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11. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse

11.3 SpielerInprofil

In dieser Unterkategorie, in der alle ExpertInnen einen für sie „typischen“ jungen pathologischen Glücksspieler charakterisiert haben, werden zuerst alle vier Vorstellungen der InterviewpartnerInnen einzeln präsentiert.

Interviewpartnerin 1:

„... er hat etliche Probleme, Schulden, familiäre Probleme, vielleicht keinen Beruf, vielleicht auch rechtliche Probleme…“ (IP1, Zeile 369-370). „Mit Geld können sie nicht umgehen, sich die Freizeit zu gestalten haben sie auch nicht gelernt, Freunde haben sie vielleicht nie gehabt oder verloren durch das Spiel…“ (IP1, Zeile 380-381). „Egal, was

73 ist, ist er guter Laune, ist er schlechter Laune (…) ist er traurig, er geht spielen…“ (IP1, Zeile 420-423)

Interviewpartner 2:

„… mehrheitlich männlich, (…) ein deutlich erhöhter Migrationshintergrund, was ich mir dadurch erkläre, dass Materialismus und Statusstreben einfach für Einwanderer, und sei es der zweiten oder dritten Generation, ein wichtiges Motiv ist (…) vor allem Dinge, die man nach außen zeigen kann irgendwie, im Gegensatz zu einer Wohnung, ein Auto, eine tolle Uhr, Markenkleidung usw. sind erstrebenswert um wirtschaftlichen Aufstieg auch anderen zu signalisieren (…) die eben auch eine Peergroup haben, die Kontakt zum Spielen hat, also wir haben dann auch immer wieder ältere Geschwister, die auch spielsüchtig sind und die schon mal Therapie gemacht haben (…) dann eben instabiler Selbstwert, soziale Randposition, mangelnde Zukunftsperspektive, soziale Perspektive fehlt oder ist nicht ausreichend gegenüber erhöhten Ansprüchen, die man an sich hat bezüglich Statusstreben“ (IP2, Zeile 229-261).

Interviewpartnerin 3:

„Ein bisschen unruhig, zappelig, das wären einmal so die Außenmerkmale (…) also, so ein bisschen ungeduldig, das ist auch so ein bisschen ein Merkmal. Also, gerade wenn sie dann zu mir kommen, sind sie dann natürlich auch ein bisschen fahrig und ein bisschen genervt von der ganzen Situation (…) aber das ist natürlich auch eine spezielle Situation, wie man so schön sagt. Aber eher das Ungeduldige und nicht erwarten können und schon das Nächste sollte passieren, also das ist halt das Auffällige eigentlich (…) und das andere vielleicht noch, das ist natürlich das, was eher bei uns auf der Station auffällt, dass sie schon auch immer wiederum versuchen so gewisse Regeln auch bisschen zu umschiffen, ich sag es jetzt einmal so, oder auszureizen, also: wie weit kann ich gehen (…) immer wieder schauen, wie weit, also, da kommt so das spielerische Momentum dazu.“ (IP3, Zeile 170-193)

Interviewpartnerin 4:

„Naja, ich erlebe es eben so, dass (…) sie wirklich oft eine auffallende depressive Grundstruktur haben. Dass eine Depression eigentlich im Vordergrund wäre oder

74 Überforderung und/oder (…) schlechtes soziales Netz. Wo sie da einfach die Erfüllung sozusagen finden, Stückchen Ruhe, Gelassenheit. Kommunikation ist nicht wirklich so viel notwendig. Vielleicht auch keine Freundin haben. Eher so in dieser Kategorie, würde ich einmal sagen.“ (IP4, Zeile 111-117)

Wie man an diesen Aussagen erkennen kann, betonen die InterviewpartnerInnen, dass es multiple Problemlagen sind, die die Süchtigen auszeichnen. Diese beinhalten finanzielle Probleme, familiäre Probleme, berufliche Probleme, rechtliche Probleme und, damit verbunden, psychische Probleme.

11.3.2 Pathologische SpielerInnen – GelegenheitsspielerInnen

Nicht jede Person, die spielt, wird süchtig. Darin sind sich alle befragten ExpertInnen einig.

Interviewpartner 2 etwa denkt, dass GelegenheitsspielerInnen es immer wieder schaffen, aufzuhören, während der/die pathologische SpielerIn, wie schon erwähnt, nicht aufhören will und immer wieder nach diesem Glücksgefühl strebt. Diese GelegenheitsspielerInnen verfügen seiner Meinung nach über mehr Ressourcen, haben mehr Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, erfahren mehr Unterstützung und haben auch eine berufliche Perspektive. Dies alles steht im Gegensatz zu den meisten pathologischen SpielerInnen.

