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Die Reaktion auf die Diskriminierung und Verfolgung spanischer Juden im deutschen Machtbereich 1940-1942

145 auf die Sowjetunion verstanden wurde. Das besonders von Juden bewohnte

1. Das deutsche Ultimatum und die spanische Reaktion

Gerade als Madrid begann, den verfolgten spanischen Juden den diplomati-schen Schutz zu entziehen, traf am 26. Januar 1943 ein Ultimatum der deut-schen Regierung, formuliert vom Auswärtigen Amt, ein. Die deutsche Seite führte darin aus, dass bisher ein Teil der Ausländer bestimmten Maßnahmen gegen die Juden nicht unterworfen worden sei. Aus Gründen der militäri-schen Sicherheit sei dies nicht mehr aufrechtzuerhalten. Der spanimilitäri-schen Re-gierung werde aber die Möglichkeit zur Repatriierung der Juden mit spani-scher Staatsangehörigkeit eingeräumt; Deutschland behalte sich eine Einzel-fallüberprüfung vor. In der ersten Fassung beschränkte sich das Ultimatum auf Juden im besetzten Frankreich, Belgien, die Niederlande, Deutschland sowie das Protektorat Böhmen und Mähren und sollte am 31. März des Jahres ablaufen.1 Ende Februar wurde es auf Osteuropa ausgedehnt.2 Ohne die spa-nische Regierung zu informieren, weitete das Auswärtige Amt in Berlin am 4. März die «Heimschaffungsaktion» auch auf das deutsch besetzte Nord-griechenland mit der großen sephardischen Gemeinde in Saloniki aus. Erst am 30. April wurde das spanische Außenministerium davon in Kenntnis ge-setzt. Für diese Region endete die Frist am 15. Juni 1943.3

1 PA AA, R 100888: Deutsche Botschaft Madrid, Moltke, an AA Berlin, 28. Jan. 1943;

AGA, AAEE, 4773: Apunte, Madrid, 26. Jan. 1943. In der deutschen Darstellung wur-de die Information wur-der spanischen Seite auf wur-den 27. Januar datiert, in wur-der spanischen auf den 26. Januar. In der spanischen Version fehlt außerdem der Hinweis auf Deutsch-land und das Protektorat als Geltungsbereich des Ultimatums.

2 PA AA, R 100888: Deutsche Botschaft Madrid an AA Berlin, 23. Febr. 1943 (abge-sandt: 24. Febr.); AMAE, R 1716/1: Deutsche Botschaft Madrid an Spanisches Außenministerium, 25. Febr. 1943. Auch hier gibt es wieder Abweichungen in der Datierung: der deutschen Darstellung zufolge wurde Spanien am 23. Februar infor-miert, nach der spanischen Überlieferung am 25. Februar.

3 PA AA, R 99419: AA Berlin, Rademacher, an deutsches Generalkonsulat Saloniki, 4. März 1943; ebd., R 100888: AA Berlin an deutsche Botschaft Madrid, 29. April

1943; AMAE, R 1716/3: Verbalnote der deutschen Botschaft Madrid an Außenmini-sterium Madrid, 30. April 1943.

Von den antijüdischen Maßnahmen ausgenommen waren «Halbjuden», ebenso weibliche «Volljuden», die die spanische Staatsangehörigkeit durch Heirat mit einem «arischen» Spanier erworben hatten, doch empfahl die deut-sche Seite auch deren Repatriierung, weil sie demnächst ebenfalls in diese Maßnahmen einbezogen werden würden.4

Die vom Ultimatum betroffenen spanischen Juden - fast alle waren Se-pharden - hatten nie in Spanien gelebt. Von einer «Heimschaffung» oder

«Repatriierung» kann daher im Wortsinne nicht gesprochen werden, auch wenn natürlich Sprache, Kultur und zuletzt auch die Option für die spanische Staatsangehörigkeit eine enge Verbindung zu Spanien zum Ausdruck brach-ten. Als termini technici sollen diese in den Akten verwendeten Begriffe aber weiter gebraucht werden.

