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Da bekomme ich das Organische für wenig Geld frei Haus, denn die jetzt mit »Struktur« versehenen Steine erhalten mit einem Mattlack eine erstaunlich ansprechende Haptik.

Würdest du deine Werke auch als »Brickfilme« bezeichnen?

Ich versuche, davon wegzukommen. Aber um das überhaupt einzutüten, hilft das schon. Man kann nicht immer sagen: Ich bin meine eigene Schublade. Damit nervt man die Leute auch.

Und fühlst du dich in der Schubalde »Poetryfilm« wohl?

Oft. Auch, weil ich aus der Ecke der Literaturvertonung komme. Ich hatte ein Hörbuchlabel und habe dort Texte von Ernst Jandl und Heiner Müller aufgenommen. 1989 begann meine Zeit im Theater und 93 habe ich ein Kästnerprogramm geschrieben, bei dem ich gesungen und E-Bass gespielt habe.

Das ging richtig gut – mit letztlich über fünfhundert Auftrit-ten und einer Europatournee fürs Goethe-Institut.

Jandl war schon schwerer zu verkaufen. Aber der ist total mein Ding. Jandl ist wie Lego. (lacht) Im Grunde macht der nichts anderes: Der nimmt sich ein paar Worte und baut die immer wieder um und guckt, was passiert.

Dich interessiert das Spielerische?

Ich bin ja Musiker. Das merkt man meinen Filmen vielleicht auch an. Musikmachen sollte aus einem Impuls heraus funk-tionieren. Gerade Jandl-Texte triggern auf der rhythmischen Ebene. Natürlich gibt es mehrere Parameter; einen guten Song machen auch Harmonien und Melodie aus. Aber als Bassist denke ich vor allem vom Rhythmus her.

Ist der Rhythmus auch der Ansatz, mit dem du Jandl-Texte für deine Filme auswählst?

Er hat ja viele politische Texte gemacht. Oft beziehen die sich aufs Dritte Reich. Die sind so komplex, das sind richtige Bro-cken. Das traue ich mir nicht zu. Das ist mir auch fast schon zu unerotisch, weil es so botschaftsbetont ist.

Interessant, dass du das Wort ›Botschaft‹ verwendest. Denn ich habe das Gefühl, dass deine Filme – neben dem unterhal-tenden Element – eine Haltung auszeichnet. In »Patada Day«

machst du das Schreddern von Küken zum Thema, in »Gott ist schon weg« den Kohlebergbau, im neuen Film Pegida.

(überlegt) Ja, wie jeder, der eine Haltung hat, versuche ich auch meinen Weg zu finden, diese auszudrücken, ohne die Leute damit zu nerven. Ich habe mal zu Guido (Guido Naschert, Hrsg. des Poetryfilm Magazins) gesagt: Man erreicht ja eh nur die Leute, die man sowieso schon auf »seiner« Seite hat. Und er meinte: Es ist schon ein Erfolg, wenn man diese Gruppe gewissermaßen stabilisiert.

Deine Filme zeichnet eine unglaubliche Detailvielfalt aus.

Wie wichtig ist es für dich, genau zu sein?

Recherche ist der wichtigste Teil der Arbeit. Dazu gehören Inhalt, Stilistik, Musik, Ton. Aber es ist wesentlich komplexer, Musik zu machen als einen Film. Bei Musik kann man viel eher scheitern. Das klingt vielleicht seltsam, weil man denkt, Musik wäre ein Baustein des Filmes und deshalb müsste Film komplexer sein. Bei Musik braucht man meiner Meinung nach viel mehr Erfahrung. Jedes Instrument, jedes Geräusch hat Einfluss auf alles. Man muss wissen, wo man reingeht, wo raus. Aber wenn ich eine gute Textvorlage habe, schreibe ich, glaube ich, auch überzeugende Musik.

Welche Rolle nimmt das Gesprochene im Film ein?

Speziell in diesem Film trägt das Gesprochene alles! Die Stim-me muss natürlich den Inhalt vermitteln, und jedes zuarbei-tende Instrument muss sitzen.

Bei deinem neuen Film »der und die« ist die Sprecherstimme eine Art Sing-Sang. Warum?

(erstaunt) Wie »Warum«? Weil ich alles vorgebe. (lacht) Das ist kein Rap, das liegt so zwischen den Welten. Wichtig ist, dass man dem Text folgen kann. Jandls Gedicht »der und die«

besteht aus Wortblöcken. Da ergibt sich der Rhythmus fast von allein. Wie 1 und 0, entweder Pause oder Nichtpause. Ein bisschen wie bei Bela Bartók. Da gibt es von ihm z. B. ein Mo-tiv, welches das gesamte Orchester unisono spielt, in welchem komplexe Rhythmen mit Achtel-Noten und Pausen erzeugt werden. Mit taktübergreifenden Verschiebungen kannst du Filmstill aus »der und die«. Foto: Peter Böving

unglaublich zaubern. Und nur mit Achtel-Noten und Pausen zu arbeiten, ist obendrein die totale Reduzierung – wie bei LEGO! Jemand hat mal ausgerechnet, dass du mit 6 Legosteine à 8 Noppen 950.103.765 verschiedene Kombinationen stecken kannst.

