• Keine Ergebnisse gefunden

Sozialarbeit in Wiener Krankenhäusern. Social Work in hospitals in Vienna. Masterarbeit

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Sozialarbeit in Wiener Krankenhäusern. Social Work in hospitals in Vienna. Masterarbeit"

Copied!
91
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Sozialarbeit in Wiener Krankenhäusern

Einflüsse auf die Entstehung und Entwicklung eines Arbeitsfeldes der Klinischen Sozialarbeit

Social Work in hospitals in Vienna

Influences on formation and development of a field of Clinical Social Work

Masterarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts in Social Sciences (MA) der Fachhochschule FH Campus Wien

Masterstudiengang Sozialraumorientierte und Klinische Soziale Arbeit

Vorgelegt von:

Johanna Jordan

Personenkennzeichen:

1710534019

Erstbetreuerin:

Mag. (FH) Konstanze Gneist

Eingereicht am:

20.09.2019

(2)

Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland in ir- gendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.

Datum: ……….. Unterschrift: ………..

(3)

Kurzfassung

Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit der Krankenhaussozialarbeit in den spe- ziellen Strukturen der Stadt Wien. Dieses Arbeitsfeld der Klinischen Sozialen Arbeit wirkt auf den ersten Blick unübersichtlich, da es mehrere unterschiedliche Möglichkeiten des Einsatzes für Sozialarbeiter*innen in Krankenhäusern gibt. Zudem ist die Sozialarbeit in der Außenpräsentation von Krankenhäusern thematisch häufig beim pflegerischen Entlas- sungsmanagement angesiedelt, was die Herausbildung eines eigenen beruflichen Profils erschwert. In dieser Arbeit wird daher die Entwicklung der Krankenhaussozialarbeit aus einer historischen Perspektive betrachtet und durch leitfadengestützte Expert*inneninter- views ein aktuelles Bild des Arbeitsbereichs gezeichnet. Die Klinische Sozialarbeit ist mit ihrer sozialtherapeutischen Kompetenz an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Sozialsystem angesiedelt, was für die Arbeit im Kontext Krankenhaus eine ideale Voraus- setzung ist. Es wird daher berücksichtigt, welchen Beitrag die Klinische Sozialarbeit für dieses Arbeitsfeld leisten kann.

Durch Literaturrecherche und Befragungen von Fachkräften stellt sich heraus, dass die Krankenhaussozialarbeit auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Entscheidende Ein- flüsse auf die Entwicklung in der Stadt Wien waren politische Umstrukturierungen sowie die verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Durch Berufsge- setzgebungen anderer Berufsgruppen und eine fehlende eigene gesetzliche Verankerung wird der Sozialarbeit im Krankenhaus wenig Beachtung geschenkt, obwohl diese ein brei- tes Spektrum an Kompetenzen bereitstellt. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur ganzheit- lichen und nachhaltigen Behandlung von Patient*innen leisten. Es zeigt sich, dass die So- zialarbeit dort besonders wertgeschätzt wird, wo ein hohes Maß an interdisziplinärer Zu- sammenarbeit besteht. Die Darstellung ihrer Leistung in der Öffentlichkeit ist jedoch zum Teil zu gering, um eine breitere Aufmerksamkeit zu erlangen. Da die Verweildauer der Pa- tient*innen im Krankenhaus immer kürzer wird und sie viele organisatorische Aufgaben übernimmt, kann die Klinische Sozialarbeit ihren Nutzen für das Wohl der Patient*innen nicht in vollem Umfang entfalten.

(4)

Abstract

This master thesis studies social work in hospitals in the special structures of Vienna. Be- cause of many different accesses of social workers into hospitals, this field of Clinical Social Work appears confusing at first sight. Social work is mostly integrated in hospitals‘ dis- charge management, which makes the development of an own profile more difficult. There- fore, in this master thesis the development of this field of work is examined from a historical perspective. To show today’s situation there were held expert interviews with five social workers. Clinical Social Work operates at the point between health and social system, for which reason it is perfectly qualified for the work in hospitals. The contribution of Clinical Social Work for social work in hospitals is also examined.

After studying literature and interviewing social workers, it can be said that social work in hospitals has a long tradition. Remarkable impacts on the development in Vienna were political processes as well as the increased amount of interdisciplinary cooperation in health system. Because of legal foundations of other professionals and the lack of an own legal basis, social work in hospital receives too less attention, despite its wide range of competence. It can contribute to an integrated and sustainable treatment of patients. It becomes apparent that social work is appreciated the most where the amount of interdis- ciplinary teamwork is high. The presentation of its benefits for the clinic and for patients is too low to reach a wide public. Clinical Social Work cannot entirely unfold its advantages for the patients‘ health due to shortened residences in hospitals and the amount of organi- sational tasks for the social workers.

(5)

Abkürzungsverzeichnis

BIKS Bundesweite Interessensgemeinschaft der Krankenhaussozialarbeit BMASGK Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumenten-

schutz

DVSG Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen FSW Fonds Soziales Wien

GuKG Gesundheits- und Krankenpflegegesetz KAV Wiener Krankenanstaltenverbund MA Magistratsabteilung der Stadt Wien

OBDS Österreichischer Berufsverband Diplomierter Sozialarbeiter WKJHG Wiener Kinder- und Jugendhilfegesetz

Wr. KAG Wiener Krankenanstaltengesetz

(6)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 1

2 Begriffsbestimmungen ... 4

2.1 Gesundheit ... 4

2.2 Bio-psycho-soziale Perspektive ... 6

2.3 Klinische Sozialarbeit ... 6

3 Beschreibung des Arbeitsfeldes Krankenhaussozialarbeit ... 9

3.1.1 Historische Entwicklung der Sozialarbeit im Krankenhaus ... 9

3.1.2 Zielgruppe und Ziele ... 16

3.1.3 Aufgaben ... 16

3.1.4 Kompetenzen ... 18

4 Ausgewählte theoretische Grundlagen ... 19

4.1 Soziale Ungleichheit und Gesundheit ... 20

4.2 Lebensweltorientierung und Person-in-Situation ... 23

4.3 Stressbewältigung und Soziale Unterstützung ... 25

5 Die Krankenhaussozialarbeit in Wien ... 28

5.1 Historischer Überblick über die Sozialarbeit in den Wiener Spitälern ... 28

5.2 Gesetzliche Verankerung und Arbeitsgrundlagen ... 30

5.3 Entlassungsmanagement ... 35

6 Methodisches Vorgehen ... 38

6.1 Qualitative Sozialforschung ... 38

6.2 Das leitfadengestützte Expert*inneninterview ... 39

6.3 Durchführung der Interviews ... 40

6.4 Auswertung... 41

7 Ergebnisse ... 42

7.1 Beschreibung der Dienstgeber und Aufgaben ... 42

7.2 Rahmenbedingungen der Krankenhaussozialarbeit ... 43

7.2.1 Räumlichkeiten ... 44

(7)

7.2.2 Zugang der Patient*innen zur Sozialarbeit ... 45

7.3 Arbeitsinhalte ... 46

7.3.1 Rolle im Entlassungsmanagement ... 47

7.3.2 Beratung ... 48

7.3.3 Angehörigengespräche ... 49

7.3.4 Ausgänge mit Patient*innen ... 50

7.4 Herausforderungen ... 51

7.4.1 Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team ... 51

7.4.2 Positionierung und Wertschätzung der Sozialarbeit im Krankenhaus ... 53

7.4.3 Fachliche Kompetenzen ... 56

7.5 Entwicklung des Arbeitsfeldes ... 64

7.5.1 Einführung des Entlassungsmanagements ... 64

7.5.2 Gründung des FSW ... 66

7.5.3 Veränderungen der Zielgruppe ... 67

7.6 Reflexion der Forschungsarbeit ... 68

8 Zusammenfassung und Fazit ... 69

Literaturverzeichnis ... 76

Abbildungsverzeichnis ... 82

Anhang ... 83

(8)

1 1 Einleitung

„In der Krankenhaussozialarbeit ist die Praxis der Forschung um Längen voraus“ – diese Aussage eines Krankenhaussozialarbeiters im Rahmen eines informellen Gespräches macht bereits deutlich, dass es sich bei diesem Berufsfeld um ein wenig erforschtes Gebiet der Sozialarbeit handelt. Durchaus belegt sind der Zusammenhang zwischen Gesundheit und sozialer Ungleichheit (vgl. Kapitel 3.6) und die Notwendigkeit psycho-sozialer Betreu- ung von Patient*innen im Krankenhaus, um einen Drehtüreffekt zu vermeiden. Die Soziale Arbeit war von Anfang an in die Entstehung der modernen Krankenversorgung mit einbe- zogen und hat historisch gesehen die soziale Komponente der Medizin fast vollständig übernommen. Dennoch führt sie im Gesundheitswesen bis heute ein Dasein am Rande eines hierarchischen und ärztlich dominierten Systems (vgl. Sting, Zurhorst 2000: 7). Auf- grund ihres Selbstverständnisses und ihrer besonderen bio-psycho-sozialen Perspektive bietet sich die Soziale Arbeit jedoch ideal für die Bearbeitung der sozialen Komponenten von Erkrankungen an. Durch ihre Verortung an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Sozialsystem und ihre sozialtherapeutischen Ansätze bringt die Klinische Soziale Ar- beit als Fachdisziplin weitere Kompetenzen mit, die für die Arbeit in diesem besonderen Bereich zusätzlich hilfreich und wichtig sein können.

Der Zugang zum Thema ergibt sich aus der eigenen Berufstätigkeit der Verfasserin als Sozialarbeiterin in einer Wiener Rehabilitationsklinik. Immer wieder fielen Unterschiede bei den aufgenommen Patient*innen hinsichtlich sozialarbeiterischer Vorarbeit in den zuwei- senden Krankenhäusern auf. Es stellte sich die Frage, wie es zu diesen Unterschieden kommt und wie die Sozialarbeit in den Wiener Spitälern generell eingesetzt wird.

