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Subjektive Wohlfahrtspositionen einzelner Gruppen von Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen

Im Dokument P 93 -107 S (Seite 43-53)

4. Sozialer Wandel in Ostdeutschland - Ausmaß und Folgen

4.4 Subjektive Wohlfahrtspositionen einzelner Gruppen von Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen

Die Entwicklung von Zufriedenheiten, Sorgen, Zukunftszuversicht und auch die Wahrnehmung der eigenen Arbeitsmarktchancen stehen vor allem in Zusammenhang mit Veränderungen des Erwerbsstatus (Tabelle 3). Die Erwerbstätigen lassen sich bereits 1991 in drei Gruppen unterteilen, die hinsichtlich der Struktur und des Niveaus aller angeführten Wohlfahrtsin­

dikatoren erhebliche Differenzen aufweisen. Die größte Gruppe wird von denjenigen Berufstätigen gebildet, die auch 1991 einer regulären Beschäfti­

gung in den neuen Bundesländern nachgingen. Hochgerechnet waren dies im SOEP rund 5.6 Millionen. Inner- oder zwischenbetriebliche berufliche Veränderungen innerhalb eines Jahres lagen in dieser Gruppe allerdings doppelt so hoch wie in Westdeutschland (Holst/ Schupp 1992). Bei ihnen ist bis 1991 lediglich ein vergleichsweise leichter Stimmungseinbruch zu er­

kennen. Sie bewerteten zentrale materielle Lebensbereiche wie ihre Arbeits­

situation oder ihre Einkommensverhältnisse schlechter als noch ein Jahr zu­

vor und auch das Niveau der allgemeinen Lebenszufriedenheit war bei die­

ser Gruppe 1991 etwas zurückgegangen. Sorgen um die eigene wirtschaftli­

che Situation und um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes hatten zu­

genommen, ebenso wie das Gefühl, sich unter den neuen Bedingungen

"nicht mehr zurechtzufinden". Nachgelassen hatte hingegen die 1990 noch stark ausgeprägte Zukunftszuversicht für die weitere Entwicklung.

Einer zweiten, relativ kleinen Gruppe von (hochgerechnet rund 450.000) Erwerbstätigen gelang es, einen Arbeitsplatz in den alten Bundes­

ländern zu finden. Sie heben sich für jeden der angeführten Wohlfahrtsindi­

katoren positiv von anderen Bevölkerungsgruppen in Ostdeutschland ab.

Die Bewertung ihrer Einkommensverhältnisse erreichte 1991 fast das Ni­

veau der Erwerbstätigen in den alten Bundesländern und auch hinsichtlich wirtschaftlicher oder "Arbeitsplatz-Sorgen" bestanden hier die geringsten Ost-West-Unterschiede. Hierzu trug sicherlich nicht nur das überdurch­

schnittlich hohe Arbeitseinkommen und die vergleichsweise hohe Arbeits­

platzsicherheit dieser Personen bei. Vielmehr dürfte auch in dem Gefühl, sich unter (erschwerten) Bedingungen erfolgreich auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt durchgesetzt zu haben, eine Ursache für das hohe Wohlbefin­

den in dieser Gruppe liegen. Das im westdeutschen Maßstab relativ nied­

rige Niveau der allgemeinen Lebenszufriedenheit (6.9) kann allerdings als Indiz dafür verstanden werden, daß neben den monetären Vorteilen und der relativen Sicherheit einer Erwerbstätigkeit in den alten Bundesländern - nicht zuletzt durch die langen Arbeitswege - auch bestimmte Wohl­

fahrtseinbußen hingenommen werden mußten. "West-Pendler” heben sich zwar auch 1992 noch positiv von anderen Bevölkerungsgruppen ab, aber

Tabelle 3: Subjektive Wohlfahrtspositionen von Erwerbstätigen und Nichterwerb­ sam " w irtschaftl.

platzsi-Situation cherheit

D auerarbeitslose 9 0 -0 6.6 5.5 6.3 60.6 43.0 23.9 39.5 61.3

(1991-1992) 9 1 -0 3.6 5.0 45.0 41 .2 19.8 5 1 .8

Datenbasis: SOEP-West 1990; SOEP-Ost 1990 bis 1992.

die Unterschiede sind zum Teil erheblich kleiner geworden. Dies liegt nicht nur daran, daß sich die Stimmung in Ostdeutschland allgemein verbessert hat, sondern auch daran, daß gerade "West-Pendler" ihre Lage keineswegs mehr so günstig einschätzen und bewerten wie noch ein Jahr zuvor. Entge­

gen dem allgemeineren Trend ist ihre Zukunftszuversicht deutlich zurück­

gegangen und ihre Arbeitsplatzsorgen gestiegen. Die Einkommensbewer­

tung fällt in dieser Gruppe ebenfalls schlechter aus als noch 1991. Mög­

licherweise finden sich in diesen Veränderungen bereits Hinweise für die Auswirkungen der einsetzenden Rezession in Westdeutschland.

