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Kindern wirksam unterstützen mit einer zukunftsfesten Verfassung

2 Stützung des präventiven Ansatzes im Völker- und Europarecht

Kinderrechte bilden seit jeher ein wichtiges Anliegen völkerrechtlicher Rechtsakte.

Die allgemeinen bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte stehen auch Kindern zu. Diese sind jedoch auch Träger:innen eigener Rechte, mit denen ihren spezifischen Bedürfnissen Rechnung getragen werden soll, etwa durch den Schutz des Familienlebens oder die Einräumung von Beteiligungsrech-ten.53

Ihrer Natur entsprechend sind die menschenrechtlichen Verbürgungen im inter- und supranationalen Recht abstrakt formuliert. Eine konkrete Verpflichtung zur Etab-lierung präventiver Ansätze besteht nicht, sondern die Regelungen dienen oft dazu, grundlegende und vitale Bedürfnisse von Kindern zu befriedigen, wie das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum oder das Recht auf Zugang zu Bildung. Gleich-wohl lassen sich daraus Impulse ableiten, die für eine Stärkung präventiver Ansätze sprechen. Das Grundgesetz ist durch den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit geprägt.54 Das nationale Recht ist daher so auszugestalten und auszulegen, dass inter-nationale Belange bestmöglich zur Geltung kommen.55 Völkerrecht

53 Vgl. den Überblick bei European Commission 2020, S. 96 f. und 98 ff.

54 Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit wird abgeleitet aus der Präambel sowie Art. 1 Abs. 2 GG, Reiling ZaöRV 2018, S. 316.

55 Reiling ZaöRV 2018, S. 316.

2.1 Völkerrechtliche Vorgaben

Auf völkerrechtlicher Ebene sind insbesondere die Rechtsakte der Vereinten Nationen (UN, United Nations) von Bedeutung. Mit den Sustainable Development Goals (SDG, Ziele für nachhaltige Entwicklung) haben die UN 2016 ein wichtiges „Soft Law“-Instrument vereinbart, das die Ausrichtung nationalstaatlicher Politik leitet. Für die Rechte des Kin-des ist mit der Kinderrechtskonvention ein eigener Menschenrechtsakt verabschiedet worden. Das „Soft Law“ beinhaltet im Grunde zwar unverbindliche Zielvorgaben,56 doch hat das BVerfG in einer Entscheidung zu Haftstrafen für Jugendliche darauf hingewie-sen, dass die Nichtbeachtung oder das Unterschreiten unverbindlicher völkerrechtlicher Standards mit Menschenrechtsbezug zumindest ein Indiz dafür birgt, dass grundrecht-lichen Anforderungen nicht genügt wird.57

Auch die Europäische Kommission sieht die Differenzierung zwischen „Hard Law“ und

„Soft Law“ kritisch: Trotz der fehlenden formalen Verbindlichkeit berge das „Soft Law“

Ansätze für die fortschrittliche Entwicklung des Rechts und beinhalte durchaus Rechts-setzungsgebote, zumal es in Wechselwirkung mit verbindlichen Instrumenten stehen

56 Huck / Kurkin ZaöRV 2018, S. 391 f.

57 BVerfGE 116, 69, 90 f.; dazu kritisch Reiling ZaöRV 2018, S. 313.

Kennen das Völkerrecht und das Recht der Europäischen Union die Idee der Prävention?

Präventive Ansätze sind im Völkerrecht wie auch im Unionsrecht verortet. Auch wenn nicht durchweg verbindliche Vorgaben existieren, lässt sich von den inter- und supra-nationalen Rechtsakten gleichwohl ein hohes Gewicht auf der Prävention ableiten. Vor allem der Kinderrechtskonvention kommt dabei eine große Bedeutung zu. Ein menschen-rechtsbasierter Ansatz darf sich nicht auf die Folgenbewältigung beschränken, sondern muss Prävention in den Blick nehmen. Für den Schutz von Kindern vor Gewalt empfiehlt die Europäische Kommission – wie im Kontext der Child Guarantee – ein Netzwerk staat-licher und nicht staatstaat-licher Einrichtungen mit qualifizierten Mitarbeiter:innen in aus-reichender Zahl und gesicherter Finanzierung. Dieser Ansatz lässt sich ohne Weiteres auf die Begleitung des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen übertragen.

könne. Rechtliche Verpflichtungen böten zudem nicht per se die Gewähr für ihre tat-sächliche Umsetzung – wie auch umgekehrt aus lediglich politischen Verpflichtungen hoher Handlungsdruck entstehen könne.58

2.1.1 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen

Die Sustainable Development Goals wurden als globaler Plan verabschiedet, um Frieden, Wohlstand und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die Staaten sollen nationale Entwicklungspläne aufstellen, mit denen sie Ungleichheiten und Armut reduzieren.

