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Das AG München hat eine strafrechtliche Verantwortlich-keit des Angeklagten nicht nach § 5 III TDG a.F. (Nicht-verantwortlichkeit), sondern nach § 5 II TDG a.F. (Ver-antwortlichkeit) angenommen. Um den Schuldspruch auf § 5 II TDG a.F. zu stützen, bedarf es der Auslegung des § 5 TDG a.F., insbesondere des Begriffs der „Kenntnis“ und der „Zumutbarkeit“ i.S.v. § 5 II TDG a.F., und der Ab-lehnung von § 5 III TDG a.F.425

425. § 5 TDG a.F. (Verantwortlichkeit)

(1) Diensteanbieter sind für eigene Inhalte, die sie zur Nut-zung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verant-wortlich.

(2) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, die sie zur Nut-zung bereithalten, nur dann verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern.

(3) Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht ver-antwortlich. Eine automatische und kurzzeitige Vorhaltung fremder Inhalte aufgrund Nutzerabfrage gilt als Zugangs-vermittlung.

(4) Verpflichtungen zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen bleiben unberührt, wenn der Diensteanbieter unter Wahrung des Fernmeldege-heimnisses gemäß § 85 des Telekommunikationsgesetzes von diesen Inhalten Kenntnis erlangt und eine Sperrung tech-nisch möglich und zumutbar ist.

; Das TDG ist inzwischen durch das EGG reformiert worden (2002). Im obigen Text wird die alte Gesetzeslage zugrunde-gelegt, weil nur sie entscheidungserheblich war.

a. Die Ablehnung des § 5 III TDG a.F. (Nichtverantwort- lichkeit)

Die Verurteilung des Angeklagten durch das AG München auf Grundlage des § 5 II TDG a.F. wurde in der Literatur bestritten. Der Angeklagte sei vielmehr nach § 5 III TDG a.F. freizusprechen. Dies beruhe darauf, dass der Ange-klagte „lediglich den Zugang zur Nutzung“ fremder Inhal-te gemäß § 5 III TDG a.F. vermitInhal-telt habe.426

Diese Ansicht geht von der Auslegung des § 5 II TDG a.F.

aus. Der Verfasser bezeichnet das Wort „lediglich“ im § 5 III TDG a.F. als Minus zu dem Begriff „zur Nutzung be-reithalten“ im § 5 II TDG a.F..427 § 5 II TDG a.F. setze voraus, dass derjenige, der Inhalte zur Nutzung bereit-halte, die Möglichkeit besitzen müsse, die Nutzung sol-cher Inhalte zu verhindern. Der Angeklagte hatte im vor-liegenden Fall jedoch keine solche Herrschaftsmacht.

Deswegen müsse der Angeklagte nicht nach § 5 II TDG a.F.

verurteilt, sondern nach § 5 III TDG a.F. freigesprochen werden.

Das AG München hat CompuServe Deutschland auch deshalb nicht für einen Zugangsvermittler i.S.v. § 5 III TDG a.F. gehalten, weil CompuServe Deutschland keine eigenen Kunden gehabt und nicht den Zugang zum Netz vermittelt hat. Hingegen kann man im TDG tatsächlich nicht fest-stellen, dass ein Vermittler des Zugangs zur Nutzung ei-nes fremden Teledienstes eigene Kunden haben muss.428 Auch aus diesem Grund wurde das Urteil des AG München als un-zutreffend angesehen.

426. Moritz, a.a.O. (Fn. 421), S. 506.

427. Ebd.

428. Moritz, ebd., S. 507.

b. Die Anwendung des § 5 II TDG a.F.(Verantwortlichkeit) Das AG München hat die Auslegung des Begriffs „Kenntnis“

i.S.v. § 5 II TDG a.F. in der Weise aufgefasst, dass der Angeklagte (Diensteanbieter) die jeweiligen Beiträge der Newsgroups im einzelnen nicht zu kennen braucht.429 Nach h.M. soll die „Kenntnis“ i.S.v. § 5 II TDG a.F. aber als positive Kenntnis der fremden Inhalte ausgelegt werden.430 Danach ist eine allgemeine Mitteilung an den Anbieter, dass sich in seinem Angebot verschiedene rechtswidrige, schädigende fremde Inhalte befinden, nicht ausreichend, um die Kenntnis i.S.v. § 5 II TDG a.F. bejahen zu kön-nen.

