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3 Sprachphilosophische Theorien im 18. Jahrhundert

3.2 Süßmilch: Die theologische Sprachphilosophie

Auch Johann Peter Süßmilch setzt sich mit der Frage nach dem Sprachur-sprung auseinander. Anders als Condillac wählt er einen theologisch moti-vierten Ansatz seiner Überlegungen: Er geht von der These aus, dass die Sprache dem Menschen von Gott gegeben sei. Dieses Diktum gilt es für ihn in seiner Abhandlung zu beweisen.

Seine Argumentation geht bereits, wie der Titel Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe (1766) nahelegt, von dem Schluss aus, dass die Sprache allein durch Gott gegeben sein kann. Die Sprache, so Süßmilch, ist

„das einzige Mittel [...], zum Gebrauch der Vernunft zu gelangen [...]“

(Süßmilch 1766: 3v). Sie dient also dazu, die Vernunft gebrauchen zu kön-nen. Damit ist sie Ursache für die Vernunft, die wiederum Wirkung der Sprache ist. Wenn also Vernunft erst durch Sprache entstehen kann, kann kein Mensch die Sprache erfunden haben, denn dafür hätte er bereits Ver-nunft besitzen müssen. Dem hier auftretenden Zirkelschluss kann Süßmilch einzig durch die Argumentation einer höheren Macht, in diesem Falle in der Annahme eines Gottes, entgehen. Süßmilch ist die Problematik des Zirkel-schlusses durchaus bewusst und so versucht er, aus verschiedenen Perspek-tiven an die Frage nach dem Sprachursprung heranzutreten.

3 Sprachphilosophische Theorien im 18. Jahrhundert 16 Auch er stellt sich, wie die meisten Sprachphilosophen, die sich mit der Sprachursprungsfrage auseinandersetzen, der gedanklichen Herausforderung einer Welt, in deren Ursprung der Mensch keine Sprache besitzt. Süßmilch reiht sich jedoch nicht in die Methodik der theologisch begründeten Sprach-ursprungsschriften ein, die den göttlichen Sprachursprung auf Grundlage des Genesistextes zu erklären suchen. Im Gegenteil, er postuliert bewusst, sich der Frage aus philosophischer Perspektive zu nähern.

Süßmilch schlussfolgert letztlich aus seinen Überlegungen, dass der sprachlose Mensch der tierischen Existenz nahestehe. Vermutet man also einen natürlichen Ursprung der Sprache und keinen gottgegebenen, so führt dies unweigerlich dazu, dass der Mensch sich aus seinen Instinkten heraus die Sprache erfunden haben muss. Dann wiederum würde sich die Sprache allerdings nicht weiter von den ebenso instinktgeleiteten Tieren abheben und beide Sprachen müssten sich in ihren Lauten ähnlich sein. Die Tiere, so Süßmilch, haben eine gleichförmige, unveränderte Sprache. Er führt als Unterstützung seiner Argumentation an, dass die Hunde in China genauso klingen wie die Hunde im deutschen Sprachraum. Die menschliche Sprache hingegen zeichnet sich durch ihre Verschiedenartigkeit aus. Aus genau die-sem Grund kann keine Sprache mit einem menschlichen, das heißt natürli-chen, Ursprung angenommen, sondern allein anhand einer göttlichen In-stanz begründet werden. (vgl. ebd.: 14)

Darauf beruhend entwirft Süßmilch letztlich seine Argumentation, wie sich die Sprache dann, ist sie einmal von Gott gegeben, entwickelt und wo-rin ihre Zwecke liegen. Dem Zweck scheint in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung zugutezukommen, denn er appelliert an eine moralische Instanz. So formuliert Süßmilch: „Der Zweck der Sprache ist, daß man sich durch Schalle die Gedanken einander mittheile, damit man einen vernünfti-gen Umgang mit einander haben könne“ (ebd.: 20). Diese moralische In-stanz unterstützt seine göttliche Sprachursprungstheorie, denn es vermittelt den Eindruck, als wurde dem Menschen die Sprache zweckgebunden von einer göttlichen Instanz gegeben.

Ironischerweise ähnelt der Fortgang der Argumentation derer Condillacs:

Süßmilch führt aus, dass, je öfter Zeichen und Bezeichnetes miteinander in Verbindung gebracht werden, die Erinnerung daran umso leichter fällt. Dies

3 Sprachphilosophische Theorien im 18. Jahrhundert 17 ähnelt stark dem Condillac’schen Bild der zwei Kinder, die mithilfe der Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem dazu in der Lage sind, die lan-gage d’action auszubilden. Süßmilch nimmt also zwar einen göttlichen Sprachursprung an, scheint jedoch eher eine Art göttlich gegebene Sprach-fähigkeit zu postulieren, aus der die Sprache durch den Menschen erwach-sen muss. Weiter merkt er an, dass erst die Reflexion zur Abstraktion führt.