Bereits bei der Vorabrecherche wurde deutlich, dass die Verteilung der Sozialarbeit auf die unterschiedlichen Spitäler sehr unübersichtlich ist. Nicht in allen Krankenhäusern ist online und über die telefonische Vermittlung leicht herauszufinden, wo Sozialarbeit angesiedelt ist. So geben insbesondere in den städtischen Spitälern online nur wenige Akutstationen einen Hinweis auf die ansässige Sozialarbeit. Auf Stationen der Kinder- und Jugendheil- kunde oder Psychiatrie, wo spezielle gesetzliche Rahmenbedingungen vorherrschen, ge- staltet sich die Situation wesentlich übersichtlicher (vgl. z.B. Wiener Krankenanstaltenver- bund a, Wiener Krankenanstaltenverbund b). Für diese Masterarbeit interessiert daher die weniger präsente Situation der Sozialarbeit auf Akutstationen aller Wiener Spitäler. Da je- doch eine telefonische Recherche ergeben hat, dass derzeit keine Sozialarbeiter*innen in privaten Krankenhäusern angestellt sind, beschränkt sich die Betrachtung auf Kranken- häuser des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) sowie konfessionelle Spitäler.

(9)

2 Auffallend ist, dass die Sozialarbeit besonders in Internetauftritten der Krankenhäuser häu- fig beim Entlassungsmanagement angesiedelt ist, das überwiegend durch die Pflege orga- nisiert wird. Ein eigenes Aufgabenprofil wird auf den ersten Blick in wenigen Fällen ersicht- lich. Daher soll in dieser Masterarbeit aufgezeigt werden, welche Leistungen Sozialarbei- ter*innen im Krankenhaus erbringen und welcher Vielfalt an Themenstellungen sie täglich begegnen. Auch das Verhältnis zum Entlassungsmanagement wird in der vorliegenden Arbeit näher betrachtet.

Über die Sozialarbeit in Wiener Krankenhäusern ist generell wenig Fachliteratur zu finden.

Fast alle Quellen zur Krankenhaussozialarbeit im Allgemeinen stammen aus Deutschland, einige wenige (z.B. Dieplinger 2008) aus Österreich. Die Stadt Wien mit ihrer besonderen Struktur ist jedoch ein kaum beforschtes Gebiet. Dennoch konnten einige Arbeiten, insbe- sondere Hochschulschriften, gefunden werden, die sich mit bestimmten Aspekten der Krankenhaussozialarbeit in Österreich und Wien beschäftigen.

Bereits 1990 wurde von Brigitte Schula eine Diplomarbeit mit dem Titel „Sozialarbeit im Krankenhaus“ verfasst. In dieser Arbeit wurde unter Anderem der Verbindungsdienst der MA 12, der zur damaligen Zeit die Sozialarbeiter*innen in die Wiener Spitäler entsandte, zu ihrer Arbeit befragt. Sie konnte feststellen, dass sich der Titel „Sozialarbeiter*in“ in den Spitälern noch nicht etabliert hatte, diese waren eher als Fürsorger*innen bekannt (vgl.

Schula 1990: 27).

Im Jahr 1992 befasste sich auch Elisabeth Stelzhammer im Rahmen einer Diplomarbeit an der Akademie für Sozialarbeit mit der Sozialarbeit im Krankenhaus (vgl. Stelzhammer 1992). Sie kam zu dem Schluss, dass die Krankenhaussozialarbeit in Wien zu dieser Zeit noch nicht professionell genug agieren konnte und forderte einerseits mehr Initiative von den Sozialarbeiter*innen selbst, als auch von den Verantwortlichen auf politischer Ebene.

(ebd.: 105f). Diese Feststellung ist auch heute noch von Brisanz für dieses Arbeitsfeld.

Ebenfalls aus der Zeit, bevor Soziale Arbeit in Österreich an Fachhochschulen gelehrt wurde und auch vor der Entstehung der Klinischen Sozialarbeit als Spezialdisziplin, stammt die Diplomarbeit von Kirsi Vilpa aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „Sozialarbeit als wichtiger Bestandteil ganzheitlicher Betreuung in Wiener Krankenhäusern mit Einblick in die Ethik der Sozialarbeit“. Diese Arbeit konnte den Nutzen der Krankenhaussozialarbeit auch in einem wirtschaftlichen Sinn herausarbeiten, was damals aufgrund der Umstrukturierungs- prozesse und verstärkten Ökonomisierung des Sozialen relevant wurde (vgl. Vilpa 2000:

72).

(10)

3 Eine quantitative Erhebung zum Thema Positionierung der Sozialarbeit im Allgemeinen Krankenhaus Wien aus dem Jahr 2011 hat ergeben, dass die Sozialarbeit insgesamt ein gutes Ansehen bei anderen Berufsgruppen genießt, wenn ein hohes Maß an interdiszipli- närer Zusammenarbeit besteht. Auf Stationen mit wenig professionellem Kontakt zur Sozi- alarbeit wurde die Positionierung aufgrund der fehlenden Informationen zu deren Aufga- bengebiet als weniger gut eingeschätzt. Die Autorin leitete aus den Ergebnissen der Be- fragung ab, dass sich Sozialarbeit im Krankenhaus stärker nach außen hin präsentieren muss, um angemessen wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden (vgl. Hammer 2011:

76ff).

Für die generelle Weiterentwicklung der Klinischen Sozialarbeit im Krankenhaus relevant ist eine Studie von Anna Maria Dieplinger (2008), die im Allgemeinen Krankenhaus Linz den Sozialdienst aus der Sicht von Patient*innen, Angehörigen und medizinischem Fach- personal evaluierte und zu dem Ergebnis kommt, dass der Krankenhaussozialdienst un- verzichtbares Element einer ganzheitlichen Behandlung der Patient*innen ist (vgl. Dieplin- ger 2008). Diese umfangreiche Studie ist eine der wenigen Quellen, die sich explizit auf Österreich beziehen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Er- forschung des Arbeitsfeldes.

Auch eine Bachelorarbeit aus dem Jahr 2017 an der FH St. Pölten beschäftigt sich mit der Krankenhaussozialarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven und kommt zum Ergebnis, dass die Sozialarbeit im Krankenhaus mit ihren spezifischen Kompetenzen und Arbeitsauf- trägen aktuell zu wenig bekannt ist und daher ihr volles Potenzial nicht richtig entfalten kann. Zudem wird die bessere Vernetzung der in diesem Arbeitsbereich tätigen Fachkräfte gefordert, um die Weiterentwicklung voranbringen zu können (vgl. Böhmer und Schinnerl 2017: 36ff).

Diese Masterarbeit möchte einen Beitrag zur Erforschung dieses Arbeitsfeldes in den spe- ziellen Strukturen der Stadt Wien leisten. Angestrebt wird neben einer Beschreibung der Einflüsse auf die Entwicklung der Krankenhaussozialarbeit in Wien ein Überblick über ver- schiedene Arten der Anstellung von Sozialarbeiter*innen im Krankenhaus. Zur Ergänzung der bestehenden Literatur beschreiben Sozialarbeiter*innen ihre Erfahrungen und Ein- schätzungen zur Entwicklung des Arbeitsfeldes und liefern eine Beschreibung der aktuel- len Lage innerhalb dieses Berufsfeldes. Die qualitative Forschung mittels Expert*innenin- terviews erscheint aufgrund des angestrebten Überblicks über das Arbeitsfeld als pas- sende Methode. Hierfür wurden leitfadengestützte Expert*inneninterviews mit fünf Vertre- ter*innen unterschiedlicher Dienstgeber geführt und anschließend ausgewertet. Das

(11)

4 Vorgehen orientierte sich dabei zirkulär an den folgenden Leitfragen, welche auf mehrere Themenbereiche abzielen: welche Entwicklungen wurden als besonders einschneidend auf die Krankenhaussozialarbeit erlebt? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten be- stehen in Rahmenbedingungen und Arbeitsinhalten? Welchen besonderen Herausforde- rungen begegnen die Sozialarbeiter*innen im Krankenhaus? Welchen Beitrag zur Kompe- tenzentwicklung kann die Klinische Soziale Arbeit in diesem Arbeitsfeld liefern? Aus den Ergebnissen der Interviews konnten wichtige Impulse für den theoretischen Teil dieser Ar- beit gewonnen werden, welcher wiederum Einfluss auf die Ausgestaltung der Interviews hatte.

Der Aufbau der Arbeit gliedert sich in zwei Hauptteile: im ersten Teil wird der theoretische Rahmen beleuchtet. Hierzu werden zunächst einige wichtige Begriffe erklärt. Im Anschluss daran werden relevante Konzepte der Klinischen Sozialen Arbeit, welche die Grundlagen für die Arbeit im Krankenhaus bilden, näher beschrieben. In einem weiteren Kapitel fokus- siert die Arbeit auf die Krankenhaussozialarbeit in Wien. Die historische Entwicklung, ge- setzliche Grundlagen sowie das Thema Entlassungsmanagement, welches in Verbindung zur Sozialarbeit im Krankenhaus steht, werden beschrieben und analysiert.

Der zweite große Teil der Arbeit behandelt die empirische Forschung. Zunächst wird das Forschungsdesign dieser Arbeit in den Kontext der qualitativen Sozialforschung gestellt und die Methodenwahl begründet. Im darauffolgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Expert*inneninterviews nach Themen geordnet dargestellt und jeweils einer Interpretation unterzogen. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse und die Beant- wortung der aufgeworfenen Forschungsfragen.

2 Begriffsbestimmungen

Zunächst sollen einige wichtigsten Begriffe im Rahmen dieser Masterarbeit zum Verständ- nis erläutert werden.