Um eine Verantwortlichkeit der Diensteanbieter gemäß § 5 II TDG a.F. anzunehmen, muss es diesen technisch möglich und zumutbar sein, die Nutzung der fremden Inhalte zu verhindern. Dies hat das AG München für CompuServe Deutschland bejaht, da es CompuServe Deutschland nicht als Teilorganisation der CompuServe USA ansah, sondern auf die Gesamtorganisation von Mutter- und Tochterge-sellschaft abgestellt hat. Nach a.A. wäre es erforder-lich gewesen, dass die Tochtergesellschaft auf die Ent-scheidungen der Muttergesellschaft Einfluss nehmen konn-te.431 Dies war aber bei CompuServe Deutschland nicht der Fall, da CompuServe Deutschland eine 100%-ige Tochterge-sellschaft der CompuServe USA war.

429. AG München, NJW 1998, S. 2839.

430. Moritz, ebd. (Fn. 428); Spindler, MMR 1998, S. 641.

431. Hoeren, a.a.O. (Fn. 421), S. 2792.

c. Die fehlende Garantenpflicht

Während das AG München eine Garantenpflicht der Compu-Serve USA, der Muttergesellschaft, aufgrund deren Sach-herrschaft über eine Gefahrenquelle bejaht hat,432 hat es sich infolge der Beurteilung des Tatbeitrags des Ange-klagten als positives Tun mit Fragen seiner Garanten-pflicht nicht befasst. Entgegen dem AG München ist je-doch Anknüpfungspunkt des strafrechtlichen Verhaltens im Compuserve-Fall ein Unterlassen. Dieses konnte nicht be-straft werden, da eine Garantenpflicht des Angeklagten nach h.M.433 aufgrund seiner bloß zugangsvermittelnden Tä-tigkeit abgelehnt werden muss.434 Dies bedeutet, dass eine Garantenpflicht des Angeklagten weder infolge Ingerenz noch aufgrund Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle angenommen werden kann.

Darüber läßt sich das Urteil auch mit Blick auf die Ga-rantenstellung von CompuServe USA kritisieren. „Es fehlt die Begründung des Vertrauenselementes, dass die Umwelt sich darauf verlassen muss, dass derjenige, der die Ver-fügungsgewalt über Gefahrenquellen hat, die von diesen Quellen möglicherweise ausgehenden Gefahren kontrolliert und beherrscht.“435 In Bezug auf das Internet kann dieses Vertrauenselement im Sinne einer Vertrauenslage nur in

432. Nach a.A. könne die Herrschaft über eine Gefahrenquelle eine Garantenpflicht nicht begründen, Pelz, a.a.O. (Fn.

421), S. 627.

433. Hilgendorf, a.a.O. (Fn. 246), S. 330 f. Hierbei wird die Garantenstellung aus Herrschaftsmöglichkeit über eine fahrenquelle nur dann angenommen, wenn der Täter diese Ge-fahrenquelle tatsächlich kontrollieren kann.

434. Sieber, a.a.O. (Fn. 421), S. 445.

435. BGH, NJW 1966, S. 1763; BGHSt 18, 361; 27, 10; 30, 391;

Otto, Grundkurs, 2000, § 9, Rn. 87 ff.; Reus/Vogel, MDR 10/1990, S. 870; Sieber, a.a.O. (Fn. 367), S. 501; Vassila-ki, a.a.O. (Fn. 421), S. 521.

bestimmten Fällen in Betracht kommen, etwa wenn der An-bieter durch sein konkretes Angebot die Erwartungen ursacht hat. Für vorliegenden Fall wurde allerdings ver-treten, dass „jeder Internet-Nutzer inhaltliche Sauber-keit des globalen Netzes erwarten [kann], die vom jewei-ligen Diensteanbieter gewährleistet werden soll.“436

d. Die fehlende Mittäterschaft

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob der Ange-klagte die Tathandlung in Mittäterschaft d.h. gemein-schaftlich mit der Muttergesellschaft, CompuServe USA gemäß § 25 II StGB begangen hat. Dies hat das AG München bejaht, soweit der Angeklagte und CompuServe USA wußten und wollten,437 dass die auf dem News-Server von CompuSer-ve USA in eindeutigen Foren gespeicherte, harte Porno-graphie öffentlich zugänglich gemacht werden sollte. 438 Der Tatbeitrag von CompuServe Deutschland habe darin be-standen, dass es die in Deutschland befindlichen Kunden von CompuServe USA über die von ihm bereitgestellten Einwahlknoten via Standleitung mit dem Rechenzentrum der Muttergesellschaft verbunden hat.439

Demgegenüber wird vertreten, dass die bloße Billigung des Verhaltens der Muttergesellschaft durch bloße Kennt-nis der Tatumstände nicht genügt, um Mittäterschaft

436. Vassilaki, ebd.

437. Bei der Mittäterschaft wird ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der Beteiligten, nämlich ein gemeinsames Wollen der Tat als die subjektive Moment des Tatherr-schaftsgedanken vorausgesetzt. Dazu Sch/Sch-Cramer/Heine, Vor §§ 25 ff., Rn. 80; Tröndle/Fischer, StGB, § 25, Rn. 8.