Die durch die Abstraktion gebildeten Begriffe sind ein Zeichen des Ver-standes und führen zu Urteilen der Vernunft:

So bald nun der Mensch sich der Zeichen zu bedienen anfängt, und zu deutlichen und abgesonderten Begriffen gelanget, so bald fängt er an aus den Orden der Thiere auszu-gehen, und ein Mensch zu werden, als dessen wesentlicher Unterschied in dem Ge-brauch der Vernunft bestehet. (ebd.: 43)

Die Vernunft bildet dann das Unterscheidungsmerkmal zum Tier. Der hier verwendete Reflexions- und Vernunftbegriff wird uns später auch bei Her-der begegnen. Es fällt auf, dass Süßmilch trotz jeglicher Abwehr gegen ei-nen menschlichen Sprachursprung scheinbar eine Sprachfähigkeit annimmt, aus der heraus der Mensch sich dann selbst die Sprache erschaffen hat. Wi-dersprüchlich scheint jedoch, dass die Sprache gerade durch ihre Vollkom-menheit Gott gegeben sein muss. Süßmilchs Schrift muss sich zwangsläufig mit der Frage konfrontiert sehen, wie eine sich entwickelnde Sprache bereits zu Beginn vollkommen sein kann, wenn sie sich eigentlich noch im Ent-wicklungsprozess befindet.

Im letzten Schritt seines Versuchs bittet Johann Peter Süßmilch seinen Beschreibungen nach zufolge einen Freund, ihm eine Argumentation für den menschlichen Sprachursprung zu offerieren. Der Freund, so Süßmilch, führt an, dass Menschen sich auch durch Nachahmung die Sprache erfunden haben könnten. Es sei denkbar, dass die ersten Menschen Hühner beobach-tet haben könnten, die mit ihrem ‚Mund’ Laute von sich geben, die wiede-rum zu einer Art Kommunikation dienlich sind. Die durch den ‚Mund’ pro-duzierten Laute probierten die Menschen dann nachzuahmen, da sie in sich die Notwendigkeit verspürten, sich mitzuteilen. (vgl. ebd.: 64ff.) Süßmilch hält diese Argumentation für wenig hilfreich. Zum einen sei der Mensch ohne Sprache nicht dazu in der Lage, zu begreifen, dass die Töne der Tiere zu einer Art Kommunikation führen. Zum anderen muss zu der Entwicklung von Sprache zuerst Vernunft bestehen, die die Dringlichkeit der Sprache

3 Sprachphilosophische Theorien im 18. Jahrhundert 18 reflektieren kann. Nachahmung schließt letztlich auch die Entwicklung von Sprache aus und führe nur zu einem unüberschaubaren Gemisch verschie-dener nachgeahmter Tiersprachen. (vgl. ebd.: 71) Letztlich müsse sich doch die heutige Sprache in der ursprünglichen Sprache wiederfinden lassen.

Es lässt sich resümieren, dass Johann Peter Süßmilchs Argumentation auf zwei Sätzen fußt: Der erste charakterisiert die Funktion von Sprache. Er besagt: „Die Sprache ist das Mittel zum Gebrauch der Vernunft zu gelan-gen, ohne Sprache oder andere gleichgültige Zeichen ist keine Vernunft“

(ebd.: 5v). Der zweite Satz geht näher auf die vollkommenen Charakteristi-ka der Sprache ein, die ihn zu dem Schluss führen, dass der Mensch eine solch durchdachte Ordnung nicht ohne Vernunft hätte erfinden können.

(vgl. ebd.: 5 v/r) Die Argumentation, dass die Vernunft auf der Sprache auf-baue, durchzieht die gesamte Abhandlung und entkräftet jegliches Argu-ment, das sich gegen seine Theorie stellt und für die Annahmen eines menschlichen Sprachursprungs argumentiert.

Es wurde außerdem dargelegt, dass Süßmilchs Begriff von einer durch Gott gegebenen Sprache differenziert betrachtet werden muss. Es handelt sich eher um eine Art Sprachfähigkeit, die dem Menschen aufgrund seiner Vernunft zur Sprachentwicklung verhilft. Letztlich wurde dann Süßmilchs Beweisführung gegen eine Sprache der Nachahmung skizziert. Diese bein-haltete das Argument, dass der Mensch auch zu nachahmender Agitation Vernunft benötige, da sonst die Nachahmung nicht zielgerichtet und dem-nach nicht durchführbar wäre.

Im Folgenden wird nun explizit auf Johann Gottfried Herders Sprachur-sprungstheorie eingegangen. Das vorangegangene Kapitel ermöglicht zum einen eine Einordnung Herders in ausgewählte sprachphilosophische Positi-onen des 18. Jahrhunderts. Zum anderen werden diese PositiPositi-onen als Ver-gleichsschriften dienen, um im Anschluss die Bewertung der Herder’schen Abhandlung im Kontext einer modernen Sprachwissenschaft herausarbeiten zu können.