2.1 Gesundheit

Unter dem Begriff Gesundheit versteht jeder Mensch etwas anderes. Aus einer rein bio- medizinischen Perspektive wird der Körper wie eine Maschine angesehen, die Funktionen erfüllt und damit auch Funktionsstörungen entwickeln kann. Jede Art von Krankheitssymp- tomen, anatomische sowie psychische, haben demnach als Ursache physische Defekte.

Gesundheit bedeutet aus dieser Sichtweise heraus die Abwesenheit von Krankheit. Der kranke Mensch wird nicht als aktiv Handelnder angesehen, sondern als passives Objekt,

(12)

5 welches den physikalischen Prozessen des Körpers ausgesetzt ist. Diese Betrachtung erscheint jedoch gerade in Bezug auf chronische Erkrankungen als zu eindimensional, da sich auch körperlich gesunde Menschen subjektiv krank fühlen können, umgekehrt können sich auch chronisch kranke Menschen gesund fühlen. Daher wurde auch in der modernen Medizin als Erweiterung das Risikofaktorenmodell eingeführt, welches Gesundheit und Krankheit als multifaktorielles Geschehen betrachtet. Dieses besteht aus den Einflüssen der genetischen Veranlagung, des Gesundheitsverhaltens sowie der Umwelt. Trotz der Berücksichtigung sozialer und individueller Faktoren orientiert sich diese Sichtweise ebenso wie das biomedizinische Modell vorwiegend an Defiziten (vgl. Homfeldt, Sting 2006: 69ff).

Der wohl bekannteste und erste Versuch einer Definition, die diese pathologischen Per- spektive auf Gesundheit um ein Vielfaches erweitert, stammt von der Weltgesundheitsor- ganisation (WHO) und ist in der Satzung der Organisation verankert. Gesundheit wird hier definiert als umfassendes körperliches, seelische und soziales Wohlbefinden und nicht nur als das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen (vgl. WHO 2019 a). In der Veröffentlichung der Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung von 1986 wird Gesundheit als wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens angesehen und als Konzept, das gleichzeitig individu- elle als auch soziale Ressourcen berücksichtigt (vgl. WHO 2019 b). Als Kritik an dieser Definition kann angebracht werden, dass dies ein utopisches und geradezu unerreichbares Idealbild eines Zustandes ist, welches von keiner Person erreicht werden kann.

Einen anderen Ansatz entwickelte Aaron Antonovsky (zit.n. Pauls 2013: 102ff) mit seinem Konzept der Salutogenese (also der Entstehung von Gesundheit als Gegensatz zur Lehre der Entstehung von Krankheit). Hier wird Gesundheit als ein immerwährender Prozess ge- sehen, nicht als einen Zustand von entweder gesund oder krank. Jeder Mensch bewegt sich nach diesem Ansatz auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit und hat zu jedem Zeitpunkt sowohl gesunde als auch kranke Anteile in unterschiedlichen Aus- prägungen. Zum Erhalt der Gesundheit notwendig ist ein gut ausgeprägtes Kohärenzge- fühl, dass sich aus den drei Komponenten Verstehbarkeit (der Zusammenhänge im Le- ben), Handhabbarkeit (der belastenden Situation) und Sinnhaftigkeit (des Lebens) heraus- bildet. Ein starkes Kohärenzgefühl kann sich durch starke individuelle und soziale Res- sourcen herausbilden, die bei der Bewältigung von Stresserleben, z.B. durch eine schwere Erkrankung, hilfreich sind.

Obwohl es bis heute keine allgemeingültige Definition des Begriffes Gesundheit gibt, geben diese beiden Definitionen den wichtigen Hinweis, dass zur Gesundheit eines Menschen

(13)

6 nicht nur das körperliche Wohlbefinden, sondern auch die sozialen Umstände eine große Rolle spielen. An dieser Schnittstelle, zwischen Gesundheits- und Sozialsystem, bewegt sich die Klinische Soziale Arbeit als Fachrichtung der generalistischen Sozialen Arbeit.

2.2 Bio-psycho-soziale Perspektive

Die bio-psycho-soziale Perspektive ist die Grundlage der klinisch-sozialarbeiterischen Be- trachtung eines Individuums. Krisen, Störungen und Krankheiten von Personen ergeben sich nach diesem Verständnis aus einer Störung im Zusammenspiel von leiblicher Existenz (bio-), individuellem Erleben und Verhalten (psycho-) und sozialem Verhalten nach sozia- len Regeln (sozial). Erkrankungen sind die Folge von komplexen Interaktionen zwischen diesen drei Ebenen. Das Gehirn als zentrale Schaltstelle ist dabei verantwortlich für die Verarbeitung und Vernetzung von biochemischen und genetischen Informationen inner- halb des Organismus mit Informationen aus der äußeren Umwelt. Das gesamte Leben über ist das menschliche Gehirn formbar, sodass unterschiedliche Erfahrungen im Laufe des Lebens unterschiedlich verarbeitet werden können. Diese Neuroplastizität bedeutet, dass psycho-soziale Erfahrungen die Hirnstruktur physisch verändern können. Biologische, psy- chologische und soziale Faktoren sind miteinander verkettet: soziale Erfahrungen, welche psychologisch verarbeitet wurden, können ebenso Wirkung auf den biologischen Organis- mus haben wie biologische Faktoren auf das soziale Erleben. Es ist belegt, dass Ressour- cen wie psycho-soziale Integration und soziale Unterstützung vor der Entstehung von phy- sischer und psychischer Erkrankung schützen können (vgl. Pauls 2013: 32ff).

Die Soziale Arbeit fühlt sich insbesondere zuständig für die Bearbeitung der sozialen Kom- ponenten von Störungen, zur nachhaltigen Beeinflussung von problematischen Lebenssi- tuationen müssen jedoch alle Ebenen und die Wechselwirkungen zwischen diesen gleich- ermaßen berücksichtigt werden.

2.3 Klinische Sozialarbeit

Die Klinische Soziale Arbeit ist ein relativ junges Fachgebiet der Sozialen Arbeit. 2001 wurde der erste Masterstudiengang Klinische Sozialarbeit an der Fachhochschule Coburg eingerichtet. Der Leiter dieses Masterstudiengangs, Helmut Pauls, gilt gleichzeitig als einer der Begründer des Fachgebiets.

Grundlage der Klinischen Sozialen Arbeit ist die Beobachtung, dass psychische und sozi- ale Belastungen durch Veränderungen innerhalb der Gesellschaft schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Menschen haben können. Gleichzeitig fehlen vielen Menschen

(14)

7 notwendige Ressourcen, um diese Herausforderungen angemessen bewältigen zu kön- nen. Die Zielgruppe der Klinischen Sozialen Arbeit sind Menschen in Multiproblemlagen sowie seelisch und chronisch Kranke, die einer speziellen psycho-sozialen Unterstützung bedürfen. Ziel dieser Unterstützung ist hierbei die „[…] Förderung, Verbesserung und Er- haltung der psycho-sozialen Funktionsfähigkeit von Individuen, Familien und Gruppen […]“

(Pauls 2004: 12). Klinische Soziale Arbeit kann sowohl in stationären als auch in ambulan- ten Kontexten erfolgen. Der Begriff „Klinisch“ bedeutet nicht, wie im allgemeinen Verständ- nis angenommen, eine Konzentration auf eine Klinik im Sinne eines Akutkrankenhauses, sondern er meint eine direkte, unmittelbare Behandlung eines Kranken (aus dem Griechi- schen kommend ist der Begriff „Kline“ und bedeutet Bett oder Lager und bezieht sich auf die Bettlägerigkeit eines Kranken) (vgl. ebd: 11f).

In den USA wird der Begriff der „Clinical Social Work“ bereits seit den 1970er Jahren ver- wendet und ist eine Weiterentwicklung des Social Case Work, ein Konzept, welches in den 1920er Jahren durch Mary Richmond geprägt wurde. Seitdem wird dieser Fachbereich in den USA stetig weiter professionalisiert und ist dort das Arbeitsfeld mit den meisten Sozi- alarbeiter*innen (vgl. Pauls 2004: 13). Ein zentraler Unterschied zum deutschsprachigen Raum ist jedoch, dass in den USA das „klinische“ an der Klinischen Sozialen Arbeit die psychotherapeutische Arbeit ist. Die in diesem Fachgebiet ausgebildeten Sozialarbeiter*in- nen können sich als Psychotherapeut*innen niederlassen und leisteten sogar 2008 die meisten psychotherapeutischen Stunden in den USA ab (vgl. Wright 2008: 230f). In Deutschland und Österreich ist dies aufgrund der Gesetzgebung nicht möglich, dazu be- darf es einer speziellen mehrjährigen Ausbildung.

Die Besonderheit der Klinischen Sozialen Arbeit als Ergänzung der generalistischen Sozi- alen Arbeit liegt vor allem in ihrer Gesundheitskompetenz. Sie ist an der Schnittstelle zwi- schen Gesundheits- und Sozialsystem tätig und hat die Zusammenhänge zwischen Um- welt und Individuum aus einer bio-psycho-sozialen Perspektive stets im Blick. Ihr Metho- denspektrum umfasst verschiedene Methoden der Beratung und Behandlung, Betreuung, Gruppenarbeit, Psychoedukation, Ressourcenaktivierung sowie klientenzentrierte und um- weltbezogene Interventionen. Durch diese breite Aufstellung und die Schnittstellenfunktion eignet sich die Klinische Soziale Arbeit in jedem Handlungsfeld, das mit Menschen in kom- plexen, chronifizierten Lebenssituationen zu tun hat. Beispiele hierfür sind die Psychiatrie, Justiz, Beratungsstellen jeder Art sowie auch die Arbeit in Krankenhäusern und Rehabili- tationseinrichtungen (vgl. Pauls 2004: 15f). Zentrale Schlagwörter Klinischer Sozialarbeit sind die Diagnostik und die Behandlung. Die Soziale Diagnostik ist die Arbeitsgrundlage jeder klinisch-sozialarbeiterischen Intervention und ist zugleich selbst bereits eine

(15)

8 Intervention, da sie ein intensives Auseinandersetzen mit der Lebenssituation der Klient*in- nen ermöglicht. Es wird ein umfassendes Bild des Falls auf allen Ebenen (bio-psycho-so- zial) gezeichnet, das in Zusammenarbeit mit den Klient*innen erstellt und in jeder Phase des Arbeitsprozesses angepasst wird. Daraus lässt sich durch Priorisierung eine Zielver- einbarung ableiten, die wiederum im Dialog mit den Klient*innen ausgehandelt wird.

