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Prävention als Anliegen der KRK?

2.2 Europarechtliche Vorgaben

Nach Art. 3 Abs. 3 UA 2 EUV bekämpft die Europäische Union soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz sowie – neben anderen – den Schutz der Rechte des Kindes. Art. 6 EUV stellt einen Bezug zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) sowie zur Europäischen Menschen-rechtskonvention (EMRK) her. Sämtliche Maßnahmen der Union müssen sich daher an diesen menschenrechtlichen Verbürgungen ausrichten.

Die EU kann jedoch nur in den Politikfeldern Maßnahmen ergreifen, die ihr von den Mitgliedstaaten explizit übertragen worden sind (Prinzip der begrenzten Einzelermäch-tigung, Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV). Zudem gilt das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, die Union darf nur tätig werden, wenn und soweit die mit den Maßnahmen ver-folgten Ziele von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sodass die Rechtssetzung auf europäischer Ebene geboten ist, Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 UA 1 EUV. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 4 UA 1 EUV beschränkt die Rege-lungskompetenz der EU schließlich auf das zur Erreichung der Ziele erforderliche Maß.

2.2.1 Kompetenzen der EU

Die Sozialpolitik unterliegt der geteilten Zuständigkeit zwischen Union und staaten, Art. 4 Abs. 2 lit. b AEUV. Das heißt, dass sowohl die EU als auch die Mitglied-staaten rechtssetzend tätig werden können – die MitgliedMitglied-staaten jedoch nur, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat, Art. 2 Abs. 2 AEUV. Indes sind die sozialpolitischen Kompetenzen der Union nicht universell, sondern beschrän-ken sich auf die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Politibeschrän-ken; Art. 5 Abs. 3 AEUV 83 Wapler RdJB 2019, S. 261.

räumt der Union insofern ein Initiativrecht ein. Die gemeinsame Sozialpolitik ist vor allem den Zielen des Binnenmarktes verpflichtet, soll also – entsprechend der Grün-dungsidee der EWG – vor allem die Mobilität der Arbeitnehmer:innen gewährleisten und deren Arbeitsbedingungen verbessern, vgl. Art. 151 AEUV.

Mit Bezug auf die Rechte der Kinder bietet allenfalls die in Art. 153 Abs. 1 lit. j AEUV verankerte Kompetenz der Union zur Unterstützung und Ergänzung der Politik der Mit-gliedstaaten im Kampf gegen soziale Ausgrenzung eine passende Rechtsgrundlage. Für dieses Rechtsgebiet sind harmonisierende Maßnahmen gemäß Art. 153 Abs. 2 lit. b AEUV explizit ausgeschlossen, sodass die Union den Mitgliedstaaten hier keinerlei verbindliche Vorgaben machen darf. Die Befugnis beschränkt sich auf die Förderung der Zusammen-arbeit unter den Mitgliedstaaten.84 Der Begriff der „sozialen Ausgrenzung“ ist vielfäl-tig und inhaltlich schwer zu konkretisieren. Das Politikfeld beschränkt sich nicht auf die Bekämpfung von Armut, sondern schließt die soziale Teilhabe ein, die sich auf den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen, den Zugang zu Wohnraum und sonstigen Gütern und Dienstleistungen erstreckt.85 Kinder werden in der Norm nicht explizit thematisiert.

Nach Art. 165 Abs. 1 AEUV fördert die Union die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bildungswesen; die Regelung betont zugleich die ureigene Zuständigkeit der Mitglied-staaten für die Ausgestaltung ihres Bildungssystems. Im Wesentlichen unterstützt die EU daher die unionsweite Mobilität, etwa durch die Anerkennung von Abschlüssen oder indem das Erlernen von Fremdsprachen gefördert wird.

Aufgrund dieser sehr eingeschränkten Kompetenzen bestehen keine verbindlichen europarechtlichen Vorgaben, die sich für die Etablierung verpflichtender Präventions-ketten auf kommunaler Ebene nutzbar machen ließen.

2.2.2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Lediglich Impulse für eine Stärkung präventiver Angebote zum gelingenden Aufwach-sen von Kindern und Jugendlichen lasAufwach-sen sich aus der Charta der Grundrechte der

84 Benecke in Grabitz / Hilf / Nettesheim, AEUV, Art. 153, Rn. 96.

85 Krebber in Calliess / Ruffert, AEUV, Art. 153, Rn. 14; Langer in v. d. Groeben / Schwarze, AEUV, Art. 153, Rn. 39; enger Eichenhofer in Streinz, AEUV, Art. 153, Rn. 25, der diese Norm vor allem im Kontext der Existenzsicherung versteht.

Europäischen Union (GRC) entnehmen. Die GRC ist nach Art. 6 Abs. 1 EUV Bestandteil des Primär rechts. Als solches steht sie im Rang über allen Sekundärrechtsakten (Verordnun-gen und Richtlinien) der EU86 wie auch über dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.

Werden die aus der GRC resultierenden Verpflichtungen nicht umgesetzt, kann die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) gegen den betreffenden Mitgliedstaat einleiten.

Kinderrechte werden in Art. 24 GRC thematisiert. Danach haben Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Abs. 1). Dem Kindeswohl wird eine vorrangige Bedeutung bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen und privater Einrichtungen zugewiesen (Abs. 2). Dies meint öffent-liche und private Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichte, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgane, Art. 3 Abs. 1 GRC.

Die GRC gibt eine Grundausrichtung für die mitgliedstaatliche Familienpolitik vor, wel-che die Kinderrechte und das Wohlergehen der Kinder gewährleisten muss. Auch die europäischen Politiken, die Kinder mittelbar betreffen, sind dem Kindeswohl verpflich-tet.87 Aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit lassen sich aus der GRC aber keine konkreten Vorgaben und Gebote zur Ausgestaltung des nationalen Rechts oder der Ver-waltungsorganisation und -aufgaben ableiten. Der Gehalt der Norm wird daher auch als „schillernd“ beschrieben.88 Überdies ist die Verpflichtung auf das Kindeswohl unbe-stimmt, weil dieser Begriff sich einer positiven Definition weitgehend entzieht.

2.2.3 Europäisches „Soft Law“

Aufgrund der erheblichen Beschränkung einer verbindlichen, präventiv wirkenden europäischen Kinder- und Jugendpolitik hat bzw. wird die Union mit der Child Guarantee und der Youth Guarantee unverbindliche Rechtsakte erlassen.89 Diese dienen dazu, mit der sogenannten Offenen Methode der Koordinierung die Politiken der Mitgliedstaaten an gleichen Zielen auszurichten und durch einen regelmäßigen Berichts- und

Empfeh-86 Diese müssen im Lichte der GRC ausgelegt werden, EuGH, 27.6.2006, Rs. C-540/03 (Parlament / Rat), Rn. 58;

23.12.2009, Rs. C-403/09 PPU (Detiček), Rn. 53 f.; 6.12.2012, Rs. C-356/11 (Maahanmuuttovirasto), Rn. 76.

87 European Commission 2020, S. 93.

88 Hölscheidt in Meyer / Hölscheidt 2019, Art. 24, Rn. 15.

89 European Commission 2020, S. 94.

lungszyklus aufeinander abzustimmen und durch das Aufzeigen von Best Practices aus den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, voneinander zu lernen.