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6 Methodisches Vorgehen

7.5 Entwicklung des Arbeitsfeldes

Die langjährigen Mitarbeiter*innen der Sozialarbeit im Krankenhaus wurden nach ihrem Erleben gefragt, welche Veränderungen in diesem Arbeitsfeld in den letzten Jahren von besonderer Bedeutung für ihre Arbeit waren. Dabei kristallisierte sich ein Zeitraum von circa 15 Jahren heraus, in welchem diese Veränderungen miterlebt wurden. Lediglich die Sozialarbeiterin des Verbindungsdienstes der MA 15 verfügt über jahrzehntelange Erfah-rung auch in unterschiedlichen Funktionen innerhalb des Krankenhauses, sodass diese Erlebnisse als Einzelmeinungen ebenfalls ausgeführt werden.

7.5.1 Einführung des Entlassungsmanagements

Als einschneidender Prozess wurde die Einführung des pflegerischen Entlassungsmana-gements erlebt, welches die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeit und Pflegepersonal veränderte.

Die Sozialarbeiterin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder hat in dieser Zeit bereits als Krankenhaussozialarbeiterin gearbeitet und sieht die Einführung des Entlassungsmanage-ments als wichtigen Schritt. Vorher war es ihre Aufgabe, an die nach der Entlassung für die weitere Betreuung zuständigen Stellen alle relevanten Informationen weiterzugeben, hauptsächlich telefonisch. Auf diesem Weg war die Gefahr groß, dass Details verloren ge-hen konnten. Die heutige Weitergabe der Pflegesituationsberichte, die von der Pflege er-stellt werden und alle wichtigen Informationen bezüglich der Gesundheit und des Betreu-ungsbedarfs enthalten, empfindet sie als sehr hilfreich und sinnvoll, da die Pflege die Pati-ent*innen aufgrund des ständigen Kontaktes besser einschätzen kann und fachliche Ein-schätzungen liefern kann. Neben diesem positiven Aspekt hat die Sozialarbeiterin jedoch auch das Gefühl, dass die Pflege zunehmend Aufgaben übernimmt, die eigentlich in das Tätigkeitsfeld der Sozialarbeit fallen. Immer mehr Pflegepersonen absolvieren die Zusatz-ausbildung zum Care- und Casemanagement, ein Ansatz, nach dem die Sozialarbeit in ihren Augen grundsätzlich schon immer gearbeitet hat. Um nicht verdrängt zu werden, legt

65 sie beispielsweise großen Wert darauf, in ihrem Team nur Sozialarbeiter*innen aufzuneh-men und keine Krankenpflegepersonen.

Auch die Sozialarbeiterin des Verbindungsdienstes der MA 15 hat zur Zeit der Einführung des Entlassungsmanagements bereits in der Krankenhaussozialarbeit gearbeitet. Vor der Einführung erlebte sie die Sozialarbeit im Krankenhaus als normalen Bestandteil des Sys-tems, da die Krankenhäuser auch damals per Gesetz in der Pflicht standen, auch die so-zialen Belange zu berücksichtigen und somit eine Legitimation für die Sozialarbeit im Kran-kenhaus bis heute besteht. Die Einführung des Entlassungsmanagements empfand sie als Paradigmenwechsel, durch welchen die Sozialarbeit in der Folge auf einen verschwindend kleinen Teil dessen geschrumpft wurde, was sie zuvor war. Die Pflege wurde stark geför-dert und konnte ein neues Selbstbewusstsein entwickeln, wurde auch in der Kollegialen Führung der Krankenhäuser vertreten, wodurch die Sozialarbeit weiter verdrängt wurde.

Die Kollegiale Führung besteht gleichberechtigt aus jeweils eine*r Vertreter*in des ärztli-chen Dienstes, der Pflege sowie der Verwaltung. Sie vermutet, dass die Sozialarbeit als zu teuer angesehen wird im Vergleich zu Pflegepersonal mit entsprechender Zusatzqualifika-tion. Ebenfalls als gravierend erlebt sie die Tatsache, dass die Sozialarbeit nur durch das pflegerische Entlassungsmanagement angefordert werden darf. Jedoch macht sie heute die Erfahrung, dass auch die Pflege aufgrund des Personalmangels überfordert ist mit den vielen Aufgaben, die sie zu erfüllen hat, der Ruf nach mehr Sozialarbeit jedoch nicht gehört wird, sondern die Überforderung als schlechte Arbeitseinteilung abgetan wird. Als Lösung dieser Problematik kann sie sich hauptsächlich mehr Investition in das Gesundheitssystem vorstellen, wobei zuvor evaluiert werden muss, wie viel mehr Sozialarbeit in den Kranken-häusern benötigt werden würde.

