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jô osbórnia

sogar unbekannte zu, denen sie bekennen:

ich bin eine waise der sprachen, erkennt mich!

was ich hier sage hatte mir zugunsten der mond zugestanden du fremder, in seinem zentrum habe ich salz

besehen und daher bringe ich diesen akzent mit:

den rest der

verdampften wörter:

das übliche übrige

-salz, ja, glaub’ mir, der mond brachte mir salz bei einer frischen existenz vor dem rollen des mondes

die entfremdeten schmerzen des salzes in die wunde die sich wandeln sich rollen

des mondes perle

der nacht

II. kafkaeske situationen der metropole

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken

Todesfuge, Paul Celan

herr: es ist zeit. ihre flucht ist ihre transition und sie fängt jetzt an.

nun haben sie ihnen die identität des migranten ausgewählt.

das leben in der metropole bietet ihnen zwar die rückzahlung einer historischen schuld an

hier bekommen sie das fehlende der kolonie erstattet:

arbeiten und protestantisch sparen, das darf hier fast jeder hier erfahren sie nicht unbedingt diese schmerzvolle gewalt einer

um geld gespaltenen gesellschaft hier sammeln sich alle summen der ausbeutung, hier

landet das geld aller genozide

die ihre haut

so gut kennt

oder ganz einfach: die endlich mal doppelsinnigkeit der schuld gibt es hier

in dieser territorialen sprache!

aber die rechnung der herr? herr: hier steht, wir haben es hier abbezahlt, herr, wollen sie die rechnung haben?

kafkaeske situation 1:

ach, zum studieren, schön, und wie lange bleiben sie hier in deutschland?

kafkaeske situation 2:

sommer, 35 grad. alle sind nackt und der teufelsee ist voll.

ein deutscher herr kommt aus dem wasser. er ist unser naheliegender nachbar auf den wiesen

verärgert fragt er uns: könnt ihr euch woanders hinsetzen ich war zuerst hier

oder habt ihr meine decke nicht gesehen?

kafkaeske situation 5:

frau schneider, dozentin der germanistik der HU, sagt:

ja, deutsche literatur ist ja nur was für muttersprachler!

kafkaeske situation 88:

sagen sie mir, bitte, warum sprechen sie mich so an?

was habe ich ihnen eigentlich getan?

woher dieser hass jetzt, auf einmal?

dieser versnobte blick?

sagen sie mir, bitte, sind sie AfD-wählerin?

ja, sie haben mich richtig verstanden, wählen sie für die AfD?

ihr fehlen an menschlichkeit passt ganz gut zu ihrer agenda, wissen sie das?

ja, lachen sie mich an, aber sagen sie mir bitte:

wer war eigentlich ihre familie im III. reich?

III. spiegel, geschenk des mondes

Herr, lass mich werden, der ich bin In jedem Augenblick.

Und gib, dass ich von Anbeginn Mich schick in mein Geschick

Kurzes Gebet, Mascha Kaléko

herr: es ist zeit. ihre flucht ist ihre transition und sie… ich bin kein herr!

meine transition fing schon an, als mir der mond einen spiegel geschenkt hat er lag um die ecke, brandneu

vor ihm stand ich in meinem zimmer

und stundenlang habe ich einfach auf die reflexion dessen gestarrt was darüber passiert:

ein herr brach auseinander der herr zerfallender herr hat sich mehrmals vor mir umgebracht:

wortlos gestürzt von so vielen hohen türmen

herunter bis in die nichtigkeit des rufes des herren zerfallen es blieb

dieser überlebende körper nacktes wort das nur nach einem neuen namen suchte

die leere substanz zu befreien eines bezeichnenden und es rief

jô erneut rief es

jô es rief

jô jô jô

[FORTSETZUNG FOLGT]

IV

TextTransit

X

steht mit einer Puppe in der Hand auf einem weißen Feld. Es schneit. Dazwischen: Ein paar stocksteife Birken, grazil wie eh und je, in den Schnee gerammt. Zum Umfallen schön…

Alors, tu vas vraiment faire ça? Ich erzähl es ein Mal. Ein Mal, weil es wert ist, erzählt zu werden, aber das war’s dann. Abgemacht?

Mir liegt dran, ja, ich möchte, dass Sie sich das anhören, dass Sie mir bis zum Schluss zuhören, aber es kommt eigentlich nicht drauf an, wie Sie das Ganze am Ende finden.

X setzt sich auf den Rand der Bühne neben die Puppe, lässt die Beine baumeln, sucht mit zusammengekniffenen Augen den Him-mel ab.

Mein Name ist nicht Lolita. Ich nenne mich bloß der Einfachheit halber hier so. Ich spreche durchs Gestöber und immer wieder schluck ich Schnee. Diese Geschichte beginnt noch mit der Ver-dauung von etwas, einem Kieselstein oder einem Granit, in jedem Fall etwas, das so schweigsam ist, dass es einem den Atem nimmt, so schweigsam, dass derjenige, der es mit sich herumträgt, manch-mal davon träumt, schwerelos zu werden. Ich kann Ihnen nur das er-zählen, was ich Ihnen erzählen kann. Aber ich will mich um Voll-ständigkeit bemühen. Es so erzählen, wie ich es erzählt hätte, hätte man mich gelassen. Denn ich habe, was das betrifft, alles gege-ben, ja, fragen Sie ruhig meinen Papa. Ja, ja. Werde ihn so nennen.

Hab ihn auch früher so genannt. Ich nenne ihn so und ich nenne mich so, wir sind Papa Humbert und die kleine Lolita. Nur, dass ich nicht mehr klein bin und dass ich sprechen kann. So, wie Papa sprechen konnte: schön schick, ein Wort nach dem anderen, wie gedruckt. Ich hingegen, ha, ich hatte damals nur Schabernack im Kopf. Und einen Pony über der Stirn, ich weiß nicht, ob er das auch erwähnt hat. Hab ich mir selbst geschnitten, mit einer rostigen Schere von Mama auf einem Schemel im Bad, sie hat mir eine Ohr-feige verpasst, als sie es sah, zwei Tage, bevor er bei uns ankam, mit Sack und Pack und seinem filzigen Herzen. Und nun? Ich bin, voilà: Berichterstatterin, direkt aus dem filzigen Zentrum eines Ver-brechens. Mein Vater hat seine Motive und Regungen ja bereits in