• Keine Ergebnisse gefunden

§ 1 DIENSTINSTRUKTIONEN VOM 7. OKTOBER 1808

I. Neue Rechtslage

Das Fürstentum Liechtenstein ist 1806 Mitglied des Rheinbundes geworden,7der in erster Linie ein Militärbündnis war.8Es hat gegenüber den alten Reichsauslagen ein Vielfaches an Bundeskosten verursacht. Die neuen, für das Land extrem grossen Belastungen in einer Zeit wirt-schaftlicher Not bedingen die Abschaffung der alten Ordnung und effektive Verwaltungsstrukturen.9 Zudem schaffen die Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 eine neue Rechtslage. Sie heben die «vormalige Reichs-verfassung» auf.10Diesen Umstand nimmt Fürst Johann I. in den Dienst-instruktionen vom 7. Oktober 1808 für Landvogt Josef Schuppler11zum Anlass, den «seit undenklichen Zeiten ausgeübte(n) Landesgebrauch»

(Landammannverfassung) und «derley hergebrachten Gewohnheiten»

auf den ersten Januar 1809 ausser Kraft zu setzen. Sie sind, wie er zu ver-stehen gibt, nicht mehr «mit dem Geist des dermaligen Zeitalters und (der) vorgerückten Cultur, als (auch) der in benachbarten Staaten einge-führten Verfassung» zu vereinbaren.12

7 Siehe Georg Malin, Politische Geschichte, S. 51 ff.

8 Reinhard Mussgnug, Der Rheinbund, S. 261.

9 Alois Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 76.

10 Vgl. Brigitte Mazohl-Wallnig, Sonderfall Liechtenstein, S. 8 ff. Sie beleuchtet die Entstehung der Souveränität Liechtensteins in ihrem historischen Kontext.

11 Abgedruckt in: LPS 8, S. 247–258; Paul Vogt, Verfassungsdokumente Liechten-steins, S. 301–310; auch im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.

12 Vgl. auch Herbert Wille, Liechtenstein, S. 1081 ff.

Die Landammannverfassung, die sich etwa um 1500 herausgebildet hatte, räumte der Bevölkerung weitgehende Mitwirkung in Verwaltung und Rechtsprechung ein.13Der Landammann war Vorstand des Gerichts einer Landschaft und gleichzeitig auch der oberste Verwaltungsbeamte seiner Landschaft. Die Institution der Landammänner und der Gerichte wurde zwar schon im Jahre 1719 bei der Erhebung der beiden Herr-schaften, der Grafschaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg, zum Reichsfürstentum aufgehoben und die beiden Landschaften unter einem Oberamt und sechs Ämtern zusammengelegt. «Aus blosser Gnade»

wurde jedoch 1733 eine nur noch in «geschmälerter Gestalt»14 beste-hende Landammannverfassung für beide Landschaften «mehr formell als materiell»15wieder eingeführt.16

II. Zentralisierung der Verwaltung 1. Allgemeines

Mit einer völlig zentralisierten und mit allen Kompetenzen ausgestatte-ten Verwaltung sollte eine durchgreifende, den Anforderungen der neuen Verhältnisse gewachsene, wirtschaftliche Reform durchgeführt werden.17So umfasst die zum 1. Januar 1809 eingeführte neue Ordnung auch die Landesverwaltung, die grundlegend umgestaltet wird. Die jahr-hundertealten Gerichtsgemeinden werden eliminiert. Die Gerichtsin-struktion vom 1. Januar 181018betrachtet die Gemeinden nur noch als staatliche Organe, die nach Weisung der Obrigkeit bestimmte Pflichten, wie die Verwaltung des Gemeindevermögens oder die niedere Gerichts-pflege in Streit- und Schuldsachen, zu besorgen haben.19

13 Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 22 mit weite-ren Hinweisen. Zur Landammannverfassung siehe Fabian Frommelt, in: Histori-sches Lexikon, Bd. 1, S. 473 f.

14 Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 88.

