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Gary Flanell

„Ich will, dass du jetzt sofort was von Michael Jackson spielst!“

Sie kletterte die Treppe hoch und kam langsam auf mich zu.

Schwankend zwar, aber trotzdem bedrohlich. Vielleicht, weil sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger etwas zu nah an meinem Gesicht rumfuchtelte.

„Ich habe nichts von Michael Jackson.“, sagte ich knapp. „Das hier ist eine Indie/Alternative-Disco. Da gibt’s nichts von Michel Jack-son. Außerdem finde ich den scheiße.“ So war’s ja nun mal.

„Hast du dich eigentlich irgendwie auf den Abend vorbereitet?“, keifte sie nun vorwurfsvoll. Vorsichtig schaute ich mich um und vergewisserte mich des Alarmknopfs neben der Treppe. Wenn alles schief ginge, könnte Peter, der Türsteher, in zwei Minuten hier oben sein.

Ich sagte nichts mehr, sondern konzentrierte mich darauf, die nächste Nummer in der Pipeline auf den Weg zu schicken. Ein wun-derbarer Elektro-Pop-Song auf Mazedonisch. Mit Sängerin. Kannte niemand, verstand niemand und mitsingen konnte auch keiner, aber musikalisch passte das wunderbar zu der gerade angelegten New-Wave-Strecke. Die Tanzfläche war danach wie leergefegt und die Michael-Jackson-Verehrerin aus meiner Box verschwunden.

„Da vorne rechts müssen Sie ein bisschen aufpassen. Das ist die Deutschrocksiedlung. Scheißgegend mittlerweile. Früher war alles hier ein bisschen bieder, aber manche Ecken waren echt ok. Aber seit man hier nur noch auf der rechten Spur vorwärtskommt, ist das echt nicht mehr schön. Nur noch Idioten unterwegs. Vielleicht nehmen wir stattdessen einfach in die Dackelblut-Gasse. Kennen Sie gar nicht? Früher gab’s hier mal die schönsten Blumen am Arsch der Hölle. In dem kleinen Laden von Oma Hans. Ach, den kennen Sie? Hab aber mal gehört, der wäre jetzt zu. Oder war das eine Straße weiter? Ich weiß es nicht mehr. Ich fahre hier ja nicht mehr so oft lang.“

Oh, Bruder, du glaubst echt, Taxi fahren wäre gefährlicher als DJ sein? Kannst du knicken. So eine Michael-Jackson-Episode ist viel gefährlicher, als wenn dir jemand am Ende einer langen Fahrt von Klublingen nach Beatstadt ins Taxi kotzt. Aber es ist nicht alles schlecht. Denn ab und zu kommen sie wirklich zu mir hoch. Diese unglaublich hübschen Frauen. Manchmal setzen sie sich erst mal

Dann kommt der Musikwunsch.

„Darf ich mir was wünschen?“

„Klar.“, sage ich und glotze weiter auf den Laptop. „Wünschen kann man sich viel.“

„Oh, super. Kannst du was von den Sportfreunden Stiller spielen?“

„Ne, du, ich soll nichts Deutschsprachiges spielen. Ansage vom Chef.“

„Oooch, echt? Schade. Na, vielleicht beim nächsten Mal.“

„Klar.“

Wenn die Mädchen dann wieder gegangen sind, weil ich nichts spiele, das sie verstehen, bin ich in der Stimmung für was An-spruchsvolles. „Sometimes you eat the bear, sometimes the bear eats you“ von Pat Todd & The Rank Outsiders. Kennst du nicht?

Spitzennummer! Die passt dann ganz gut.

Aber Bruder, oft ist es ein Graus, all diese Menschen mit dem schlechten Geschmack und ihren penetranten Forderungen ab-zuwehren. Was ist mit David Guetta? Kommen da die Leute auch hochgeschlichen und sagen ihm, was er zu spielen hat? Ich glaube nicht. Aber ich habe auch nicht so eine Sonnenbrille wie David Gu-etta. Vielleicht liegt’s daran. Mit so einer Sonnenbrille könnte ich auch die abwehren, die, die glauben, sie wüssten und könnten al-les besser. Die Oberschlauen. Als würde dir jemand sagen, welchen Weg du fahren sollst. Nervt total.

Erst sagen auch sie nur: „Hallo.“ Dann bin ich schon misstrauisch und sage auch nichts.

„Darf ich mal gucken?“, fragen sie dann.

„Was gucken?“

„Ob ich mal gucken darf. An deinem Rechner. Ich meine, können wir mal tauschen? Ich leg auch ab und zu auf. Vielleicht hab ich ja ne bessere Idee als d...“

„Nein! Hast du 'nen Knall? Raus hier!“, kommt es dann, wie aus der Pistole geschossen. Und hätte ich eine Pistole, würde ich glatt schießen.

„Jetzt noch über die Bad-Brains-Rotunde und am Grant-Hart-Weg runter. Wenn Sie dann die Dritte rechts nehmen, kommen wir über die Straße des 17. GG-Allin-Bootlegs am besten voran.“

„Irgendwann, Bruder, sind dann alle weg. Sind müde, besoffen, ge-langweilt von der Musik oder auf dem Weg zum One-Night-Stand.

