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Die Reaktion auf die Diskriminierung und Verfolgung spanischer Juden im deutschen Machtbereich 1940-1942

145 auf die Sowjetunion verstanden wurde. Das besonders von Juden bewohnte

2. Die erste Repatriierungswelle bis Oktober 1943

Wir haben soeben die juristischen Rahmenbedingungen für die Repatriierung kennengelernt. Jetzt soll es um deren praktische Umsetzung gehen. Dabei müssen wir zwei Schauplätze getrennt behandeln: auf der einen Seite alle

95 PA A A , R 99445.

96 Ebd., R 99444.

97 AGA, AAEE, 11329.

Maßnahmen, die über die Botschaft in Berlin koordiniert wurden oder jeden-falls unter ihrer Aufsicht erfolgten, auf der anderen Seite die Ereignisse in Griechenland. Zwar sollte auch dort nach der Absicht des spanischen Außen-ministeriums die «Heimschaffung» über die Botschaft in Berlin organisiert werden, doch waren die Kommunikationswege zwischen Athen, Berlin und Madrid so schlecht, dass der spanische Generalkonsul in der griechischen Hauptstadt immer wieder ohne klare Anweisungen aus Madrid blieb. Zum anderen führte die relativ große Zahl spanischer Staatsbürger in Saloniki dazu, dass die Entscheidung über ihr Schicksal eine eigene Qualität annahm.

Hingegen erfolgte die Koordinierung für Frankreich, Deutschland, Belgien und die Niederlande tatsächlich durch die Botschaft in Berlin.

Umsetzung der Repatriierung in Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Deutschland

Frankreich

Beginnen wollen wir dieses Kapitel mit der Schilderung der Entwicklung in der weitaus wichtigsten Region: Frankreich. Die Mehrzahl der Grund-satzentscheidungen der spanischen Regierung wurde im Zusammenhang mit der Situation in diesem Land getroffen. Hier lebten - neben Nordgriechen-land - die meisten Juden mit spanischer Staatsbürgerschaft. Durch die Nach-barschaft zu Spanien waren zudem die Kommunikations wege i. w. problem-los, weswegen wir über eine sehr dichte Überlieferung verfügen.

Am 9. April 1943 übermittelte die Botschaft in Vichy dem Madrider Außenministerium die beiden ersten Einreiseanträge, die allen Vorschriften Genüge leisteten; sie stammten aus Lyon.98 Unklar ist, wieviele Repatriie-rungen nun bis Anfang Juli 1943 erfolgten. Die spanischen Unterlagen sind offenkundig unvollständig und decken sich zudem nicht mit den Informa-tionen des JOINT, dessen Lissabonner Büro regelmäßig nach New York den neuesten Stand der Einreisen nach Spanien und Portugal meldete.99 Einem Bericht der spanischen Sicherheitspolizei können wir entnehmen, dass am 10. Mai die erste Gruppe von 13 spanischen Juden über Irun nach Spanien einreiste, davon 10 aus Belgien.100 Dem Generalkonsulat Paris zufolge blieb

98 Ebd., 11371.

99 Diese Quellen wurden bisher von der Forschung übersehen, da sich die Listen im Jerusalemer Archiv des Joint Distribution Committees befinden, das in der Regel nur über Dokumente nach 1945 verfügt, während die älteren Akten in New York verwahrt werden. Auch ich habe erst durch einen Hinweis des Archivs der Gedenkstätte Yad VaShem von diesen Beständen erfahren.

100 AMAE, R 1716/2: Bericht der Direction General de Seguridad mit der Namensliste, 28. Juni 1943; Avni, Spain, S. 141.

193 dies bis zum 3. Juli die einzige Repatriierung.101 Der JOINT Lissabon ver-zeichnete zwar am 24. Mai nur zehn repatriierte spanische Juden.102 Bis An-fang Juni war nach JOINT-Angaben ihre Zahl aber auf 40-50 angewachsen, am 1. Juli bezifferte er die Gesamtzahl mit 68, am 6. Juli mit 112.103 Unwahr-scheinlich ist, dass diese Diskrepanz darauf zurückzuführen ist, dass womög-lich in der Anfangsphase vorrangig aus der früher unbesetzten Zone, für die das Generalkonsulat in Paris nicht zuständig war, repatriiert wurde; es gibt hierfür keine Hinweise. Da der JOINT mit der Betreuung der Repatriierten in Spanien betraut war - dazu weiter unten - und seinen Berichten Namenslisten beilagen - die jedoch bislang nicht aufgefunden werden konnten - , erschei-nen dessen Angaben glaubwürdiger als die der spanischen Behörden, die nachweislich auch in den folgenden Monaten nicht immer den Überblick über die Repatriierungen hatten.

Über Details dieser ersten Repatriierungen sind wir nicht informiert. Mehr wissen wir über ein anderes Problem, das die Tätigkeit des Spanischen Gene-ralkonsulats Paris im Frühjahr 1943 beherrschte: das der Behandlung der Ju-den, die nur einen Teil der spanischen Repatriierungsbedingungen erfüllten.

Am 31. März 1943 teilte das Pariser Generalkonsulat der Botschaft in Berlin mit, dass etwa 90 Sephardim aus seinem Bezirk, die bisher als Spanier gegol-ten hatgegol-ten, die Madrider Kriterien nicht erfüllgegol-ten. Einschließlich dieser 90 lebten damals nach Konsulatsangaben noch etwa 250 spanische Sephardim in Paris. Der Großteil der früheren Pariser Sephardim war nach dem deutschen Einmarsch 1940 in die unbesetzte Zone geflohen. Für die 90 Personen ohne vollständige Papiere fragte das Generalkonsulat, nach dem Weggang seines bisherigen Leiters Bernardo Rolland Ende Februar 1943 kommissarisch ver-waltet durch Diego Bulgas de Dalmau,104 bei der Berliner Botschaft nach, was mit ihnen nach Abschluss der Repatriierungen geschehen solle. Zu klären war ihr künftiger juristischer Status wie auch das Verhalten des Konsulats bei

101 Ebd., R 1716/3: Spanischer Generalkonsul Paris an Außenministerium Madrid, 3. Juli 1943.

102 JOINT Jerusalem, Geneva Collection, Box 327: Sephardic Refugees: JOINT Lisbon, Katzki, an JOINT New York, 24. Mai 1943.

103 Ebd.: JOINT Lisbon, Katzki, an JOINT New York, Schreiben vom 7. Juni, 1. Juli und 6. Juli 1943. In den beiden letzten Schreiben wird eine beiliegende Namensliste er-wähnt, die jedoch in Jerusalem nicht vorliegt. Eine Anfrage im JOINT-Archiv in New York blieb unbeantwortet.

104 F. E., S. 11, datiert den Weggang Rollands auf den 20. Februar 1943. Das letzte uns bekannte Schreiben von Rolland als Generalkonsul stammt vom 26. Februar 1943 (AMAE, R 1716/3); Avni, Spain, zitiert S. 162 ein Schreiben Rollands vom 29. April 1943, das aber in Wirklichkeit vom «Consul Encargado», also dem kommissarischen Leiter des Generalkonsulats, Diego Bulgas de Dalmau, unterzeichnet wurde (vgl.

AGA, AAEE, 11329).

zu erwartenden deutschen Maßnahmen gegen sie.105 Am 9. April übermittelte die Botschaft die Anfrage nach Madrid. Es ging um Sephardim, die die spani-sche Staatsangehörigkeit durch speziellen Erlass erhalten, es aber aus Unwis-senheit oder Unachtsamkeit versäumt hatten, sich im Konsulatsregister ein-tragen zu lassen, und um bisherige spanische Schutzgenossen, die zwar die Möglichkeit der Einbürgerung ab 1924 nicht genutzt hatten, denen aber auf wiederholte Anweisungen des Außenministeriums weiterhin spanische Pa-piere ausgestellt worden waren. Das Generalkonsulat bat darum, ihnen Visa erteilen zu können. Das Unerwartete traf ein. In völligem Kontrast zu den bisherigen Anweisungen telegrafierte am 27. April das spanische Außenmini-sterium nach Berlin, dass allen bisherigen Inhabern spanischer Personal-dokumente die Einreise gewährt werde. Am 30. April wurde dies von der Botschaft nach Paris übermittelt. Dort traf die Entscheidung am 1. Mai 1943, dem Tag der Amtsübernahme durch den neuen Generalkonsul Alfonso Fiscowich, ein.106 Am 3. Mai bekräftigte die Berliner Botschaft die Nachricht;

sie sah zwar auch den Widerspruch zwischen allen vorherigen und der neuen Anweisung, entschied sich aber für die zuletzt ergangene. «Vielleicht hat das Ministerium später [nach den ersten Anordnungen] seine Position geändert.»

Zur näheren Aufklärung könne der Generalkonsul in Madrid nachfragen.107 Am 13. Mai setzte Fiscowich auch den Botschafter in Vichy von der neuen Anweisung aus Madrid in Kenntnis.108

Fiscowich, vor dessen Amtsübernahme die Initiative begonnen hatte, war irritiert. Daher fragte er erneut nach, jedoch noch nicht in Madrid, wie ihm angeraten worden war, sondern wieder bei der Berliner Botschaft. Ins-besondere wollte er wissen, ob jetzt allen früheren Schutzgenossen, die nicht entsprechend den Vorschriften von 1924 eingebürgert worden waren, also al-len Angehörigen der weiter oben genannten Kategorien 2-4, die Einreise nach Spanien gewährt werden solle oder nur den 90 Personen, von denen die erste Anfrage ausging. Die Zahl der Personen in identischer rechtlicher Lage habe sich, darauf wies Fiscowich hin, mittlerweile auf 120 erhöht. Außerdem sei es sehr wahrscheinlich, dass sofort nach Bekanntwerden einer Einreise-erlaubnis für diese Schutzgenossen einige Hundert weitere spanische Juden dieser Kategorie das Pariser Generalkonsulat aufsuchen würden. Zur Zeit

leb-105 AGA, AAEE, 11329: Spanisches Generalkonsulat Paris an Spanische Botschaft Ber-lin, 29. April 1943. Das Schreiben vom 31. März ist nur in der Wiedergabe durch diesen Brief überliefert.

106 AMAE, R 1716/2; ebd., R 1716/3: Spanisches Generalkonsulat Paris an Außen-ministerium Madrid, Doussinague, Director General de Politica, 3. Juli 1943.

107 AGA, AAEE, 11329: Spanische Botschaft Berlin an Spanisches Generalkonsulat Pa-ris, 3. Mai 1943.

108 Ebd.: Spanisches Generalkonsulat Paris an Spanische Botschaft Vichy, 13. Mai 1943.