Der leitende Mitarbeiter der Krankenhaussozialarbeit der FSW Tochtergesellschaft sieht die Arbeit des Entlassungsmanagements aus der Perspektive einer externen Sozialarbeit als Entlastung für die Sozialarbeiter*innen an. Grundlegende Dinge wie Antragsstellungen für Pflegegeld oder auf Unterbringung in einem Pflegeheim kann von den entsprechenden Pflegepersonen abgedeckt werden, der Sozialarbeit bleibt mehr Zeit für ihre Kernthemen wie beispielsweise die finanzielle Absicherung oder andere Beratungsthemen. Diese Ar-beitsteilung macht für ihn auch Sinn, da Absprachen mit Ärzten und Therapeuten in Bezug auf medizinische Themen für die Pflege leichter umzusetzen sind, da sie jeden Tag vor Ort ist.

Die Einführung des Entlassungsmanagements in den Wiener Spitälern wird von den be-fragten Personen einerseits als sinnvolle, positive Entwicklung zur optimalen Versorgung

66 der Patient*innen angesehen. Im Idealfall kann eine gute Arbeitsteilung bestehen, indem die Pflege für standardmäßige Antragstellungen zuständig ist und die Pflegesituationsbe-richte vor der Entlassung der Patient*innen an den Fonds Soziales Wien übermittelt. Die Sozialarbeit kann sich auf ihre eigentlichen Arbeitsinhalte konzentrieren und psycho-sozi-ale sowie sozialrechtliche Unterstützung bieten. In der Praxis wird jedoch auch eine Ver-drängung der Sozialarbeit wahrgenommen, da die Pflegepersonen durch absolvierte Zu-satzausbildungen in die Arbeitsbereiche der Sozialarbeit eindringen und diese damit ver-drängen können. Es entsteht der Eindruck, dass die Sozialarbeit im Krankenhaus keine ausreichende Lobby hat, um ihre Position zu legitimieren.

7.5.2 Gründung des FSW

Eine Besonderheit der Stadt Wien ist die zentrale Organisation von sozialen Dienstleistun-gen in allen Bereichen durch den FSW. Dieser wird als enorme Unterstützung angesehen und vereinfacht die Arbeit des Entlassungsmanagements und auch der Sozialarbeit in Be-zug auf die pflegerische und sozialarbeiterische Weiterbetreuung der Patient*innen.

Die Sozialarbeiterin des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder nennt als Beispiel die vereinfachte Organisation eines Pflegeheimplatzes. Vor der Gründung des FSW war eine Magistratsabteilung für die Pflegeheime zuständig, bis zur Aufnahme konnten bis zu zwei Monate vergehen. Heute ist der FSW ein bemühter und kompetenter Ansprechpartner, der in Notfällen auch innerhalb einer Woche eine Lösung für die Patient*innen bieten kann. Die Zusammenarbeit wird als gut funktionierend beschrieben.

Besonders deutlich wird der Vorteil dieser Organisation aus dem Gespräch mit dem Mitar-beiter der FSW Tochtergesellschaft. Wenn klar wird, dass die Krankenhaussozialarbeit ei-nen Fall nicht bis zur Entlassung der Patient*in abschließen kann, wird eine Information an das zuständige Beratungszentrum weitergeleitet und die Sozialarbeit in der Region küm-mert sich in der Folge darum. Ein nahtloser Anschluss ist hier möglich, weil die Mitarbeiter Einsicht in alle bisherigen Schritte der Betreuung nehmen können. Aus persönlicher Erfah-rung berichtet der Sozialarbeiter von gravierenden Unterschieden zu anderen Bundeslän-dern, in denen die Organisation bestimmter Anliegen nicht so einfach ablaufen kann, da es keine zentrale Stelle gibt.