„Wenn man es mit Alkohol vergleichen will, kann man sagen: manche vertragen den Alkohol gut, manche vertragen ihn schlechter und die, die ihn schlechter vertragen, haben ein Glück. Die werden sich schwer tun ein gescheites Alkoholproblem zu entwickeln und so ein bisschen ist es halt auch, so wie man halt ein bisschen anspricht auf Glücksspiel.“

(IP3, Zeile 205-210)

An dieser Aussage lässt sich schon erkennen, dass Interviewpartnerin 3 bei diesem Vergleich vor allem auf das persönliche Ansprechen auf verschiedene Suchtmittel hinaus will. Die Expertin spricht davon, dass das Spielen bei einigen Personen eine innere

75 Zufriedenheit auslöst, während andere nach einiger Zeit z.B. von Automaten völlig genervt sind und wieder aufhören zu spielen.

Interviewpartnerin 4 hat keine richtige Erklärung dafür, zeigt aber die Unterschiede zwischen diesen beiden „Spielertypen“ auf. Sie spricht davon, dass ein/e GelegenheitsspielerIn sagen kann: „Ich verspiele 20 Euro und keinen Cent mehr.“ Der/die pathologische SpielerIn hingegen verspielt die 20 Euro und wirft die nächsten 20 Euro in den Automaten.

11.3.3 Problematiken und Auswirkungen

Die Auswirkungen und Probleme eines pathologischen Glücksspielverhaltens können im Jugendalter anders gesehen oder beschrieben werden als im Erwachsenenalter.

Interviewpartnerin 1 sieht die Sache so, dass bei Jugendlichen die Probleme vielleicht schneller entstehen und die Folgen gravierend für das ganze Leben sind. Denn wenn Jugendliche die Ausbildung abbrechen, ist das ein enormer Tiefpunkt, während Erwachsene sich bis zum Zeitpunkt der Sucht schon etwas aufgebaut haben, in Form von Verschuldungen aber trotzdem auch erhebliche Auswirkungen auf sich zukommen lassen.

Interviewpartner 2 gibt zur Beantwortung dieser Frage einen kurzen Einblick in die Neuropsychologie und Neuroanatomie. Laut seinen Aussagen entwickelt der Mensch seinen Frontallappen bis zum 22. Lebensjahr. Dieser Lappen ist für unsere Impulskontrolle und Handlungssteuerung von großer Bedeutung. Das bedeutet für Jugendliche und junge Erwachsene, dass während des „Spielereignisses“ viel Energie, viel Emotion und vor allem viele Hormone vorherrschen, der Bremsmechanismus im Sinne von Verhaltenskontrolle aber noch nicht zu 100% ausgeprägt ist und deshalb bei den jungen Betroffenen die stärkere Tendenz zum Weiterspielen vorherrscht als die Tendenz zur Reduktion. Ein weiteres Problem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sieht Interviewpartner 2, wenn er die Wett- und Glücksspielsucht mit der Alkoholabhängigkeit vergleicht. Er spricht davon, dass es sehr viele Menschen gibt und schon immer gegeben hat, die in ihrer Jugendzeit vor allem an Wochenenden erhöhten Alkoholkonsum betreiben bzw. betrieben haben. Ohne dass dabei eine Alkoholabhängigkeit entsteht, regelt sich im Laufe der Zeit dieser Alkoholkonsum wieder

76 durch verschiedene Aspekte wie Familie, Kinder oder Beruf und die meisten Erwachsenen können im Nachhinein mit einem Schmunzeln im Gesicht darüber berichten, wie sie sich damals die „Hörner abgestoßen“ haben. Dies ist aber nur möglich, weil die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit Jahre dauert. Und genau das ist der springende Punkt und das Problem der Spielsucht: Glücksspielabhängigkeit ist schneller verlaufend und kann ohne weiteres in einem Jahr entstehen.

Interviewpartnerin 3 will nicht sagen, ob die Auswirkungen und Problematiken im Jugendalter schlimmer als im Erwachsenenalter sind. Sie spricht aber davon, dass Jugendliche und junge Erwachsene ziemlich unter Druck stehen, da zusätzlich zum Problem des pathologischen Glücksspielverhaltens auch noch der Stress mit den Eltern hinzukommt. Denn oftmals werden die verursachten Schulden von den Eltern bezahlt und somit steigt der Druck für die betroffenen Jugendlichen noch mehr, sich vor den Eltern beweisen zu müssen.

