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4 Ausgewählte theoretische Grundlagen

4.3 Stressbewältigung und Soziale Unterstützung

Die Theorien der Sozialen Unterstützung zur Bewältigung vielfältiger Stressoren beinhaltet gleichzeitig die bio-psycho-soziale Perspektive sowie den Ansatz der Person-in-Situation.

Belastungssituationen ergeben sich immer aus der Kombination von Verhalten und Ver-hältnis, also aus Lebensweise und Lebenslage. Menschen sind unterschiedlich belastbar, besonders vulnerable Personen können bei objektiv betrachtet weniger schweren Stresso-ren bereits an die GStresso-renze ihrer Bewältigungskompetenz gebracht werden.

Zur Erklärung von Stressbewältigung entwickelte Selye (1986, zit.n. Pauls 2013: 73f) seine Theorie des Allgemeinen Adaptionssyndroms. Dieses beschreibt eine zunächst unspezifi-sche Reaktion des menschlichen Organismus auf einen Stress auslösenden Reiz. Diese erregende Reaktion läuft hormonell gesteuert ab und betrifft damit den gesamten Organis-mus. Durch den Stressreiz werden auf einer physiologischen Ebene Abwehrmechanismen angesprochen, die das Überleben des Körpers ermöglichen sollen. Dabei unterscheidet der Organismus zunächst nicht nach der Art des Stresses, sondern reagiert allgemein mit einer Mobilisierung. Sowohl psychische als auch soziale Stressoren, also interne und ex-terne Stressoren, lösen das dreiphasige Adaptionssyndrom hervor, welches aus physiolo-gischer Alarmreaktion auf belastenden Reiz, Widerstandphase und Erschöpfungsphase besteht. Selye unterscheidet nach negativem Disstress und positivem Eustress. Während Disstress die Bewältigungsfunktionen des Körpers übersteigt und bei längerfristiger Ein-wirkung gesundheitsschädigend sein kann, hat Eustress sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung (vgl. Pauls 2013: 72ff). Diese Theorie berücksichtigt bereits soziale Stressauslö-ser und ist damit für die Sozialarbeit von zentraler Bedeutung. Dennoch ist das Konzept des Allgemeinen Adaptionssyndroms zu kausal gedacht und berücksichtigt nicht individu-elle Faktoren der Stressbewältigung.

Eine erweiternde Theorie zur Stressbewältigung stammt von Lazarus und Folkman (1980, zit.n. Pauls 2013: 75f). Sie entwickelten das transaktionale Stress-Coping-Modell, das die

26 subjektive Bewältigung von Stressoren in den Kontext komplexer Anpassungsleistungen, die im Zuge der Bewältigung (Coping) auftreten. In diesem Modell wird von einer wechsel-seitigen Beeinflussung von Individuum und Umwelt ausgegangen. Diese Transaktionen finden auf den Ebenen der physiologischen, psychologischen und sozialen Bedingungen statt. Stress bedeutet auf jeder dieser Ebenen eine Transaktion, bei der interne oder ex-terne Anforderungen (Stressoren) die adaptiven Möglichkeiten des Organismus überstei-gen oder zumindest beanspruchen. Stress entsteht dann, wenn die Anforderunüberstei-gen und Beanspruchungen von Personen oder Systemen wie Familien oder Paaren als nicht be-wältigbar erlebt werden und die bisher angewandten Bewältigungsstrategien nicht greifen.

Die Entstehung von Stress läuft nach diesem Modell nach folgendem Schema ab: zunächst reagiert das Subjekt oder das System auf ein Belastungsereignis mit einer verstärkten Hin-wendung zum Problem und zum intensiven Einsatz bisheriger Bewältigungsstrategien.

Wenn diese nicht ausreichen, um die Belastungssituation angemessen zu beseitigen, ent-stehen durch die Überlastung des Systems gesundheitsschädigender Stress sowie Stö-rungen. Diese betreffen sowohl das innere Gleichgewicht, also psychische und körperliche Reaktionen, als auch das äußere Gleichgewicht in Form von sozialer Unterstützung und sozial-emotionalen Faktoren zwischen Individuum und Umwelt. Coping ist dabei der Ein-satz von zur Verfügung stehenden Mitteln einer Person, um dieses Ungleichgewicht zu verringern oder zu beseitigen. Sowohl emotionale und kognitive Regulation (intrapsychi-sche Vorgänge) als auch instrumentelles Verhalten der Person gehören zum Spektrum der Bewältigungsversuche. Erfolgreiche Bewältigung bedeutet eine Wiederherstellung des Gleichgewichts, bei erfolgloser Bewältigung können sich die Störungen des Gleichgewich-tes sogar noch verstärken. Das Individuum steht also in aktiver Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und ist nicht passiv belastet. Jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens un-weigerlich von belastenden Situationen betroffen, was nicht grundsätzlich als negativ zu betrachten ist, da ein krisenfreies Leben zu Unterforderung und damit ebenfalls zu gesund-heitlichen Beeinträchtigungen führen würde (vgl. Pauls 2013: 75ff)