15 Josef Ospelt, Verfassungsgeschichte, S. 19; vgl. auch Paul Vogt, Brücken zur Ver-gangenheit, S. 83.

16 Vgl. Gerard Batliner, Parlament, S. 169 Fn. 309.

17 Alois Ospelt, Wirtschaftsgeschichte, S. 76.

18 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.

19 Alois Ospelt, Das Bürgerrecht, S. 150.

2. Oberamt

Das Oberamt ist die einzige Verwaltungsbehörde des Landes und glie-dert sich in ein Rentamt, ein Grundbuchamt und ein Depositenamt. Es obliegt ihm die gesamte innere Landesverwaltung, die Rechtsprechung in erster Instanz, die Domänenverwaltung und die Gemeindeaufsicht. Es untersteht der Kontrolle der fürstlichen Hofkanzlei, der es zu berichten und von der es in allen wichtigeren Angelegenheiten die Weisungen ein-zuholen hat.20

3. Fürstliche Hofkanzlei

Die fürstliche Hofkanzlei in Wien ist seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts das eigentliche «Verwaltungszentrum»21 bzw. die

«oberste Zentralbehörde»22, die unmittelbar dem Fürsten zugeordnet ist.

Ihr Aufgabenbereich erstreckt sich auf alle wirtschaftlichen, gerichtli-chen und politisgerichtli-chen Agenden des fürstligerichtli-chen Besitzes.

III. Absolutistisches Herrschaftskonzept

Im absolutistischen Herrschaftskonzept ist der Fürst auch Inhaber der judikativen Gewalt, da er allein Träger der Staatsgewalt ist. Die Rechts-pflege ist dem Bereich der Regierung zugeordnet. Das heisst, dass das Oberamt in Vaduz und die Hofkanzlei in Wien die Gerichtsbehör-den des Landes sind. Sie bilGerichtsbehör-den seit der Auflösung der alten Reichsver-fassung die einzigen zwei Gerichtsinstanzen.23Seit dem Ende des Alten Reiches steht dessen Rechtssystem zum Schutz der Untertanen, den der Landsbrauch gewährt hatte, nicht mehr zur Verfügung.24 Den

20 Paul Vogt, Verwaltungsstruktur und Verwaltungsreformen, S. 58; ders., Oberamt, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 661 f.; Rupert Quaderer, Die Entwicklung der liechtensteinischen Volksrechte, S. 19 f.

21 Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, S. 50.

22 Paul Vogt, Verwaltungsstruktur und Verwaltungsreformen, S. 42.

23 Vgl. Alois Ospelt, Geschichte des Laienrichtertums, S. 49 ff. (51).

24 Vgl. Georg Schmidt, Fürst Johann I., S. 417.

Untertanen fehlt damit ausserhalb des eigenen Herrschaftssystems eine Rechtsinstanz.

IV. Normativer Unterbau

Die Dienstinstruktionen ordnen, wie sie zu verstehen geben, neben anderen Gesetzen eine «den Zeitumständen und Verhältnissen des Lan-des anpassende Jurisdiktionsnorma» an. In der Folge führt die Fürstliche Verordnung vom 18. Februar 181225auch die österreichische allgemeine bürgerliche Gerichtsordnung von 1781 und das österreichische Gesetz-buch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803 ein.

Gleichzeitig treten «alle anderen bisher gültig gewesenen bürgerliche(n) und peinliche(n) Gesetze gänzlich» ausser Kraft. Diese Massnahme macht eine Novellierung notwendig. Der alte Landsbrauch, der als Leit-faden für die Rechtsprechung gedient hat, besteht nicht mehr.26Vor der Reform existierten als wichtige Gesetzesnormen lediglich der Lands-brauch, die Polizeiordnung von 1732 und die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. vom Jahre 1532.27

V. Staatspolitische Tragweite 1. Auswirkungen

Die Dienstinstruktionen, die Landvogt Joseph Schuppler als die «ganz nach dem Sinne der oestreichschen Gesetze eingerichtete(n) neue(n) Landesverfassung»28bezeichnet, bedeuten eine tiefgreifende Neugestal-tung der staatlichen Ordnung, die «Ansätze zum modernen Staat erken-nen» lassen.29Sie treffen neben weitreichenden Verwaltungs- und

Justiz-25 Vgl. Einführung des österr. ABGB, der Gerichtsordnung und des Strafgesetzes vom 18. 2. 1812 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).

