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Die zuständige oberste Landesbehörde und das Bundesministerium für Arbeit und Sozi-ales bilden nach § 18b Abs. 1 SGB II einen Kooperationsausschuss. Dies ist erforderlich, um angesichts der mit der geteilten Zuständigkeit einhergehenden unterschiedlichen

433 Wendtland in Gagel, SGB II, § 44b, Rn. 19.

434 Wendtland in Gagel, SGB II, § 44b, Rn. 29.

435 Mushoff in BeckOK SozR, SGB II, § 44b, Rn. 11b.

436 Weißenberger in Eicher / Luik, SGB II, § 44b, Rn. 27; Herbst in jurisPK-SGB II, § 44b, Rn. 109.

437 BT-Drs. 17/1555, S. 24; Luik in Gagel, SGB II, § 6, Rn. 45; Wendtland in Gagel, SGB II, § 44b, Rn. 44.

Fach- und Rechtsaufsichten eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.438 Der Kooperationsausschuss ist insbesondere vor der Ausübung des Weisungsrechts nach § 44b Abs. 3 S. 2 SGB II anzuhören, sofern die Weisungen eine Angelegenheit von besonderer Bedeutung betreffen. Ob dies der Fall ist, richtet sich danach, ob sie die Interessen beider involvierten Träger berührt, ungeachtet der Zahl der Leistungs-berechtigten, die davon betroffen sind.439 Der Kooperationsausschuss darf jedoch ledig-lich Empfehlungen abgeben, trifft also keine verbindledig-lichen Anordnungen gegenüber den Trägern.

5.3.3 Anforderungen an die Ausgestaltung eines Art. 91f GG

Der Wortlaut des Art. 91e Abs. 1 GG könnte nahezu deckungsgleich in einem neu zu schaf-fenden Art. 91f Abs. 1 GG übernommen werden. Der sachliche Geltungsbereich der Rege-lung ist präzise zu formulieren, nicht zuletzt, um dem Gebot der Normenklarheit und der Transparenz der Zuständigkeiten zu genügen. Der Begriff des gelingenden Aufwachsens ist insofern aufgrund seiner Interpretationsoffenheit wenig aussagekräftig, sondern es wäre nach einem griffigen Rechtsbegriff zu suchen, der den Zweck der Präventionsketten untermauert, nämlich die Sicherstellung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Eine erste Basis bildet folgender Vorschlag:

„Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet des integriert-präventiven kommu-nalen Fallmanagements entlang des Lebensverlaufes von Kindern und Jugendlichen440 wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.“

Durch die Einbeziehung der nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeinde-verbänden wird den Ländern Gestaltungsspielraum zugestanden. Sie können entschei-den, ob sie die Präventionsketten selbst ausführen oder die Zuständigkeit durch Lan-desrecht anderen Trägern übertragen.

438 Altmann in BeckOK SozR, SGB II, § 6, Rn. 4.

439 Mushoff in BeckOK SozR, SGB II, § 44b, Rn. 10; Herbst in jurisPK-SGB II, § 44b, Rn. 100; Weißenberger in Eicher / Luik, SGB II, § 44b, Rn. 24 nennt etwa die Einführung neuer IT-Verfahren als Beispiel.

440 Anstelle der Formulierung des „integriert-präventiven kommunalen Fallmanagements entlang des Lebensverlaufes von Kindern und Jugendlichen“ kann die in dem die verfassungsrechtliche Ermächtigung ausführenden Bundesgesetz zu findende Bezeichnung für die mit den Präventionsketten erbrachte Leistung verwendet werden.

Die in Art. 91e Abs. 1 GG für die Grundsicherung vorgesehene Beschränkung des Zusam-menwirkens auf den „Regelfall“ erübrigt sich, da für die Präventionsketten keine kom-munale Trägerschaft nach dem Vorbild der Optionskommunen geschaffen werden soll.

Art. 91e Abs. 3 GG kann wortgleich übernommen werden: „Das Nähere regelt ein Bundes-gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“

Eine solche weite Fassung würde dem Bund einerseits einen weitreichenden Spielraum beim Vollzug der von Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG gedeckten Präventionsketten verschaffen.441 Zugleich sichert das Zustimmungserfordernis im Bundesrat den Ländern die hinrei-chende Berücksichtigung ihrer Interessen.442 Damit keine Kompetenzkonflikte im Hin-blick auf die weiterhin den Ländern zugeordneten Kompetenzen für Bildung oder das Gesundheitswesen entstehen, sollte dem Bund ausdrücklich die Möglichkeit der punk-tuellen Intervention eingeräumt werden. Diese ergäbe sich zwar implizit kraft Sach-zusammenhangs; eine explizite Regelung könnte jedoch von vornherein für entspre-chende Klarheit sorgen. So ließen sich neue Schnittstellenprobleme vermeiden und der Gesetzgeber könnte durch Bundesrecht die Rolle der neu einzurichtenden Präventions-behörden stärken. Ein Art. 91f Satz 2 GG könnte daher um folgenden Halbsatz ergänzt werden: „; dies schließt punktuelle Regelungen für das Bildungswesen und das Gesundheits-wesen ein, die kraft Sachzusammenhangs erforderlich sind.“ Errichtung