Wie hast du diese Verschiebungen – Pause/Nichtpause – ins Gesprochene gebracht?

Ich weiß nicht, wie viel Zeit du für diese Geschichte hast ...

Und dann beginnt er zu erzählen, wie er die Sprecherstimme mit Manfred Lehmann aufgenommen hat. Als Synchronstimme von Bruce Willis, Gérard Depardieu und anderen ist Manfred Lehmann ein Mann mit wenig Zeit. Für die Aufnahmesession war deshalb nur eine Stunde angesetzt. Zwecks Vorbereitung schickte Peter vorher Tonbeispiele. Auf dem Weg zum Tonstudio in Berlin hatte Peter einen Unfall mit Meniskusriss und kam zu spät zum Termin. Die Stimmung war entsprechend schlecht, von der angesetzten Stunde nur noch 45 Minuten übrig. Manfred Lehmann hatte sich die Vorbereitungssachen natürlich nicht angeschaut. Kurzentschlossen setzte sich Peter mit in die Auf-nahmekabine und sprach die rhythmischen Textblöcke vor und Manfred Lehmann ihm nach. Nach zwei Durchgängen war alles im Kasten. Am Ende blieben noch fünfzehn Minuten übrig.

Filmstill aus »der und die«. Foto: Peter Böving

Diese Katastrophenszenarien, diese Momente, in denen alles zu scheitern droht, kannte ich zur Genüge aus dem Theater.

Aber meistens kann man sich erst dann richtig fokussieren.

Das hat der Sache letztlich gutgetan.

Lass uns über »der und die« sprechen, das auf einem Gedicht von Ernst Jandl beruht. Der Film beginnt mit einem Prolog, einer Art Gebrauchsanweisung dafür, wie das Gedicht, das aus einer Art Worttabelle besteht, zu lesen ist.

Wenn man den Film drei Mal hintereinander schaut, entdeckt man viele Ebenen und Aspekte selber. Aber beim Festival hat man nicht die Möglichkeit dazu. Ich muss dafür sorgen, dass schon beim ersten Schauen so ein kleiner Aha-Ef-fekt einsetzt und ein Spaßfaktor aufkommt.

Das Mehrteilige scheint mir auch typisch für deine Filme zu sein; im Bild selbst, das Nebeneinander verschiedener Ele-mente, aber auch das Nebeneinander mehrerer narrativer Teile. Bei »Patata Day« war das ja ähnlich, auch bei »Gott«.

(überlegt) Ist mir noch nie wirklich aufgefallen. Das ist viel-leicht gar nicht so gewollt.

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Filmstill aus »der und die«. Foto: Peter Böving

Peter Böving und Dennis Schmelz. Foto: Marco Riese wir nun diese grobe naturalistische Umsetzung vorgeschriebener Locations in den filmischen Kontext? … Das war die erste große Fragestellung meiner filmischen Umsetzung. Die Assoziationskette führte nach Dresden, in das so genannte ›TAL der Ahnungslosen‹.«

Warum sind die beiden Protagonisten des Films nicht aus LEGO gebaut?

Bei LEGO-Figuren ist es schwierig, wenn man sie etwas kom-plexer haben möchte; die Mimik, Gestik, Oberfläche.

Wieder steht Peter auf und holt aus einem Schrank die Figur eines Marsmännchens. Es ist ein seltsames Gefühl, die Figur, die im Film gelebt hat, starr und steif in den Händen zu halten.

Siehst du, der Marsmensch ist sehr verpickelt und fast ein bisschen krude. Filmisch ist das schon ein Unterschied zu LEGO-Figuren. Bei dem ist viel mehr dran. Der ist aus Flüssiglatex und einem Aluminiumgerüst. So arbeiten ja alle seriösen Animatoren. (lacht) Ich bin jetzt ja zum ersten Mal dazugekommen. Bei der Protagonistin schwebte mir von Anfang an die Frau von Popeye vor, Olivia. Weil die immer so schön dünn war, die hatte keine Form, keine typischen Proportionen.

In den Producer Note zu »der und die« heißt es: »Bei Jandls Litera-turvorlage [handelt es sich] um ein relativ abstraktes Liebesgedicht

… Hätte man, womit ein Filmemacher selten gut beraten ist, den Text 1:1 verfilmen wollen, würde die junge Dame zu Beginn in ei-nem Gebirgs-TAL auf ihren Liebespartner warten. Wie vermeiden

Prolog

Laut einer alten Legende sprang einst ein verrückter