Interviewpartner 4 ist auch der Meinung, dass es sehr wohl Unterschiede zwischen Glücksspielsucht im Jugend- und im Erwachsenenalter gibt. Dies begründet sie damit, dass ein junger Mensch sich „noch nicht viel aufgebaut hat“ und er, sollte er sehr früh Schulden haben, sich weder Wohnung noch Auto leisten kann. Solche Jugendliche haben einen sehr schlechten Start ins Leben. Die Auswirkungen können sich laut Interviewpartnerin 4 aber in jungen Jahren in Grenzen halten, weil im besten Fall die Eltern eingreifen und zum Beispiel die Bankomatkarte kontrollieren.

11.3.4 OnlinespielerInnen vs. OfflinespielerInnen

Heutzutage gibt es immer mehr Menschen, die online Glücksspiel betreiben. Besonders gefährdet bei diesen Angeboten ist vor allem die Zielgruppe dieser Arbeit, also Jugendliche und junge Erwachsene, da diese Generation mit Computer, Smartphone oder Tablet online sehr präsent ist.

OnlinespielerInnen:

Interviewpartner 2 verbindet mit dem/der „klassischen“ OnlinespielerIn einen depressiven, ängstlichen Typus. Diese jungen Menschen meiden die soziale Bühne und den sozialen Kontakt und empfinden Online-Glücksspielangebote als sehr angenehm,

77 weil sie in ihrem „sicheren“ Zuhause ihrem „Hobby“ nachgehen können und dabei nicht beobachtet werden. Interviewpartnerin 1 sieht das ähnlich. Sie bezeichnet vor allem die Gemütlichkeit bei Onlineglücksspielen als problematisch, denn die Jugendlichen müssen nicht einmal das Haus verlassen oder sich anziehen. Sie spielen zum Beispiel bequem auf der Couch, während der Fernseher läuft.

OfflinespielerInnen:

Interviewpartner 2 sieht in dem/der OfflinespielerIn das genaue Gegenteil zum/zur OnlinespielerIn. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind in seinen Augen auf der Suche nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, wollen im Mittelpunkt stehen und suchen deshalb die soziale Plattform.

Interviewpartnerin 1 sagt abschließend noch zu diesem Thema, dass immer mehr Betroffene Glücksspiel online betreiben. Im Jahr 2003 haben ihren Angaben zufolge 1%

ihrer KlientInnen online gespielt, im Jahr 2015 waren es 48%.

Die Interviewpartnerinnen 3 und 4 können in diesem Fall leider nichts beitragen, da sie bis jetzt kaum bis gar nicht mit Online-SpielerInnen zu tun hatten.

11.3.5 Geschlechtervergleich

In allen vier Interviews vertraten die ExpertInnen die Meinung, dass bei Wett- und Glücksspielsüchtigen der männliche Anteil höher ist.

Interviewpartnerin 1 sagt aber auch, dass früher noch weniger Frauen gespielt haben bzw.

weniger Frauen Hilfe in Anspruch genommen haben. Waren es zu Beginn ihrer Einrichtung 5%, so sind aktuell 17% aller Hilfesuchenden in ihrer Einrichtung Frauen.

Interviewpartner 2 berichtet, dass er zwischen 80% und 90% männliche Patienten in Behandlung hat. In Bezug auf die Zielgruppe dieser Arbeit sieht er aber einen noch größeren Unterschied. Laut ihm fangen Männer früher zu spielen und vor allem zu wetten an als Frauen. Frauen spielen häufiger an Automaten, wo es mehr um die Zufallswahrscheinlichkeit geht. Männer und vor allem männliche Jugendliche erliegen ganz oft der Illusion eines Kompetenzanteils bei Sportwetten. Deshalb sind für männliche Jugendliche vor allem Sportwetten so interessant. Sie beschäftigen sich womöglich schon

78 viele Jahre mit einer Sportart oder üben diese vielleicht selbst aus und glauben, durch ihre Erfahrung in dieser Sportart mögliche Gewinne ihrem eigenen Fachwissen zuschreiben zu können. Dass aber Gewinne auch bei Sportwetten durch Zufallswahrscheinlichkeit erzielt werden, vergessen sie häufig im Falle eines Geldgewinns. Die männlichen Jugendlichen sind von sich selbst und dieser Kompetenz so überzeugt, dass sie auf immer mehr Spiele und Sportarten wetten.

Interviewpartnerin 3 spricht von 18% Frauen, die im letzten Jahr professionelle Hilfe in ihrer Einrichtung in Anspruch genommen haben. Die Expertin nennt dafür zwei Gründe.

