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61 Die für die spanischen Juden bedrohlichste Initiative kam 1941 - auf dem

Spanien und die Juden von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Bürgerkriegs

61 Die für die spanischen Juden bedrohlichste Initiative kam 1941 - auf dem

Höhepunkt der deutsch-spanischen Freundschaft - von der politischen Poli-zei Direccion General de Seguridad. Am 5. Mai forderte sie die Zivil-gouverneure der Provinzen auf, ihr Berichte über alle in Spanien lebenden Juden zuzuschicken. Dem Schreiben lag ein Vordruck bei. Demnach sollten die persönliche und die gesellschaftliche Position, die Einkünfte, wirt-schaftliche Aktivitäten, der «Grad der Gefährlichkeit» und ihre politische Einstellung ermittelt werden. Als Grund für die Einrichtung der Kartei nannte man, dass die Juden womöglich der Politik des «Nuevo Estado» im Wege stehen könnten. Besonders zu beachten seien die Sepharden, da sie wegen der Nähe zu den Spaniern am schlechtesten zu erkennen seien. Im Nationalarchiv in Madrid sind einige der Karteikarten überliefert, die bis 1944 reichen. Es fällt auf, dass sie keinen der prominenten Madrider Juden betreffen.72

Die Kartei scheint keine praktischen Auswirkungen gehabt zu haben; ja wir wissen nicht einmal, ob die Initiative von der Regierung oder von Be-amten der politischen Polizei ausging und in welchem Ausmaß die Zivil-gouverneure der Aufforderung folgten. Für den Fall einer deutschen Beset-zung Spaniens aber - und darin liegt die potentielle Gefahr, die von der Kartei für die spanischen Juden ausging - hätte die Erfassung eine Deportation der Juden erheblich erleichtert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in begrenztem Umfang eine rechtliche Diskriminierung der Juden gab. Ideologisch spielte der Antise-mitismus keine große Rolle. Manuel Ramirez hat die wichtigsten Zeit-schriften des Franquismus während des Weltkriegs untersucht und in keiner von ihnen den Antisemitismus als zentralen Teil der dort vermittelten Welt-anschauung festgestellt.73 Die Deutsche Botschaft berichtete im November 1942:

Noch heute sind semitophile Persönlichkeiten von entscheidenden Stellungen nicht ausgeschlossen. Dies trifft selbst für die Falange zu. [...] Ein Zugeständnis wurde spanischerseits nur insofern gemacht, als der Propaganda gegen die ausländischen Ju-den weitgehend Raum gegeben wurde [...].74

Die «Rasse» war auch für die Mitgliedschaft in der Falange unerheblich. Als im Februar 1942 vom Generalsekretär der Partei die Überprüfung aller Falan-gisten angeordnet wurde, enthielten seine Richtlinien keinerlei Kriterien zum Ausschluß bestimmter «Rassen». Auch später gab es keine entsprechenden Maßnahmen. Im Gegenteil: Unter den Chuetas Mallorcas, eine bis zum

72 Israel Garzon, Jacobo: El Archivo Judaico del Franquismo. In: Raices (Madrid) 33 (Winter 1997/98), S. 57-60, S. 58f.

73 Ramirez, Manuel, et al.: Lasfiientes ideologicas de un Regimen (Espana 1939-1945).

Zaragoza 1978, passim.

74 PA AA, R 99403: Deutsche Botschaft Madrid an AA Berlin, 10. Nov. 1942.

19. Jahrhundert ausgegrenzte Gruppe von Nachfahren konvertierter Juden, hatte die Falange nicht wenige Mitglieder, wie es ihrer sozio-ökonomischen Position als kleine und mittlere Kaufleute entsprach. Weder hatten die Chuetas besondere Vorbehalte gegenüber der Falange noch umgekehrt die Partei gegenüber den ehemals Diskriminierten.75

Immerhin gab es nach dem Sieg im Bürgerkrieg einige wenige klar anti-jüdische Äußerungen Francos. Am 19. Mai 1939 sprach er vom «anti-jüdischen

