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§ 20 LANDTAG UND VOLKSRECHTE I. Allgemeines

Wilhelm Beck erklärte in der Landtagssitzung vom 14. Oktober 1918, es gehe ein «demokratischer Zug» durch die Welt, der auch vor den Schran-ken Liechtensteins nicht Halt mache.141 Zum Begriff «demokratisch»

bemerkten die Oberrheinischen Nachrichten,142«kann doch wohl allge-mein gesprochen nur heissen, dass eben der Einfluss des Volkes an Stelle einiger im gesamten Staatsleben einen ganz anderen Ausdruck in Zukunft zu bekommen hat, als dies bisher der Fall gewesen ist. An Stelle einer scheinbaren konstitutionellen Verfassung hat eine wirkliche zu tre-ten, und diese selber ist vom Grundsatz der Volksherrschaft neben jener des monarchischen Prinzips143 vollständig zu durchtränken. Das Volk selbst und seine Vertreter sollen als Scheinfaktoren im Staatsleben zu sol-chen der Wirklichkeit emporgeführt werden.»144

Die Idee der rechtlichen Bindung politischer Herrschaft und der Legitimierung der Staatsgewalt und Gesetzgebung durch das Volk hängt aufs engste mit der Einführung und dem Ausbau der Volksrechte und der Entstehung und Stärkung des Parlaments145 als Volksvertretung

141 Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 119.

142 O.N. Nr. 81 vom 9. Oktober 1920 unter dem Titel «Demokratische Erscheinun-gen», zitiert nach Herbert Wille, Landtag und Wahlrecht, S. 120.

143 Hier ist offensichtlich das «monarchische Prinzip» nicht im Sinne von § 2 KV 1862 (Fürst als souveränes Staatsoberhaupt) gemeint.

144 Vgl. die Teilung der Staatsgewalt in Art. 2 LV 1921.

145 Zu Verwendung dieses Begriffs aus liechtensteinischer Sicht siehe Gerard Batliner, Parlament, S. 13 Fn. 1.

zusammen,146wie dies ein Verfassungsvergleich belegen und veranschau-lichen kann. Die Landständische Verfassung von 1818 räumt den Land-ständen noch keine politischen Rechte ein. Sie bleiben auf eine «Bera-tungsfunktion» beschränkt. Es wurde ihnen eine Verfassung auferlegt, nach der für sie das «fürstliche Wort» bestimmend war.147 Auch von eigentlichen Wahlen zum Stände-Landtag kann nicht die Rede sein. Die Landständische Verfassung von 1818 verschliesst sich einer dualistischen Gegenposition der Stände. Sie sind staatspolitisch bedeutungslos. Es fin-det auch nur insoweit ein Wahlverfahren statt, als die stimmberechtigten Gemeindebürger dem Oberamt drei zum Richteramt bzw. zum Amt des Säckelmeisters wahlfähige Bürger vorschlagen können. Wer Richter und Säckelmeister in der Gemeinde und damit Mitglied in der Landmann-schaft wird, bestimmt das Oberamt. Die stimmberechtigten Gemeinde-bürger haben so gesehen kein Wahlrecht. Es reduziert sich auf ein Vor-schlagsrecht.148

Erst in den Verfassungsentwürfen von 1848 und in deren Folge in den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen vom 7. März 1849 nimmt der Parlamentarismus konkrete Gestalt an. Der Landrat wird zu einer vom Volk gewählten Institution der Verfassung, die in der Funk-tion des Mitgesetzgebers neben den Fürsten tritt. Diese Entwicklung wurde durch den Reaktionserlass des Fürsten vom 20. Juli 1852 unter-brochen und in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 nicht mehr im gleichen Ausmass umgesetzt. Sie bleibt hinter den Verfassungserwar-tungen von 1848 zurück, wenn man die Stellung der Volksvertretung, insbesondere ihr Verhältnis zum Fürsten, wie auch die Ausgestaltung der politischen Rechte, vornehmlich des Wahlrechts, in Betracht zieht.