26 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 172.

27 Alois Ospelt, Die geschichtliche Entwicklung des Gerichtswesens, S. 234.

28 So Joseph Schuppler, Beschreibung des Fürstentums Liechtenstein, S. 249.

29 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 58; Alois Ospelt, Die geschichtliche Ent-wicklung des Gerichtswesens, S. 233.

reformen auch einschneidende wirtschaftliche Massnahmen. Die Re -form fand ohne Volk (Untertanen) statt, sodass sie auf Widerstand stiess.30Gewachsene Strukturen und Traditionen konnten nicht einfach per Dekret beseitigt werden. Das Volk wollte das gute alte Recht beibe-halten.31Tradition und altes Herkommen hatten aber kein Gewicht. Die Modernisierung erfolgte nach rationalen Prinzipien und zeugt von einer absolutistisch-aufgeklärten Geisteshaltung. Fürst Johann I. orientiert sich an josephinischen Vorbildern des späten 18. Jahrhunderts.32Er war bestrebt, das Volk «moralisch und materiell einer besseren Kulturstufe zuzuführen».33Zu Konzessionen war er nicht bereit.34Eine Rückkehr zu den alten Zuständen kam nicht infrage. Sie standen einer gedeihlichen Entwicklung des Landes im Wege. Die alte Reichsverfassung war nach seinem Verständnis «zum Hemmschuh jeglichen Fortschritts» gewor-den.35 Sein Landvogt Josef Schuppler36 ging mit strenger Hand gegen

«schädliche Missbräuche» und «eingelebte üble Gewohnheiten» vor.37

30 Siehe Fabian Frommelt, Aufstand in Liechtenstein, S. 69 ff.

31 Carl von In der Maur, Die Gründung des Fürstenthums Liechtenstein, S. 179.

32 Vgl. Georg Malin, Politische Geschichte, S. 34; Volker Press, Das Haus Liechten-stein, S. 64.

33 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 198.

34 So erklärt Landvogt Josef Schuppler in seiner Proklamation vom 12. Juni 1809:

«Seine Durchlaucht werden von Ihren für das Wohl des Landes gefassten Grund-sätzen für keinen Fall abweichen und sie entweder mit militärischer Macht durch-setzen oder ein anderes Mittel treffen, welches Euch noch empfindlicher fallen wird.» Publiziert in: Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liech-tenstein, S. 212 f.

35 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 172.

36 Kritisch zu seiner Person Peter Kaiser, Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein, S. 547. Dort schreibt er: «Die von Hauer getroffene Wahl wurde in der Person des Josef Schuppler nicht verfehlt. Denn nur ein junger, rascher, unter ganz anderen Ver-hältnissen, als die hiesigen waren, aufgewachsener Mann, dem es nie einfallen konnte, dass auch dem Volke Rechte zustehen, dass diese untersucht werden sollten und wenn selbe erprobt gefunden worden, ebenso wenig vom Fürsten, wenn auch souverän, als die des Fürsten vom Volke verlezt werden dürfen, nur ein solcher Mann konnte zum vorhabenden Zwecke taugen.» A. A. Karl von In der Maur, Feld-marschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 197 ff.

37 Siehe Ziffer 13 der Dienstinstruktionen und dazu Paul Vogt, Verfassungsdokumente Liechtensteins, S. 301–310 (auch im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>);

Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 198; Georg Malin, Politische Geschichte, S. 36 und 38; Josef Ospelt, Verfassungsgeschichte, S. 20.