Die Gründung des FSW als zentrale Anlaufstelle für die Organisation der weiteren Betreu-ung für Patient*innen wird als große EntlastBetreu-ung und VereinfachBetreu-ung der BearbeitBetreu-ung kom-plexer Thematiken wahrgenommen. Weiterhin hat die Übernahme des Krankenhausver-bindungsdienstes durch den FSW für die Krankenanstalten einen finanziellen Vorteil, da

67 Sozialarbeiter*innen fallweise hinzugezogen werden können. Welchen Einfluss dieser Um-stand auf die Anstellung von Sozialarbeiter*innen bei den städtischen Krankenanstalten hat, kann in dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden.

7.5.3 Veränderungen der Zielgruppe

Ein weiteres Ergebnis der Interviews ist, dass sich auch die Themen, mit denen die Sozi-alarbeiter*innen konfrontiert sind, verändern. Dies ist vor dem Hintergrund gesellschaftli-cher und aktueller sozialpolitisgesellschaftli-cher Entwicklungen zu betrachten, deren unmittelbare Aus-wirkungen auf die Menschen auch in der Krankenhaussozialarbeit spürbar sind.

Der Mitarbeiter der FSW Tochtergesellschaft berichtet von zunehmender existenzsichern-der Sozialarbeit. Immer mehr Personen geraten in Armutssituationen, in denen sie gezielte Unterstützung benötigen. Auch starke psychische Belastungen bis hin zu Erkrankungen und demenzielle Verläufe nehmen in der Arbeit eine stärker werdende Rolle ein. Multiprob-lemlagen sind bei der Zielgruppe der Sozialarbeit durchaus gängig. Ausgehend von ge-sundheitlichen Einschränkungen über finanzielle Notlagen über prekäre Wohnsituationen und oft Schwierigkeiten im sozialen Umfeld sind Kombinationen dieser Problemlagen an der Tagesordnung. Er beobachtet zudem einen Trend zur Vereinsamung von Menschen, was er durch zunehmend unpersönliches Leben in der Großstadt Wien erklärt. Gerade ältere und chronisch kranke Menschen verfügen über weniger gut funktionierende soziale Netze, was die Stabilisierung problematischer Lebenslagen erschwert. Dabei sind auch jüngere Menschen von sozialer Isolation betroffen und benötigen sozialarbeiterische Un-terstützung. Die Altersspanne der Personen, die durch die Sozialarbeiter*innen des FSW betreut werden, wird von Jahr zu Jahr breiter. Einen wichtigen Beitrag zu herausfordernden Lebenssituationen liefert der Wohnungsmarkt in Wien, wo sich viele Menschen aufgrund steigender Mieten und geringem Haushaltseinkommen kaum noch angemessene Woh-nungen leisten können, insbesondere wenn ein Pflegebedarf vorliegt.

Die Sozialarbeiterin des Verbindungsdienstes der MAG 11 erlebt generell im Krankenhaus eine Zunahme von Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber dem Personal, egal ob Pflege-personen oder ärztliches Personal. Dieser Umstand erschwert im Allgemeinen die Arbeit im Spital, inzwischen werden auch Securitykräfte im Krankenhaus eingesetzt. In ihrer Ar-beit hat sie sich persönlich einen Schwerpunkt auf die Beratung und Betreuung von ge-flüchteten Familien gelegt, welche durch die aktuellen Entwicklungen zahlenmäßig mehr werden. Sie erachtet die Beratung dieser Zielgruppe als nicht ausreichend, die Familien können sich im Sozialsystem oft nicht zurechtfinden. Hier möchte sie einen Beitrag leisten, diese Familien zu entlasten und sie an die richtigen Stellen zu verweisen.

68 Die Krankenhaussozialarbeiter*innen erleben in ihrer Praxis die Auswirkungen gesell-schaftlicher und politischer Veränderungen und müssen dementsprechend auf diese rea-gieren. Besonders ältere Menschen oder Personen mit chronischen Erkrankungen befin-den sich oft in Multiproblemlagen, welche durch eine Zunahme der Armutsgefährdung und steigende Mietpreise befördert werden (vgl. dazu auch Kapitel 4.1). Auch besondere Ziel-gruppen wie Menschen mit Fluchthintergrund nehmen zu und benötigen fachkundige Ex-pertise. Hier benötigt es auch ein hohes Maß an Eigeninitiative der Sozialarbeiter*innen, um sich entsprechend weiterzubilden und passgenaue Angebote entwickeln zu können.

Diese Ergebnisse der qualitativen Forschung werden nach einer kurzen Reflexion des For-schungsprozesses zusammengefasst und zur Beantwortung der Forschungsfragen heran-gezogen.