine göttliche Kraft anzunehmen, die sowohl den Menschen als auch die Natur sowie die Tiere erschaffen hat.

Dies wird erneut deutlich, als Herder vorstellt, wie der Mensch ‚auf die Welt gekommen sei’. So ist hier, mit Sicherheit auch bedingt durch die gän-gige Forschung, noch nicht die Rede von einem naturwissenschaftlichen Ansatz der Entstehung des Menschen, sondern vielmehr von einem schöpfe-rischen. So sehr wie sich Herder für eine sich entwickelnde menschliche Sprache einsetzt, so sehr negiert er Buffons Ansatz eines menschlichen We-sens, dass sich selbst noch entwickeln muss:

Man laße ihm zu dieser ersten deutlichen Besinnung soviel Zeit, als man will: man laße, nach Buffons Manier (nur philosophischer, als er,) dies gewordne Geschöpf sich all-mählich sammlen: man vergeße aber nicht, daß gleich vom ersten Momente an kein Thier, sondern ein Mensch, zwar noch kein Geschöpf von Besinnung, aber schon von Besonnenheit ins Universum erwache. Nicht wie eine große, schwerfällige, unbehülfli-che Maschiene, die gehen sollte, und mit starren Gliedern nicht gehen kann: die sehen, hören, kosten sollte, und mit starren Säften im Augen, mit verhärtetem Ohr und mit ver-steinerter Zunge nichts von alle diesem kann – Leute, die Zweifel der Art machen, soll-ten doch bedenken, daß dieser Mensch nicht aus Platons Höle, aus einem finstren Ker-ker, wo er von seinem ersten Augenblick des Lebens, eine Reihe von Jahren hin, ohne Licht und Bewegung sich mit offnen Augen blind, und mit gesunden Gliedern ungelenk geseßen, sondern daß er aus den Händen der Natur, im frischesten Zustande seiner Kräfte und Säfte, und mit der besten, nächsten Anlage kam, vom Ersten Augenblicke sich zu entwickeln. (ebd.: 74f.)

Der Mensch sei von Beginn an, so Herder, ein Wesen mit wachen Sinnen und gesundem Körper – er entstammt direkt aus den Händen der Natur, womit wohl zumindest eine semitheologische Ursprungstheorie nahegelegt wird.

Aus seiner Beweisführung folgt, dass er sich seines eigenen Zwiespaltes zwischen theologischem Ursprungsgedanken und menschlichem Sprachur-sprung durchaus bewusst ist, da in seiner Argumentation die Begrifflichkeit

4 Johann Gottfried Herder: Der menschliche Sprachursprung 35 der ‚Natur’ stark hervorsticht. Wohingegen die Begrifflichkeit ‚Gott’ fast ausschließlich dann benannt wird, wenn Herder sich von der göttlichen Sprachursprungstheorie abgrenzen will.

Diese Argumentationsstrategie führt sogar soweit, dass Herder zur Un-terstützung seiner eigenen Argumentation im zweiten Teil seiner Abhand-lung die Sprachverwirrung des Turmbaus zu Babel als ein „Poetisches Fragment“, jedoch nicht als biblischen Bezug, angibt und dieses Fragment als Unterstützung seiner Argumentation heranzieht.

Eine Morgenländische Urkunde über die Trennung der Sprachen (die ich hier nur als ein Poetisches Fragment zur Archäologie der Völkergeschichte betrachte) bestätigt durch eine sehr Dichterischer Erzählung, was so viel Nationen aller Welttheile durch ihr Beispiel bestätigen. Nicht allmählich verwandelten sich die Sprachen, wie sie der Philo-soph durch Wanderungen vervielfältigt; die Völker vereinigten sich, sagt das Poem, zu einem großen Werke; da floß über sie der Taumel der Verwirrung und der Vielheit der Sprachen – daß sie abließen und sich trennten – was war dies als eine schnelle Verbitte-rung und Zweitracht, zu der eben ein solches großes Werk den reichsten Anlaß gab? Da wachte der vielleicht bei einer Gelegenheit beleidigte Familiengeist auf: Bund und Ab-sicht zerschlug sich: der Funke der Uneinigkeit schoß in Flammen: sie flogen aus ei-nander: und thaten das jetzt so heftiger, dem sie durch ihr Werk hatten zuvor kommen wollen: sie verwirrten das Eine ihre Ursprungs, ihre Sprache. So wurden verschiedne Völker und da, sagt der spätere Bericht, heißen noch die Trümmer: Verwirrung der Völker! – wer den Geist der Morgenländer in ihren oft so umhergeholten Einkleidungen und Epischwunderbaren Geschichten kennet (ich will hier für die Theologie keine höhe-re Veranstaltung ausschließen) der wird vielleicht den sinnlich gemachten Hauptgedan-ken nicht verHauptgedan-kennen, daß Veruneinigung über einer großen gemeinschaftlichen Absicht, und nicht blos die Völkerwanderung mit eine Ursache zu so vielen Sprachen geworden ist. (ebd.: 99f.)

Herder führt in diesem Passus die Sprachverwirrung aus der Genesis an, um seine eigene These der Nationenbildung anzuschließen. Die Sprachverwir-rung beim Turmbau zu Babel ist für eine theologische SprachurspSprachverwir-rungsde- Sprachursprungsde-batte die Argumentationsgrundlage, anhand derer zu beweisen versucht wird, dass alle menschlichen Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben.

Herder will aus der biblischen Geschichte heraus sein eigenes Argument verstärken, indem er sie nicht als aus der Bibel stammend kennzeichnet, sondern die Geschichte als ein poetisches Fragment betitelt, in dem schon berichtet wird, dass die Menschen der gleichen Familie und der gleichen Sprache entstammen und dann aufgrund von Uneinigkeit sich in verschie-dene Nationen spalten – dies entspricht genau der Argumentation seines dritten Naturgesetzes.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Herder sich in einem Konflikt seiner Zeit befindet: Der Naturbegriff löst weitestgehend die

theo-4 Johann Gottfried Herder: Der menschliche Sprachursprung 36 logisch motivierte Argumentation ab, stellt sich jedoch nicht dem Dilemma, dass die Frage nach dem Ursprung nicht endgültig aufgelöst werden kann.

Die Philosophen und Wissenschaftler dieses Zeitgeistes,

[...] wie E. WEIGEL, LEIBNIZ, der junge KANT sprachen von Gott als dem Schöpfer und Herrn der N[atur], aber sie gaben der N. eine freie und selbständige Stellung aufgrund des allgemeinen Gesetzes, welches Gott als der Architekt des Weltbaues in der N. in-vestiert habe. Die N. sei keines einzelnen, zufälligen und willkürlichen Eingriffes von Seiten Gottes fähig oder bedürftig, weil sie von Gott von vornherein insofern freigesetzt worden ist, als alles nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen geschehe. (Ritter &

Gründer 1984: 470)

Der Natur wird in dieser Beweisführung innerhalb der Philosophie des 18.

Jahrhunderts eine Eigenständigkeit zugesprochen, die sich auch in Herders Abhandlung wiederfinden lässt. Eingesetzt durch einen etwaigen Gott wird die Natur Symbolträger einer (gottes-)unabhängigen Weltanschauung.

Die Annahme, dass die Ordnung der Natur auf Grundlage bestimmter Gesetzmäßigkeiten funktioniere, durchzieht das Denken jener Zeit und so manifestiert sie sich auch in Herders Abhandlung, wenn er postuliert, dass der Mensch als hilfloses Wesen geboren wird, um sich dann durch die Er-ziehung der Gemeinschaft zu einem Teil der Gesellschaft auszubilden.