Das SDG 4 verpflichtet die Staaten zur Gewährleistung inklusiver, gleichberechtigter und hochwertiger Bildung und zur Förderung des lebenslangen Lernens für alle. Der besondere Wert frühkindlicher Bildung wird betont, stellt er doch die Weichen für die Erlangung der Schulreife und erweise sich damit als eine der „besten Investitionen, die eine Gesellschaft für ihre Kinder tätigen kann“.59

Das SDG 10 bezieht sich darauf, die Ungleichheit in und zwischen den Ländern zu ver-ringern. Dies umfasst nicht allein die materielle Armut, deren Verringerung Gegen-stand des Ziels 1 ist, sondern explizit auch den gleichberechtigten Zugang zu Gesund-heits- und Bildungseinrichtungen sowie anderen Gütern. Der Terminus „Ungleichheit“

bezieht sich daher sowohl auf einen globalen Kontext als auch auf die innerstaatlich ungleiche Verteilung von individuellen Chancen.60 Die Länder sollen einen universellen Ansatz verfolgen und den Bedürfnissen benachteiligter und marginalisierter Bevölke-rungsgruppen Rechnung tragen.

Die Ziele sind recht allgemein, mitunter vage formuliert, was ihrem globalen Ansatz geschuldet ist: Sie bilden einen Minimalkonsens ab, der von allen Staaten der Welt getragen und zumindest grundsätzlich umgesetzt werden kann. Dabei handelt es sich lediglich um Empfehlungen, vgl. Art. 10 UN-Charta.61 Eine der Ausprägungen des SDG 10 ist die Beseitigung von Hindernissen für soziale Mobilität.62 Wie genau diese zu

erfol-58 European Commission 2010, S. 128.

59 Vereinte Nationen 2019, S. 30.

60 Freistein / Mahlert 2017, S. 65 f.

61 Huck / Kurkin ZaöRV 2018, S. 376.

62 Freistein / Mahlert 2017, S. 66.

gen hat, geben die Vereinten Nationen nicht vor, sondern jeder Staat ist gehalten, die dafür erforderlichen Maßnahmen selbstständig zu identifizieren und nach seinen Mög-lichkeiten umzusetzen. Die Etablierung kommunaler Präventionsketten ist damit folg-lich nicht zwingend vorgegeben, stellt aber durchaus eine mögfolg-liche Umsetzungsstra-tegie dar. Kinderrechtskonv

2.1.2 Kinderrechtskonvention

Mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention, KRK) haben die Vereinten Nationen einen spezifischen Rechtsakt zur Sicherung von Kinderrechten verabschiedet. Kinder mit Behinderungen sind in Art. 4 UN-BRK

spezi-Findet sich der Präventionsgedanke in der Kinderrechtskonvention?

Die Kinderrechtskonvention (KRK) verpflichtet die Vertragsstaaten, geeignete Gesetz-gebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen zu treffen, um Kinder vor der Anwendung von Gewalt, der Zufügung von Schäden sowie vor Misshandlung, Verwahr-losung und Vernachlässigung zu schützen. Diese Maßnahmen sollen Sozialprogramme umfassen, mit denen Kindern nicht nur der Zugang zu Unterstützungsmaßnahmen, son-dern auch zu „anderen Formen der Vorbeugung“ eröffnet wird. Dies gilt zwar in erster Linie für die Vermeidung von Gewalt und Vernachlässigung. Die Kinderrechtskonvention erlegt den Vertragsstaaten aber insgesamt einen rechtebasierten Ansatz auf: Sie haben Vorbeugung also nicht nur aus der Perspektive des Wohlfahrtsstaates, sondern stets vom Kind her zu denken.

Über den Gewaltschutz hinaus gibt die KRK Prävention nicht zwingend als Ziel national-staatlicher Kinderpolitik vor, steht dem aber auch nicht entgegen. Von besonderer Bedeu-tung ist auch, dass die VerantworBedeu-tung für die Umsetzung der Kinderrechte nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch der Verwaltung zugewiesen ist, um dem Kindeswohl zu größt-möglicher Wirkung zu verhelfen. Daher müssen nicht zwingend gesetzliche Regelungen geschaffen werden, sondern es genügt, wenn die Verwaltungspraxis mit den Vorgaben der Konvention im Einklang steht und auch die Gerichtsbarkeit die Kinderrechte hinreichend würdigt. Fehlt es daran, spricht jedoch viel für die verbindliche Etablierung von Rechts-regeln, mit denen dem Kindeswohlprinzip zu Wirksamkeit verholfen wird.

fisch geschützt. Obwohl Kinder bereits nach Art. 25 Abs. 2 AEMR (Allgemeinen Erklä-rung der Menschenrechte) ein Recht auf besondere Unterstützung und Fürsorge haben, wurde die Etablierung spezifischer Rechte für notwendig gehalten, da Kinder wegen ihrer „mangelnden körperlichen und geistigen Reife“ des besonderen Schutzes und der besonderen Fürsorge bedürfen. Die UN-KRK hat einen „globalen Aufbruch für Kin-derrechte“ bewirkt: Kinder werden seither als Rechtssubjekte anerkannt, denen als Träger:innen eigener Rechte umfassende Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte zustehen.63