Erstens haben Frauen noch immer ein stärkeres Schamgefühl, wohingegen Männer mittlerweile die Spielsucht leichter bekennen und etwas dagegen tun wollen. Zweitens meint Interviewpartnerin 2, dass dieses „Hasardieren und dieses Risikoeingehen“ etwas typisches Männliches ist. Außerdem sagt sie, dass vor allem die Lokalitäten, in denen junge Burschen etwa Sportereignisse gemeinsam anschauen, etwas an sich haben, was junge Frauen kaum anzieht. So erzählt sie als Beispiel von einer Klientin, die zwar pathologisches Glücksspielverhalten aufwies, aber noch nie in einem Wett- oder Automatenlokal war. Sie war eine reine Casinospielerin, da dies für sie ein komplett anderes Flair war, das sie mehr angezogen hat.

Interviewpartnerin 4 ist die einzige der ExpertInnen, welche derThese, dass von Spielsucht vorwiegend Männer betroffen sind, nicht zu 100% zustimmt. Sie meint, dass es sehr wohl auch sehr viel Frauen gibt, die pathologisches Glücksspiel betreiben, diese aber nur ganz selten professionelle Hilfe aufsuchen. Sie hört immer wieder von betroffenen Männern, dass auch sehr viele Frauen spielen. Die Tatsache, dass aber sehr wenige Frauen den Weg zu einer Beratung finden, erklärt sie sich damit, dass die Scham, Geld verspielt zu haben, noch immens größer ist als bei Männern. Diese Expertin kennt ihren Angaben zufolge keine einzige weibliche Jugendliche, welche sie schon einmal in Sachen Glücksspiel beraten hat.

Betrachtet man nun die Aussagen der ExpertInnen etwas genauer, komme ich zu der Meinung, dass der Geschlechterunterschied beim Glücksspiel nicht so groß ist. Denn von den ExpertInnen wird davon ausgegangen, dass Frauen kaum Beratungsstellen in Anspruch nehmen. Trotzdem sind 17%-18% der KlientInnen Frauen. Die Spielsucht der Frauen scheint augenscheinlich unsichtbarer zu sein.

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11.3.5 Rolle der Eltern

Während der Suchtphase spielen speziell bei jungen Menschen die Eltern eine große Rolle, sowohl eine positive als auch eine negative.

Interviewpartnerin 1 meint generell, dass Eltern das Problem der Wett- und/oder Glücksspielsucht erst viel später merken, als es begonnen hat. Laut ihr sehen die Eltern es am Anfang nicht, weil ihr Kind zunächst vielleicht nur sein Taschengeld verspielt, dann gewinnt es mal wieder und hat wieder Geld zum Spielen. Doch früher oder später wird das Problem sichtbar. Hier erzählt die Expertin von Fällen, wo Kinder oder Jugendliche bei Onlinespielen die Kreditkarte der Eltern verwenden und somit die Eltern mit verschulden. Andere Beispiele von ihr sind etwa, dass Kinder die Münzsammlungen der Eltern oder Großeltern stehlen, oder auch, dass Jugendliche den Fernseher ihrer Eltern verkaufen. Trotz all der Umstände wollen viele Eltern ihre Kinder so lange wie möglich schützen und reden die Situation schön, obwohl schon „Feuer am Dach“ ist. Die Eltern stehen in den Augen der Expertin unter enormem Druck, weil sie eine Balance zwischen helfen und schützen finden wollen.

Interviewpartner 2 spricht davon, dass die Eltern oftmals den ersten Schritt machen und ihrem Kind eine Therapie oder Behandlung ans Herz legen. Bis es aber so weit kommt, sind die Eltern häufig co-abhängig, das heißt, sie machen den finanziellen Schaden wieder gut (oder zumindest annähernd).

Interviewpartnerin 3 schlägt in dieselbe Kerbe und spricht auch von Erfahrungen, bei denen Eltern die Schulden ihrer Kinder abbezahlt haben. Dass sie aber dadurch den Druck auf ihre Kinder noch mehr erhöhen, bedenken sie in den meisten Fällen leider nicht.

Interviewpartnerin 4 pflichtet dieser Aussage bei und nimmt die Eltern in diesem Zusammenhang in die Pflicht, da zum Beispiel das Ausgleichen der Schulden ihrer Meinung nach der falsche Ansatz der Eltern ist. Außerdem haben die Eltern oder Verwandten laut Interviewpartnerin 4 oftmals das Problem, nicht mehr nah genug an den/die Jugendliche/n heran zu kommen, da diese/r immer depressiver wird und sich dadurch immer mehr zurückzieht.

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