Geist, der das Bündnis zwischen Großkapital und Marxismus» ermöglicht habe.76 Eine ähnliche Gleichsetzung von «Kapital», «Judentum» und «Mar-xismus» nahm Franco am 4. März 1943 in Huelva vor.77 Am 12. April 1943 schrieb Franco vertraulich an Papst Pius XII., dass «das internationale Freimaurertum und das Judentum hinter den Kulissen ihren Verbündeten die Umsetzung eines Programmes des Hasses gegen unsere katholische Zivilisa-tion auferlegen. Europa ist darin das Hauptziel, da sie es als Bollwerk unseres Glaubens ansehen.»78 Und am 3. Dezember 1943 erklärte Franco dem deut-schen Botschafter Dieckhoff, dass der Kampf gegen Juden und Freimaurer dem gegen Bolschewismus und Kommunismus gleichgestellt sei.79 Zwar fin-det man solche Formulierungen auch in der NS-Propaganda, aber bei Franco fehlte jeglicher Bezug auf Rassetheorien. Diesen gibt es nur in Francos An-sprache von Silvester 1939, in der er von Rassen, die durch Habgier charakte-risiert seien, redete. Er fuhr fort:

Wir, die wir uns durch die Gnade Gottes und die klare Vorhersehung der Katholischen Könige vor Jahrhunderten von dieser schweren Last befreit haben, können angesichts der neuen Blüte von Habgier und Egoismus derer, die mit ihren Vermögen so verwach-sen sind, dass sie lieber ihre Kinder opfern als ihre trüben Interesverwach-sen, nicht gleichgül-tig bleiben.80

Dies sind aber bereits alle antijüdischen Äußerungen Francos aus dem Zwei-ten Weltkrieg, die uns bekannt sind. Sicher war er gegen Juden eingestellt. Es bleibt aber ein Unterschied zum radikalen Antisemitismus, der für die natio-nalsozialistische Ideologie zentral war. Franco war weniger radikal in seinen Worten und er sprach viel seltener über bzw. gegen Juden als seine deutschen Verbündeten. Opportunistische Gründe der Anbiederung an die Alliierten sind wenig wahrscheinlich, glaubte Franco doch bis zur Ardennen-Offensive

75 Velarde Fuertes, S. 16f.

76 Vazquez Montalbän, Demonios, S. 133. Auch Rodriguez Puertolas, Julio: Literatura fascista espanola. 2 Bde. Torrejon de Ardoz 1986/87, Bd. I, S. 339, bringt dieses Zitat.

77 Rodriguez Puertolas, Bd. I, S. 339.

78 AMAE, Politica Exterior, R 1371/3C. Vgl. auch Tusell/Garcia Queipo de Llano, S. 185.

79 Lisbona, S. 109.

80 Marquina/Ospina, S. 145. Marquina/Ospina berichten unter Berufung auf britische Akten, dass Teile der Rede von den Deutschen entworfen worden seien.

63 an den deutschen «Endsieg».81 Hauptfeind Francos waren neben den Kom-munisten die Freimaurer.82 Auch wenn er sie oft mit den Juden gleichsetzte, waren die Juden doch ein minder wichtiger Gegner.

Wie widersprüchlich Francos Urteil über Juden war, zeigt anschaulich das von ihm 1940/41 zu Papier gebrachte Drehbuch des Films «Raza» («Rasse»).

Die Hauptfigur des Films führt in einer Szene seine Mutter durch Toledo, wo er gerade seine Ausbildung an der Offiziersakademie beendet hat. Vor der früheren Synagoge, der Kirche Santa Maria la Bianca, erzählt er der Mutter, dass sich Juden wie Mauren und Christen durch den Kontakt mit Spanien geläutert hätten. Und er ergänzt dies durch die Geschichte, dass die Juden Toledos der Kreuzigung Jesu widersprochen und den Heiligen Jakob (Santia-go) nach Spanien gerufen hätten, um das Evangelium zu predigen. Die Mut-ter meldet Zweifel am Wahrheitsgehalt an, doch der Sohn bekräftigt seine Erzählung.83 Auf dem Höhepunkt der deutschen Macht in Europa äußerte Franco also unverhohlen Sympathie mit den spanischen Juden. Sein Motiv war aber nicht Philosemitismus, sondern der Glaube an die Kraft der spani-schen Kultur. Die Juden Spaniens unterschieden sich für Franco von denen anderer Länder, weil sie durch den Einfluss der iberischen Kultur «gereinigt»

worden seien.