Schaubiid 13: Erwerbsübergänge in Arbeitslosigkeit zwischen 1991 und 1992

_______ Arbeitslose 1992:

Männer

30%

Frauen

31%

Erwerbsstatus 1991:

l i t l f Regulär erwerbstätig Arbeitslos gemeldet

f j Kurzarbeit/ABM | | Sonstige Nichterwerbstätige Datenbasis: Längsschnittdaten des SOEP-Ost (1990-1992).

Die dritte, große Gruppe von Beschäftigten-konnte bereits 1991 lediglich aufgrund von arbeitsmarktpolitischen Interventionsmaßnahmen noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die hochgerechnet mehr als 1.5 Millionen Kurzarbeiter unterschieden sich zwar hinsichtlich ihres arbeitsrechtlichen Status von der Gruppe der Arbeitslosen; die mit dem Übergang in diese Beschäftigungsform einhergehenden schlechteren Bewertungen der eigenen Lebensverhältnisse ähnelten hingegen in ihrem Muster weitgehend denen der arbeitslos gemeldeten Personen. Dies dokumentierte sich in einem ho­

hen Ausmaß an Sorgen sowohl um die eigene wirtschaftliche Situation als auch um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes. Weiterhin waren Ge­

fühle von Zukunftspessimismus und Orientierungslosigkeit in dieser Erwerbstätigengruppe überproportional stark verbreitet. Die durchschnittli­

che Arbeitszufriedenheit von Kurzarbeitern sank von 6.9 auf 4.0. Auch die­

ses Ergebnis kann dahingehend interpretiert werden, daß die Betroffenen der praktizierten Kurzarbeiterregelung eher negativ gegenüberstanden und nur eine Minderheit mögliche Vorteile, die sich aus diesem Beschäftigungs­

verhältnis ergeben konnten, auch wahmahm. Eine Alternative zum allge­

mein akzeptierten Status der vollzeiterwerbstätigen Arbeitskraft zeichnete sich in diesem Modell für Ostdeutschland nicht ab.

Schaubild 13 zeigt, daß ein großer Teil der Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes bei Kurzarbeitern 1991 nicht imberechtigt war, denn sie sind in der Gruppe der Arbeitslosen 1992 überproportional vertre­

ten. Obwohl der Anteil der Kurzarbeiter am gesamten Erwerbspersonen­

potential - im Vergleich zu dem Anteil der regulär Beschäftigten - relativ niedrig war15, kamen mehr als 30 Prozent der Neuzugänge in Arbeitslosig­

keit zwischen 1991 und 1992 aus einem irregulären Beschäftigungsverhält­

nis; ebenfalls rund 30 Prozent der Arbeitslosen kamen aus regulären Erwerbsformen und eine etwa gleichgroße Gruppe war bereits ein Jahr zu­

vor arbeitslos gemeldet.

Das Gros irregulärer Beschäftigungsformen bilden 1992 "Arbeitsbe­

schaffungsmaßnahmen" (ABM). Die Ausprägungen aller angeführten Wohl­

fahrtsindikatoren zeigen, daß diese Gruppe im Vergleich zu den beiden anderen Erwerbstätigengruppen nach wie vor deutliche Defizite aufweist (Tabelle 3). Dennoch ist unübersehbar, daß die Einschätzungen und Bewer­

tungen von Personen in ABM-Stellen teilweise günstiger ausfallen, als von Kurzarbeitern in 1991. Lediglich die nach wie vor weit verbreitete Sorge um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes (73%) und das vergleichsweise stark ausgeprägte Gefühl, sich unter den neuen Bedingungen nicht mehr zurechtzufinden (38%), haben in ihrer Bedeutung für das Wohlbefinden der Betroffenen kaum nachgelassen. Auch "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen"

stellen in der Wahrnehmung und Bewertung der Ostdeutschen nur unzurei­

chende, zeitlich befristete "Ersatzlösungen'' und keine permanenten Alterna­

tiven zu regulären Erwerbsformen dar.