Der Begriff Behandlung wird im deutschen Sprachraum hauptsächlich auf die Behandlung Kranker bezogen und zielt auf eine Heilung ab. Jedoch kann die Klinische Soziale Arbeit diesen auch für sich beanspruchen, da nur sie psycho-soziales Krankheitsgeschehen und Problemstellungen als erste Anlaufstelle bearbeitet, die hauptsächlich durch soziale und psycho-soziale Faktoren bedingt werden (vgl. Pauls 2004: 197ff).

Die professionelle helfende Beziehung ist die Grundlage klinisch-sozialarbeiterischer Be- ratung und Behandlung, welche aus beratenden, unterstützenden und sozialtherapeuti- schen Interventionen und Maßnahmen besteht. Diese finden im Rahmen eines Prozesses zwischen betroffener Person, sozialem Umfeld und Fachkraft statt und zeichnen sich durch Interaktion aus. Ziel dabei ist die Förderung von Unabhängigkeit und Integration der Indi- viduen in Bezug auf Lebenslage, also Lebenssituation, Ressourcen, Bezüge zwischen Per- son und Umwelt, und Lebensweise, welche die Aspekte der Verarbeitung von Erlebnissen, Krankheitsbewältigung und Selbstbezug beinhaltet. Durch folgende Mittel findet psycho- soziale Beratung und Behandlung statt:

- Verbale und nonverbale Kommunikation in Form von z.B. Beratung und Anleitung - Lebenspraktische Hilfen, Übung und direkte soziale Unterstützung in Auseinander-

setzung mit der sozialen Umgebung, auch in Form von aufsuchender Hilfe

- Umweltbezogene Intervention und Kooperation im Sinne von sozialer Netzwerkar- beit und Interventionen der sozialen Unterstützung (vgl. Pauls 2013: 182).

In Beratung und Behandlung von Menschen in Multiproblemlagen ist die Klinische Sozial- arbeit auch daran interessiert, menschliche Bewusstseinszustände durch psycho-soziale Interventionen zu beeinflussen. Beeinträchtigungen in Psyche und Befindlichkeit, die sich beispielsweise in Form von Störungen des Selbstwertes zeigen, fungieren als Verbin- dungsstück zwischen problematischen sozialen Lebensumständen sowie den biologisch- körperlichen Erkrankungen und Behinderungen. Daher versucht die Klinische Sozialarbeit durch Unterstützung bei der Neubewertung, Einschätzung und Wahrnehmung von sozia- len Prozessen, die Integration der Erfahrungen in ein gesundes Selbstkonzept zu ermögli- chen (vgl. ebd.: 43).

(16)

9 Die Beschreibung der Fachrichtung Klinische Soziale Arbeit zeigt, dass die Arbeit im Kran- kenhaus ein prädestiniertes Arbeitsfeld für Sozialarbeiter*innen darstellt. Von Beratung bis hin zur aufsuchenden Hilfe sowie psycho-sozialer Behandlung beinhaltet klinische Sozial- arbeit ein breites Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten. Für die Schnittstellenfunktion zwischen Gesundheits- und Sozialsystem und die naturgemäße Interdisziplinarität im Krankenhaus bringt die Klinische Soziale Arbeit die nötigen Voraussetzungen und Kompe- tenzen für dieses herausfordernde Einsatzgebiet mit. Das Verständnis unterschiedlicher Definitionen und Perspektiven auf die Gesundheit von Menschen ist eine Voraussetzung, um im medizinisch dominierten System Krankenhaus die eigene, bio-psycho-soziale Sicht- weise einzubringen.

Im folgenden Kapitel soll das Arbeitsfeld der Krankenhaussozialarbeit hinsichtlich der Ent- wicklung und der Merkmale näher beschrieben werden.

3 Beschreibung des Arbeitsfeldes Krankenhaussozialarbeit

Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, ist die Klinische Sozialarbeit nicht gleichzusetzen mit der Krankenhaussozialarbeit. Während die Klinische Sozialarbeit eine Spezialdisziplin der generalistischen Sozialarbeit darstellt, ist die Krankenhaussozialarbeit ein Arbeitsfeld in- nerhalb dieser Spezialdisziplin.

Da sich die Kompetenzen und Inhalte der Krankenhaussozialarbeit in Deutschland und Österreich von ihrem Grundsatz her nicht unterscheiden, kann die Literatur aus Deutsch- land auch auf die Krankenhaussozialarbeit in Österreich umgelegt werden. Über die Ent- wicklung dieses Arbeitsfeldes sind fast ausschließlich Quellen aus Deutschland vorhan- den, sodass im Folgenden auf historische Aspekte eingegangen werden soll.

3.1.1 Historische Entwicklung der Sozialarbeit im Krankenhaus

Die Entstehung der Krankenhaussozialarbeit ist eng verbunden mit der Geschichte der Sozialarbeit im Gesundheitswesen. Die Sozialarbeit im Gesundheitswesen ist einer der ältesten Arbeitsbereiche der Sozialarbeit und findet ihren Ursprung in den verschiedenen Handlungsfeldern, wie z.B. Schwangeren- und Säuglingsfürsorge, Tuberkulosefürsorge und auch der Krankenhausfürsorge, in Deutschland und Österreich um 1900. Die Notwen- digkeit einer gesundheitsbezogenen Sozialarbeit entstand durch die Industrialisierung, die einen massenhaften Zuzug der Landbevölkerung in die Städte auslöste. Die Arbeiter litten unter den katastrophalen Lebensbedingungen und die sozialen Missstände manifestierten sich in gesundheitlichen Problemen, während gleichzeitig die Gesundheit die

(17)

10 Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit und damit sozialer Zugehörigkeit geworden war (vgl.

Homfeldt, Sting 2006: 45 ff). Es waren zu Beginn hauptsächlich ehrenamtlich tätige Frauen, die diese Gesundheitsfürsorge in Form von Beratung, Aufklärung und lebenspraktischer Unterstützung ausübten. Die Gesundheitsfürsorge hatte sich aus der Krankenpflege durch kirchliche und private Vereine entwickelt und arbeitete angeleitet durch Politik und Medizin.

Dieser Umstand erschwerte die Herausbildung eines eigenen Profils der Gesundheitsfür- sorge (vgl. Homfeldt 2012: 491). Schnell wurde jedoch die Notwendigkeit einer professio- nellen Ausbildung erkannt und von Pionierinnen der Sozialarbeit umgesetzt. Alice Salomon beispielsweise bot bereits 1899 einen ersten Kurs zur Ausbildung dieser ehrenamtlichen Kräfte an (vgl. Reinicke 2003: 14f).

Auch in Österreich war die Notwendigkeit der Ausbildung für Mitarbeiter*innen der soge- nannten Fürsorge früh erkannt worden. Pionierin dieser wissenschaftlich begründeten So- zialarbeit, welche sie Volkspflege nannte, war hier Ilse Arlt. 1912 gründete sie die erste Schule der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zur Ausbildung der zuvor ehrenamtlich tätigen Frauen. Bereits 1912 wurden die Schülerinnen aufgrund des Interesses der damals leitenden Ärzte in ein Krankenhaus entsandt, um dort durch Hospitationen zu lernen (vgl.

Arlt 1937: 170). 1925 schrieb der Wiener Stadtrat Julius Tandler, dass Fürsorge in Abgren- zung zu einer willkürlichen und dienenden Wohltätigkeit gelernt werden müsse. Abgeleitete Maßnahmen beruhen auf Erkennen und Wissen, was eine professionelle Ausbildung vo- raussetze (vgl. Tandler 1925: 4).

Auf gesellschaftlicher Ebene war Anfang des 20. Jahrhunderts dem Anliegen der Gesund- heitsförderung durch sozialpolitische Umstrukturierungen begegnet worden, dessen zent- ralster Punkt die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung sowohl in Deutsch- land als auch in Österreich in den 1880er Jahren war. Dadurch wurde auch die Behandlung in Krankenhäusern abgedeckt (vgl. Ansen et al. 2004: 118), was die Grundlage für ein neues Arbeitsfeld der Sozialarbeit bedeutete. Auch weitere Maßnahmen wie die Einfüh- rung von Schulärzten für Volksschulen und Impfgesetzen sollten zu einer verbesserten Gesundheit für die Bevölkerung sorgen. Gleichzeitig entstand der Trend zu einer bis heute bestehenden Individualisierung von Gesundheit und Krankheit, wo zwar der Staat durch seine Gesetzgebung und Meldepflichten die Kontrolle über den Gesundheitszustand des Volkes behält, jedoch gleichzeitig durch den Kapitalismus und die Notwendigkeit des Er- halts der Arbeitsfähigkeit jeder einzelne Mensch aufgrund seiner Lebensweise für die ei- gene Gesundheit verantwortlich gemacht wird. Das wurde bestärkt durch die Ablösung des traditionellen Familien- und Beziehungssystems durch eine neue Ordnung des anonymen

(18)

11 Lebens in der Stadt, in welcher bisherige soziale Netze und tradierte Normen einer indivi- duellen Lebensgestaltung weichen mussten (vgl. Homfeldt, Sting 2006: 47f).