Bevor wir uns mit der spanischen Reaktion auf das Ultimatum beschäfti-gen wollen, soll in aller Kürze der Stand der Ermordung der Juden durch Deutschland zu diesem Zeitpunkt skizziert werden, um die Bedeutung des Ultimatums für den Holocaust verstehen zu können. Die Ermordung hun-derttausender Juden durch Giftgas hatte in den Vernichtungslagern 1942 ein-gesetzt. In Polen und den besetzten sowjetischen Gebieten war Anfang 1943 der Holocaust bereits weit vorangeschritten. In Serbien waren im Sommer 1942 alle Juden, derer die deutschen Kräfte hatten habhaft werden können, ermordet worden. Aus dem Großdeutschen Reich und dem «Protektorat Böh-men und Mähren» wurden die meisten verbliebenen Juden 1942 deportiert. In den Niederlanden, Belgien und Frankreich begann der Abtransport der Juden im Sommer 1942, in Norwegen wurde er im Herbst 1942 vollzogen. In Grie-chenland hatte es bis Anfang 1943 hingegen fast noch keine Deportationen gegeben, in Ungarn, Dänemark und Italien noch gar keine. Bulgarien lieferte nur die in den annektierten Gebieten lebenden Juden an Deutschland aus.

Auch in Rumänien blieben die im ursprünglichen Staatsgebiet lebenden Ju-den weitgehend von der Verfolgung verschont, während die JuJu-den der erober-ten angrenzenden Gebiete in grausamen Pogromen ermordet wurden. Die

«Heimschaffungsaktion» begann also, als die Ermordung der Juden Europas bereits weit vorangeschritten war. Es muss aber noch einmal betont werden, dass die Juden mit der Staatsangehörigkeit eines neutralen Landes wie auch die aus einigen verbündeten und aus den westlichen Feindstaaten noch nicht in die Deportationen in die deutschen Todeslager einbezogen waren.

Spanien stand mit dem deutschen Ultimatum vor einem neuartigen Pro-blem. Es ging nun um das Schicksal aller seiner Juden im deutsch besetzten Europa. Bei der Übermittlung des Ultimatums durch den deutschen Botschaf-ter in Madrid erklärte Jose Maria Doussinague, Generaldirektor für

Außenpo-4 AGA, AAEE, 11773: Spanische Botschaft Berlin an Konsul Hendaye, 7. April 1943.

165 litik im Außenministerium und damit an dritter Stelle in der Hierarchie des Amtes stehend, er persönlich gehe davon aus, dass seine Regierung keine Einreisegenehmigung erteilen werde.5 In Berlin wurde die Äußerung dahin-gehend interpretiert, dass Spanien die Juden im besetzten Gebiet belassen und den deutschen Verfolgungsmaßnahmen nicht entgegentreten würde.

In Madrid dachte man aber anders. Die Alternative zur Repatriierung hieß für die spanische Seite nicht Desinteresse am Schicksal der Juden.

Doussinague brachte dies am 28. Januar in einem Papier zum Ausdruck, mit dem die Entscheidung des Außenministeriums vorbereitet werden sollte. Im Unterschied zum Vorstoß des Ministeriums vom 19. Januar 1943 wurde nun nicht mehr den im Ausland lebenden spanischen Juden generell die Staats-bürgerschaft abgesprochen. Doussinague schrieb, dass man sie nicht der anti-semitischen Gesetzgebung Deutschlands überlassen könne, weil sonst bei den Alliierten die Gegnerschaft zur spanischen Regierung anwachsen würde, besonders in den USA. Wie schon mehrfach geschehen, würde Spanien er-neut der Komplizenschaft mit Mördern beschuldigt werden. Der zweite Grund, den Doussinague gegen ein Desinteresse vorbrachte, war die Siche-rung des Vermögens der Juden für Spanien. Es sei in gewissem Sinne Teil des spanischen Nationalvermögens, das man nicht der unbeschränkten Verfü-gung der deutschen Behörden anheim geben dürfe.

Diese beiden Argumente sprachen aus Doussinagues Sicht gegen ein Des-interesse Spaniens. Humanitäre Erwägungen drückten sie nicht aus; der Schutz des Lebens der spanischen Juden wurde von Doussinague nur inso-fern für nötig gehalten, als sonst Spaniens Ansehen bei den Alliierten leiden würde. Dass Doussinague gegenüber Juden große Ressentiments hegte, zeigt auch der zweite Teil seiner Güterabwägung: Man könne die spanischen Juden trotz der vorher genannten Argumente gegen ein Desinteresse nicht einreisen lassen, da ihre Rasse, ihr Geld, ihre Freundschaft mit England und ihr Freimaurertum sie zu potentiellen Agenten machten. Doussinague schlug Au-ßenminister Jordana als Auswege aus diesem Dilemma drei Möglichkeiten vor:

1. Die spanischen Sepharden werden in ihre Herkunftsgebiete (Türkei, Griechenland, Balkan) geschickt. Oder:

2. Sie dürfen Spanien im Transit aufsuchen, das Rote Kreuz oder eine an-dere Einrichtung kümmert sich währenddessen um sie und besorgt ih-nen ein Visum für die Weiterreise in ein Drittland. Oder:

3. Spanien überlässt den Sephardim und den deutschen Behörden die Wahl zwischen Lösung 1 und 2.6

5 PA AA, R 100888: Deutsche Botschaft Madrid, Moltke, an AA Berlin, 28. Jan. 1943.

6 AMAE, R 1716/2: Außenministerium Madrid, Informe, 28. Jan. 1943, unterschrieben von Doussinague; vgl. auch Marquina/Ospina, S. 180f.

Jordana entschied sich für Variante 1. Er nahm jedoch Griechenland und den Balkan als Ziele aus, da sie deutsch besetzt waren; blieb somit nur noch die Türkei. Jordanas Entscheidung galt vorbehaltlich der Stellungnahme des Mi-nisterrats. Am 3. Februar wurde dies der Botschaft in Berlin mitgeteilt. Sie wurde angewiesen, den spanischen Juden Visa der Türkei zu besorgen. Am 9. Februar antwortete Botschafter Vidal, dass Ankara Juden die Einreise ver-wehre. Daraufhin modifizierte Jordana am 16. Februar die Richtlinie. Nun sollte Vidal versuchen, Visa amerikanischer Staaten zu erlangen. Gelinge dies, könnten die Juden für den Transit - aber nur dafür - nach Spanien ein-reisen.7 Am 19. Februar wurde die neue Anweisung von Vidal an das Ge-neralkonsulat in Paris weitergeleitet.8 Am 23. Februar erging von dort die Antwort. Der einzige amerikanische Staat mit einer Vertretung in Paris war Argentinien, das aber sehr restriktive Einwanderungsgesetze besaß. Auch die Konsuln der Schweiz und Portugals hätten erklärt, dass ihre Länder die spani-schen Juden nicht aufnehmen würden.9

Die Ausreise der spanischen Juden in Drittstaaten scheiterte nicht allein an den strengen Aufnahmerichtlinien dieser Länder. Auch die deutsche Seite lehnte diese Variante grundsätzlich ab. Doussinagues Vorschlag hatte die Rea-litäten gänzlich verkannt, denn die deutsche Seite wollte eine Ausreise der Juden nur dann gestatten, wenn Spanien selber sie aufzunehmen bereit war.

Schon bei der Übergabe des Ultimatums hatte der deutsche Botschafter, von Moltke, eine von Doussinague ins Gespräch gebrachte Ausreise «nach ande-ren Ländern, insbesondere die Türkei» abgelehnt; es käme «nur eine Zurück-ziehung [der Juden] nach Spanien oder ihre Unterwerfung unter die all-gemein geltenden Bestimmungen in Frage».10 Dennoch ließ Jordana am 23. Februar - wahrscheinlich also kurz vor Eintreffen der negativen Auskunft aus Paris - bei der Deutschen Botschaft mündlich anfragen, ob eine Ausreise in andere Länder gestattet werden würde. In diesem Gespräch erklärte Doussinague dem Gesandten Hencke, «die spanische Regierung habe be-schlossen, ihren im deutschen Machtbereich lebenden Staatsangehörigen]

jüdischer Rasse die Genehmigung zur Rückkehr nach Spanien in keinem Fall zu erteilen.» Spanien wolle stattdessen die Rückkehr in die Herkunftsländer, wobei Doussinague neben der Türkei nun wieder Griechenland nannte.

In einigen Fällen wäre die spanische Regierung auch bereit, Juden, die Einreise-sichtvermerke nach Portugal oder USA erhalten würden, Transitvisa durch Spanien zu

7 Vgl. Marquina/Ospina, S. 180; Avni, Spain, S. 134. Von den dort angegebenen Quellen aus dem AMAE konnte 1995 nur noch das Schreiben vom 16. Februar 1943 in der Akte R 1716/4 aufgefunden werden.

8 AMAE, R 1716/2.

9 Ebd.

10 PA AA, R 100888: Deutsche Botschaft Madrid, Moltke, an AA Berlin, 28. Jan. 1943.

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erteilen. Wenn indessen diese Möglichkeiten nicht bestünden, würde die spanische Regierung die Juden spanischer Nationalität ihrem Schicksal überlassen.

Hencke erwiderte, dass die deutsche Regierung die Ausreise in andere Länder wohl nicht gestatten werde. Doussinague «bemerkte hierzu nur, dass diese Juden in Spanien wahrscheinlich gefährlicher sein würden als im übrigen Ausland, da sie hier [Spanien] sofort von englischen und amerikanischen Agenten erfasst und als Propagandisten gegen die Achsenmächte, insbeson-dere Deutschland, eingesetzt werden würden. Im übrigen ließ Herr Doussinague in dem Gespräch aber kein besonderes spanisches Interesse an der Angelegenheit erkennen.»11 Trifft Henckes Bericht zu (wofür einiges spricht), nahm Spaniens Diplomatie entweder das Ultimatum nicht ernst oder sie hatte kein großes Interesse am Schicksal der Juden.

Dass dies nicht nur eine taktische Verhandlungsposition war, sondern zu diesem Zeitpunkt tatsächlich die Haltung der spanischen Regierung, zeigt ein parallel laufender Vorgang, der Rumänien betraf. In Rumänien waren zwar deutsche Truppen stationiert, doch war es nicht nur de jure, sondern gerade in der hier interessierenden Politik gegenüber den Juden auch de facto ein weit-gehend souveräner Bündnispartner Deutschlands.12 Daher galt das Repatri-ierungsultimatum nicht für dieses Land. Anfang 1943 kam es dennoch zu einer (erneuten) Beunruhigung der spanisch-jüdischen Gemeinde Bukarests und in diesem Zusammenhang zur Wiederholung früherer Einreisebegehren nach Spanien. In praktischer Hinsicht ähnelten sich daher für Madrid die Lage im deutsch besetzten Gebiet und die in Rumänien: aus beiden Gebieten wollten spanische Juden auf die Iberische Halbinsel kommen.

Am 22. Februar telegrafierte der Gesandte in Bukarest, Rojas, einige Vi-saanträge nach Madrid. Darunter befanden sich auch die von Bekannten von Lequerica, nun Botschafter in Vichy und dort als dezidierter Antisemit auf-gefallen. Zugleich bat Rojas erneut, ihm das Recht auf Erteilung von Visa einzuräumen, da die telegrafische Nachfrage für jeden Einzelfall zu lang-wierig sei. Er sicherte zu, nur wohlhabenden Antragstellern Sichtvermerke zu erteilen. 1941/42 war Juden mit spanischer Staatsangehörigkeit bereits ein-mal prinzipiell die Einreisegenehmigung in Aussicht gestellt worden, vorbe-haltlich einer Prüfung jedes Einzelfalls. Die Antwort aus Madrid, am 3. März von Doussinague abgeschickt, bedeutete einen Rückfall hinter diese Zusiche-rungen. Das deutsche Repatriierungsultimatum hatte die Lage verändert. Die spanische Regierung, so hieß es nun, sei fest entschlossen, diese Personen

11 Ebd.: Deutsche Botschaft Madrid an AA Berlin, 23. Febr. 1943 (abgesandt: 24. Febr.), mit Bericht des Gesandten Hencke über sein Gespräch mit dem Generaldirektor für Außenpolitik im spanischen Außenministerium, Doussinague.

12 Vgl. hierzu: Zach, S. 381f.

nicht einreisen zu lassen. Doussinague erwähnte in dem Brief, dass nicht nur aus Rumänien Bitten um Einreise eingetroffen seien. Würde man dem nach-kommen, würde Spanien eine wahre Invasion von Juden erleben. Zu allen Formen der Unterstützung bei der Ausreise aus Rumänien sei man bereit, nur dürften sie nicht nach Spanien kommen. Stattdessen verwies man sie auf Drittstaaten. Die Konsulate sollten den spanischen Juden bei der Beschaffung von Visa der Türkei oder Palästinas behilflich sein, ebenso bei der Verwaltung des zurückzulassenden Eigentums. Äußerstenfalls könnten sie Spanien im Transit passieren, wenn sie über ein Visum Portugals oder eines anderen Lan-des verfügten.

Mit einem Wort: eine menschliche, großzügige und verständnisvolle Behandlung, aber ohne zu vergessen, dass vom Standpunkt der Rassenlehren aus es praktisch unmöglich ist, gegenüber den deutschen Behörden oder denen anderer Länder, die antisemitische Gesetze haben, den rein rechtlichen, etwas sehr theoretischen Standpunkt aufrechtzuer-halten, dass sie [die spanischen Juden] spanischer Nationalität sind wie jeder andere.13

Rojas konnte in seiner Erwiderung nur die schon mehrfach vorgebrachten Argumente wiederholen, dass es sich um wohlsituierte Personen handele, die im Bürgerkrieg die nationale Seite unterstützt hätten. Die Mehrheit der An-tragsteller sei - dies war neu - sogar getauft. Sie wollten auch nicht sofort nach Spanien; ihnen ginge es nur darum, bei einer weiteren Zuspitzung über diese Option zu verfügen.14 Eine direkte Antwort darauf ist nicht überliefert.

Am 27. Februar 1943 wurde die Deutsche Botschaft in Madrid angewie-sen, der spanischen Seite auch offiziell die Ablehnung ihres Begehrens um Genehmigung der Ausreise in Drittländer zu übermitteln.15 Ein Schreiben des Auswärtigen Amtes an Eichmann im RSHA zeigt, dass diese Entscheidung alleine vom Außenministerium getroffen wurde, ohne Druck des RSHA.16 Für das Auswärtige Amt in Berlin stand die spanische Haltung damit fest: die Regierung in Madrid habe sich «an diesen Juden desinteressiert.» Die zu-ständige Abteilung D beabsichtigte daher Ende Februar, dem RSHA die Wei-sung zukommen zu lassen, ab 1. April 1943 die «allgemeinen Judenmaß-nahmen» auch auf die spanischen Juden auszudehnen.17 Am 11. März über-mittelte das Auswärtige Amt der Spanischen Botschaft eine Verbalnote, in der es nur noch um das Schicksal des Vermögens der spanischen Juden ging, «an denen sich die spanische Regierung personell desinteressiert hat.» Miss-verständlich formuliert war der zweite Teil der Verbalnote, «daß dem

Wun-13 AMAE, R 1343/207. In dieser Akte befindet sich auch der übrige hier genannte Schriftverkehr.

14 Ebd.: Spanische Vertretung Bukarest an Außenministerium Madrid, 16. März 1943.

15 PA AA, R 100888: AA Berlin an Deutsche Botschaft Madrid, 27. Febr. 1943.

16 Ebd.: AA Berlin an RSHA, Eichmann, 9. März 1943.

17 Ebd.: AA Berlin, von Hahn, Referat D III, Vermerk, 25. Febr. 1943.

169 sehe der Spanischen Botschaft auf Ausreise spanischer Staatsangehöriger jü-discher Rasse aus dem deutschen Machtbereich nicht entsprochen werden kann.»18 Damit kann nur Spaniens Wunsch nach Ausreise in Drittstaaten ge-meint gewesen sein.

Nach allen vorliegenden Dokumenten beschrieb das Auswärtige Amt die damalige spanische Position mit der Formulierung «desinteressiert» zutref-fend. Die Verweigerung der Ausreise in Drittländer und wohl auch die Aus-dehnung des Ultimatums auf Osteuropa Ende Februar hatten aber der spani-schen Regierung vor Augen geführt, dass ihre bisherige Position ohne Aus-sicht auf Erfolg war, sie stattdessen tatsächlich die spanischen Juden der De-portation anheim geben würde. Trotz der mündlichen Erklärungen gegenüber deutschen Diplomaten, dass Spanien eher dies hinnehmen als die Juden repa-triieren würde, kam es nun in Madrid zu neuen Überlegungen. Doussinague erarbeitete ein zweites internes Positionspapier, das er am 9. März vorlegte.

Darin wurde die Möglichkeit eines vorübergehenden Aufenthalts konzediert, der solange dauern sollte, bis die Bemühungen der betroffenen Juden und des Außenministeriums um Visa für Aufnahmeländer erfolgreich seien. Vom Transit unterschied sich diese Variante insofern, als bei der reinen Durchreise bereits zuvor das Visum des Ziellandes vorliegen musste, während nun dieses Visum erst nach der Einreise, während des Aufenthalts in Spanien, erlangt werden sollte. Damit reagierte Doussinague u.a. auf eine entsprechende Ein-gabe Pariser Sepharden.19 Als Voraussetzung für die neue Alternative formu-lierte er, dass die Zahl der betroffenen Juden die von ihm geschätzte Summe von 250 nicht überschreite.20

Was waren die Motive für den Sinneswandel? Explizite Aussagen sind nicht überliefert. Entscheidend war wohl, dass die bisherige Haltung ange-sichts der deutschen Reaktion dazu geführt hätte, die spanischen Juden im besetzten Europa der Verfolgung und Ermordung anheim zu geben. Außer-dem gab es das Argument, dass Spanien verpflichtet sei, auch die jüdischen Staatsbürger zu schützen.21 Dies war bereits zuvor in einem internen Papier des spanischen Außenministeriums betont worden: Selbst wenn es in Spanien eine rassische Diskriminierung gäbe, müsste die Regierung die in Spanien diskriminierten Bürger im Ausland davor schützen, weil nur Spanien diese Diskriminierungen zustünden.22

18 Ebd.

19 AMAE, R 1716/3: Petition spanischer Juden aus Paris an den Spanischen Außenmini-ster, 27. Febr. 1943.

20 Ebd., R 1716/4: 9. März 1943. Vgl. auch Marquina/Ospina, S. 182f.

21 So wörtlich in: AMAE, R 1372/2: Außenminister Jordana an Innenminister Perez Gon-zalez, «Personal y Reservada», 23. März 1943.