Der zynische Plattenunterhalter freut sich, wenn er zu einer stimmten Uhrzeit den Laden konsequent leergespielt hat. Geld be-kommt er ja trotzdem. Es ist eine große Kunst, die Musikauswahl

zum Ende hin so mies zu gestalten, dass Punkt fünf Uhr morgens der Laptop zugeklappt werden kann. Aber dieser Plan wird oft durchkreuzt. Die, die den Plan durchkreuzen, sind meist die fie-sesten Typen. Rocker. Wenn nur noch die fünf bärtigen Metaller da sind, die immer da sind. Die nur darauf warten, bis der Laden leer ist und sie den DJ dazu nötigen können, endlich mal „ihre“ Musik zu spielen. Und glaub mir, die Rockeraffen landen immer irgend-wann in deiner DJ-Bude.

„Spiel mal was Hartes.“, grunzt es dann energisch aus einer Lücke im Bart, etwas unterhalb des Ochsenrings in der Nase, aber ober-halb des löchrigen Wacken-2005-Shirts.

„Es sind eh nur noch fünf Leute da und die tanzen alle. Spiel doch mal Pantera. Oder Sepultura. Haste Napalm Death? Dann gehen die Mädels auch weg. Komm Alter, spiel mal was richtig Hartes.

Haste was richtig Hartes da?“

Ich reagiere dann meist mit „That’s how I got to memphis“ von So-lomon Burkes Nashville-Platte. Hilft astrein gegen fiesen

Rockeraffenbefall.“

„Ach so, jetzt sind wir schon am Cabaret-Voltaire-Karrée vorbei?!

Schade. Jetzt könnten wir aber noch über die Ian-Curtis-Kehre und dann links auf die Lemmy-Kilmister-Magistrale. Das wäre kürzer, als wenn wir geradewegs über die Bowie-Promenade fahren wür-den. Da vorn, an dem Haus in der Mitte der Straße können Sie mich rauslassen. Danke. Stimmt so.“

Ach Bruder, lass uns nicht vom Geld reden. Du weißt ja, was man nachts verdient. Was meinst du? Falscher Laden, meinst du? Viel-leicht mal woanders probieren? Ach, na ja, glaube ich nicht. Das Publikum muss man sich erziehen. Nur so wird man richtig groß und unsterblich. Frag mal David Guetta. Danke für den Tipp, aber ich komm schon so klar. Glaube mir, ich kenn mich aus. Erzähl ich dir denn, wie du Taxi fahren sollst?

Die Nacht, die einst,

noch von sommerlicher Wärme, so erfüllt, vom Funkeln vieler Sterne gewesen war,

ist heute kalt und eisig klar.

Der Mond schaut, einem Tyrannen gleich

auf mich herab, die Fratze bleich.

er stiert mich an, er kann’s nicht lassen, mich tief in meiner Seele anzufassen.

Die Qual, sie steigt ins Unermessliche und oh, er grinst, der garstig Hässliche, er ist mein Feind, auch wenn er es nicht weiß.

Der Zorn ist rot, die Stirn ist heiß.

Doch was kann er denn bitte machen,

wenn überhaupt nur auf mich hernieder lachen?

Was bin ich schwach und er so hoch, weiß er doch, was mich zerreißt.

Ich renne schon seit Stunden,

des Waldes Boden hat meine Füße so zerschunden.

Ich renne weit und renne schnell, vor meiner eigenen Schmerzen Quell, davon.

Mondgesicht

Jacob Segler

Auch wenn ich meine Blicke wende, mich immer wieder drehe,

ist es nur sein Gesicht, so hämisch freudig, was ich sehe!

DU GARSTIGSTER, WAS WILLST DU MIR?

ERSUCHE DIR EIN ANDERES RÄUDIGES TIER!

BIN ICH DENN DEINER UNTERHALTUNG DIENLICH?

SCHLEICH DICH HINFORT, DEIN BLICK, ICH KANN, ICH WILL, ICH MUSS.

Oh weh, was bin ich nur geworden, ein Destillat von Kummer und von Sorgen?

Kann nicht mal mehr klar denken und meinen Zorn nur noch auf ihn dort lenken?

Verzeih mir, milchig weiß gekrönter Herr, mein Leid ist groß, mein Geist ist leer.

E

r musste sie haben. Um jeden Preis.

Milo lag wach und das Mondlicht erhellte das Poster mit den Dü-senjägern, das über seinem Bett hing. Wenn er groß war, würde er Flieger werden. Hoch in der Luft über die Erde jagen, keiner könnte ihn dann aufhalten. Draußen knatterte sein Bruder Ronny mit Bass-motor heran. Erst hörte Milo die Autotür, dann die Haustür knallen.

Die Stimme seiner Mutter übertönte kurz das Fernsehgenuschel, dann ächzte die Holztreppe, als Ronny die Stufen hochstampfte, als wollte er mit jedem Schritt seinen Fußabdruck in den Boden zwingen.

Milo machte seine Augen fest zu und dachte an morgen. An sein großes Rennen und an SIE – die Murmel. Sie leuchtete grün von innen und machte ihn fast blind, wenn er sie ansah.

Kilian schlief zur selben Zeit schon tief. Der Mond brachte die Mur-meln matt zum Schimmern, die in einem Netz achtlos auf dem Fischgrätenparkett neben seiner Schultasche lagen.

Als er an diesem Samstagmorgen ins Esszimmer kam, saß sein Va-ter wie immer mit der Zeitung am Kopfende des Mahagonitischs und studierte den Wirtschaftsteil. Kilian legte ihm seine Klassen-arbeiten der letzten Tage hin.

„Ich habe in Mathe und Physik eine Eins, in Französisch eine Eins minus“, sagte er.

Sein Vater quittierte das mit einem beiläufigen Nicken.

Seine Mutter stellte das sorgsam nach einem Ernährungsplan komponierte Vollkornmüsli mit Milch und Früchten vor ihn hin,