Unter den Gruppen der Nichterwerbstätigen zeigen sich die Zufrie­

denheitswerte von Rentnern bis 1992 als relativ stabil. Insbesondere die Bewertung materieller Lebensbedingungen liegt bei älteren Nichterwerbstä­

tigen über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Auch sind bei ihnen Sorgen über die eigene wirtschaftliche Situation kaum verbreitet. Einschränkungen des persönlichen Wohlbefindens zeigen sich allerdings in der nachlassenden Zukunftszuversicht und einem erheblich an Bedeutung gewinnendem Ge­

fühl der Orientierungslosigkeit im Rahmen des Transformationsprozesses

15 Von den hochgerechnet rund 7.6 Millionen Erwerbstätigen im SOEP (1991) waren ca. 1.5 Millionen, d.h. 20 Prozent, in Kurzarbeit.

(s. Kapitel 3.5). Erheblich schlechter fallen die Angaben von Personen aus, die bis 1992 arbeitslos wurden. Der Umfang der Zufriedenheitseinbußen im Osten, die durch Arbeitslosigkeit ausgelöst wurden, übersteigt bei weitem das Ausmaß in der westdeutschen Vergleichsgruppe. Arbeitslosigkeit zieht zwar auch im Westen schwere Wohlfahrtsdefizite nach sich, aber zum einen ist Arbeitslosigkeit hier bereits seit langem eine bekannte Form der Nicht­

erwerbstätigkeit und kein abrupt auftretendes Massenphänomen. Zum anderen kumulieren ihre materiellen und psychologischen Folgen - zumin­

dest bis 1992 - nicht mit persönlichen Belastungen und Unsicherheiten im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Umbruchprozesses mit dem die Menschen in den neuen Bundesländern unmittelbar nach der deutschen Einheit konfrontiert waren beziehungsweise noch sind. Die These einer durch Arbeitslosigkeit ausgelösten oder verstärkten sozialen Isolation der Betroffenen (Kretzschmar 1993), läßt sich mit den vorliegenden Daten aller­

dings kaum bestätigen: Hinsichtlich der Verbreitung von Einsamkeitsgefüh­

len unterscheiden sich Arbeitslose nur wenig von Erwerbstätigen. Nur etwa jeder fünfte Arbeitslose berichtet 1991 und 1992 von dem Vorhandensein solcher Gefühle. Stärker als Arbeitslosigkeit beeinflussen - vorwiegend altersbedingte - Veränderungen famüialer Beziehungsmuster das Ausmaß an sozialer Isolation. Jeder dritte Rentner in den neuen Bundesländern fühlte sich 1992 "oft einsam"; in dieser Gruppe ist der Anteil alleinlebender, verwitweter Personen besonders hoch16.

Das Ausmaß an Sorgen, Zukunftspessimismus, Orientierungslosigkeit und Unzufriedenheit, sowohl mit wichtigen, materiellen Lebensbedingun­

gen, als auch mit den eigenen Lebensumständen insgesamt, war hingegen für die neue entstandene Gruppe der Arbeitslosen in einem negativen Sinne beeindruckend. Zusammen mit den Kurzarbeitern umfaßten Arbeitslose 1991 große Teile jener Problemgruppen in Ostdeutschland, für die in beson­

derem Maße die Gefahr sozialer Ausgrenzung und Marginalisierung be­

stand. Insofern war es von hohem, sozialpolitischem Interesse zu verfolgen, ob und inwieweit vor allem arbeitslose Personen ihre ungewohnte, un­

gewollte und prekäre Lage subjektiv bewältigen konnten. Dabei ist in Erin­

nerung zu rufen, daß "nur" etwa 30 Prozent der Arbeitslosen von 1992 be­

reits ein Jahr zuvor erwerbslos waren (Schaubild 13). Ein Teil fand im Laufe des Jahres eine neue Arbeitsstelle, viele ältere Arbeitslose schieden - bei­

spielsweise über die Vorruhestandsregelung - endgültig aus dem Erwerbs­

leben aus. Die Gesamtangaben von 1992 beziehen sich also nur zum Teil auf die von Langzeitarbeitslosen und mehr hei tlich auf die von "Neuzugängen".