Gleichwohl war der durch die Verfassungsbestrebungen von 1848 einge-leitete Prozess politischer Partizipation nicht mehr aufzuhalten.

146 Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, S. 509 f. Rz. 20.

147 So schrieb die Hofkanzlei in Wien am 28. April 1819 an das Oberamt in Vaduz, dass die Stände so wenig wie jene in Österreich berechtigt seien, über die postulierte Summe eine detaillierte Rechnungsvorlage zu verlangen, «sondern ihnen das fürstl.

Wort diesfalls genügen» müsse. Zitiert nach Rupert Quaderer, Politische Ge -schichte, S. 34.

148 Herbert Wille, Liechtenstein, S. 1085.

II. «Demokratisierung» und «Parlamentarisierung»

der (Erb-)Monarchie

1. Unterschied zur Konstitutionellen Verfassung von 1862

Soweit die «Demokratisierung» und «Parlamentarisierung» der (Erb-) Monarchie mit der Stellung des Landtages und Volkes zusammenhängt, geht es grundsätzlich um die Frage der Teilhabe an der staatlichen Gewalt, wie sie dem Landtag als «Organ der Gesamtheit der Landesan-gehörigen» und Mitgesetzgeber im V. Hauptstück der Verfassung von 1921 konzediert werden.149Das Volk ist im Unterschied zur Konstitu-tionellen Verfassung von 1862 neben dem Landesfürsten zum anderen Träger der Staatsgewalt geworden. Es stehen dem Fürsten nur die Befug-nisse zu, die ihm die Verfassung von 1921 gewährt. Dazu zählen aber nach wie vor eine Anzahl von Vorrechten, so etwa das absolute Geset-zesveto oder das Notverordnungsrecht. Der Fürst hat nicht eine den anderen Staatsorganen, Landtag und Regierung, vergleichbare Stellung im Staat inne. Er tritt kraft Erbrecht in sein Fürstenamt und ist als Staats-oberhaupt niemandem verantwortlich.

Neben dem Wahlrecht zum Landtag sind insbesondere die direkt-demokratischen Einrichtungen der Initiative und des Referendums auf Verfassungs- und Gesetzesebene zu erwähnen, die neu in die Verfassung von 1921 aufgenommen worden sind.150So vertritt nach Art. 66 Abs. 6 LV, wenn der Landtag einen Gesetzesentwurf, der ihm im Wege der Volksinitiative zugegangen ist, ablehnt, die Annahme des Entwurfes durch die wahlberechtigten Landesangehörigen den sonst zur Annahme eines Gesetzes erforderlichen Beschluss des Landtages. Die Eingangs-formel des Gesetzes hat dann nicht zu lauten «dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss», sondern «dem in der Volksabstimmung vom [...] angenommenen Gesetz oder Verfassungsgesetz erteile Ich Meine Zustimmung».151

Das Staatsorgan «Volk» bilden jene liechtensteinischen Staatsbür-ger männlichen Geschlechts, welche das 24. Lebensjahr vollendet und

149 Vgl. Art. 45 bis 70 LV 1921.

150 Vgl. Art. 64 und 66 LV 1921.

151 Vgl. etwa LGBl. 1989 Nr. 64.

seit einem halben Jahr im Land «ständigen Wohnsitz» haben und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.152

Die Gesamtheit der Wahl- und Stimmberechtigten sind die Aktiv-bürgerschaft. Juristisch vertritt die Aktivbürgerschaft das ganze Volk.153