5.4 Zulässigkeit bundesrechtlich verankerter Präventionsketten im Lichte der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2 GG

Aufgrund der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG können die Gemeinden und Gemeindeverbände nach derzeitiger Rechtslage den Präventionsbegriff und die mit der Präventionskette verfolgten Ziele eigenständig definieren und – etwa in einer Sat-zung – mit Verbindlichkeit ausstatten.443 Die von den Kommunen als örtliche Sozial-leistungsträger erbrachten Leistungen sind wesentlicher Bestandteil der kommunalen

441 BVerfGE 137, 108, 160 zu Art. 91e Abs. 3 GG.

442 Volkmann / Kaufhold in v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 91e, Rn. 29 zum Regelungsauftrag des Art. 91e Abs.

3 GG.

443 Bogumil / Seuberlich 2017, S. 15 und 17.

Daseinsvorsorge, welche die Kommunen nach Art. 28 Abs. 2 GG in eigener Verantwor-tung wahrnehmen.444 Zwar sind ihnen neben der Sozialhilfe die Ausführung der Gesetze zur Kindertagesbetreuung, Schule (Schulträger und Ganztagsbetreuung), zu Öffent-lichen Gesundheitsdiensten sowie die Kinder- und Jugendhilfe als Pflichtaufgabe zuge-wiesen. Das von den Präventionsketten umfasste zusätzliche Spektrum ist dagegen bis-lang den freiwilligen Aufgaben der Kommunen zuzuordnen.445

Mit einer verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtung zur Einrichtung von Präven-tionsketten in Mischverwaltung zwischen Bund und Kommunen würde die Eigenver-antwortung der Gemeinden und Gemeindeverbände tangiert.446 Die Garantie der kom-munalen Selbstverwaltung unterliegt jedoch nicht der Ewigkeitsgarantie des Art.  79 Abs. 3 GG,447 sodass Einschränkungen der Selbstverwaltungsgarantie in der Verfassung

444 Bogumil / Seuberlich 2015, S. 12.

445 Rixen 2019b, S. i.

446 Zum Verhältnis zwischen Mischverwaltung und Selbstverwaltungsgarantie vgl. BVerfGE 119, 331, 364; Burgi DVBl 2007, S. 78; Henneke Der Landkreis 2010, S. 377; kritisch Cornils ZG 2008, S. 204.

447 Hellermann in BeckOK GG, Art. 28, Rn. 29.

Ist die Errichtung kommunaler Präventionsketten mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vereinbar?

Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden sind zulässig, wenn es die Verfas-sung erlaubt. Ein neu zu schaffender Art. 91f GG bildet dafür eine erste Voraussetzung.

Dem müsste eine dem Art. 91e Abs. 3 GG vergleichbare Regelung folgen, wonach dem Bund „das Nähere“ zur Regelung aufgegeben wird. Analog zum SGB II wäre hier voraus-sichtlich das SGB VIII der richtige Ort. Damit würden zugleich ein Gesetzgebungsauftrag und eine entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet.

Wird der Aufbau von Präventionsketten kraft Verfassung vorgegeben und durch Bundes-gesetz ausgestaltet, steht es den Gemeinden und Gemeindeverbänden nicht frei, davon abzusehen. Freilich wirkt sich die Freiheit zur eigenverantwortlichen organisatorischen Ausgestaltung durch die Kommunen erheblich auf Inhalt, Gewicht und Qualität der Auf-gabenerledigung aus. Die beabsichtigte Wirkung der Präventionsketten muss in dieser gesetzlichen Konstruktion an anderer Stelle kritisch geprüft werden.

selbst möglich sind. Art. 28 Abs. 2 GG adressiert unmittelbar nur die Länder. Ihnen ist die Gesetzgebungszuständigkeit für das Kommunalrecht eingeräumt, zu dem alle Vor-gaben zählen, die die Rechtsstellung, Organisation, AufVor-gaben und Handlungsformen der kommunalen Körperschaften betreffen.448 Jedoch ist auch der Bund verpflichtet, die durch die Selbstverwaltungsgarantie gesetzten Grenzen einzuhalten,449 wenn er den neu zu schaffenden Art. 91f GG durch ein Bundesgesetz ausgestaltet.

5.4.1 Gehalt der kommunalen Selbstverwaltung

Nach Art.  28 Abs. 2 S. 1 GG muss den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Ver-antwortung zu regeln. Es handelt sich dabei nicht um ein Grundrecht der Kommunen, sondern um eine institutionelle Garantie, mit der einerseits die Gemeinden als Rechts-subjekte und andererseits die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung im eigenen Wir-kungskreis objektiv gewährleistet sind. 450 Darüber hinaus vermittelt Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden jedoch kein Recht auf Abwehr jedweder Belastungen, die etwa mit ihrer Inpflichtnahme durch die Übertragung staatlicher Aufgaben einhergehen.451