16 Erkennbare Besonderheiten und Belastungen in einzelnen Familien- und Haushaltsty­

pen ergeben in den alten und neuen Bundesländern ein ähnliches Muster: In Ost und West fühlen sich Alleinerziehende, Geschiedene, ältere Ledige sowie insbesondere ältere Verwitwete "oft unglücklich" oder "einsam". Erwartungsgemäß sind Verheiratete in der Regel nur unterdurchschnittlich von diesen Beeinträchtigungen betroffen (Habich/

Landua/ Spellerberg 1992).

Unter Berücksichtigung dieses Umstandes lassen sich die Indikatoren aus Tabelle 3 wie folgt zusammenfassen: Das Wohlfahrtsniveau von Ar­

beitslosen weist auch 1992, im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen, die größten Defizite auf. Unzufriedenheit, Sorgen um die eigene wirtschaft­

liche Situation, geringe Zukunftszuversicht und Gefühle von Orientierungs­

losigkeit sind weiterhin Stichworte, mit denen sich die persönliche Lage der Betroffenen kennzeichnen läßt. Dennoch ist als ein wichtiges Ergebnis fest­

zuhalten, daß das Wohlbefinden der arbeitslos gemeldeten Personen in Ost­

deutschland zwischen 1991 und 1992 keine resignativen oder gar weiter fal­

lende Tendenzen aufweist, sondern sich - im Gegenteil - sogar wieder leicht verbessert hat. Dies betrifft nicht nur die Einschätzung und Bewertung der aktuellen Lebensumstände, sondern auch die Einschätzung der eigenen Zukunftsperspektiven. Aber nicht nur kurzfristig, sondern auch "Dauerar­

beitslose" zeigen zwischen 1991 und 1992 Anzeichen für eine Verbesserung ihrer psychischen Befindlichkeit17. Entgegen teilweise negativeren Prog­

nosen (bspw. Kallabis 1993; Kretzschmar 1993) finden sich - trotz zweifellos vorhandener und schwerer Problemlagen - damit bislang kaum Hinweise, die die These einer zunehmenden psychosozialen Verelendung arbeitsloser Bevölkerungsgruppen in den neuen Bundesländern imeingeschränkt bestä­

tigen. Die Grundsituation der Arbeitslosigkeit wird, auch bei langer Dauer, von den Betroffenen unterschiedlich bewältigt (s. auch: Wacker 1985).

Es ist davon auszugehen, daß mögliche Erklärungsansätze für die Ent­

wicklungstendenzen der Zufriedenheiten, Sorgen und der Zukunftszuver­

sicht bei Arbeitslosen, Kurzarbeitern sowie ABM-beschäftigten nicht nur vor dem Hintergrund der belastenden Lebensumstände bei (drohender) Erwerbslosigkeit zu sehen sind. Vielmehr verweist der Umstand, daß auch jene Personen 1991 Wohlfahrtseinbußen erkennen lassen, die von den dra­

matischen Veränderungen auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt nicht direkt betroffen waren, auf die besonderen - vor allem psychischen - Begleitum­

17 Viele der angeführten subjektiven Indikatoren für das Jahr 1990 zeigen allerdings, daß die Gruppe der (zukünftigen) Dauerarbeitslosen bereits in der DDR-Gesellschaft Kennzeichen sozialer Marginalisierung aufwies. Verglichen mit der Gesamtgruppe aller Erwerbstätigen finden sich relativ niedrigere Zufriedenheitswerte, insbesondere bei der Arbeitszufriedenheit. Auch die überproportionale Verbreitung von Anomie-Symptomen (niedrigere Zukunftszuversicht, höhere Orientierungslosigkeit, verbreitete Gefühle von Einsamkeit) und größere Sorgenanteile deuten darauf hin, daß sich bestimmte gesellschaftliche Randgruppen der ehemaligen DDR durch die Transformation lediglich in ihren Erscheinungsformen gewandelt bzw. sich nach dem westdeutschen Muster umstrukturiert haben. Dieses Bild wird durch die (retrospektive) Analyse objektiver Lebensbedingungen von Dauerarbeitslosen im Jahr 1990 bestätigt. Fast 80 Prozent waren dabei 1990 noch erwerbstätig. Es handelte sich relativ oft um "Einfache Angestellte", "Un- und angelernte Arbeiter" sowie "LPG-Beschäftigte". Der Anteil der Erwerbstätigen "Ohne Berufsabschluß" lag in dieser Gruppe doppelt so hoch wie im Gesamtdurchschnitt. Überproportional hoch war auch der Beschäftigtenanteil mit niedrigen Tätigkeitsanforderungen ("Keine besondere Ausbildung notwendig", "Kurze Einarbeitung, Anlernzeit im Betrieb"). Auf eine detaillierte tabellarische Darstellung dieser Verteilungen wird hier aus Platzgründen verzichtet.