2. Landtag

Der Landtag besteht nunmehr ausschliesslich aus volksgewählten Abge-ordneten, wie dies in den Schlossabmachungen festgelegt wurde. Von der Institution der fürstlichen Abgeordneten, an der der zum Verfas-sungsgesetz gewordene Landtagsbeschluss vom 10. Dezember 1918 noch festhielt,154 wurde abgesehen. Sie war mit der Forderung nach einem Ausbau der Volksrechte, die neben Volksabgeordneten auch ple-biszitäre Einrichtungen wie Referendum und Initiative auf Gesetzes-und Verfassungsebene umfasste, nicht zu vereinbaren. Der Fürst konnte aus dem dynastischen Prinzip keinen Anspruch mehr herleiten, um auf die Wahl zum Landtag durch die Ernennung von fürstlichen Abgeord-neten rechtlich und politisch Einfluss zu nehmen. Der demokratische Legitimitätsgedanke war zu stark geworden.

Der Landtag ist in seinem personellen Bestand ein Organ des Staa-tes, das vom Volk in einem Wahlakt bestellt wird, der ihn auch als des-sen Reprädes-sentationsorgan legitimiert. In den Fällen, in denen der Land-tag allein, also ohne Volk, entscheidet, sei es, dass er allein zuständig ist (z. B. Vorschlag zur Ernennung von Regierungsmitgliedern), sei es, dass über einen Landtagsbeschluss (Gesetzesbeschluss, Finanzbeschluss) eine Volksabstimmung nicht stattfindet, weil eine solche weder vom Landtag von sich aus angeordnet noch vom Volk im Wege eines Referendumsbe-gehrens verlangt wird, entscheidet der Landtag anstelle des Volkes als

152 Siehe § 2 des Gesetzes vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Land-tagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4. Nach Art. 29 Abs. 2 i. d. F. LGBl. 2000 Nr. 55 sind es jene Landesangehörigen, die das 18. Lebensjahr vollendet, im Lande ordent-lichen Wohnsitz haben und nicht im Wahl- und Stimmrecht eingestellt sind. 1984 wurden die politischen Volksrechte den demokratischen Anforderungen entspre-chend auf die Frauen ausgedehnt. 1939 wurde das Majorzsystem durch das Propor-tionalwahlsystem abgelöst.

153 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 45.

154 Er erhielt die Vorsanktion des Landesfürsten.

Staatsorgan. Der vom Landtag geformte Wille ist nach der Staatslehre unmittelbar als Wille des Volkes zu betrachten.155

Die Legislaturperiode des Landtags dauert vier Jahre. Sie endet vorzeitig bei Auflösung. Landesfürst und Volk können den Landtag vor Ablauf der vierjährigen Mandatsdauer auflösen (Art. 48 Abs. 1 und 3 LV). Ein Selbstauflösungsrecht steht dem Landtag wie bisher nicht zu.

Die Landtagsauflösung stellt einen Akt dar, der zu begründen und an Verfahrensgarantien geknüpft ist. Eine Volksabstimmung setzt ein

«begründetes, schriftliches Verlangen» wahlberechtigter Landesbürger voraus (Art. 48 Abs. 2 und 3 LV). Der Landesfürst hat die «erheblichen Gründe» dem Landtag mitzuteilen bzw. vor versammeltem Landtag aus-zusprechen (Art. 48 Abs. 1 LV).156

3. Das Volk und seine direktdemokratischen Rechte a) Initiativrecht

Das Recht der Initiative in der Gesetzgebung steht dem Volk in Form der Volks- oder Gemeindeinitiative oder durch den Landtag zu.157Auch Landtagsabgeordnete haben das Recht, ausgearbeitete Gesetzes- oder Verfassungsinitiativen dem Landtag vorzulegen (Art. 64 Abs. 1 Bst. b LV 1921).