Das Volk kam sich entrechtet vor.38Die Dienstinstruktionen führten zu einer von oben angeordneten Umgestaltung der Verfassungsverhältnisse.

Im Schrifttum ist von einer «Revolution von oben» die Rede,39die sich nachhaltig auf die staatliche und politische Ordnung ausgewirkt hat. Die Dienstinstruktionen stellten eine neue Ära dar, die abrupt gegen die Widerstände der Untertanen, die ihr altes Recht verteidigten, mit der Vergangenheit gebrochen hat. Auch wenn sie nicht im eigentlichen Sinn als Verfassung bezeichnet werden können, sind sie doch Ausdruck poli-tischer Herrschaftsgewalt, die vor allem in organisatorischer Hinsicht Entscheidungen von grundlegender Bedeutung trifft.40

2. Stellung des Fürsten

Fürst Johann I. tritt ganz im Stile des absoluten Monarchen und Lan-desherrn auf41und beseitigt aus eigener Machtvollkommenheit den Landesgebrauch (Landammannverfassung), den «das so nöthige wie er -spriessliche Werk der künftigen Landesverfassung» ersetzen soll. Die Aufhebung der Landammannverfassung erscheint unter diesen Umstän-den als Konsequenz der vom Fürsten beanspruchten Souveränität,42die ihm ohne Einschränkung die Rheinbundakte zusicherten.43 Das Alte

38 Alois Ospelt, Die Landesbeschreibung des Landvogts Josef Schuppler, Einleitung, S. 212.

39 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 58; siehe auch Georg Schmidt, Fürst Johann I., S. 408 und 410, der von einer «ungeheuren» bzw. «entscheidenden» Zäsur spricht.

40 Formulierung in Anlehnung an Dieter Gosewinkel / Johannes Masing, Die Verfas-sungen in Europa, S. 1; zum Rechtscharakter der Dienstinstruktionen siehe Herbert Wille, Staat und Kirche, S. 34 f.; Paul Vogt, Verfassungsdokumente Liechtensteins, Einleitung, S. 297 f.; Cyrus Beck, Der Vorbehalt des Gesetzes der liechtensteini-schen konstitutionellen Verfassung von 1862, S. 37.

41 Vgl. Georg Malin, Politische Geschichte, S. 49 f.; Georg Schmidt, Fürst Johann I., S. 411.

42 Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 172 spricht in diesem Zusammenhang von einem «neubegründeten Verhältnis der Souveränität».

43 Siehe Art. 26 i. V. m. Art. 25 RBA; Reinhard Mussgnug, Der Rheinbund, S. 264. Vgl.

auch Brigitte Mazohl-Wallnig, Sonderfall Liechtenstein, S. 13 f., die auf den Unter-schied zwischen der traditionalen Landeshoheit im Rahmen der Reichsverfassung und der modernen Souveränität im Rahmen des Rheinbundes aufmerksam macht.

Es werde mit der «geteilten Souveränität» gebrochen, denn Fürst und Volk, Kaiser

Reich war aufgelöst und die Beschränkung durch die Reichsunmittel-barkeit weggefallen.44Der Fürst hatte niemanden mehr über sich, sodass er obrigkeitlich alle Macht im Staat absorbierte und in sich vereinigte.45

Als absoluter Monarch bedurfte Fürst Johann I. vorerst weder einer juristischen Bestätigung noch einer Rechtfertigung seiner Macht in einem Verfassungsdokument.46 Er kleidete seinen Willen in «Dienstin-struktionen», die sein Landvogt auszuführen hatte.

§ 2 LANDSTÄNDISCHE VERFASSUNG VON 1818 I. Ausgangslage

1. Mitglied des Deutschen Bundes

Nachdem sich Fürst Johann I. am 7. Dezember 1813 «in aller Form»47 vom Rheinbund getrennt hatte, schloss er sich mit seinem Fürstentum der Koalition der Alliierten im Kampf gegen Napoleon an. Er verpflich-tete sich gegenüber Kaiser Franz I. von Österreich in einem separaten Vertrag, für die neuen Verbündeten ein «achtzigköpfiges» Truppenkon-tingent48zu stellen.49Als «Gegenleistung» verbürgte sich Österreich für die Souveränität Liechtensteins,50 das 1815 Mitglied des Deutschen

und Stände seien bis zum Rheinbund – zumindest idealiter – nur gemeinsam Inha-ber von Herrschaft gewesen, und nur in ihrer wechselseitigen Bindung hätte diese wirksam werden können.