stände im ersten Jahr des ostdeutschen Transformationsprozesses hin. Rund 60 Prozent aller Ostdeutschen waren 1990 der Ansicht, daß die Angleichung der Lebensverhältnisse eine gesellschaftliche Aufgabe umfaßt, die sich über mehr als ein halbes Jahrzehnt erstrecken würde. Fast jeder Dritte erwartete einen Prozeß, der sogar -mehr als ein Jahrzehnt dauern könnte (Landua 1993b:105f.). Viele Erwerbstätige in den neuen Bundesländern sahen darü- berhinaus durchaus die Arbeitsmarktrisiken, die sich im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Strukturveränderungen in Ostdeutschland ergeben könnten. Obwohl sich also viele Ostdeutsche kaum illusionäre Hoffnungen auf einen schnellen und reibungslosen Transformationsprozeß machten, drückte sich aber gleichzeitig in dem weitverbreiteten Zukunftsoptimismus die Erwartung aus, daß die wirtschaftliche und soziale Entwicklung - wenn auch nur langsam und mit schmerzlichen Veränderungen - insgesamt doch in ihrer Tendenz aufwärts gehen könnte. Zukunftsangst und Optimismus waren gleichermaßen Aspekte der weiteren Entwicklung.

Auf den rapide einsetzenden Zerfallsprozeß der ostdeutschen Wirt­

schaft waren - trotz warnender Stimmen von Wirtschaftsexperten und Poli­

tikern - nur wenige gefaßt und "vorbereitet". Er stellte für Betroffene und Nichtbetroffene zunächst eine schwere Belastung dar, die in allgemein stei­

genden Unsicherheiten, Sorgen, Ängsten und Orientierungsproblemen ih­

ren Ausdruck fand. Ausmaß und Tempo des gesellschaftlichen Umbruch­

prozesses in Ostdeutschland zwangen viele Menschen in den neuen Bun­

desländern deshalb zu einer Um- und Neuorientierung ihrer Anspruchs­

und Erwartungshaltungen als Voraussetzung für eine entsprechende Stabi­

lisierung ihres subjektiven Wohlbefindens. Der in seiner Intensität unerwar­

tete Transformations-"Schock" mußte auch psychisch verarbeitet werden und diese "innere Stabilisierung" ist bis 1992 zunehmend mehr Ostdeut­

schen gelungen. Offensichtlich wurde seitens vieler Sozialforscher die in der ostdeutschen Bevölkerung vorhandenen Potentiale zur Bewältigung selbst kritischer Lebensereignisse - wie beispielsweise Arbeitslosigkeit - erheblich unterschätzt: Die regulär Erwerbstätigen in den neuen Bundesländern ma­

chen sich weniger Sorgen als in den beiden Jahren zuvor; ihre Zukunftszu­

versicht ist sogar stärker ausgeprägt als noch 1990 und selbst typische Pro­

blemgruppen wie Arbeitslose oder irregulär Beschäftigte äußern wieder mehr Zufriedenheit und Zukunftszuversicht. Die Gefahr der sozialen Aus­

grenzung größerer Bevölkerungsteile in den neuen Bundesländern ist damit zwar nicht gebannt, aber für eine weitere, dramatische Zuspitzung der Situation finden sich - trotz der anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme der ostdeutschen Transformationsgesellschaft - bis 1992 keine stichhaltigen Hinweise.