Verfassungs- und Gesetzesinitiativen können gemäss Art. 64 Abs. 2 LV 1921 sowohl von einer bestimmten Anzahl von wahlberechtigten Personen als auch durch das Zusammenwirken mehrerer Gemeinden veranlasst werden. Eine Gesetzesinitiative erforderte die Unterschriften von 400 (heute: 1000) wahlberechtigten Landesbürgern und Landesbür-gerinnen oder überstimmende Gemeindeversammlungsbeschlüsse von drei Gemeinden. Eine Verfassungsinitiative verlangte 600 (heute: 1500) Unterschriften oder vier Gemeindeversammlungsbeschlüsse.158

155 Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 44 f. un-ter Bezugnahme auf Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 546.

156 Der fürstliche Auflösungsakt bedarf zur Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den verantwortlichen Regierungschef. Siehe Gerard Batliner, Einführung in das liechten-steinische Verfassungsrecht, S. 47; Christine Weber, Gegenzeichnungsrecht, S. 232 f.

157 Vgl. Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 210 ff.

158 Siehe LGBl. 1984 Nr. 27; zu den Formerfordernissen und zum Verfahren siehe Hil-mar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 214 ff.

b) Referendumsrecht

Zu den direktdemokratischen Einrichtungen gehört auch das Referen-dum159, das den stimm- und wahlberechtigten Landesbürgern ein «Recht der Nachentscheidung»160 über Gesetzes- und Finanzbeschlüsse des Landtags einräumt, sofern dieser die Beschlüsse nicht als dringlich erklärt.

Seit 1992161 unterliegt auch ein Beschluss des Landtags, der die Zustimmung zu einem Staatsvertrag beinhaltet, dem Referendum.

Unterschriftenzahl und Verfahren sind dieselben wie bei der Volksinitia-tive. Die Referendumsfrist beträgt jedoch nur 30 Tage ab Kundmachung des referendumspflichtigen Erlasses, während sich die Frist für die Unterschriftensammlung bei der Volksinitiative auf sechs Wochen erstreckt. Entzieht der Landtag einen Gesetzes- oder Finanzbeschluss durch Dringlicherklärung dem Referendum, können sich die wahlbe-rechtigten Landesbürger und Landesbürgerinnen mit einer Volksinitia-tive zur Wehr setzen.162Voraussetzung ist allerdings, dass der entspre-chende Erlass des Landtags Gegenstand einer Volksinitiative sein kann.163 Der Landtag kann auch von sich aus einen Gesetzes- oder Finanzbeschluss oder einen Beschluss, der die Zustimmung zu einem Staatsvertrag enthält, dem Referendum unterstellen.

4. Ergebnis

Der Trend der Parlamentarisierung des Regierungssystems hält an und verstärkt sich. Die Entwicklung geht in Richtung direkter Demokratie und führt zu einer Verbindung von repräsentativer und unmittelbarer Demokratie in der Ausprägung eines Initiativ- und Referendumsrechts des Volkes. Das repräsentative Organ ist der Landtag, dessen Beschlüsse

159 Siehe Art. 66 LV 1921; zum Begriff siehe Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzge-bung, S. 220 Fn. 69.

160 Gerard Batliner, Parlament, S. 23.

161 LGBl. 1992 Nr. 27.

162 Vgl. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 24;

Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 223.

163 Zum Ausschluss bzw. zu den Einschränkungen des Initiativ- und Referendums-rechts siehe Herbert Wille, Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, S. 139 ff.; vgl. auch Hilmar Hoch, Verfassung- und Gesetzgebung, S. 223.

insoweit als Entscheidungen des Volkes gelten, als dieses nicht selbst tätig wird bzw. die Beschlüsse des Landtags bestehen lässt.

Art. 2 LV spricht Formen der direkten und parlamentarischen Demokratie an, die als Substrat der konstitutionellen Erbmonarchie zur Seite gestellt werden. Diese ist weder eine demokratische noch eine par-lamentarische Monarchie.164 Volk und Landtag können weder allein Gesetze erlassen, noch können sie allein in Staatsverträge einwilligen.