44 Damit existierte die Reichsaufsicht nicht mehr, sodass «die erstarkten Landesherren frei geworden (waren), den Rechtsschutz ihrer Untertanen gegen sich selbst nach Belieben zu regeln.» So Clemens Ladenburger, Die Paulskirchenverfassung, S. 410.

45 Gerard Batliner, Parlament, S. 170 Fn. 309; vgl. auch Brigitte Mazohl-Wallnig, Son-derfall Liechtenstein, S. 9 ff.

46 Vgl. auch Christoph Gröpl, Staatsrecht I, S. 28 Rz. 131. Die Dienstinstruktionen weisen teilweise einen normativen Charakter auf.

47 Georg Malin, Politische Geschichte, S. 160.

48 Volker Press, Das Fürstentum Liechtenstein, S. 63; Georg Malin, Politische Geschichte, S. 161. Das Truppenkontingent war doppelt so gross wie dasjenige zur Zeit des Rheinbundes. So Paul Vogt, Brücken zur Vergangenheit, S. 107.

49 Gleich lautende Verträge wurden mit Preussen und Russland abgeschlossen. Siehe Georg Malin, Politische Geschichte, S. 161 Fn. 29.

50 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 201 unter Bezugnahme auf Georg Malin, Politische Geschichte, S. 161.

Bundes wird, den die «souverainen Fürsten und freien Städte Deutsch-lands» bilden.

2. Deutsche Bundesakte

Die bundesstaatliche Ordnung rückte die Frage nach der Verfassungs -autonomie der Einzelstaaten in den Vordergrund. Streitig war, inwieweit der Bund Einfluss auf die Verfassungszustände nehmen sollte.51 Der in Art. 13 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 gefundene Kom-promiss, wonach in allen Bundesstaaten eine «landständische Verfas-sung» stattzufinden hatte, stellte aber eine «materiell wie formell unbe-stimmte Norm» dar.52 Zum einen war der Begriff «Landstände» mehr-deutig, zum andern fehlten nähere Angaben über deren Ausgestaltung und den Zeitpunkt, bis zu dem innerstaatlich eine solche Verfassung angeordnet werden musste.53 Unter diesen Umständen überrascht es nicht, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten sowohl altständische Verfas-sungen als auch neuzeitliche, moderne Repräsentativ-VerfasVerfas-sungen mit gewählten Volksvertretungen erlassen wurden. So wurden Bayern und Baden 1818 und Württemberg 1819 zu konstitutionellen Monarchien, während kleinere mitteldeutsche Staaten Verfassungen des altständi-schen Typs erhielten.54 In Österreich und Preussen wurden bis 1848 überhaupt keine Verfassungen eingeführt.55

Die Deutsche Bundesakte begründete zwar eine Pflicht, eine Ver-fassung zu schaffen, tangierte aber den VerVer-fassungsprozess in den Ein-zelstaaten kaum. Sie steckte den Rahmen so weit ab, dass jeder Mit-gliedsstaat genügend Spielraum für eine eigene Verfassungspolitik

vor-51 Vgl. Wilhelm Mössle, Die Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, S. 374 ff.

52 Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 35; vgl. auch Wolfgang Quint, Souveränitätsbegriff, S. 465.

53 Hans Gangl, Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat, S. 49; Klaus Kröger, Grund-rechtsentwicklung in Deutschland, S. 13. Nach Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 211 ist in Art. 13 der Wiener (Deutschen) Bundesakte absichtlich der Ausdruck

«Repräsentativverfassung» durch den Ausdruck «ständische Verfassung» ersetzt worden.