5. "Gewinner” und "Verlierer" im ostdeutschen Transformations­

prozeß: Ein Abgrenzungsversuch

Die Konzentration auf problembezogene Aspekte des ostdeutschen Trans­

formationsprozesses seitens der Berichterstattung von Medien oder in empi­

rischen Untersuchungen vieler Sozialforscher ist aufgrund der sozialpoliti­

schen Brisanz der gegebenen Situation und Entwicklungen berechtigt und sinnvoll. Die Kehrseite dieser Konzentration liegt aber nicht zuletzt in der Gefahr, daß bestimmte Selbstverständlichkeiten nahezu vollständig aus dem Blickfeld geraten. Eine dieser Selbstverständlichkeiten ist die einfache Tatsache daß, trotz aller Probleme und Krisenerscheinungen, auch in Ost­

deutschland viele Menschen mit ihrem Leben - alles in allem - durchaus zu­

frieden sind und darüberhinaus wichtige Ursachen für das vorhandene Ausmaß an Unzufriedenheit und emotionalen Beeinträchtigungen keines­

wegs ausschließlich in immittelbarem Zusammenhang mit dem anhalten­

den Transformationsprozeß Ostdeutschlands stehen18. Für eine Analyse der Wohlfahrtsentwicklung in den neuen Bundesländern ist deshalb die Unter­

scheidung naheliegend zwischen solchen Problemlagen, die von sozialem Wandel eher imabhängig sind, und solchen subjektiven Beeinträchtigungen, die durch den gesellschaftlichen Umbruchprozeß ausgelöst wurden.

Die Operationalisierung einzelner Wohlfahrtslagen ist allerdings mit vielen methodischen Schwierigkeiten verbunden. Der folgende Vorschlag basiert auf dem Indikator der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Dabei wird den Befragten selbst die Möglichkeit gegeben, ihre persönliche Bewertung der Zustände in allen zentralen Lebensbereichen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erwartungen und Ansprüche zum Ausdruck zu bringen. Als Unterscheidungskriterium für einzelne Wohlfahrtspositionen dient die durchschnittliche Zufriedenheit in der Bevölkerung. Als eher "schlechte”

Wohlfahrtspositionen werden dementsprechend alle Personen definiert, die einen Zufriedenheitswert zwischen "0" und "5" angaben; unter eher "guten"

Wohlfahrtspositionen wurden alle Personen zusammengefaßt, die mit einen Zufriedenheitswert zwischen "6" und "10" antworteten. Diese Aufteilung markiert zugleich auf der Zufriedenheitsskala in etwa die Grenze zwischen den Bereichen von "Unzufriedenheit" und "Zufriedenheit". Hierauf auf­

bauend wurden vier verschiedene Typen von Wohlfahrtslagen gebildet:

1. Als "Konstant Unzufriedene" wurden jene Befragten klassifiziert, die be­

reits vor der 'Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" ein unterdurch­

schnittliches Niveau der allgemeinen Lebenszufriedenheit aufwiesen und bis 1992 ihre Zufriedenheit nicht verbessert haben.

18 Persönliche Problemlagen, die mit ihren Belastungen weitgehend unabhängig von den Schwierigkeiten des gesellschaftlichen Umbruchprozesses in den neuen Bundesländern auf das Wohlbefinden der Betroffenen einwirken, können in ihrer belastenden Wirkung durch diese Prozesse natürlich verstärkt werden.

2. Als "Verlierer" wurden jene Befragten eingeordnet die im Frühjahr 1990 mit ihrer Zufriedenheit noch auf bzw. über dem Bevölkerungsdurchschnitt lagen, aber bis 1992 unter dieses Niveau gesunken sind.

3. Als "Konstant Zufriedene" wurden jene Befragten klassifiziert, die bereits im Frühjahr 1990 ein (über)durchschnittliches Niveau der allgemeinen Lebenszufriedenheit aufwiesen und bis 1992 dieses Niveau gehalten haben.

4. Als "Gewinner" wurden schließlich jene Befragten eingeordnet, die vor der deutschen Einheit noch eher unzufrieden waren und bis 1992 ihre all­

gemeine Lebenszufriedenheit positiver einschätzen.

Tabelle 4: Subjektive Wohlfahrtslagen einzelner Bevölkerungsgruppen

Wohlfahrtslagen:

’ K onstant U nzufriedene"

’ V e rlie rer’ "G ewinner" "K onstant Z ufrie d e ne *

Insgesam t: 12.4 25.2 24.5 3 7 .9

Teilgrup p en 1992:

- M ä n n e r 12.5 24.9 23.9 38.8

- Frauen 12.6 25.7 24.5 37.2

* Bis 3 0 Ja h re 8.6 24.1 25.7 41 .6

- 3 1 -6 0 Jahre 14.5 26.1 24.5 34.8

- 6 1 + Ja h re 12.0 23 .5 23.0 41 .5

- U n te rste s Einkom m ensquintil 17.6 31.4 25.5 25.4

- O b e rs te s E inkom m ensquintil 9.5 18.3 26.2 4 6 .0

- R e g u lä r Erw erbstätige 10.7 22.5 25.7 41.1

- ’ W e s t-P e n d le r“ 8.5 11.7 31.8 48.0

- K urzarbeit/AB M 19.4. 30.3 21.6 28.7

- S tu dium /Lehre 7.9 20.7 26.6 44.8

- A rbeitslose 17.7 38.7 18.4 25.2

- R entn er/P e n sio n ä re 10.2 27.1 22.1 40.5

- A lleine rzie h e nd e 19.3 30 .4 22.0 28.4

- (E h e -)P a a re ohne Kinder 13.4 21.3 22.7 42.6

- G esu nd h e itszu sta n d 'e h e r g u t’ 8.9 20.2 25.5 45 .2

- G esu nd h e itszu sta n d ’ e h e r sch le ch t’ 36.9 26.0 14.6 20.5

- O ft E in sa m ke itsg efü h le 31.7 20.0 22.4 25.8

- Keine/kaum Einsam keitsgefühle 10.6 23.7 23.7 42.0

Datenbasis: SOEP-Ost 1990 bis 1992.

Dieser Einteilung zufolge gliedert sich die ostdeutsche Bevölkerung 1992 insgesamt in rund 12 Prozent "Konstant Unzufriedene", 38 Prozent "Kon­

stant Zufriedene", 25 Prozent "Verlierer" und etwa ebensoviele "Gewinner"

(Tabelle 4). Die größte Bevölkerungsgruppe in den neuen Bundesländern bilden demnach Personen, die im Rahmen der deutschen Einheit keine dra­

matischen Zufriedenheitseinbußen hinnehmen mußten und mit ihrem Leben bis 1992 - alles in allem - durchaus zufrieden sind. Mehr als ein Ach­

tel aller Ostdeutschen äußert 1992 eher Unzufriedenheit, war jedoch bereits vor der deutschen Einheit mit seinem/ihrem Leben eher unzufrieden. Rund jeweils ein Viertel der Bevölkerung veränderte ihre Zufriedenheitsposition seit 1990 zwischen den beiden Wohlfahrtslagen, sowohl in positiver als auch in negativer Richtung.

Bedeutsame Unterschiede sind in diesem Verteilungsmuster zwischen Männern und Frauen sowie zwischen einzelnen Altersgruppen kaum fest­

zustellen. Dies ändert sich, wenn man die Bevölkerung nach ihrer Erwerbs­

position von 1992 unterteilt. So sind bei "West-Pendlern" die Gruppen der

"Konstant Zufriedenen" (48%) und der "Gewinner" (32%) jeweils deutlich überrepräsentiert. Der größte Anteil aller Wohlfahrtslagen wird bei Ar­

beitslosen hingegen erwartungsgemäß von "Verlierern" gebildet (39%).

Allerdings deutet der ebenfalls überproportionale Anteil an "Konstant Unzufriedenen" (17%) darauf hin, daß Teile diese Personengruppe schon in der ehemaligen DDR mit ihren Lebensumständen vergleichsweise eher unzufrieden war. Möglicherweise könnten hierbei frühere Formen der so­

genannten "verdeckten Arbeitslosigkeit", d.h. die personelle Überbesetzung des Produktionsprozesses durch improduktive und deshalb wirtschaftlich entbehrliche Arbeitnehmer, eine gewisse Rolle spielen (s. Fußnote 17).

Erwartungsgemäß zeigt sich bei der Verteilung einzelner Wohlfahrts­

lagen zwischen der höchsten und der niedrigsten Einkommensgruppe, daß rund drei Viertel der Bezieher hoher Einkommen den "Konstant Zufriede­

nen" und den "Gewinnern" zuzurechnen sind. Erstaunlich ist jedoch, daß mehr als ein Viertel aller Personen des untersten Einkommensquintils der Gruppe der "Gewinner" zugeordnet werden können. Offensichtlich wird die Entwicklung der eigenen Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland - trotz der allgemein hohen Bedeutung finanzieller Belange in wirtschaftlichen Krisen­

situationen - keineswegs nur von monetären Aspekten geprägt. Betrachtet

situationen - keineswegs nur von monetären Aspekten geprägt. Betrachtet

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