Gesetze bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Sanktion, Staatsverträge der Ratifikation durch den Fürsten. Die Kompetenzen werden vielmehr zwischen Fürst, Volk und Landtag aufgeteilt, wie dies ein Stück weit schon bisher dem konstitutionell-monarchischen Verfassungssystem entsprach, das im Gesetzgebungsverfahren dem konstitutionellen Prin-zip des Einvernehmens von Fürst und Volksvertretung verpflichtet war.

Dabei sticht vor allem die «Kumulierung solcher Kompetenzaufteilun-gen» ins Auge: «Vetorecht des Fürsten (Sanktion), Vetorecht des Volkes (Referendum), Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof»,165 die dementsprechend eine einseitige Zentrierung der Macht zu vermeiden sucht. Damit ist aber zur verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Befugnisse der einzelnen Staatsorgane noch nichts gesagt.166

§ 21 PARLAMENTARISCHE REGIERUNGSTEILHABE I. Entwicklungsgang

1. Allgemeines a) Ausgangssituation

Die Verfassung von 1921 spricht in Art. 2 von einer konstitutionellen Erbmonarchie «auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage»,

164 Zusammenfassend hinten S. 727 ff.; a. A. Günther Winkler, Verfassungsrecht, S. 30 f.

Vgl. zur verfassungsrechtlichen Stellung des Fürsten im Vergleich zu anderen Mo-narchen von Europaratsstaaten Michael Elicker, Gedanken zum Ende der Monar-chie, S. 221 f.

165 Gerard Batliner, Parlament, S. 21 Fn. 28.

166 Siehe etwa zur Einschränkung der politischen Rechte des Volkes hinten S. 453 ff.

wobei sie sich auf die Art. 79 und 80 bezieht, die den Bestand, d. h. die Bestellung und Abberufung der Regierung bzw. einzelner Regierungs-mitglieder regeln. Den Materialien lässt sich nur entnehmen, dass diese Verweisung der näheren Umschreibung des Regierungssystems dienen soll.167Wie schon aus der Entstehungsgeschichte hervorgeht, ist es nicht zu einer eigentlichen Parlamentarisierung der Regierung gekommen.168 Es sind in der Zeit davor zwar Bestrebungen im Gange, die auf eine Par-lamentarisierung der Regierung bzw. des Landesverwesers hindeuten.

Im Verfassungsentwurf des ständischen Verfassungsrates vom 1. Okto-ber 1848 sind Ansätze in dieser Richtung zu erkennen. Er sieht eine Ver-antwortlichkeit in der Form einer Anklage vor.169So ist nach §§ 34 und 96 der Landesverweser als Regierungsvorsteher dem Landrat verant-wortlich, der ihn «wegen Verletzung der Verfassung oder der Gesetze und pflichtwidrigen Verausgabung der Staatseinnahmen» in den Ankla-gezustand versetzen kann (§ 90). Eine solche Klage gehörte damals noch in die Kategorie rechtsstaatlicher Sicherungen des konstitutionellen Staates, da sie einen Rechtsverstoss voraussetzte.170Eine weitergehende Verantwortlichkeit gegenüber dem Landrat wurde nicht in Betracht gezogen. Der Verfassungsentwurf teilt denn auch dem Fürsten die aus-schliessliche Kompetenz über die Exekutive zu.171

Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 sieht in der Folge auch von einer justizförmigen Verantwortlichkeit des Landesverwesers bzw.

der Regierung ab und gesteht dem Landtag lediglich eine Beschwerde zu, die er «unmittelbar» an den Landesfürsten richten kann.172Die Exe-kutive war sein ausschliesslicher Zuständigkeitsbereich.173

167 So der Bericht über die Beschlüsse der Verfassungskommission, zitiert nach Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 113; ders., Landtag und Wahlrecht, S. 126; Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 133.

168 Nach Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungsrecht, S. 79 handelt es sich beim liechtensteinischen Regierungssystem um «kein reines parla-mentarisches System».

169 Nach Dieter Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 260 Rz. 13 strebte die Mehrheit in der Paulskirche eine «parlamentarische Regierung», also die Abhängig-keit des Ministeriums von der Parlamentsmehrheit, an.

170 Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, S. 461.

171 Siehe § 37. Danach wählt der Fürst «den Landesverweser von sich selbst».

172 Siehe § 42 KV 1862 und dazu Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 14 f.

173 Siehe §§ 27 und 28 KV 1862.

b) Begriffsbildung

Der Begriff der parlamentarischen Regierung im Sinne einer «mit der Mehrheit der Volksvertretung gebildeten, von ihrem Vertrauen abhängi-gen und nicht nur hinsichtlich der Gesetzmässigkeit, sondern auch in Hinblick auf die allgemeine Ausrichtung der Verwaltung» kontrollierten Regierung setzte sich in den deutschen Staaten erst nach 1840 durch.

Vorher wird dieses Wort «eher als wahrer, echter, aufrichtiger Konstitu-tionalismus verstanden» und ist noch nicht «auf einen spezifischen Bedeutungsgehalt festgelegt».174 Es hat sich in diesem Zusammenhang dann auch für die parlamentarische Verantwortlichkeit im Verlaufe des 19. Jahrhunderts der Terminus «politische» Verantwortlichkeit einge-bürgert.175

2. Forderung nach einer Parlamentarisierung der Regierung

Die Forderung nach einer «Demokratisierung» bzw. «Parlamentarisie-rung» der Regierung wurde während des Ersten Weltkrieges unüberhör-bar und rückte nach der Wahl eines Vollzugsausschusses, die der Land-tag am 7. November 1918 vornahm,176ins Zentrum der Verfassungsdis-kussion. Dieser Vorgang unterstreicht, dass der Landtag versucht, Einfluss auf die Bestellung und Abberufung der Regierung zu gewinnen.

Er reklamiert für sich nicht nur einen Anteil an der Gesetzgebung, son-dern viel weiter gehend auch einen Anteil an der Regierungsgewalt, die bis anhin völlig im Machtbereich der Regierung lag. Die Institution der Regierung in ihrer damaligen Ausgestaltung ist nicht mehr tragfähig. Sie lässt sich ohne das Volk nicht mehr legitimieren. Da der Landtag noch nicht Mitinhaber der Regierungsgewalt ist, musste der Landesfürst bei der Auswahl seiner Regierung bzw. des Landesverwesers keine Rück-sicht auf den Landtag nehmen. Er bestätigte denn auch den Vollzugs-ausschuss nicht und betraute an seiner Stelle Prinz Karl von

Liechten-174 Manfred Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit, S. 54.

175 Klaus Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 16.

176 Zum Vorgang und zur Begründung des Initiativantrages vom 14. Oktober 1918 betreffend die Einführung einer parlamentarischen (Volksmit-)Regierung siehe Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.; Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 76 ff.; siehe auch vorne S. 147 f.

stein mit der «Übernahme der Stelle des Landesverwesers».177Aus die-sem Grund ist es auch kein Zufall, dass das Ausmass der Parlamentari-sierung der Regierung die Verfassungsauseinandersetzung beherrscht, geht es doch in diesem Punkt um eine essenzielle Machtfrage.178

3. Parlamentarische Regierung a) Vorschlag von Wilhelm Beck

Wilhelm Beck versteht unter einer parlamentarisch geformten Regierung in seinem Verfassungsentwurf von Mitte Januar 1919,179dass «ein Regie-rungsmitglied von seiner Stelle zurückzutreten (hat), wenn es das Ver-trauen der Volksvertretung nicht mehr besitzt», wobei die Regierung aus dem Landammann als Vorsitzendem, der auf Vorschlag des Landtages vom Landesfürsten ernannt wird, und zwei Regierungsräten und deren Stellvertreter besteht, die vom Landtag gewählt werden.180Sie sind dem Landesfürsten und dem Landtag verantwortlich. Verlieren sie das Ver-trauen der Volksvertretung, sind sie zum Rücktritt verpflichtet. Die Re-gierung sollte, wie er schon bei der Eröffnung des Landtages am 14. Ok-tober 1918 erklärt hatte, «vollkommen auf den Boden des Parlamentaris-mus gestellt werden». Zum direkten Wahlrecht, das am 21. Januar 1918 eingeführt worden war,181gehöre im Sinne einer «konsequenten Fortfüh-rung des Ausbaus der Volksrechte» eine parlamentarische RegieFortfüh-rung.