54 Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, S. 457.

55 Klaus Kröger, Grundrechtsentwicklung in Deutschland, S. 13.

fand, zumal eine Einigung über die Frage der Begrenzung der Verfas-sungsautonomie nicht erzielt werden konnte. Die Bundesakte liess es denn auch offen, auf welche Weise die einzelnen Staaten altständische Verfassungen einführen56und wie die Landstände zusammengesetzt und berufen sowie mit welchen Befugnissen sie ausgestattet werden sollten.57 So ist es nach Meinung der fürstlichen Hofkanzlei «mithin jedem Sou-verainen überlassen eine Verfassung zu geben wie ihm beliebt», denn

«über die notwendigen Grundsätze solcher landständischer Verfassun-gen» habe sich weder «die Bundesakte noch bisher der Bundestag bestimmt ausgedrückt».58Der Fürst könne die von ihm gewährte Ver-fassung unbeschränkt je «nach Umständen modificiren».59

3. Österreichische Verfassungsvorbilder

Fürst Johann I. erlässt bzw. oktroyiert60die Landständische Verfassung als «souveräner Fürst»61 am 9. November 1818.62 Er orientiert sich an österreichischen Verfassungsvorbildern. So hat er «die in den k. k. öster-reichischen deutschen Staaten bestehende landständische Verfassung in ihrer Wesenheit zum Muster» genommen.63 Sie weicht stark von der

56 Die Landständische Verfassung von 1818 ist noch eine Verfassung, die altständisch ausgerichtet ist.

57 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 640 ff.

58 Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei vom 8. November 1818 an den Fürsten, zitiert nach Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 17.

59 Schreiben der fürstlichen Hofkanzlei vom 8. November 1818 an den Fürsten, zitiert nach Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 27 und 28.

60 Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung, S. 83 weist darauf hin, dass die land-ständischen Verfassungen «als vom Fürsten gnadenweise gewährt ausgegeben wur-den – nach der vom enttäuschten Bürgertum gebrauchten Version: als oktroyiert».

61 So die Präambel der Deutschen Bundesakte; vgl. Ernst Rudolf Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 84 f.

62 Abgedruckt in: LPS 8, S. 259–262 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).

63 § 1 Landständische Verfassung; zu den Verfassungsmustern siehe PGS 44, Nr. 28 und PGS 46 Nr. 86. Vgl. auch Peter Geiger, Geschichte, S. 24. Andere Staaten des Deutschen Bundes wie Bayern (1818), Baden (1818) und Württemberg (1819) nah-men die französische «Charte oktroyée» von 1814 zum Vorbild. Siehe Arthur Schle-gelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 38 und zu Österreich S. 29.

frühkonstitutionellen Verfassungsentwicklung der süddeutschen Staaten ab, die sich volksrepräsentativen Elementen zu öffnen beginnen.64 Die oktroyierten Verfassungen von Tirol65 und Krain66 räumen denn auch den Ständen keine oder nur sehr beschränkte Befugnisse ein.67

II. Landesfürst und ständische Vertretung 1. Zusammensetzung des ständischen Landtages

Die Zusammensetzung des ständischen Landtages ist ein Abbild der da-maligen Wirtschafts- und Sozialverhältnisse. Obwohl der Adel und die Städte fehlen, nimmt die Landständische Verfassung eine hierarchische Zweiteilung der Landstandschaft vor. Sie rechnet die Geistlichkeit und den Vertreter Österreichs dem höheren Stand zu. Die Richter und Sä-ckelmeister der Gemeinden bilden die Landmannschaft. Die Landstand-schaft ist dem Einkammersystem vergleichbar, wie es in anderen Kleinst-aaten des Deutschen Bundes üblich ist.68Eine Trennung in zwei Kam-mern ist aufgrund der geringen Mitgliederzahl nicht angebracht. Land-vogt Joseph Schuppler will die Mitgliederzahlen aus Kostengründen möglichst niedrig halten. Er steht auch auf dem Standpunkt, dass die Be-ratungen der Landstände eine blosse «Formalität» darstellen.69

