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Die Stadt Tengyue zur Zeit der Ära Wanli

B. Die Unterpräfektur Tengyue und die Konsolidierung des Grenzgebietes

9. Die Stadt Tengyue zur Zeit der Ära Wanli

Die Geschichte des Grenzgebietes in der späten Ming-Zeit und besonders der Ära Wanli (1573-1620) ist geprägt von den Kämpfen zwischen den verschiedenen Kleinstaaten sowie Birma und China, die auch die Sicherheit der Unterpräfektur Tengyue bedrohten. Diese werden in den fangzhi ausführlich dokumentiert, das zivile Leben in der Stadt Tengyue zu dieser Zeit findet daneben kaum Berücksichtigung. Doch verweist die Darstellung der mili-tärischen Aktivitäten zumindest indirekt auf deren Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Soldaten, die in der Region operierten, mußten dort stationiert und verpflegt werden. Die Hauptlast dieser Versorgung hatte ohne Zweifel die gesamte Präfektur Yongchang zu tragen. Andererseits stellte die Regierung Finanzmittel für die Feldzüge zur Verfügung, die in der Region des Stromschluchtenfächers zum Ankauf von Lebensmitteln usw. verwendet wurden, so daß die Anwesenheit der Truppen sich teilweise durchaus als profitabel erwies.

456 Jin Teng zhu yi shuo lüe, Zhu Huirong, S. 1130; Ding Wenjiang, Xu Xiake youji (Dian you riji) Kapitel 11

457 Liu Chunming, S. 103

Auch zusätzliche Bauprojekte, die in Zusammenhang mit der Anwesenheit des Militärs standen, wurden durchgeführt. So ließ Unterpräfekt Yu Maoxue (1587-1599 in Tengyue tätig) für den Regionalkommandanten Deng Zilong nahe der Stadt die Residenz Wanhua-guan errichten, zu der auch eine Gartenanlage gehörte, in der sich „Pavillons,Teiche, Obstgärten, Stein[formationen] befanden; es gab dort Bambus[haine], Bäume, Blumen, Vögel und Fische“.458 Der gesamte Komplex wurde im Jahr 1592 fertiggestellt.459

Die Entsendung von Palasteunuchen zum Erwerb von Edelsteinen bedeutete eine Belas-tung für die Bevölkerung. Die Eunuchen, die in die Provinzen reisten, wurden von einem großem Gefolge begleitet, das mehrere hundert Personen umfassen konnte.460 Wie die Einheimischen die Anwesenheit der kaiserlichen Abgesandten empfanden, hat Zhang Han in seiner Ballade aus der Zeit der Ära Jiajing zum Ausdruck gebracht, indem er sie mit gefährlichen Raubtieren verglich:

„Auf der Poststraße und in den staatlichen Rasthäusern gibt es viele Tiger und Panther. Sobald die kaiserlichen Aufkäufer ihre Fahnen entrollen, beginnt selbst das Gebirge zu erzittern“.461

Dabei war man in Tengyue aufgrund der geographischen Nähe zu den Herkunftsorten der edlen Steine noch am ehesten in der Lage auf Vorräte zurückzugreifen, um die geforderten Quoten zu erfüllen.

„Im 23. Jahr (1595) befahl Kaiser Shenzong, daß die Provinz Yunnan über 200 jin [ca. 100 kg] Bernstein zu liefern habe. Die Beamten in Yunnan verteilten diese Menge auf die Präfekturen, Unterpräfekturen und Kreise des westlichen Yunnan. Doch nur im Depot von Tengchong gab es etwas mehr als 20 jin.

[Dort] konnte [man das Soll] gerade noch mühsam erfüllen, die restlichen Unterpräfekturen und Kreise konnten dem Befehl nicht nachkommen. Die lokalen Beamten preßten daraufhin die Bevölkerung aus, dies führte dazu, daß Bernstein zu dieser Zeit sehr teuer war. Die einfachen Leute mußten deswegen oft ihre Familien zugrunde richteten und trotzdem konnte die Quote nicht erfüllt werden“.462

458 Wanhuaguan ji (‚Notiz zum Wanhuaguan‘) von Qi Wenchang, Präfekt von Yongchang (TYTZ, S. 287).

459 TYTZ, S. 287. Siehe auch TYTZ, S. 77: Dort wird das Datum der Fertigstellung des Wanhuaguan mit Wanli 21 (1593) angegeben. Zur Zeit der Herausgabe des TYTZ Ende des 19. Jahrhunderts existierte die Anlage nicht mehr (ebd.).