Vereinzelte, nicht jedoch systematische antijüdische Äußerungen gab es aus der Umgebung von Franco und von mittleren Funktionären des Regimes.

Carrero Blanco, ab Mai 1941 Staatssekretär in der Kanzlei von Franco und bis zu seinem Tod bei einem Attentat 1973 engster Mitarbeiter Francos - er war auch als dessen Nachfolger vorgesehen - , schrieb 1941 in einem Buch, dass das Judentum, gegen den jetzt ein Kampf auf Leben oder Tod laufe, der wahre Feind des Christentums sei. Die Juden wollten die christliche Zivilisa-tion vernichten.84 1942 sah er die Juden als diejenigen, die bei den Alliierten hinter den Kulissen die Fäden zögen.85 Im galizischen La Coruna erklärte der vom Innenministerium benannte Zivilgouverneur der Provinz, Oberst Emilio

81 Serrano Suner, Ramon: Entre el silencio y la propaganda. La historic como fue.

Memorias. Barcelona 1977, S. 358, mit einem entsprechenden Franco-Zitat.

82 Vgl. ζ. B.: Francos «Notas para una biografia». In: Manuscritos de Franco, Dok. 1;

Suärez Fernandez, Bd. 2, S. 364, und: Boor, J. [d.i. Franco y Bahamonde, Francisco/

Carrero Blanco, Luis]: Masoneria. Madrid 1952, eine Sammlung von Artikeln aus der Falange-Zeitung Arriba, 1946-1951, die Franco gemeinsam mit Carrero Blanco verfasst und unter dem Pseudonym J. Boor veröffentlicht hatte.

83 Andrade, Jaime [d. i. Franco y Bahamonde, Francisco]: Raza. Anecdotario para el guion de una pelicula. Madrid 1942, S. 71. Der Film wurde im Januar 1942 in Madrid uraufgeführt; vgl. La Vanguardia (Barcelona), 9. Aug. 1998.

84 Carrero Blanco, Luis: Espana y el Mar. Madrid 1941, S. 9f., zitiert in: Rodriguez Puertolas, Bd. I, 1986, S. 340.

85 Tusell, 1995, S. 285.

de Aspe, Spanien sei durch den Sieg Francos vom jüdischen Joch befreit wor-den.86

Nicht nur zu verbalen, sondern auch physischen Attacken kam es in Bar-celona, wo es vor dem Bürgerkrieg die größte Jüdische Gemeinde gegeben hatte. 1940 lebten dort noch 500 Juden. Ihr Antrag vom April 1939, die Syn-agoge wieder zu öffnen, wurde - in Übereinstimmung mit den oben ge-schilderten Vorschriften - abgelehnt. Die Verhaftung des Präsidenten der Ge-meinde, Edmundo Grünbaum, führt Lisbona jedoch darauf zurück, dass er Freimaurer war, nicht auf seinen jüdischen Glauben. Zeitzeugen berichten, die Polizei habe auf der Rückseite von Personalausweisen mit roter Tinte

«Judio» (Jude) vermerkt. Jose Lisbona wurde in Interviews erzählt, dass auf der Suche nach illegal in Barcelona lebenden Flüchtlingen bekannte Juden der Stadt von Polizisten, die der Falange-Miliz angehörten, geschlagen wor-den seien, um sie zur Preisgabe von Namen zu zwingen. Durch die Interven-tion eines Barceloneser Juden mit guten Beziehungen zur Falange hätten die-se Übergriffe aber abgestellt werden können.87 Durch schriftliche Quellen dokumentiert ist der Überfall von 15 Falangisten im Juli 1944 auf das Büro von Samuel Sequerra in Barcelona, wo er offiziell Vertreter des portugiesi-schen Roten Kreuzes, de facto aber Repräsentant der US-amerikaniportugiesi-schen jü-dischen Hilfsorganisation JOINT und Anlaufstelle für illegale Flüchtlinge war. Zwei der Täter wurden verhaftet und zu 20 Tagen Arrest verurteilt.88