Eine Vorreiterposition im Aufbau der Krankenhaussozialarbeit nahm Berlin ein. Zunächst erfolgten Besuche bei Patient*innen in Krankenhäusern durch ehrenamtliche Frauen und Mädchen aus bürgerlichen Kreisen. Auch konfessionelle Vereine erkannten die Notwen- digkeit sozialer Hilfe für Kranke und boten diese ehrenamtlich an. Schon bald wurde auch hier deutlich, dass eine professionelle Ausbildung der Ehrenamtlichen als Grundlage für eine gute Arbeit notwendig war. 1908 wurde bereits die erste Soziale Frauenschule in Ber- lin Schöneberg von Alice Salomon gegründet. Diese war der Anstoß für die Gründung vie- ler weiterer Ausbildungsstätten. Die in Berlin ansässigen Frauen- und Wohlfahrtsvereine setzten sich 1913 dafür ein, dass in allen Krankenhäusern die Möglichkeit für den Besuch von Sozialarbeiterinnen festgeschrieben wurde. Diese Besuche wurden „soziale Visite“ ge- nannt. Elsa Strauß, die Gattin des ärztlichen Direktors des jüdischen Krankenhauses in Berlin, hatte zuvor von ihrer Amerikareise 1912 die Soziale Fürsorge in amerikanischen Krankenhäusern kennengelernt und deren Ideen nach Berlin mitgebracht. 1914 konnte in allen städtischen Krankenhäusern Berlins die Arbeit der Krankenhausfürsorgerinnen be- ginnen. Ein bis zwei Fürsorgerinnen je Krankenhaus hielten ein bis zweimal pro Woche Sprechstunden ab. Unter dem Vorsitz von Alice Salomon und Vertretern von Frauen- und Wohlfahrtsvereinen bildete sich 1914 ein „Komitee der Sozialen Krankenhausfürsorge“, welches die Koordination der Krankenhausfürsorgerinnen übernahm sowie den Austausch der Mitarbeiterinnen förderte. Das Komitee war jedoch nur bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs tätig. Viele andere deutsche Städte nahmen sich Berlin zum Vorbild und richte- ten ebenfalls Stellen für Krankenhausfürsorgerinnen ein (vgl. Reinicke 1994: 11 ff).

Bereits 1920 wurden in Berlin alle Sozialarbeiterinnen, die im Krankenhaus tätig waren, in den städtischen Dienst aufgenommen. 1918 war von Hedwig Landsberg, Anni Tüllmann und Bruno Harms der Verein „Soziale Krankenhausfürsorge der Berliner Universitätsklini- ken außerhalb der Charité e.V.“ gegründet worden. Dieser Verein leistete einen großen Beitrag zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung dieses Handlungsfeldes der Sozialen Ar- beit. 1926 wurde zur Gründung der „Deutschen Vereinigung für den Fürsorgedienst im Krankenhaus (DVSK)“ aufgerufen, auf die an späterer Stelle noch näher eingegangen wer- den soll (vgl. Reinicke 2003: 263). Im Jahr 1930 war in Berlin die Implementierung Sozialer Krankenhausfürsorge weitgehend abgeschlossen und damit der organisatorische und kon- zeptionelle Grundstein gelegt für den Aufbau einer funktionierenden Sozialen Kranken- hausfürsorge in anderen Städten (z.B. Hamburg, Frankfurt am Main) (vgl. Reinicke 1994:

28).

(19)

12 Parallel dazu hatte sich auch in England eine frühe Form der Krankenhausfürsorge unter dem Namen „almoning“ entwickelt, deren Fachkräfte zu Beginn jedoch offiziell vorrangig den Auftrag hatten, bei Patienten mit sozialen Schwierigkeiten die Verweildauer im Kran- kenhaus durch die Vermittlung anderer Unterstützungsmöglichkeiten zu verkürzen. Die Fachkräfte selbst jedoch verstanden ihre Aufgabe bereits im Sinne der Patient*innen und Angehörigen, ihnen durch Beratung und Unterstützung Hilfe zukommen zu lassen (vgl.

Butrym 1972: 29 ff).

Die Anfänge der Sozialen Arbeit im Krankenhaus wurden unterbrochen vom Ersten Welt- krieg, während welchem keine Weiterentwicklung stattfinden konnte. Auch in der Nach- kriegszeit wurde hauptsächlich auf die Primärversorgung der Bevölkerung fokussiert. Erst in der Weimarer Republik bis ca. 1933 konnte an die Vorarbeit der Jahrhundertwende an- geknüpft werden. Neben der Armenfürsorge und der Jugendfürsorge entwickelte sich zu- dem die Gesundheitsfürsorge weiter, die sich speziell mit den gesundheitlichen Problemen von Randgruppen der Gesellschaft beschäftigte (vgl. Homfeldt, Sting 2006: 49 ff). Homfeldt und Sting konnten drei Aufgabenfelder der Gesundheitsfürsorge in der Weimarer Republik identifizieren:

1. Die dauernde ärztliche Beobachtung der gesundheitlich gefährdeten Gruppen 2. Die Feststellung von Krankheitsanlagen und -anfängen sowie die Vermittlung von

Behandlung (Prävention und Beratung)

3. Hygienische Beratung, Aufklärung und Erziehung (Gesundheitserziehung) (Hom- feldt, Sting 2006: 52)

Hieraus lässt sich das Berufsbild der Gesundheitsfürsorgerin ableiten, die soziale und ge- sundheitliche Verschränkungen aus einer professionellen Sichtweise berücksichtigt (vgl.

ebd.: 53). Gleichzeitig wird deutlich, dass die gesundheitsbezogene Sozialarbeit immer in einem interdisziplinären Kontext arbeitet.

Der Zweite Weltkrieg brachte diese positiven Entwicklungen wiederum zum Erliegen. Die öffentliche Gesundheitsfürsorge wurde in den Dienst der Rassenhygiene gestellt. Ihre Kompetenzen im Umgang mit kranken Menschen und deren Angehörigen wurden im Sinne einer „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ dazu missbraucht, Menschen mit psychischen oder Erbkrankheiten, chronisch Kranke und behinderte Menschen zu registrieren und zu selektieren.

(20)

13 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Gesundheitsfürsorge bis in die 1960er Jahre erneut beherrscht von der Behandlung der Probleme, die der Krieg ausgelöst hatte. Dies waren vor allem Verwaisung, Hunger, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot (vgl. Kuhlmann 2004:

22). Die Krankenhaussozialarbeit musste ihre Rolle neu finden. Aufgrund des medizini- schen Fortschritts und deren Spezialisierung wurden seelische und soziale Themen durch die Medizin zunächst verdrängt, da eine Heilung von Krankheiten durch die neuen Mög- lichkeiten auch ohne die Betrachtung dieser Aspekte als möglich wahrgenommen wurde.

Auf struktureller Ebene wurden neue ambulante Versorgungsstrukturen geschaffen, die zwar eine Schnittstellenfunktion der Krankenhaussozialarbeit zu weiterführender Versor- gung und Betreuung nötig machten, jedoch das soziale und familiäre Umfeld der Patient*in- nen nicht ausreichend berücksichtigten (vgl. Ansen et al. 2004: 122).

Auch Änderungen in der Gesetzgebung wie beispielsweise die Psychiatriereform der 1970er Jahre mit ihrem Grundsatz „ambulant vor stationär“ machte generell die differen- zierte Herausbildung einer gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit enorm wichtig, da die betroffenen Menschen nun in der Gemeinschaft zurecht kommen sollten, nachdem sie zu- vor durch oft dauerhafte Unterbringung in großen Psychiatriezentren aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden waren. In Wien wurde diese Reform seit 1979 umgesetzt und zu- gleich therapeutische Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Angehörigen geschaffen, die durch nicht-medizinisches Personal durchgeführt werden. Die Berücksich- tigung sozialer Belange bei der Behandlung und Betreuung psychisch kranker Menschen wurde betont (vgl. Stadt Wien 2013: 23 ff). Bis heute finden sich auf stationären psychiat- rischen Stationen Sozialarbeiter*innen. Da sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für psychiatrische Krankenanstalten aufgrund ihrer speziellen geschichtlichen Entwicklung deutlich von denen der allgemeinen Akutspitäler unterscheiden, werden diese im Rahmen dieser Masterarbeit nicht berücksichtigt.

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Krankenhaussozialarbeit in Österreich und ins- besondere in Wien spielte das Wirken des Gesundheitsstadtrates Alois Stacher. In dieser Funktion war er von 1973 – 1986 tätig und legte darin besonderen Wert auf die Ausgestal- tung des Sozialwesens und die Modernisierung des Gesundheitssektors. Etwa zur selben Zeit, von 1975 – 1986, war er zudem Präsident des österreichischen Komitees für Sozial- arbeit (ÖKSA), was das besondere Interesse dieses Politikers mit medizinischem Hinter- grund an der Sozialarbeit unterstreicht (vgl. Wien Geschichte Wiki 2018 e). Die Verschrän- kung von Sozial- und Gesundheitswesen wurde von ihm bereits 1986 als einzig sinnvoller Weg in die Zukunft angesehen. Die schlug sich nieder in einer frühen Form des Entlas- sungsmanagements insbesondere für alleinstehende Patient*innen, welches durch die

(21)

14 Sozialarbeit organisiert wurde. Neben dem Entlassungsmanagement sprach er der Sozi- alarbeit eine wichtige Kompetenz bei der psycho-sozialen Betreuung von Patient*innen und Angehörigen zu: „Dazu kommen noch die Sozialarbeiter, die die Möglichkeit haben, dem Kranken bei persönlichen und sozialen Problemen zu helfen, denn es ist klar, daß Sorgen jeder Art den Heilungsprozeß negativ beeinflussen.“ (Stacher 1986: 76). Diese Aussage zeigt eine äußert wertschätzende Haltung von politischer Seite gegenüber der Sozialarbeit im Krankenhaus.

