• Keine Ergebnisse gefunden

In der Diskussion über die durch neue Großrisiken und Globalisierung gekennzeichnete moderne Gesellschaft taucht das Risiko immer wieder als einer der Leitbegrif-fe auf. Aber die Frage, was „Risiko“ eigentlich bedeu-tet, wird nach wie vor höchst unterschiedlich antworbedeu-tet, obwohl die Definition dieses Begriffs schon häufig ver-sucht wurde. Zunächst gilt es deshalb, den Begriff „Ri-siko“ von dem Begriff „Gefahr“ zu unterscheiden. Beide Begriffe werden auch in der traditionellen Strafrechts-dogmatik verwendet, allerdings in unterschiedlichem Zu-sammenhang.

1. Risiko und Gefahr25

Nach Beck sind Risiken das historische Nebenprodukt des industriellen Fortschritts in der Industriegesellschaft und werden nach und nach systematisch mit deren Weiter-entwicklung verschärft. 26 Dies bedeutet, dass Risiken nicht unbestimmte, sondern „bestimmbare, kalkulierbare Unsicherheiten“ 27 sind und „systematisch oft bedingte, irreversible Schädigungen frei setzen.“28 Dagegen entste-hen Gefahren „nicht mehr im Äußeren, Fremden, im Nicht-menschlichen, sondern in der historisch gewonnenen Fä-higkeit der Menschen zur Selbstveränderung, Selbstge-staltung und Selbstvernichtung der

25.Neben der Unterscheidung von Risiko und Gefahr wird auch die Trennung von „neuen“ und „klassischen“ Risiken ver-sucht. D.h. „neuen“ Risiken werden als global, kollektiv und diffus, „klassischen Risiken“ als punktuell, individu-ell und konkret angesehen. Dazu Köck, AöR 121 (1996), S. 6.

26.Beck, a.a.O. (Fn. 3), S. 29.

27.Beck, Gegengifte, 1988, S. 120.

28.Ebd. (Fn. 26).

gungen allen Lebens.“29 Demzufolge ist das Charakteristi-kum der Gefahren für Beck „nicht länger Nichtwissen, sondern Wissen, nicht fehlende, sondern perfektionierte Naturbeherrschung, nicht das dem menschlichen Zugriff Entzogene, sondern eben das System der Entscheidungen und Sachzwänge.“30 Diese Unterscheidung zwischen Risiken und Gefahren ist allerdings insofern problematisch, als der Begriff des Risikos hier in etwa gleichbedeutend mit dem Begriff der Gefahr verwendet wird. Becks Definition wird häufig dahingehend interpretiert, dass er nicht die Risikogesellschaft als solche, sondern „eine Gesell-schaft der Großgefahren“31 behandelt.

Der Sozialwissenschaftler Christoph Lau hat das Risiko in drei Typen, nämlich in „traditionelle Risiken“, „in-dustriellwohlfahrtsstaatliche Risiken“ und „neue Risi-ken“ eingeteilt. 32 Nach Lau ist das dritte, also das

„neue Risiko“ eine „gemischte Form aus industriellwohl-fahrtsstaatlichen Risiken und den nicht als Risiken be-griffenen allgemeinen Lebensgefahren“. Dieses neue Risi-ko werde erstens durch vom Einzelnen nicht intendierte, aber durch das Zusammenwirken vieler Individualhandlun-gen entstehende Effekte, zweitens durch das systemati-sche Auseinanderfallen von Risikoverursachung und Risi-kobetroffenheit charakterisiert. Laus Begriff des „neuen Risikos“ kann mit dem von Beck entwickelten Gefahrbe-griff verknüpft werden, weil das „neue Risiko“ aus dem

29.Beck, a.a.O. (Fn. 3), S. 300.

30.Ebd.

31.Evers, Kommune 6/1989, S. 33.

32.Lau, a.a.O. (Fn. 6), S. 420 ff.

Entscheiden und Handeln von Individuen bzw. von Institu-tionen resultiert.33

Also werden die Gefahren, die uns heute bedrohen, über-wiegend als Folgen des menschlichen Handelns angesehen.34 Auf jeden Fall beschränkt sich das Risiko, das im Straf-recht diskutiert werden sollte, auf die „gesellschaft-lich selbst geschaffene Schadensmög„gesellschaft-lichkeit.“ 35 Risiko und Gefahr können auch nach dem Maßstab der Kontrollier-barkeit unterschieden werden. Evers und Nowotny bezeich-nen das Risiko als handhabbar, absehbar und kontrollier-bar, während die Gefahr unkontrollierbar sei. Insofern seien die Atomkraft, die Gentechnologie, die Umweltbela-stung keine Risiken, sondern Gefahren.36

Niklas Luhmann hat vorgeschlagen, Risiko und Gefahr nicht mit Blick auf ihre Kalkulierbarkeit, sondern hin-sichtlich der „Zurechenbarkeit schädigender Ereignisse auf bestimmte Entscheidungen“ zu unterscheiden.37 Diese Differenzierung von Risiko und Gefahr setze auch „Unsi-cherheit“ voraus. Im Falle des Risikos würden etwaige Schäden als Folge einer zurechenbaren Entscheidung be-trachtet, während im Falle von Gefahren der etwaige Schaden extern, z.B. durch die (natürliche) Umwelt ver-ursacht werde.38

Ähnlich wie Luhmann vertritt Franz Xaver Kaufmann, das Risiko resultiere aus komplexen Überlegungen nicht nur

33.Lau, a.a.O. (Fn. 6), S. 423.