Aus Mallorca berichtet Haim Avni, dass die Männer unter den dort le-benden jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland zu Beginn des Weltkriegs verhaftet wurden. Als sie sich weigerten, Spanien zu verlassen, seien sie in ein Lager eingewiesen worden. Ihre Familien lebten in ständiger Angst, nach Deutschland deportiert zu werden, was jedoch nicht geschah.89 1942 sollen die spanischen Behörden deutschen «Spezialisten» erlaubt haben, die Nach-fahren konvertierter Juden, auf der Insel «Chuetas» genannt, zu studieren.90

Der deutsche Generalkonsul in Tanger meldete im Juni 1943, dort seien

«letzthin» 380 Personen, meist Juden, verhaftet worden, viele von ihnen seien in ein Lager im spanischen Protektorat gebracht worden.91

Ouahnon schließlich erwähnt, dass im Mai 1943 Falangisten, unterstützt von Nazi-Agenten, am Rande einer Demonstration die Deportation der Juden

86 Rodriguez Puertolas, Bd. I, 1986, S. 340.

87 Lisbona, S. 108, 114.

88 AMAE, R 1468/26. Die Botschaft der USA intervenierte sofort beim Außenministeri-um. Vgl. auch Lisbona, S. 114.

89 Avni, Spain, S. 70.

90 Velarde Fuertes, S. 15. Velarde Fuertes beruft sich dabei auf Porcel, Baltasar: Los chuetas mallorquines. Siete siglos de racismo. Barcelona 1971, S. 54f.

91 BArch, 09.01, 61167: Generalkonsulat Tanger an AA Berlin, 5. Juni 1943.

65 gefordert hätten. Doch teilt sie weder mit, wo dies geschehen sein soll, noch woher diese Information stammt.92 Der Fakt an sich mag sich so zugetragen haben, doch kann seine Bedeutung daher nicht bestimmt werden.

Die vereinzelten Nachrichten über antisemitische Äußerungen und Über-griffe - deren Wahrheitsgehalt nicht überprüft werden konnte - zeigen letzt-endlich aber doch auch, dass dies nicht systematische Politik der spanischen Regierung war, selbst wenn weitere Forschungen die Liste verlängern wür-den. In mehreren Fällen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Falan-gisten diese Taten verübten. Es gab innerhalb der Falange zweifelsohne radi-kale Antisemiten, aber in dieser heterogenen, durch Zwang von oben entstan-denen Staatspartei stellten sie eher eine Minderheit dar. Je länger der Krieg dauerte, je absehbarer die Niederlage Deutschlands war, desto stärker wurden antisemitische Aktivitäten durch die Staatsgewalt geahndet. Dies heißt nicht, dass die Franco-Regierung nun ein positives Verhältnis zu Juden fand; da aber der Antisemitismus nationalsozialistischer Prägung der Mehrheit der politi-schen und gesellschaftlichen Elite fremd geblieben war, fiel er allein schon aus opportunistischen Gründen immer mehr in Ungnade.

Ein deutliches Zeichen der durchgängig ambivalenten Einstellung des Re-gimes zu Juden war die Gründung des staatlichen Instituto Arias Montano im Jahr 1940, das sich der Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte Spaniens widmete, und zwar nicht in antisemitischer Absicht wie nationalsozialistische

«Forschungsinstitute zum Judentum. 1941 erschien erstmals als wissen-schaftliche Zeitschrift des Instituts «Sefarad», die regelmäßig Beiträge über die spanischen Juden bis 1492 und zu sephardischen Themen bringt.93 Avni resümiert zutreffend: «The leadership of the Franco regime adopted a policy that would ignore the existence of Jews in Spain but still was disposed favorably toward the cultural tradition of Spanish Jews.»94

92 Ouahnon, L'Espagne, Bd. I, S. 197. Lisbona, S. I l l , nimmt diese Information ohne Einschränkung auf und gibt Madrid als Ort an, obwohl er sich nur auf Ouahnon stützt.

93 Vgl. dazu Aranguena Pernas, Pilar/Branez Becas, Graciela: Resena historica del Instituto «Anas Montano» del Consejo Superior de Investigaciones Cientxficas de Madrid. In: Busse, Winfried/Varol Bornes, Marie-Christine (Hg.): Hommage ä Haim Vidal Sephiha. Bern 1996, S. 525-544.

94 Avni, Spain, S. 72.

II. Spaniens Reaktion auf den Holocaust