22 Ebd., R 1716/2: Ministerio de Asuntos Exteriores, Madrid, Direcciön de Politica:

«Relation de antecedentes y informe sobre caracterfsticas y posible solution del

Doussinagues Vorschlag wurde von seinen Vorgesetzten im Außenmi-nisterium akzeptiert. Am 15. März 1943 teilte er mündlich der Deutschen Botschaft in Madrid mit, dass die Regierung jetzt

dazu neige, einer beschränkten Zahl von im deutschen Machtbereich befindlichen spa-nischen Staatsangehörigen jüdischer Rasse die Einreise nach Spanien zu gestatten. Es handele sich dabei um höchstens 100 Personen, für die sich prominente Spanier einge-setzt hätten.

In den nächsten Tagen werde eine definitive Entscheidung fallen und die Bot-schaft unverzüglich informiert werden.23 In einem wichtigen Detail wich die-se Äußerung von Doussinagues eigenem, kaum eine Woche alten Positions-papier ab: die Zahl der spanischen Juden im deutsch kontrollierten Gebiet wurde mit 100 statt 250 angegeben und ausdrücklich wurde betont, dass dies nicht alle spanische Juden seien. So sehr beide Zahlen gemeinsam haben, unrealistisch niedrige Schätzungen zu sein, so unterscheiden sie sich durch den Argumentationszusammenhang, in dem sie verwendet wurden. Intern plädierte Doussinague für die Repatriierung aller spanischen Juden, nur dass er irrige Vorstellungen hatte, wie viele dies waren. Gegenüber der Deutschen Botschaft betonte er, dass unter ihnen eine Auswahl erfolgen solle: nur die, für die sich «prominente Spanier eingesetzt hätten», also nicht alle, sollten repatriiert werden. Wir können nicht sagen, was Doussinague zu dieser For-mulierung bewegte. Wenig wahrscheinlich ist, dass die Veränderung Ergebnis der Beratungen im Außenministerium war; jedenfalls wurden die Zahl 100 und der Verweis auf das Engagement prominenter Spanier später nie wieder aufgegriffen. Womöglich befürchtete Doussinague, dass Deutschland bei ei-ner zu hohen Zahl der Repatriierung nicht zustimmen würde. Dem steht aber entgegen, dass das deutsche Ultimatum keine quantitative Beschränkung ent-hielt. Oder wollte Doussinague die deutsche Seite indirekt zur Einführung

In den nächsten Tagen werde eine definitive Entscheidung fallen und die Bot-schaft unverzüglich informiert werden.23 In einem wichtigen Detail wich die-se Äußerung von Doussinagues eigenem, kaum eine Woche alten Positions-papier ab: die Zahl der spanischen Juden im deutsch kontrollierten Gebiet wurde mit 100 statt 250 angegeben und ausdrücklich wurde betont, dass dies nicht alle spanische Juden seien. So sehr beide Zahlen gemeinsam haben, unrealistisch niedrige Schätzungen zu sein, so unterscheiden sie sich durch den Argumentationszusammenhang, in dem sie verwendet wurden. Intern plädierte Doussinague für die Repatriierung aller spanischen Juden, nur dass er irrige Vorstellungen hatte, wie viele dies waren. Gegenüber der Deutschen Botschaft betonte er, dass unter ihnen eine Auswahl erfolgen solle: nur die, für die sich «prominente Spanier eingesetzt hätten», also nicht alle, sollten repatriiert werden. Wir können nicht sagen, was Doussinague zu dieser For-mulierung bewegte. Wenig wahrscheinlich ist, dass die Veränderung Ergebnis der Beratungen im Außenministerium war; jedenfalls wurden die Zahl 100 und der Verweis auf das Engagement prominenter Spanier später nie wieder aufgegriffen. Womöglich befürchtete Doussinague, dass Deutschland bei ei-ner zu hohen Zahl der Repatriierung nicht zustimmen würde. Dem steht aber entgegen, dass das deutsche Ultimatum keine quantitative Beschränkung ent-hielt. Oder wollte Doussinague die deutsche Seite indirekt zur Einführung