Der geistliche Stand setzt sich aus den Besitzern geistlicher Benefi-zien und den geistlichen Gemeinschaften zusammen. Er wählt nach eige-nen Regeln auf Lebenszeit drei Deputierte, zwei für die obere und eieige-nen

64 So gesehen stimmt der Hinweis von Karl von In der Maur, Feldmarschall Johann Fürst von Liechtenstein, S. 194 nicht, wonach die ständischen Verfassungen in allen Ländern, in welchen sie eingeführt worden waren, lediglich ein «ziemlich beschei-denes Mass politischer Rechte» gewährt haben. Albert Schädler, Landtag, JBL Bd. 1 (1901), S. 89 ist der Ansicht, dass die damals zustande gekommenen Verfassungen

«wohl in keinem Staate den gehegten Erwartungen entsprochen» haben.

65 Abgedruckt in: PGS 44, Nr. 28.

66 Abgedruckt in: PGS 46, Nr. 86.

67 Vgl. auch Ernst C. Hellbling, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsge-schichte, S. 338.

68 Vgl. Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 233 Fn. 178; Foroud Shirvani, Abgeordne-tenstatus, S. 546 f.

69 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 23.

für die untere Landschaft.70 Darüber hinaus haben auch jene Besitzer einer «geistlichen Pfründe», die wenigstens über ein liegendes oder der Versteuerung unterworfenes Vermögen von 2500.– fl. (Gulden) verfü-gen, ein «Recht auf die Landstandschaft».71

Der Landmannschaft gehören von Verfassungs wegen die jeweiligen Richter und Säckelmeister an, denen die unmittelbare Leitung des Ge-meindewesens obliegt. Ein «Recht auf die Landstandschaft» haben auch jene Untertanen, die für ihre Person an liegenden Gründen einen Steuer-satz von 2000.– fl. (Gulden) ausweisen, «30 Jahre alt, vom unbescholte-nen und uneigennützigen Rufe und verträglicher Gemüthsart sind». Von diesem Recht macht jedoch weder ein Geistlicher noch ein Untertan Gebrauch.72Der Steuersatz ist für die Untertanen zu hoch angesetzt.73

2. Verhältnis von Landesfürst und Ständen

Die Landstände haben nur die Befugnis, im Landtag Vorschläge zu unterbreiten, die das «allgemeine Wohl» betreffen. Hiervon sind Vor-schläge ausgenommen,74die sich auf vermögenswerte Rechte des Fürs-ten wie Landesregalien oder auf AngelegenheiFürs-ten «im bürgerlichen, poli-tischen und peinlichen Fache» oder auf die «äusseren Staats-Verhält-nisse» beziehen.75 Der Landesfürst behält sich das Recht der Ge nehmigung oder der Verwerfung vor. Wichtige Fragen wie die Ver-waltungsorganisation oder die Steuererhebung bleiben ihrem Zugriff verschlossen. Sie verfügen über kein Besteuerungs- und Gesetzgebungs-recht und können ihre Interessen gegenüber dem Landesfürsten nur in Form von Bitten und Ratschlägen vortragen.76Sie können auf die Fest-legung des Budgets keinen Einfluss nehmen. Sie haben «sich nur über

70 Vgl. als Beispiel Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 31.

71 Vgl. § 3 Landständische Verfassung.

72 Vgl. § 4 Landständische Verfassung und dazu Peter Geiger, Geschichte, S. 20 Fn. 38.

73 Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 22.

74 Zu den Dominikalgefällen vgl. Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht, S. 57 ff.

75 Vgl. §§ 13–17 Landständische Verfassung.

76 Peter Geiger, Geschichte, S. 21 f.; vgl. auch Arthur Schlegelmilch, Die Alternative

76 Peter Geiger, Geschichte, S. 21 f.; vgl. auch Arthur Schlegelmilch, Die Alternative