Im Zielplan für die Gesundheits- und Krankenversorgung in Wien aus dem Jahr 1989 wer- den Sozialarbeiter*innen neben Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen bei der Be- schreibung der Gesundheitsberufe aufgeführt. Hier wird bereits ein bis heute bestehendes Problem sichtbar – die fehlende gesetzliche Grundlage der Berufsgruppen, wobei ein Be- rufsgesetz für Psycholog*innen zu diesem Zeitpunkt bereits absehbar war (vgl. Stacher 1989: 23). Auf diese Thematik wird in Kapitel 4.2 näher eingegangen.

Exkurs: Die Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus

Wie bereits früher in diesem Kapitel erwähnt, war die Wiege der Krankenhaussozialarbeit das Berlin der 1920er und 1930er Jahre. Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung die- ses neuen Arbeitsfeldes der Sozialen Arbeit hatte die Gründung der Deutschen Vereini- gung für den Sozialdienst im Krankenhaus (DVKS), der zu den ältesten Verbänden der Sozialarbeit zählt. Im Jahr 1918 wurde von Anni Tüllmann und Hedwig Landsberg der „Ver- ein Soziale Krankenhausfürsorge der Berliner Universitätskliniken außerhalb der Charité e.V.“ gegründet und aufgebaut. Dieser Verein kann als erster übergreifender Fachverband der Krankenhaussozialarbeit angesehen werden und wurde auf allen Ebenen von führen- den Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medizin, Wohlfahrtsverbänden sowie der jüdi- schen Sozialarbeit unterstützt. Ziel von Landsberg und Tüllmann war es, durch Öffentlich- keitsarbeit das neue Handlungsfeld bekannt zu machen und in allen Krankenhäusern zu etablieren. Publikationen und Rezensionen wurden veröffentlicht, Jahresberichte erstellt und auf Versammlungen diskutiert. Um Krankenhaussozialarbeiter*innen organisatorisch zusammenzufassen, wurde 1922 zudem eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb Berlins ge- gründet. Im Rahmen der Ausstellung „Gesundheit, Soziales und Leibesübungen“, die 1926 in Düsseldorf stattfand und auf der Tüllmann und Landsberg mit ihrem Verein auf reges Interesse stießen, wurde schließlich die Gründung einer Vereinigung der Krankenhausso- zialarbeiter*innen beschlossen und zunächst unter dem Namen „Deutsche Vereinigung für den Fürsorgedienst in Krankenhaus“ geführt. Der Zweck des Vereins beruhte auf der Grundannahme, dass nur durch eine breite Interessensvertretung die Sozialarbeit in

(22)

15 Krankenhäusern tatsächlich umgesetzt werden konnte. Ein wesentliches Element des Ver- eins war die Teilnahme an Tagungen, auf denen das Arbeitsfeld vorgestellt und diskutiert wurde. Ab 1933 übernahmen viele Sozialarbeiter*innen und Mitglieder des Vereins die Vor- stellungen der Nationalsozialisten zu den Themen Erbgesundheit, Rassenhygiene und Ge- sundheitspolitik und ebneten damit den Weg zur Gleichschaltung des Vereins. Nichtarische Vorstandsmitglieder mussten ihre Ämter aufgeben und aus dem Verein austreten. Auch Hedwig Landsberg und Anni Tüllmann beendeten als Reaktion darauf ihre Tätigkeiten für den Verein. Nach Kriegsende konnte Hedwig Tüllmann jedoch bis 1967 erneut die Ge- schäftsführung mit Sitz in Heidelberg übernehmen und so der Vereinigung im (west-) deut- schen Gesundheitssystem wieder Beachtung zu verschaffen (vgl. Reinicke 2001: 15ff).

1965 wurde der Name der Vereinigung in „Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus“ (DVSK) geändert. Wichtige Beiträge zur weiteren Professionalisierung der Krankenhaussozialarbeit sind unter vielen anderen die Empfehlung aus dem Jahr 1971, den Gesundheitsbereich und psycho-soziale Anforderungen in die Ausbildung von Sozial- arbeiter*innen an Fachhochschulen einzubeziehen. Seit 1996 erscheint regelmäßig eine Fachzeitung unter den Namen FORUM Krankenhaussozialdienst. 2003 wurde die Vereini- gung für Sozialarbeiter*innen anderer gesundheitsbezogener Arbeitsfelder geöffnet und umbenannt in „Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Gesundheitswesen (DVSG)“.

2004 wurde ein Positionspapier zum Thema Entlassungsmanagement verabschiedet, das die Kompetenz der Sozialen Arbeit in diesem Bereich hervorhebt. Bis heute prägt die Ver- einigung durch eine Vielzahl an Positionspapieren, Forschungsprojekten, Stellungnahmen und Tagungen die Weiterentwicklung des Handlungsfeldes unter Berücksichtigung von ak- tuellen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen maßgeblich (vgl. DVSG 2012).

Von langjährigen Mitarbeiter*innen der Krankenhaussozialarbeit in Wien wurde berichtet, dass sich auch in Österreich in den 1990er Jahren eine Bundesweite Interessenvertretung der Krankenhaussozialarbeit (BIKS) herausgebildet hatte. Dieser Verein war bundesweit tätig, jedes Bundesland wurde durch eigene Vertreter*innen repräsentiert. So konnte eine enge Vernetzung der Krankenhaussozialarbeiter*innen implementiert werden. Ende der 1990er Jahre musste die BIKS aufgrund hoher organisatorischer Herausforderungen auf- gelöst werden. Eine Fortführung oder Nachfolge in Form einer spezialisierten Interessens- vertretung ist derzeit nicht vorhanden. Leider konnten zu dieser Organisation aufgrund ihrer Auflösung keine weiterführenden Informationen gefunden werden.

Die Betrachtung der historischen Entwicklung der Sozialarbeit in Krankenhäusern zeigt, dass sie auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Sie war von Anfang an stark abhängig

(23)

16 von politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Auch die wissen- schaftliche Weiterentwicklung von Medizin und Sozialforschung nimmt ihren Einfluss, in- dem beispielsweise das Wissen über Verschränkung von Gesundheit und sozialer Situa- tion heute auf breite Zustimmung und Berücksichtigung stößt (vgl. Kapitel 4.2).

3.1.2 Zielgruppe und Ziele

Eine schwere Erkrankung bedeutet für die meisten Menschen einen massiven Einschnitt in ihrem Leben. Sie sehen sich mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, können un- ter Umständen ihr Leben nicht mehr in derselben Art und Weise leben wie zuvor und müs- sen sich auf die neue Situation einstellen. Möglicherweise droht der Verlust von Arbeit und damit einhergehend finanzielle Einbußen oder die soziale Exklusion aufgrund der Ein- schränkungen durch die Erkrankung.

Sozialarbeiter*innen in Krankenhäusern haben mit Menschen jeden Alters zu tun, die sich entweder bereits vor ihrer Aufnahme in die medizinische Behandlung in einer schwierigen Lebenslage befanden oder deren Erkrankung so gravierende Auswirkungen auf ihr Leben hat, dass sie bei der Krankheitsbewältigung sowie bei der Herstellung einer möglichst selbstständigen Lebensführung Unterstützung benötigen. Die Krankenhaussozialarbeit will mögliche Benachteiligungen durch Krankheit oder Pflegebedürftigkeit vermeiden oder ab- mildern, Hilfe bei der gesellschaftlichen (Wieder-) Eingliederung bieten sowie die Pati- ent*innen dazu zu befähigen, ihr Leben so eigenständig wie möglich gestalten zu können (vgl. OBDS 2004: 6f).

Neben den Patient*innen sind auch die Angehörigen eine wichtige Zielgruppe der Kran- kenhaussozialarbeit. Die Erkrankung einer nahestehenden Person bedeutet Veränderun- gen im Zusammenleben, im Umgang miteinander und verschiebt möglichweise gewohnte Rollenverteilungen. Auch Angehörige benötigen daher Beratung und Unterstützung bei der Bewältigung der neuen Lebenssituation mit einem erkrankten Familienmitglied. Da nahe- stehende Personen oftmals die Hauptverantwortung für die Pflege und Betreuung erkrank- ter Personen übernehmen, sind Information und Begleitung bei der Etablierung wichtiger Entlastungsmöglichkeiten von großer Bedeutung, ebenso wie psycho-soziale Unterstüt- zung bei der Verarbeitung neuer Eindrücke.

3.1.3 Aufgaben

Die Aufgaben der Krankenhaussozialarbeiter*innen sind aufgrund der multiplen und indivi- duellen Problemlagen der Patient*innen breit gefächert und können je nach

(24)

17 Zuständigkeitsbereich sehr unterschiedlich sein. Die DSVG teilt die Leistungen und Aufga- ben der Krankenhaussozialarbeiter*innen nach Schwerpunkten auf. Ein Bereich ist hierbei die Beratung im Bereich Rehabilitationsmaßnahmen sowie ambulante Angebote, insbe- sondere nach stationärer Behandlung (z.B. zu den Themen ambulante und stationäre Re- habilitation, Pflege, Palliativ- und Hospizmedizin). Zur Beratung in wirtschaftlichen und so- zialrechtlichen Belangen gehören die Beratung zur materiellen Absicherung bei längerem Krankenstand, Renten, Leistungen aus Pflegeversicherung und Schwerbehindertenrecht und andere finanzielle Anspruchsmöglichkeiten. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist der Bereich der persönlichen und beruflichen Probleme und Veränderungen. Dazu gehö- ren vor allem Fragen zum Wiedereinstieg ins Berufsleben oder Neuorientierung, drohender Arbeitsplatzverlust, aber auch die Beratung zu ambulanten Unterstützungsmöglichkeiten wie Pflegedienste und Haushaltshilfen. Einen wichtigen weiteren Bereich stellen psycho- soziale Fragen dar. Hierunter fallen Themen wie Krankheits- und Lebensbewältigung, Aus- wirkungen auf Partnerschaft, Familie und soziales Umfeld, Entwicklung von Zukunftsper- spektiven und die Vermittlung zu Selbsthilfegruppen sowie speziellen Beratungsstellen (vgl. DVSG 2011).

