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B. Die Anwendung des deutschen Strafrechts (§ 9 StGB)

II. Der Kinderpornographie-Fall

3. Rechtliche Würdigung

Nach der Ansicht des LG Würzburg bezieht sich § 176a II StGB lediglich auf die Tatbestandsalternative des Ver-breitens nach § 184 III StGB bezieht. Dagegen nimmt der BGH an, dass die Vorschrift des § 176a II StGB sämtliche Varianten der in Bezug genommenen Absätze 3 und 4 des § 184 StGB erfasst, weil sich dem Wortlaut des Gesetzes eine derartige Beschränkung nicht zwingend entnehmen lasse. So verwende das Gesetz bei § 6 Nr.6 StGB und bei der gesetzlichen Überschrift des § 184 StGB einen weite-ren Verbreitungsbegriff, der unter anderem auch das Zu-gänglichmachen erfasst. Hätte der Gesetzgeber in § 176a II StGB allein die Absicht der Verbreitung im engeren Sinne erfassen wollen, so hätte es genügt, die Modalität der Weitergabe mit "die verbreitet werden soll" zu um-schreiben. Eine Verweisung auf § 184 StGB wäre dann überflüssig gewesen.

Zudem entspreche die umfassende Bezugnahme auch dem vom Gesetzgeber mit der Einführung des § 176a StGB verfolg-ten Ziel, den sexuellen Kindesmissbrauch zum Zwecke der Vermarktung im Internet besonders zu bestrafen.504 Durch den mit dem 6. StrRG eingeführten Qualifikationstatbe-stand des § 176a II StGB sollte das gesteigerte Unrecht einer auf "Vermarktung abzielenden Kinderschändung" er-fasst und durch die Verweisung auf § 184 III und IV StGB zum Ausdruck gebracht werden.

Da den in §§ 176a II, 184 StGB genannten Schriften Da-tenspeicher gleichstehen (§ 11 III StGB), stellen auch digitalisierte Fotos, die ins Internet gestellt werden, Datenspeicher in diesem Sinne dar; genauer: auf einem

504. Vgl. BT-Drucks. 13/9064, S. 11.

Speichermedium - in der Regel der Festplatte des Servers - gespeicherte Daten. Diese Gleichstellung der so ge-speicherten Daten mit Schriften wurde mit dem IuKDG v.

22. Juli 1997 eingeführt, mit dem der Gesetzgeber dem tiefgreifenden Wandel der Informations- und Kommunikati-onstechnologie Rechnung tragen wollte. Es ging ihm dabei auch um eine effektive Gewährleistung des Jugendschut-zes.

Im Hinblick auf die Auffassung, Darstellungen (der Ober-begriff in § 11 III StGB) seien nur körperliche Gebilde von gewisser Dauer, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch elektronische oder sonstige Datenspeicher, die gedankliche Inhalte verkörpern, die nur unter Zuhilfe-nahme technischer Geräte wahrnehmbar werden, den Schrif-ten gleichstehen. Erfasst werden sollSchrif-ten danach nicht nur Datenträger, sondern auch elektronische Arbeitsspei-cher.

Das Gericht weitet das Begriffsverständnis des „Verbrei-tens“ von Inhalten aus: Wegen der vom Gesetzgeber vorge-nommenen Gleichstellung des Datenspeichers mit Schriften könne die alte Rechtsprechung, wonach ein Verbreiten von Schriften nur dann vorliege, wenn die Schrift ihrer Sub-stanz nach - und damit körperlich - einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zu-gänglich gemacht wurde, auf Publikationen im Internet nicht übertragen werden.505 Dies widerspräche dem gesetz-geberischen Willen, den Jugendschutz gerade auch im Be-reich Informations- und Kommunikationstechnologie effek-tiv zu gewährleisten. Gerade die Einbeziehung des flüch-tigen und unkörperlichen Arbeitsspeichers zeige, dass es hier auf eine Verkörperung nicht mehr ankommen soll.