Das hätte bedeutet, dass die Regierung in ihrem Bestand und folglich auch in ihrer Tätigkeit vom Vertrauen des Landtages abhängig ist.182

177 Siehe Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.; Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 113 ff. und Rupert Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 117.

178 Dies betrifft die politische Gewichtsverteilung zwischen Volk bzw. Landtag und Fürst bzw. Exekutive und dazu das berühmte Diktum von F. Lassale, zitiert nach Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 382 Fn. 114:

«Verfassungsfragen sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Machtfragen.»

179 Vgl. Art. 62 und Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 181 f.

180 Siehe Art. 60 und Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 104 Fn. 184.

181 Gesetz vom 21. Jänner 1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4.

182 Vgl. Rupert Quaderer, Der historische Hintergrund der Verfassungsdiskussion, S. 113 ff.; Herbert Wille, Monarchie und Demokratie, S. 170 ff.

b) Ablehnung

Die Vorstellung einer «parlamentarischen Regierung» bzw. eines demo-kratisch-parlamentarischen Regierungssystems, wie sie von Wilhelm Beck, dem Exponenten der Christlich-sozialen Volkspartei, vertreten wurde,183konnte sich jedoch in den Schlossabmachungen vom Septem-ber 1920 nicht durchsetzen und fand auch bei der Mehrheit des Landtags keine Zustimmung. Die konservativen Verfassungskräfte votierten für eine vorsichtige Weiterentwicklung der bisherigen Verfassungsordnung des monarchischen Konstitutionalismus und lehnten ein parlamentari-sches Regierungssystem ab.184 Es kam für sie nur insoweit eine Parla-mentarisierung der Regierung infrage, als mit ihr die bestehende konsti-tutionell-monarchische Verfassungsordnung nicht aufgegeben wurde und dem Landesfürsten eine entscheidende Mitsprache bei der Bestel-lung und Abberufung der Regierung erhalten blieb.

II. Bestellungsmodus und Verantwortlichkeit der Regierung 1. Bestellungsmodus der Regierung

a) Bestellung und Zusammensetzung

Der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck legt in Art. 60 fest, dass die Regierung aus dem Landammann als Vorsitzendem, der auf Vorschlag

183 Gemeint ist damit nach O.N. Nr. 3 vom 18. Januar 1919 eine Demokratie «im Rah-men der Monarchie». Postuliert wird ein demokratischer Ausbau der Verfassung,

«durch die alle Teile der Bevölkerung in gerechtem Verhältnis zur Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung herangezogen werden.» Dies bedeutet für Wil-helm Beck einen Schritt hin zum «demokratischen Rechtsstaat». In seinem Verfas-sungsentwurf konkretisiert er die «demokratische Monarchie» in den Art. 3 (Tei-lung der Staatsgewalt), 26 (Stimm- und Wahlberechtigung in allen Landes- und Ge-meindeangelegenheiten; Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen), Art. 35 ff.

(Wahl zum Landtag), Art. 50 (Initiativrecht auf Gesetzesebene), Art. 59, 60 und 62 (Regierungsbestellung und Regierungsverantwortlichkeit).

184 Vgl. «Politisches Programm» der Fortschrittlichen Bürgerpartei unter Ziffer I,

184 Vgl. «Politisches Programm» der Fortschrittlichen Bürgerpartei unter Ziffer I,