Im Sinne einer sozialtherapeutisch ausgerichteten Klinischen Sozialarbeit ergänzt Pauls 2013 dieses Aufgabenspektrum um die Mitarbeit in der Diagnostik (insbesondere bei den Themen Sozialanamnese, Belastungsdiagnostik, Netzwerkanalyse und Familiendiagnos- tik), soziale Einzelhilfe und soziale Gruppenarbeit, zum Teil aufsuchende Arbeit zur Wie- derherstellung eines Kontaktes zur Familie oder dem bisherigen Arbeitsplatz, Mitarbeit in der Psychoedukation, Kooperation mit anderen Einrichtungen sowie aufklärende Öffent- lichkeitsarbeit im Sinne der Herstellung eines positiven Kontaktes zwischen Gesellschaft und Krankenhaus zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Menschen mit Erkrankungen und zur Erleichterung der Wiedereingliederung erkrankter Personen in die Gesellschaft außer- halb des Krankenhauses (Pauls 2013: 348).

Generell ist festzustellen, dass die Arbeitsinhalte auf unterschiedlichen Ebenen verortet sind. Zum einen wird direkte Arbeit mit den Patient*innen geleistet, das heißt z.B. psycho- soziale Begleitung bei der Krankheitsbewältigung, die Beratung bei auftretenden Proble- men im sozialen Umfeld sowie die Organisation von nachgehenden Unterstützungsange- boten für die Zeit nach der Entlassung. Auf der Ebene der Krankenhausstruktur kommen zusätzlich Aufgaben auf die Sozialarbeiter*innen zu wie die Beratung des Klinikpersonals in krisenhaften Verläufen und damit einhergehend gegebenenfalls Krisenintervention in- nerhalb des Teams, das fungieren als Anlaufstelle bei akuten Situationen für alle

(25)

18 Beteiligten sowie die schnelle Organisation von Versorgungsstrukturen in akuten Fällen (vgl. Dieplinger 2008: 77).

Der Österreichische Berufsverband diplomierter Sozialarbeiter*innen (im Folgenden mit OBDS abgekürzt) stellt in seiner Handlungsfeldbeschreibung weitere inhaltliche Aspekte heraus. Aufgabenfelder sind neben Maßnahmen zur Existenzsicherung die Bearbeitung akuter Krisensituationen (auch innerhalb der Familie) und die Leitung von Patient*innen- selbsthilfegruppen. Der OBDS verweist zudem auf die interdisziplinäre Arbeit mit medizini- schem, therapeutischem und pflegerischem Personal. Verwiesen wird des Weiteren auf

„Akutsozialarbeiterische Interventionen“, also die Priorisierung von vorrangig zu erledigen- den Aufgaben, die in direktem Zusammenhang mit dem Krankenhausaufenthalt stehen.

Das können z.B. Kinderbetreuung oder die Beschaffung von Kleidung sein (vgl. OBDS 2004: 7).

Es zeigt sich ein enorm breites Spektrum an Aufgaben, die die Sozialarbeit im Kranken- haus erfüllen kann. Pauls 2013 weist darauf hin, dass aufgrund hoher Fallzahlen und der Position der Sozialarbeit zwischen Verwaltung, Pflege und Medizin die Sozialarbeit im Krankenhaus ihre gesundheitsfördernden Effekte auf die Patient*innen nicht gänzlich ent- falten kann. Hierfür benötigt es eine Miteinbeziehung der Sozialarbeit in die ärztliche und pflegerische Behandlung der Patient*innen und nicht nur bei der materiellen und sozialver- sicherungsrechtlichen Absicherung (vgl. Pauls 2013: 348). Zudem lässt sich das sozialthe- rapeutische Aufgabenspektrum Klinischer Sozialarbeit im Krankenhaus zum Teil nur schwer trennen von den Aufgaben der Psychologie, welche aufgrund ihrer Verankerung im Krankenanstaltengesetz eine vorteilhafte Positionierung innehat. Hier bedarf es einer ko- operativen Konzeptentwicklung, damit die Berufsgruppen gleichwertig nebeneinander existieren können.

3.1.4 Kompetenzen

Aufgrund der immer kürzer werdenden Verweildauer in Akutspitälern (in Wien im Jahr 2017 im Durchschnitt 6,8 Tage im Vergleich zu 11 Tagen Anfang der 1990er Jahre (vgl. Statistik Austria 2019a)) müssen sich Krankenhaussozialarbeiter*innen der Herausforderung stel- len, eine gute Arbeitsbeziehung in relativ kurzer Zeit herzustellen. Grundlage ist empathi- sches Vorgehen in der Beratung sowie ein Problemverständnis, Fachwissen, aber auch der Umgang mit krankheitsbedingten Schwankungen innerhalb der gesundheitlichen und seelischen Verfassung der Klient*innen und der daraus resultierenden Notwendigkeit, im- mer wieder einen Zugang zu diesen zu finden (vgl. Ansen 2001: 65f).

(26)

19 Dieplinger (2008) stellt grundsätzlich und fachübergreifend Kommunikations- und Ge- sprächsführungskompetenzen, Kenntnisse in Krisenintervention sowie psycho-sozialer Di- agnostik als zentrale Punkte heraus. Zusätzlich sind aktuelle rechtliche und administrative Kenntnisse ausschlaggebend sowie grundlegende medizinische Fachkenntnisse notwen- dig, die für die jeweilige Fachabteilung relevant sind (vgl. Dieplinger 2008: 77).

Sozialarbeiter*innen in Krankenhäusern müssen in der Lage sein, professionell im multi- disziplinären Team zu arbeiten. Ihre Arbeit kann nicht isoliert von anderen im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen betrachtet werden, da sowohl der medizinische und pflegerische Zustand sowie therapeutische Aspekte die Richtung in der Beratung und Begleitung der Patient*innen vorgeben. Homfeldt erklärt die Notwendigkeit interprofessioneller Kommuni- kation mit der zunehmenden Komplexität der Gesundheitsprobleme von Menschen. Diese entstehen aus einem Zusammenspiel von körperlichen, aber auch sozialen und persönli- chen Faktoren und müssen daher aus einer bio-psycho-sozialen Perspektive betrachtet werden. Wichtige Voraussetzungen für die interprofessionelle Zusammenarbeit sind eine klare Aufgabenverteilung, Flexibilität, gegenseitiges Vertrauen und Respekt, kongruente Zieldefinitionen, eine offene Kooperation sowie eine systembezogene Perspektive (vgl.

Homfeldt 2012: 487f).

Die Beschreibung der Ziele, Aufgaben und Kompetenzen der Krankenhaussozialarbeit stellt sich in einer großen Bandbreite von Themen dar, die Sozialarbeiter*innen gemeinsam mit den Patient*innen bearbeiten. Zusätzlich herausfordernd ist die Kommunikation mit den verschiedenen Berufsgruppen, welche aus unterschiedlichen Perspektiven heraus arbei- ten. Im Folgenden werden einige theoretische Konzepte beleuchtet, welche die klinisch- sozialarbeiterische Perspektive begründen.

4 Ausgewählte theoretische Grundlagen

Die Soziale Arbeit im Krankenhaus liefert einen wichtigen Beitrag zur psycho-sozialen Ge- sundheit von Patient*innen. Ihre Zielgruppe besteht häufig aus Personen, die sozial schlechter gestellt sind oder die aufgrund der eigenen Erkrankung oder der einer naheste- henden Person in eine tiefe Krise gestürzt sind. Um diesen Personen angemessene Un- terstützung im sozialen Kontext anbieten zu können, sind unter anderem die Kenntnisse folgender Themen für die Krankenhaussozialarbeit relevant.

(27)

20 4.1 Soziale Ungleichheit und Gesundheit

Dass zwischen der sozialen und gesundheitlichen Situation von Menschen ein sich gegen- seitig beeinflussender Zusammenhang besteht, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Der Begriff soziale Ungleichheit bezeichnet multiple Unterschiede zwischen Personen inner- halb der Gesellschaft. Um diese Unterschiede genauer betrachten zu können, wird diffe- renziert in vertikale Ungleichheit und horizontale Ungleichheit. Vertikale Ungleichheit meint eine Unterteilung von Personengruppen innerhalb einer Gesellschaft von oben nach unten, also nach dem sogenannten Status oder auch Schichtzugehörigkeit von Personen. Fakto- ren der vertikalen Ungleichheit sind z.B. Bildung, Einkommen und Angaben zum Beruf.

Hierbei nimmt das Einkommen eine besonders wichtige Position ein, da Armut als zentraler Indikator für Benachteiligung gesehen wird. Mithilfe des Begriffes horizontale Ungleichheit kann die Bevölkerung in weitere Gruppen unterteilt werden. Merkmale der horizontalen Ungleichheit sind z.B. Alter, Nationalität, Geschlecht und Familienstand. Eine einheitliche Liste dieser Merkmale gibt es nicht, die genannten vier sind jedoch von zentraler Bedeu- tung für die Forschung. Alle Einteilungen sind schwer voneinander abzugrenzen, gerade bei der Schichtzugehörigkeit lässt die Vielfalt von Lebenslagen eine exakte Eingrenzung kaum zu. Dennoch ist in diversen Studien festgestellt worden, dass untere Statusgruppen gesundheitlich stark benachteiligt sind im Vergleich zu höheren Statusgruppen (vgl. Mielck 2005: 8).