505. BGHSt 18, 64; BGH, NJW 1999, 1980; BGHSt 45, 41.

Aus diesem Grund erfordere die Datenübertragung im In-ternet einen für diese Form der Publikation spezifischen Begriff des „Verbreitens“. Ein Verbreiten im Internet liegt danach dann vor, wenn die Datei auf dem Rechner des Internetnutzers - sei es im (flüchtigen) Arbeits-speicher oder auf einem (permanenten) Speichermedium - angekommen ist. Dabei ist es unerheblich, ob dieser die Möglichkeit des Zugriffs auf die Daten genutzt, oder ob der Anbieter die Daten übermittelt hat.

Im Hinblick darauf, dass die jeweiligen technischen Vor-gänge ineinander übergehen und deswegen kaum praktikabel unterschieden werden können, hat der Senat von einer Differenzierung zwischen einem upload (= Schicken der Daten durch explizite Handlung des Anbieters zum Nutzer) und einem download (= Nutzer holt die angebotenen Daten auf dem Server des Anbieters ab) abgesehen. In diesem Sinne kann es keinen relevanten Unterschied machen, ob der Anbieter - etwa auf ein "Abonnement" des Nutzers - diesem Dateien zusendet, oder ob der Nutzer durch Akti-vieren eines Links auf der Internetseite des Anbieters die Dateien anfordert. Denn schon mit dem Einrichten des Links wird der Anbieter aktiv. Die Grenzen verfließen vollends, wenn sich der Nutzer in eine Mailing-Liste des Anbieters einträgt, über die möglicherweise sogar in Form eines "Tauschrings" Dateien gegenseitig zugesandt werden.

Daneben bejahte der BGH auch die Absicht des Angeklag-ten, die Tat zum Gegenstand von gespeicherten Daten zu machen, die nach § 184 III Nr. 2 StGB zugänglich gemacht werden sollten. Seiner Ansicht nach liegt ein Zugäng-lichmachen bereits dann vor, wenn eine Datei zum Lese-zugriff ins Internet gestellt wird. Es reiche die bloße

Zugriffsmöglichkeit aus. D.h. es sei nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Zugriff des Internetnutzers er-folgt.

Schließlich hatte der BGH darüber zu entscheiden, wann Fotos den „sexuellen Missbrauch“ von Kindern enthalten.

Bezogen auf den Fall bestimmte er, dass es grundsätzlich nicht auf die Angaben des Verbreiters über das Alter der abgebildeten Person ankommt, weil dann das umfassende, dem vorbeugenden Rechtsgüterschutz dienende Verbot aus

§§ 176a II, 184 III StGB durch einfache unwahre Behaup-tungen des Verbreiters umgehen könnte. 506 Nach Ansicht des BGH liegt das Tatbestandsmerkmal des § 184 III StGB

"sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben"

stets vor, wenn die Person des tatsächlichen sexuellen Missbrauchs ein Kind ist. Dann komme es auf die Sicht eines verständigen Betrachters nicht mehr an. Begründet wird diese Annahme zum einen mit dem Wortlaut des § 184 III StGB und der Bezugnahme auf die gesetzliche Über-schrift des § 176 StGB. Zum anderen spreche auch die ra-tio legis des § 184 III StGB für dieses Verständnis, da das Verbot der Verbreitung pornographischer Schriften des § 184 StGB zwar in erster Linie dem Jugendschutz dient.

Bei der "harten" Pornographie in § 184 III StGB aber sei dieser Schutz verstärkt worden. Bei der pädophilen Por-nographie stehe der Schutz der missbrauchten Kinder im Vordergrund. Erwerber von Kinderpornographie schafften den Anreiz dafür, dass laufend neue einschlägige Schrif-ten hergestellt werden. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Vorschriften des § 184 III, IV StGB auch dem Individualrechtsgüterschutz dienen, nämlich dem Schutz

506. So auch BGH, NStZ 2000, 309.

des Kindes davor, als Modell für die Herstellung derar-tiger Schriften missbraucht zu werden. Das wird auch durch die verschärfte Strafdrohung des § 184 IV StGB (Wiedergabe eines tatsächlichen Geschehens) deutlich.

III. Flexibilisierung der Strafbarkeitsvorausset-