34.Kaufmann, F.-X., in: Bayertz (Hrsg.), 1995, S. 93.

35.Bora, in: Bora (Hrsg.), 1999, S. 10.

36.Kaufmann, F.-X., a.a.O. (Fn. 34), S. 77.

37.Dazu. Kaufmann, F.-X., a.a.O. (Fn. 34), S. 78.

38.Luhmann, Soziologie, 1991, S. 30 f.

im Hinblick auf die Aktualität bestimmter Gefahren, son-dern auch im Hinblick auf ihre Folgen und die eigenen Möglichkeiten korrektiver Gefahrsteuerung. Daher sei das Risiko abhängig sowohl von situationsspezifische Erfah-rungen oder Definitionselementen, als auch von subjekti-ven generalisierten Erwartungen.39

Des weiteren wird das Risiko häufig auch als zu- und be-rechenbare „Unsicherheit“ bezeichnet, während die Gefahr als „Ungewißheit“ umschrieben wird. 40 Dementsprechend folge das Risiko (als „Unsicherheit“) aus Handlungsab-sichten und deren Umsetzung. Dies bedeutet, dass sich der Risikobegriff auf subjektive Entscheidungen für Un-sicherheit bezieht, während die Gefahr (als Ungewißheit) unabhängig von dem Handelnden, d.h. subjekt- und situa-tionsunabhängig ist. 41 Dabei werden die mit dem Risiko verbundenen Unsicherheiten „nicht einfach als schicksal-hafte Bedrohung angesehen, sondern als zu- und berechen-bare Wagnisse, d.h. als Probleme, die sich nur dann ne-gativ bemerkbar machten, wenn man falsch kalkulierte und keine Vorsichtsmaßnahmen traf.“42

Wegen seiner Handlungs- und Entscheidungsbezogenheit ha-be das Risiko noch eine zweite charakteristische

39.Kaufmann, F.-X., Sicherheit, 1973, S. 273 f.; weiter ebenso in: ders., a.a.O. (Fn. 34), S. 79. sei Risiko „abhängig nicht nur von der Wahrscheinlichkeit des Eintrittes be-stimmter Ereignisse und der Höhe der daraus folgenden mög-lichen Schädigungen, sondern auch vom Umfang der in Be-tracht gezogenen möglichen Entscheidungsfolgen.“; diese Ge-danke wird von Knights Definition des Risikos abgeleitet.

Für Knight bedeutet das Risiko „die Entscheidungen unter Ungewißheit, welche ein Entschiedener wagt, die ihm wirkli-che Gewinn- und Verlustchancen einbringen“ Dazu Kaufmann, F.-X., a.a.O. (Fn. 34), S. 76.

40.Bonß, Vom Risiko, 1995, S. 50 ff.

41.Bonß, ebd., S. 53.

42.Bonß, ebd., S. 51.

schaft, nämlich die Zurechenbarkeit und Verantwortlich-keit.43 Dadurch lassen sich Risiko und Gefahr deutlich voneinander abgrenzen.

2. Risiko und Strafrecht

Obwohl die Diskussion um die Risikogesellschaft auch im Strafrecht intensiv aufgegriffen wurde, existiert im deutschen Strafrecht kein einheitlicher Begriff von „Ri-siko“. Dies zeigen Stichworte wie „erlaubtes Risiko“,

„Risikoerhöhungslehre“ und „Risikoverringerung“. Der Be-griff des Risikos muss für das Strafrecht näher bestimmt werden.44 Im Gegensatz zu anderen Wissenschaften, die sich ebenfalls mit Fragen des Risikos befassen, sollte der Risikobegriff im Strafrecht möglichst konkret und ein-zelfallbezogen sein. Seine richtige dogmatische Veror-tung ist die Zurechnung. Deswegen ist es problematisch, wenn die Begriffe „Risiko“ und „Gefahr“ im Strafrecht ohne Blick auf Fragen der Verantwortung und der Zurech-nung thematisiert werden. Die meisten Fragen des „Risi-kos“ im Strafrecht lassen sich als Zurechnungsproblem deuten.45

43.Bonß, ebd., S. 54 f.

44.Der Risikobegriff wird nicht erst in der heutigen Diskussi-on zum modernen Strafrecht verwendet, sDiskussi-ondern taucht schDiskussi-on im 19. Jahrhundert auf. Näher dazu Hilgendorf, Strafrecht-liche Produzentenhaftung, 1993, S. 89 ff.; ein besonders prominentes Beispiel ist K. Binding, dazu Hilgendorf, ebd., S. 90 ff.

45.Vgl. Hilgendorf, Jura 1995, S. 522; Roxin, AT I, § 11, Rn.

39 ff.

IV. Das Strafrecht in der modernen Gesellschaft