438. AG München, NJW 1998, S. 2838.

439. AG München, ebd., S. 2839; Hoeren, a.a.O. (Fn. 421), S.

2793; Vassilaki, ebd. (Fn. 435).

zunehmen.440 Auch soll „das Gelingen einer Tat bei Mittä-terschaft lediglich durch das Zusammenwirken aller Be-teiligten möglich sein, so dass die Tatbestandserfüllung mit dem funktionsgerechten Beitrag des Einzelnen steht oder fällt.“441 Des weiteren kann die Frage nicht eindeu-tig beantwortet werden, ob der Angeklagte den Abruf durch deutsche Nutzer gewollt habe.442 Damit kann weder Mittäterschaft noch Vorsatz des Angeklagten ohne weite-res angenommen werden. Aus diesem Grund wird entgegen der Entscheidung des AG München vertreten,443 dass der An-geklagte die Tathandlung nicht in Mittäterschaft gemäß § 25 StGB begangen habe. Im vorliegenden Fall könne viel-mehr nur eine Teilnahme in Form der Beihilfe gemäß §§

184 III, 27 StGB in Betracht kommen.444

e. Die fehlende Abgrenzung von Tun und Unterlassen

Doch selbst wenn Mittäterschaft angenommen werden kann, so macht dies die Abgrenzung von positivem Tun und Un-terlassen nicht entbehrlich. Das AG München wird auch dahingehend kritisiert, dass es eine solche Abgrenzung nicht in ausreichendem Maße vorgenommen hat. Die Zurech-nung des Handelns von CompuServe USA nach § 25 II StGB ist erst dann möglich, wenn das Gericht einen persönlich vorwerfbaren Tatbeitrag des Angeklagten durch positives

440. Pätzel, a.a.O. (Fn. 421), S. 627. Mittäterschaft setze zwei gleichberechtigte Partner voraus, die beide sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllen.

441. Vassilaki, ebd. (Fn. 436). Dies gründet auf Roxins An-sicht (LK-Roxin, § 25, Rn. 154).

442. Hoeren, a.a.O. (Fn. 421), S. 2793.

443. Hoeren, ebd.; Moritz, a.a.O. (Fn. 421), S. 509; Vassila-ki, ebd. (Fn. 435).

444. Vassilaki, ebd. (Fn. 435); auch Pätzel, a.a.O. (Fn. 421), S. 627 f.

Tun oder Unterlassen festgestellt hat.445 Daran schließt sich die Frage an, worin der Schwerpunkt der Vorwerfbar-keit des Verhaltens des Angeklagten liegt. Das AG Mün-chen hat diese Abgrenzung, die unabhängig von der jewei-ligen Beteiligungsform ist, nur sehr versteckt konklu-dent in einem Satz zu erkennen gegeben.446

3. Die Entscheidung des LG München A. Resümee des Urteils447

Ist eine deutsche GmbH als Tochterunternehmen der ameri-kanischen Muttergesellschaft aufgrund der Gesamtorgani-sation als völlig untergeordnet zu betrachten, scheidet täterschaftliches Handeln seitens der GmbH mangels Tat-herrschaft aus. Eine Beihilfehandlung durch Unterlassen kommt lediglich bei Ursächlichkeit für den Erfolg in Be-tracht. Befand sich der Täter in Kenntnis aller Tatum-stände, so kann daraus noch nicht das Vorliegen vorsätz-lichen Handelns geschlossen werden; zur Feststellung des Vorsatzes bedarf es der Ermittlung des voluntativen Ele-mentes.

Die Anwendbarkeit von § 5 III TDG a.F. ist unabhängig von der vertraglichen Bindung des Nutzers an den Dien-steanbieter zu beurteilen; entscheidend ist allein die Bewertung der vom Anbieter tatsächlich vorgenommenen Tä-tigkeiten. Wer als Betreiber von Einwählknoten den Zu-gang zu fremden Inhalten vermittelt, trifft bei Rechts-widrigkeit derselben mangels Garantenstellung keine Ver-pflichtung zur Sperrung des Zugangs.

445. Sieber, a.a.O. (Fn. 421), S. 444.

446. Ebd.

447. Das Resümee stammt von Moritz, CR 2000, S. 117 f.

Der Geschäftsführer einer Zugangsvermittlerfirma ver-letzt nicht seine Sorgfaltspflichten, wenn er keine ständige Kontrolle der im Bundesanzeiger veröffentlich-ten verboveröffentlich-tenen Computerspiele und deren Vergleich mit den in hoher Anzahl auf zugangsvermittelten Servern ab-gelegten Spielen durchführt.