Im Gesundheitswesen, insbesondere im Krankenhaus, begegnet Klinische Sozialarbeit Menschen, deren Bewältigungskompetenzen durch Ereignisse wie eine Erkrankung oder den Tod einer nahen Bezugsperson herausgefordert und teilweise auch überschritten wer-den. Ihr Beitrag besteht nicht nur darin, Belastungen zum Beispiel durch die Abklärung sozialrechtlicher Ansprüche zu beseitigen und den daraus resultierenden Stress mit seinen gesundheitsschädigenden Auswirkungen für die Klient*innen zu beseitigen. Diese An-nahme einer direkten EinflussAn-nahme der Sozialarbeit auf eine soziale Situation ist zwar zur Stabilisierung der Lebensverhältnisse von Personen notwendig und wichtig, jedoch zielt

27 Klinische Sozialarbeit auf ein größtmögliches Maß an Selbstständigkeit ab. Daher liegt der Fokus Klinischer Sozialarbeit im Gesundheitswesen auf der Aktivierung und Herstellung von Ressourcen und Kompetenzen der Personen in ihrer Umgebung, um die eigene Be-wältigungsfunktion zu erhöhen. Auch hier wird der zweispurige Ansatz Klinischer Sozialar-beit sichtbar: zum einen werden intrapersonale Faktoren wie Widerstandsfähigkeit und Be-lastungsfähigkeit betrachtet, zum anderen extrapersonale Faktoren in der Umwelt wie bei-spielsweise soziale Beziehungen oder die materielle Absicherung (vgl. Pauls 2013: 74f).

Das Verständnis dieser Mechanismen und die Berücksichtigung von Wechselwirkungen zwischen Individuum und sozialer Umwelt sind die Voraussetzung für sozialarbeiterische Interventionen zur Belastungsbewältigung. Auch die Bereitschaft und die Fähigkeit der Ad-ressant*innen, soziale Unterstützung anzunehmen, spielen eine entscheidende Rolle. Das soziale Umfeld von Individuen besteht hauptsächlich aus Familie, Freund*innen, Vertrau-enspersonen oder anderen informellen Kontakten. Doch auch ein großes soziales Netz-werk ist nicht automatisch eine Garantie für Unterstützung in besonders belastenden Situ-ationen. Zur Verringerung von Belastungen vorteilhaft ist die Existenz eines bedeutsamen Anderen, also einer nahestehenden Person, die in jedem Lebensbereich eines Individuums eine wichtige Rolle spielt. Bei der sozialarbeiterischen Bearbeitung sozialer Unterstützung sind mehrere Formen zu unterscheiden:

- Emotionale Unterstützung: Annahme, Wertschätzung, Präsenz, Empathie, Förde-rung des Selbstwerts, angemessener Umgang mit Gefühlsreaktionen

- Positiver Sozialer Kontakt: Zugang zu wichtigen Bezugspersonen im persönlichen Netz sozialer Beziehungen.

- Instrumentelle Unterstützung: konkrete Hilfestellungen zur Lebensbewältigung und bei konkreten Problemen, wie zum Beispiel finanzielle Unterstützung oder Hilfe bei Alltagsproblemen

- Informationelle Unterstützung: Zugang zu und Verständnis von wichtigen Informa-tionen, die das eigene Leben betreffen, wie zum Beispiel Veranstaltungen, Kon-takte von Hilfsmöglichkeiten, Fragen der Erziehung, Ernährung und Gesundheit o-der Hygiene.

- Bewertungs- und Einschätzungsunterstützung: Kontakte, die eine neue Sichtweise oder Bewertung von Situationen ermöglichen und bei der Einschätzung neuer Ge-gebenheiten (z.B. eine Erkrankung) unterstützen. (vgl. Pauls 2013: 80ff)

28 Bei allen Formen wird von der Klinischen Sozialarbeit ein hohes Maß an Gesprächsfüh-rungskompetenz und klientenzentrierter Perspektive verlangt. Zudem benötigen Fach-kräfte ein vernetztes Wissen über entsprechende Institutionen, wie z.B. über Selbsthilfe-gruppen zur Befähigung zu positiven sozialen Kontakten oder zu Informationen zu weiter-führenden Unterstützungsangeboten.

Die beschriebenen theoretischen Grundlagen machen die Behandlungskompetenz der Kli-nischen Sozialarbeit im Arbeitsfeld Krankenhaus deutlich. Das Verständnis über gesund-heitliche Benachteiligungen, die sich aus sozialen Umständen ergeben, zeigt zudem die Notwendigkeit der Integration der sozialarbeiterischen Perspektive in der Behandlung akut erkrankter und chronisch kranker Menschen. Über intrapersonelle Faktoren hinaus werden Faktoren des sozialen Umfelds mit in die Problembehandlung einbezogen, um eine mög-lichst hohe Nachhaltigkeit zu erreichen.