Auch im österreichischen Gesundheitsbericht 2016 wird vertikale und horizontale Ungleich- heit in der Auswertung der zwischen 2005 und 2014 erhobenen Daten berücksichtigt. Be- sonders auffällig ist das Ergebnis, dass die Lebenserwartung und die Lebenserwartung in Gesundheit massiv von der Bildung abhängen. Männer mit akademischem Abschluss kön- nen statistisch gesehen davon ausgehen, 16 Jahre mehr in Gesundheit zu verbringen als Männer mit maximal Pflichtschulabschluss. Bei den Frauen macht der Unterschied 13 Jahre aus. Auch von chronischen Erkrankungen sind Menschen mit geringerer Bildung häufiger betroffen, nämlich zu 53% im Vergleich zu 33% der Personen mit hoher formaler Bildung (vgl. Griebler et al. 2017: 222).

Ein weiterer gesundheitsrelevanter Aspekt ist die Armutsgefährdung. Als armutsgefährdet werden Personen definiert, deren äquivalisiertes Haushaltseinkommen unterhalb der Ar- mutsgefährdungsschwelle liegt. Zur Bestimmung der Armutsgefährdungsschwelle wird der Median des äquivalisierten Gesamthaushaltseinkommens herangezogen und bei 60% da- von festgelegt. Im Jahr 2014 lag die Schwelle in Österreich bei 1.161€ für einen Einperso- nenhaushalt (vgl. ebd.: 98). Die Armutsgefährdung ist für Menschen, die nicht österreichi- sche Staatsbürger sind, besonders hoch. Im Jahr 2015 waren 37% dieser Gruppe von

(28)

21 Armut gefährdet, innerhalb der Gesamtgesellschaft in Österreich waren es 14%. Auch hier wird der Einfluss der Bildung sichtbar: Personen, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben, sind mit 21% überdurchschnittlich von Armut betroffen. Weitere Risikogruppen sind Alleinerziehende und Familien mit mehr als drei Kindern (vgl. ebd.: 224).

Auch das Maß an sozialer Unterstützung hängt mit Bildung und Einkommen zusammen:

Menschen mit hoher Bildung und besserem Einkommen haben häufiger ein gutes soziales Netz als Menschen aus den niedrigsten Bildungs- und Einkommensschichten. Der Unter- schied bewegt sich hier zwischen 14% und 16%. Dabei spielt auch der Migrationshinter- grund eine Rolle. Personen mit Migrationshintergrund erleben ebenfalls weniger soziale Unterstützung als Österreicher*innen ohne Migrationshintergrund (vgl. ebd.: 225).

Besonders deutlich wird die gesundheitliche Ungleichheit bei der Betrachtung der Daten zu chronischen Erkrankungen. Auf Basis der EU-SILC Daten von 2014 stellt der Österrei- chische Gesundheitsbericht fest, dass in der Altersgruppe der 20- bis 64-jährigen armuts- gefährdeten Personen 37% an einer chronischen Erkrankung leiden, in der oberen Ein- kommensgruppe 25%. Für Personen, die älter als 64 Jahre sind, ist der Unterschied ähn- lich deutlich und die Zahlen naturgemäß aufgrund von hinzukommenden Alterserscheinun- gen höher: in der Gruppe der über 65 jährigen Personen haben 61% der armutsgefährde- ten Personen chronischen Erkrankungen im Vergleich zu 50% innerhalb der oberen Ein- kommensgruppe (vgl. ebd.: 95).

Die Ergebnisse des österreichischen Gesundheitsberichts zeigen, dass eine massive ge- sundheitliche Benachteiligung von Menschen mit geringerer Bildung (und daraus resultie- rend oft auch mit geringerem Einkommen) sowie mit Migrationshintergrund besteht. Auch das Fehlen von sozialer Unterstützung bei diesen Personen begünstigt Benachteiligungen in verschiedenen Lebensbereichen. Hier kann die Soziale Arbeit ansetzen und gerade Menschen in prekären finanziellen oder gesundheitlichen Situationen unterstützen.

Die wissenschaftliche Diskussion um Erklärungsversuche zur Entstehung dieser gesund- heitlichen Ungleichheit hat vor ca. 30 Jahren ihren Anfang genommen. Mielck und Elkeles haben aus verschiedenen Ansätzen ein Modell entwickelt (Abbildung 1), das Faktoren der gesundheitlichen Ungleichheit zusammenfasst. Daraus wird ersichtlich, dass die soziale Ungleichheit, besonders die horizontale Ungleichheit, die Basis für das Entstehen gesund- heitlicher Ungleichheit bildet. Aus sozialer Ungleichheit resultieren weitere Unterschiede:

in den gesundheitlichen Belastungen, da Menschen mit geringerer Bildung zum Beispiel häufiger körperlich anspruchsvolle Arbeiten ausführen, für die keine hohen Ausbildungen notwendig sind. Daneben stehen Unterschiede in den Bewältigungsressourcen: wie zuvor

(29)

22 erwähnt ist es auch in Österreich erwiesen, dass Menschen mit niedrigerem sozialem Sta- tus über weniger soziale Unterstützung verfügen als Menschen aus oberen Schichten. Zu- dem existieren Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung, die Autoren nennen hier als Beispiel eine schlechtere Arzt-Patienten-Kommunikation, die ebenfalls vom Bildungs- niveau abhängen könnte. Aus diesen Unterschieden resultieren Unterschiede beim Ge- sundheits- und Krankheitsverhalten: sozial schlechter gestellte Menschen ernähren sich aus finanziellen Gründen oder aufgrund von Bildungsdefiziten gesunde Ernährung

betreffend heraus häufig schlechter, weisen weniger Compliance auf und haben öfter mit Süchten zu kämpfen. Aus all diesen Faktoren entsteht die gesundheitliche Ungleichheit, die sich besonders in Unterschieden in Morbidität und Mortalität zeigt.

Abbildung 1: Modell zur Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit (Mielck 2005: 53)

Soziale Ungleichheit

(Unterschiede in Bildung, Berufsstatus, Einkommen)

Gesundheitliche Ungleichheit (Unterschiede in Morbidität und Mortalität)

Unterschiede in der gesundheitlichen Ver-

sorgung (z.B. Arzt-Patient-Kom-

munikation)

Unterschiede beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten (z.B. Ernährung, Rauchen, Compli-

ance) Unterschiede in

den gesundheit- lichen Belastun-

gen (z.B. Belastungen

am Arbeitsplatz)

Unterschiede in den Bewälti- gungs-Ressour-

cen (z.B. soziale Un-

terstützung)

(30)

23 Nicht die gesundheitlichen Belastungen allein, sondern erst die Bilanz aus gesundheitli- chen Belastungen einerseits und Bewältigungsressourcen andererseits hat Einfluss auf das Gesundheitsverhalten. Aus diesem Erklärungsmodell wird sichtbar, dass gesundheit- liche Ungleichheit sowohl auf personaler Ebene als auch auf der Ebene der Umwelt ver- ankert ist.

Dies ist ein zentraler Punkt der Klinischen Sozialen Arbeit, die diese beiden Perspektiven berücksichtigt und sowohl mit Menschen an ihren Ressourcen und Defiziten arbeitet, um diese wieder handlungsfähig zu machen, als auch die Umwelt so beeinflusst, dass sie die betroffene Person nicht weiter einschränkt. Im Arbeitsfeld der Krankenhaussozialarbeit könnte dies zum Beispiel durch einerseits Einzelgespräche zu belastenden Themen und durch gleichzeitiger Vermittlung bei Kommunikationsproblemen zwischen Ärzt*in und Pati- ent*in stattfinden. So kann die Person in ihren Ressourcen und sozialer Vernetzung ge- stärkt und der medizinische Behandlungserfolg durch verbesserte Compliance erhöht wer- den.

Die doppelte Fokussierung Klinischer Sozialarbeit resultiert aus der Berücksichtigung von Lebensweltorientierung und der Perspektive Person-in-Situation. Diese beiden Konzepte sollen im folgenden Kapitel näher erläutert werden.

4.2 Lebensweltorientierung und Person-in-Situation

Eine grundlegende Handlungsmaxime der Sozialen Arbeit, die Lebensweltorientierung, ist auch für die Arbeit im Krankenhaus von großer Bedeutung. Das Konzept der Lebenswelt- orientierung entstand in den 1960er Jahren, als die Soziale Arbeit sich in einer Umstruktu- rierungsphase befand und Antworten auf die kritisch betrachteten gesellschaftlichen und politischen Zwänge, in denen sich individuelle Lebenswelten der Menschen herausbilde- ten, zu finden versuchte. Sie vereinte damit die Kritik an Politik und Gesellschaft mit der Herausbildung neuer Arbeitskonzepte für die Soziale Arbeit. Lebensweltorientierung be- deutet, auf eine ressourcenorientierte Analyse der Lebensverhältnisse von Personen im Vertrauen auf Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen mit pädagogischen Maßnahmen zu reagieren. Dabei wird gleichzeitig auf Ressourcen und Herausforderungen, also auf Stärken und Schwächen in der Lebenssituation einer Person geachtet und daraus die pas- sende Unterstützung in Aushandlung mit der betroffenen Person abgeleitet. Lebenswelt- orientierte Soziale Arbeit befindet sich damit stets im Spannungsfeld zwischen der Akzep- tanz von Lebensbedingungen und einer aktiven Einmischung im Sinne von Unterstützung beim Herausbilden von Alternativen und Optionen. Grundvoraussetzung für eine gelin- gende Arbeit ist Respekt vor den gegebenen Lebensverhältnissen, so wie sie vorgefunden

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE