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Die sephardischen Gemeinden Europas zu Beginn des Zweiten Weltkriegs

Der Hintergrund: Franco-Spanien und Nazi-Deutschland

77 ferungen an Spanien. Erst Mitte April bewegte sich Franco auf die Alliierten

1. Die sephardischen Gemeinden Europas zu Beginn des Zweiten Weltkriegs

Wo lebten in Europa Ende der dreißiger Jahre sephardische Juden, mit oder ohne spanische Staatsbürgerschaft? Die Beantwortung dieser Frage soll hel-fen zu bestimmen, wo Spanien während des Krieges für Juden hätte aktiv werden können. Die Formulierung der Frage bedeutet, eine Prämisse zu set-zen, die nicht ganz einzuhalten sein wird: Prinzipiell konnte es außerhalb der Iberischen Halbinsel auch nichtsephardische Juden mit spanischer Staatsan-gehörigkeit geben, und wir werden in der Tat auf einige wenige solcher Fälle stoßen. In Spanien selber waren die aschkenasischen Juden ein wichtiger Teil der kleinen Gemeinden. Im Regelfall aber besaßen außerhalb der Halbinsel nur sephardische Juden einen spanischen Pass. Die einleitende Frage enthält zudem eine Hypothese: Falls Franco-Spanien sich überhaupt für das Schick-sal verfolgter Juden interessiert haben sollte, dann erstens für das seiner eige-nen Bürger und zweitens für das der Sepharden, die - wie gesehen - von vielen in Spanien als Angehörige einer hispanischen Kulturgemeinschaft an-gesehen wurden.

Genaue Angaben über die Zahl der Sepharden zu machen, ist schwierig, da selbst dort, wo in den Volkszählungen nach der Religion gefragt wurde, keine Differenzierung zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden vorgenommen wurde. In einigen Fällen wurde aber die Frage nach der Mut-tersprache mit der nach der Religion kombiniert. Juden, für die sie mit Spa-nisch, Ladino oder Judenspanisch angegeben wurde, waren mit größter Wahr-scheinlichkeit Sepharden. Fehlte dieser Hinweis, konnte unter bestimmten Umständen die Staatsangehörigkeit Aufschluss geben: In Frankreich lebende Juden mit der eines Balkanstaates oder der Türkei, ebenso mit der Spaniens, dürften Sepharden gewesen sein, die seit Beginn des Jahrhunderts einge-wandert waren. Ihre Kinder, sofern in Frankreich geboren, besaßen aber be-reits die französische Staatsangehörigkeit, was nicht nur die Annäherung an exakte Zahlen erschwert, sondern zudem unter der deutschen Besatzung die rechtliche Lage solcher Familien komplizieren sollte. Seit der Ausweisung

aus Spanien 1492 lebten die meisten Sepharden i m Osmanischen Reich. B e -ginnen wir daher mit den Angaben für die Nachfolgestaaten des Reiches, die auf dem Balkan entstanden waren und - anders als die Türkei - i m Zweiten Weltkrieg unter deutscher Kontrolle gerieten, auch wenn die Intensität dieser Kontrolle sehr unterschiedlich war.

A m besten informiert sind wir über Griechenland. Dort lebten 1940 knapp 6 8 . 0 0 0 Juden. Fast 5 3 . 0 0 0 von ihnen hatten Judenspanisch als Muttersprache, waren also Sepharden.1 Allein in Saloniki, der Hauptstadt des dann deutsch besetzten Nordgriechenland wohnten 4 9 . 0 0 0 Juden.2 Circa 8 6 0 Juden Salo-nikis besaßen Anfang 1943 eine ausländische Staatsangehörigkeit: die von Spanien mindestens 5 2 3 Personen,3 die von Italien 281 Personen, Türkei 39,

1 Royaume de Gröce, Office National de Statistique: Resultats du Recensement de la Population effectue le 7 Avril 1951. Athen 1961, S. CVII-CXIX. Die Volkszählung 1940 fasste die spanischen und judenspanischen Muttersprachler in einer Kategorie zusammen. Insgesamt gab es 1940 53.125 Personen, deren Muttersprache Spanisch oder Judenspanisch war. Davon waren 52.731 jüdischen Glaubens, 327 Orthodoxe und 59 Katholiken. Nur noch für 22.725 der 53.125 Muttersprachler war Judenspanisch bzw. Spanisch 1940 auch die üblicherweise gesprochene Sprache. Die Volkszählung fand im Oktober 1940 statt, wurde aber erst nach Kriegsende ausgewertet und stand auch den deutschen Besatzungsbehörden nicht zur Verfügung. Vgl. Fleischer, Hagen:

Griechenland. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Dimension des Völkermords. München 1991, S. 242-274, hier: S. 248f.

2 Molho, Michael, S. 13. Benbassa/Rodrigue, S. 278, gehen von 56.000 Juden in Salo-niki 1940 aus. Unter den Juden SaloSalo-nikis stellten die judenspanisch-sprechenden Sephardim die erdrückende Mehrheit. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Sephar-dim hatte auch zur Folge gehabt, dass über die Generationen hinweg ursprünglich aschkenasische und romaniotische Familien einem Assimilierungsprozess unterlegen waren und das dominierende Judenspanisch übernommen hatten. Sie waren also Se-phardim geworden, ohne Vorfahren auf der Iberischen Halbinsel zu haben.

3 Diese Zahl, die eine Auswertung der Konsulatsregister von Athen und Saloniki ergab, nach: AMAE, R 2154/11: Spanische Vertretung Athen, Romero, an Außenministerium Madrid, 6. Mai 1943. Von deutscher Seite wurde auf der Basis einer Liste, die die Jüdische Gemeinde Saloniki hatte erstellen müssen, die Zahl 493 genannt, von denen eine Person sich in Athen aufhielt; vgl. PA AA, R 100870: Deutsches Generalkonsulat Saloniki, Schönberg, an AA Berlin, 15. März 1943, und: PA AA, R 100888, Vermerk v. Thadden, 30. April 1943, mit beiliegender Liste mit 493 Namen spanischer Juden in Saloniki. Diese Liste umfasste 512 Nummern, wobei aber explizit 9 Doppelzählungen und 10 Personen mit ungültigen bzw. griechischen Personaldokumenten erwähnt wur-den. Avni, Spain, S. 234, Anm. 33, erwähnt zwar die Doppelnennungen, hat aber nicht genauer nachgezählt und kommt daher in der Anmerkung auf die Gesamtzahl 506.

Namentlich belegt sind aus spanischen Quellen 511 Juden, die zwischen dem 25. und 28. Mai einen spanischen Pass zwecks Repatriierung erhielten, außerdem zehn in die-ser Aufstellung nicht erwähnte spanische Juden aus Saloniki, die zwischen April und Juni 1943 deportiert wurden, sowie zwei, die über Bergen-Belsen repatriiert wurden, aber ebenfalls in der Passliste fehlen. Schließlich kamen zwischen der Ausstellung der Pässe und der Deportation aus Saloniki zwei Mädchen zur Welt, die beim Stand An-fang August noch hinzuzählen sind. Damit sind insgesamt 525 spanische Juden in Saloniki namentlich durch spanische Quellen belegt. Aufgrund der Veränderungen durch Deportationen und Geburten ergeben sich für verschiedene Stichtage

unter-81 Portugal und Argentinien je 6, Schweiz 4, Ägypten 3, Ungarn 1, Bulgarien 1, sowie aus «Feindstaaten»: USA 3, Großbritannien 3, Iran 2.4 Für die umlie-genden Orte gibt es keine genauen Angaben. Aus Didimotichon (Demotika) wissen wir von mindestens 16 spanischen Juden, aus Nea Orestia von IL5 Komotini, wo es auch einige wenige spanische Juden gab, wurde 1941 von Bulgarien annektiert.6 Die spanischen Bürger gehörten überwiegend der so-zialen Oberschicht an. Molho schildert sie als «Händler, Bankleute, Seetransportunternehmer [besser: Reeder] oder sonst freiberuflich Tätige».7 Der spanische Autor Federico Ysart gibt uns eine nähere Aufschlüsselung der Berufe der Haushaltsvorstände: 41% seien Kaufleute gewesen, 18% Handels-vertreter, 8% Handwerker, 7% Angestellte, ebenfalls 7% Rentiers, 5% hätten Freie Berufe ausgeübt.8 Im Vergleich zur Gesamtheit der Juden in Saloniki fehlt hier völlig das Proletariat, von dem die jüdischen Hafenarbeiter der Stadt die wichtigste Gruppe waren.

In Athen lebten am Vorabend des Zweiten Weltkriegs nur 3.000 bis 4.000 Juden,9 davon 156 mit spanischem Pass.10

schiedliche Gesamtzahlen. Vgl. zur Liste über 511 Pässe: OID: Spanische Botschaft Berlin, Vidal, an Außenministerium Madrid, 13. August 1943, mit Anlagen; zu den zehn Deportierten: OID: Spanische Vertretung Athen, Romero, an Spanische Bot-schaft Berlin, 25. Juni 1943; zu den zwei zusätzlich Repatriierten und den zwei später geborenen Mädchen: OID: «El Encargado de Asuntos Consulares de la Embajada de Espana en Atenas certifica [...]», o. D., und: AHN, Fondos Contemporäneos, Section de la DGS, Exp. Policial H-657. Ein Vergleich der spanischen Listen mit der erwähn-ten deutschen Liste ist nur im Ausnahmefall besonders ungewöhnlicher Vornamen möglich, da in der deutschen Liste der zur Differenzierung unerlässliche, nach spani-scher Tradition übliche zweite Nachname ebenso fehlt wie das Geburtsdatum, und dies angesichts einer geringen Bandbreite bei den Nachnamen.

4 PA AA, R 100870: Deutsches Generalkonsulat Saloniki, Schönberg, an Α Α Berlin, 15. März 1943, und: PA AA, R 100888, Vermerk v. Thadden, 30. April 1943, mit bei-liegender Liste mit 492 Namen spanischer Juden in Saloniki. Der Iran wurde in Schön-bergs Schreiben als Feindstaat aufgeführt, obwohl er erst am 9. September 1943 Deutschland den Krieg erklärte.

5 OID: Spanischer Generalkonsul, Athen, an Spanische Botschaft Berlin, 25. Juni 1943, Anlage.

6 OID: Antworten Typaldos auf Fragebogen Ysart, 1972.

7 Molho, Michael, S. 245.

8 Ysart, S. 63. Ysarts Quelle ist ein Brief von Joseph Nehama an Henry Ormond vom 9. Juli 1955, den er im Archiv der spanischen Botschaft in Athen fand. Auch Dieter Wisliceny, für die Durchführung der Deportationen aus Saloniki verantwortlich, bestä-tigte in seiner Zeugenaussage vor dem Nürnberger Gerichtshof, dass die spanischen Juden der Stadt zur Oberschicht gehörten. Institut für Zeitgeschichte, Eich 856: Ver-nehmungen Dieter Wisliceny in Nürnberg, 17. Nov. 1945, S. 10.

9 Molho, Michael, S. 196f.

10 AMAE, R 2154/11: Spanische Vertretung Athen, Romero, an Außenministerium Ma-drid, 6. Mai 1943. Außerdem gab es dieser Quelle zufolge 36 nichtjüdische Spanier in Athen.

Auch in Bulgarien stellten die Sepharden die große Mehrheit der Juden, deren Zahl sich 1934 auf 49.000 belief.11 Alle im Land lebenden spanischen Staatsangehörigen waren Juden.12 Ihre Gesamtzahl gab der spanische Ver-treter in Sofia im Mai 1943 mit weniger als 400 an.13 19 von ihnen lebten in Skopje, das Bulgarien 1941 von Jugoslawien annektiert hatte.14 Auch Teile Nordgriechenlands eignete sich Bulgarien an. Dort wohnten, in Komotini, ebenfalls einige wenige spanische Juden.15

In Rumänien lebten in den dreißiger Jahren etwa 30.000 sephardische den. 1941 besaßen knapp über 100 erwachsene, durchweg wohlhabende Ju-den die spanische Staatsangehörigkeit; alle wohnten in Bukarest.16 Obwohl einige von ihnen zum Katholizismus übergetreten waren, wurden sie nach Auskunft der Spanischen Vertretung weiter als Juden angesehen.17

Die Angaben über die Zahl der Sepharden in Jugoslawien kurz vor dem deutschen Einmarsch schwanken zwischen 25.000 und 32.000. Viele von ih-nen lebten in Bosnien.18 Über spanische Juden in Jugoslawien liegen uns nur sehr wenige Informationen vor. Im November 1940 wurde ihre Zahl von der Spanischen Gesandtschaft in Belgrad mit circa 50 Familien angegeben.19 Im Mai 1943 nannte die Gesandtschaft nur noch die Zahl von 19 Juden mit spa-nischer Staatsangehörigkeit, die in ihren Verzeichnissen aufgeführt seien, aber alle im nun von Bulgarien annektierten Skopje lebten.20

11 Mechoulan, Judios, S. 256.

12 AMAE, R 2155/87: Spanische Vertretung Sofia an Außenministerium Madrid, 6. März 1942.

13 AMAE, R 2153/43: Spanische Vertretung Sofia an Außenministerium Madrid, 17. Mai 1943. Avni, Spain, S. 164, nennt eine Zahl von 150; diese Angabe findet sich im Schreiben der Deutschen Botschaft in Sofia an das AA Berlin vom 28. Mai 1943, heute im PA AA, R 100888. Der spanische Vertreter in Sofia dürfte aber in dieser Frage besser informiert gewesen sein als die Deutsche Botschaft. Ysart, S. 120f. gibt eine Zahl von 130 Spaniern an, meist Kaufleute. Eine Quellenangabe fehlt.

14 AMAE, R 2153/43: Spanische Vertretung Belgrad an Außenministerium Madrid, 15. Mai 1943.

15 Fleischer, S. 256; OID: Antworten Typaldos auf Fragebogen Ysart, 1972.

16 AMAE, R 1343/207: Spanische Vertretung Bukarest an Außenministerium Madrid, 26. Sept. 1941, und AMAE, R 1261/102: dito an dito, 27. März 1943, nennen die Zahl 107; OID: dito an dito, 5. Juni 1943, gibt ihre Zahl mit 110 an. Zu ihrer wirtschaftli-chen Situation: AMAE, R 1343/207: dito an dito, 20. Dez. 1941, und: OID: Spanischer Geschäftsträger in Bukarest an Außenministerium Madrid, 2. Juli 1940. Neben ihnen gab es noch etwa 30 nichtjüdische Spanier; vgl. OID, Spanischer Geschäftsträger in Bukarest an Außenministerium Madrid, 2. Juli 1940.

17 AMAE, R 1343/207: Spanische Vertretung Bukarest an Außenministerium Madrid, 16. März 1943.

18 Dawidowicz, Krieg, S. 385, nennt 25.000, Mechoulan, Judios, S. 266, 32.000.

19 AMAE, R 1344/116: Gesandtschaft Belgrad an Außenministerium Madrid, 15. Nov.

1940.

20 AMAE, R 2153/43: Spanische Gesandtschaft Belgrad an Außenministerium Madrid, 15. Mai 1943.

83 Das zweite Zentrum der Sepharden in Europa war seit Beginn des 20.

Jahrhunderts Frankreich geworden. Besonders nach Paris wanderten Se-pharden vom Balkan und aus Kleinasien ein. Die Hoffnung auf wirtschaftli-che Besserstellung und die Angst vor den nationalistiswirtschaftli-chen Bewegungen in ihrer Heimat motivierten die Emigranten. Frankreich war neben dem ameri-kanischen Kontinent Hauptziel der Auswanderungswelle, weil seit Beginn der Tätigkeit der Alliance Israelite Universelle im Osmanischen Reich und dessen Nachfolgestaaten die französische Kultur Leitbild für weite Teile der sephardischen Mittel- und Oberschicht war und bei ihr die französische Spra-che das Judenspanisch an den Rand drängte.21 1939 lebten im Großraum Pa-ris circa 30.000 sephardische Juden aus der Levante. Je etwa zur Hälfte hatten sie die französische oder eine andere Staatsangehörigkeit. Unter den etwa 200.000 Juden von Paris waren sie aber nur eine kleine Minderheit. Von zah-lenmäßig noch geringerer Bedeutung waren die schon seit Jahrhunderten im Land lebenden französischen Sepharden, ursprünglich in Bayonne und Bor-deaux konzentriert, deren Zahl im Großraum Paris sich 1939 nur auf etwa

1.000 belief. Die Hälfte der Sepharden arbeitete im Handel; Handwerker und Freie Berufe waren selten, körperlich tätige Hilfsarbeiter aber mit 15-20%

recht verbreitet. Von den osteuropäischen Juden grenzten sich die sephar-dischen Juden ab und verfügten über eigene Organisationen. Andererseits waren sie zu schneller Assimilierung an die französische Kultur bereit. Juden-spanisch wurde kaum noch gesprochen. Die circa 15.000 Sepharden mit fremder Staatsangehörigkeit waren natürlich überwiegend Bürger ihrer frü-heren Heimatstaaten: Griechen, Türken etc. Einige hatten aber Pässe europäi-scher Staaten, deren «Schutzgenossen» sie im 19. oder zu Beginn des 20.

Jahrhunderts geworden waren.22

Genaue Zahlen über die spanischen Sepharden in Frankreich anzugeben, ist aus mehreren Gründen schwierig. Viele Dokumente sind offenbar verloren gegangen, so die Staatsbürgerschaftsregister der Konsulate. Die überlieferten Angaben widersprechen sich teils, teils beziehen sie sich nur auf einen Teil Frankreichs. Schließlich, und am wichtigsten, variierten die Kriterien dafür, wer als spanischer Staatsbürger anzusehen war. Wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, wurden sie um so restriktiver, je mehr es um eine Repatriie-rung ging. Dieses vorausgeschickt, ergeben die verschiedenen Quellen fol-gendes Bild. Im Oktober 1942 nannte ein internes Papier des Madrider Au-ßenministeriums die Zahl von 2.000 spanischen Sepharden in Frankreich, die

21 Vgl. Rodrigue, Aron: French Jews, Turkish Jews. The Alliance Israelite Universelle and the Politics of Jewish schooling in Turkey, 1860-1925. Bloomington 1990.

22 Roblin, Michel: Les Juifs de Paris. Demographie - tconomie - Culture. Paris 1952, S.69f„ 89f„ 128f„ 131, 133.

beim Konsulat in Paris registriert seien.23 Dieses war aber nur für das besetzte Frankreich zuständig. Avnis Angabe, neben den 2.000 in Paris registrierten habe es 1.000 weitere spanische Juden im Rest des Landes gegeben, mag der Realität entsprechen, wird aber von den von ihm genannten Quellen nicht belegt.24 Im April 1943 war dem Generalkonsulat in Paris zufolge die Zahl der spanischen Sepharden in Paris auf 250 gesunken, da der Großteil in die unbesetzte Zone gegangen sei.25 Roblin nennt für den 1. Januar 1942 für Paris 285 spanische Sepharden neben 3.046 türkischen und 84 portugiesischen Sepharden.26

In den Niederlanden, mit der traditionsreichen Amsterdamer Gemeinde, lag die Zahl der Sepharden 1940 bei 4.300.27 In den übrigen während des Zweiten Weltkriegs von Deutschland kontrollierten Staaten war sie viel ge-ringer, jeweils weit unter 1.000; dies gilt auch für die großen jüdischen Zen-tren in Osteuropa. Ein Sonderfall ist Italien, wo nach einer ursprünglich be-deutenden sephardischen Zuwanderung die Angleichung der verschiedenen jüdischen Untergruppen über die Jahrhunderte so weit vorangeschritten war, dass nur noch für Einzelfälle von sephardischen Juden die Rede sein konnte.

In Algerien, Tunesien und Libyen, die kurzzeitig direkt oder indirekt deutschem Zugriff ausgesetzt waren, hatten sich die sephardischen Zuwanderer -anders als im Norden Marokkos - gänzlich dem einheimischen Judentum as-similiert, so dass besondere Beziehungen zu Spanien nicht mehr existierten.

In all diesen Ländern, von den Niederlanden bis Libyen, gab es nur ganz vereinzelt Juden mit spanischer Staatsangehörigkeit.

Für das «Großdeutsche Reich» schätzt Michael Studemund-Halevy auf-grund eigener Untersuchungen die Zahl der Sepharden auf etwa 325: circa

125 in Hamburg, um die 150 in Berlin und vielleicht 50 in Wien.28 Die Volks-zählung des Jahres 1939 ergab, dass 17 spanische Juden im Deutschen Reich lebten.29

Die Gesamtzahl sephardischer Juden im deutschen Machtbereich in seiner größten Ausdehnung kann man somit mit etwa 175.000 angeben, mit einer möglichen Variation nach oben oder unten von durchaus 25.000 Personen.

Spanische Juden gab es in diesem Gebiet etwa 4.500; es können auch 1.000 mehr, kaum aber weniger gewesen sein.

23 OID: «GO/PM. Europa [.] Informe [.] Estado en que se encuentra el problema sefardita.» 2. Okt. 1942.

24 Avni, Spain, S. 84.

25 AGA, AAEE, 11329: Spanisches Generalkonsulat Paris, «El Consul encargado», Diego Bulgas de Dalmau, an Spanische Botschaft Berlin, 29. April 1943.

26 Roblin, S. 185.

27 Mechoulan, Judios, S. 230.

28 Mitteilung an den Verfasser vom 27. Jan. 1999.

29 Hilberg, Vernichtung, S. 313.

85 2. Die Behandlung ausländischer Juden durch Nazi-Deutschland Vorgeschichte: Bis 1939

1933 lebten in Deutschland fast 100.000 Juden ohne deutsche Staatsangehö-rigkeit. 20% von ihnen waren Staatenlose, fast 60% Polen. 1939 war die Ge-samtzahl trotz der Annexion des Sudetengebietes und Österreichs durch Aus-wanderung und Ausweisungen auf 45.000 gesunken.30 Die «Judengesetze»

galten prinzipiell auch für sie, denn Juden waren von der Regelung ausge-nommen, «daß über die Anwendung der Ariergesetzgebung auf ausländische Nichtarier das Reichsinnenministerium jeweils im einzelnen im Einverneh-men mit dem Auswärtigen Amte entscheide.» Bei der Vergabe von Arbeits-genehmigungen und Gewerbescheinen wurden ausländische Juden - be-sonders solche aus Osteuropa - diskriminiert, beim geringsten Anlass erfolg-ten Abschiebungen.31

Außenpolitische Verwicklungen brachte der Erlass vom 26. April 1938 über die Anmeldung jüdischen Vermögens mit sich. Er sah vor, dass das Ver-mögen vom Beauftragten für den Vierjahresplan - dies war Göring - im Inter-esse der deutschen Wirtschaft eingesetzt werden dürfe. Nachdem mehrere Botschaften dagegen protestiert hatten und das Auswärtige Amt um die Rech-te der Deutschen im Ausland fürchRech-teRech-te, genehmigRech-te Göring zwei Ver-änderungen: nur das Vermögen von Juden, die sich dauerhaft in Deutschland aufhielten, sei zu registrieren, nicht jedoch das in Deutschland befindliche Vermögen von Juden, die im Ausland lebten; und: die völkerrechtlichen Ver-träge, die ausländisches Vermögen schützten, sollten berücksichtigt werden.

Damit gaben sich die Botschaften zufrieden.32

Nun war aber die grundsätzliche Frage nach dem Umgang mit ausländi-schen Juden auf die Tagesordnung gesetzt worden. Im Juli 1938 fragte Rudolf Heß bei Hitler an, ob ausländische Juden wie Ausländer oder wie Juden zu behandeln seien. Hitler antwortete, sie seien wie Juden zu behandeln, doch könne in Einzelfällen aus außenpolitischen Gründen davon abgewichen wer-den.33

30 Maurer, Trude: Ausländische Juden in Deutschland 1933-1939. In: Paucker, Arnold (Hg.): Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933—1943. Tübingen 1986, S. 189-210, S. 189; Arndt, Ino/Boberach, Heinz: Deutsches Reich. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozia-lismus. München 1991, S. 23-65, S. 35.

31 Maurer, S. 191 (Zitat), 197f.

32 Browning, Christopher R.: The Final Solution and the German Foreign Office. Α Study of Referat D III of Abteilung Deutschland 1940-43. New York 1978, S. 15f.; Ben Elissar, Eliahu: La diplomatic du IIIe Reich et les Juifs (1933-1939). O. O., 1969, S. 235-238.

33 Ben Elissar, S. 240.

Nach dem Pogrom vom 9. November 1938 wurde von einer Regierungs-konferenz unter Leitung Görings beschlossen, die Juden aus der deutschen Wirtschaft zu verdrängen. Gegenüber jüdischen Staatsbürgern der West-mächte - USA, Großbritannien, Frankreich - sollte jedoch Mäßigung geübt werden, hingegen nicht bei osteuropäischen Juden, da von deren Regierun-gen keine ernsthaften Proteste erwartet wurden. Dies entsprach der bisheri-gen Linie. Als auch andere Länder, u.a. die Schweiz und die Niederlande, gegen die Diskriminierung ihrer jüdischen Staatsbürger beim Auswärtigen Amt intervenierten, gab dieses nur die Zusage einer ergebnisoffenen -Einzelfallprüfung, weigerte sich aber zuzusichern, dass sie generell nicht auf-grund ihrer Rasse oder Religion diskriminiert würden. Die USA hatten mehr Erfolg: all ihren Protesten wurde nachgegeben. Aber auch sie erhielten vom Auswärtigen Amt die Auskunft, dass das Völkerrecht eine unterschiedliche Behandlung von Ausländern nach Rasse oder Religion nicht verbiete. Zwar wurde im Februar 1939 den US-amerikanischen Juden trotzdem die Gleich-behandlung mit den übrigen US-Bürgern in Deutschland gewährt, doch war dies damit deutlich als widerrufbare Konzession aus Gründen politischer Op-portunität gekennzeichnet.34

Vom Überfall auf Polen bis zum Beginn der Deportationen

Die rechtliche Lage ausländischer Juden wurde durch den Kriegsbeginn wei-ter kompliziert. Einerseits hielt sich Deutschland prinzipiell für berechtigt, auch ausländische Juden zu diskriminieren. Andererseits war Ausländern, die sich in einem militärisch besetzten Gebiet aufhielten, nach dem Völkerrecht zumindest ihr Leben und ihr Eigentum garantiert. Die Zuständigkeit für aus-ländische Juden erlangte nun das Auswärtige Amt, was Anfang 1942 auf der Wannsee-Konferenz, an der für das Ministerium Unterstaatssekretär Martin Luther teilnahm, bestätigt wurde. Luther forderte, «daß alle das Ausland

Die rechtliche Lage ausländischer Juden wurde durch den Kriegsbeginn wei-ter kompliziert. Einerseits hielt sich Deutschland prinzipiell für berechtigt, auch ausländische Juden zu diskriminieren. Andererseits war Ausländern, die sich in einem militärisch besetzten Gebiet aufhielten, nach dem Völkerrecht zumindest ihr Leben und ihr Eigentum garantiert. Die Zuständigkeit für aus-ländische Juden erlangte nun das Auswärtige Amt, was Anfang 1942 auf der Wannsee-Konferenz, an der für das Ministerium Unterstaatssekretär Martin Luther teilnahm, bestätigt wurde. Luther forderte, «daß alle das Ausland