460 Tsai, S. 183

461 Zhang Han in seiner Ballade Baojing yao (TYZZ, S. 47; TYTZ, 360).

462 You Zhong, S. 421; siehe auch Zhuge Yuansheng, Dian shi (juan 13).

Die Kämpfe um die Vorherrschaft im Grenzgebiet konzentrierten sich auf die Region jenseits der Paßstationen, gelegentlich griffen die Unruhen auch auf das Gebiet von Long-chuan in der Unterpräfektur über, die Stadt Tengyue selbst war jedoch nur indirekt davon betroffen. Eine sehr viel unmittelbarere Gefahr bedeutete für die Bevölkerung die Lage der Stadt in einem Erdbebengebiet. Allein während der Ära Wanli (1573-1620) ereigneten sich in Tengyue elf Erdbeben, mit Stärken bis zu 6 ½ auf Richterskala, die Teile der Stadtmauern zum Einsturz brachten, Häuser und Tempel zerstörten, Erdrutsche auslösten, Überflutungen verursachten und zahlreiche Menschen das Leben kosteten.463 Zudem sorgten Monsunregenfälle im Herbst häufig für Hochwasser und Überschwemmungen, die die Ernten vernichteten. Die Folge dieser Naturkatastrophen waren Mißernten und Hun-gersnöte im Gebiet der Unterpräfektur.

Tabelle 12: Naturkatastrophen in Tengyue zur Zeit der Ära Wanli (1573-1620) 464

Wanli 4 (1576) Erdbeben Wanli 19 (1591) Erdbeben Wanli 5 (1577) Erdbeben Wanli 20 (1592) Mißernte

Wanli 9 (1581) Erdbeben Wanli 27 (1599) Überschwemmungen, Erdbeben Wanli 12 (1584) Mißernte Wanli 28 (1600) Überschwemmungen

Wanli 13 (1585) Erdbeben Wanli 31 (1603) Mißernte, Überschwemmungen Wanli 14 (1586) Erdbeben Wanli 36 (1608) Erdbeben

Wanli 15 (1587) Mißernte, Erdbeben Wanli 45 (1617) Erdbeben Wanli 16 (1588) Erdbeben

Naturphänomene wurden von den Chinesen als glückversprechende oder besorgnis-erregende Vorzeichen aufgefaßt, die in Beziehung zu den politischen Entwicklungen in der Region gesetzt wurden und so noch zusätzlich an Bedeutung gewannen. Die Herausgeber der fangzhi haben diese Naturereignisse entsprechend in einem eigenen Abschnitt unter dem Titel ‚Omina‘ (xiangyi) aufgezeichnet, wo sie gegebenenfalls die Geschehnisse ver-merken, die von ihnen angekündigt worden sein sollten.465

So wird zum Beispiel der Eintrag zum Erdbeben von 1577 und dem Erscheinen eines Kometen (huixing) im selben Jahr, „der den Himmel im Südwesten erhellte“ (xi’nan guang mang zhu tian) mit der Anmerkung versehen, daß die „birmanischen Banditen [aus dem Südwesten] danach das Grenzgebiet überfallen haben“ (hou Mian kou fan bian).466 1577

463 TYTZ, S. 28-29; Gu Gongxu, S. 788

464 TYTZ, S. 28-29; YCFZ, 32-33

465 TYTZ, S. 28-30; YCFZ, S. 30-34

466 TYTZ, S. 28. Im YCFZ (S. 32) heißt es in diesem Zusammenhang sogar ausdrücklich, daß die Birmanen Tengyue überfallen hätten (fan Tengyue).

war das Jahr, in dem der chinesische Kaufmann Yue Feng die Herrschaft über Longchuan übernommen und sich mit den Birmanen verbündet hatte; der gemeinsame Vorstoß ihrer Truppen hatte eine ernste Bedrohung auch für die Stadt Tengyue dargestellt.

Die sorgfältige Auflistung und Interpretation der Naturkatastrophen unterstreicht die un-ruhige Lage im Grenzgebiet während der Ära Wanli und spiegelt die Ängste der Bevöl-kerung in einer von kriegerischen Auseinandersetzungen bestimmten Zeit wider.