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§ 7 BEGRIFF DES KONSTITUTIONALISMUS

Um die innere Entwicklung und die Strukturfragen des monarchischen Konstitutionalismus erfassen zu können, wie er sich in der Konstitutio-nellen Verfassung von 1862 äussert, drängt sich eine Begriffsklärung auf, die zu ihr zugleich auch den Bezugsrahmen herstellt.

I. Inhalt

1. Im engeren Sinn

Der Konstitutionalismus kann ganz allgemein als «Prozess der Über-windung überkommener Herrschaftsformen»177 umschrieben werden, der in der Zeit des Deutschen Bundes vom absoluten zum verfassungs-mässig beschränkten Fürstenstaat überleitet178und zum Teil noch heute andauert. Er umfasst im Allgemeinen die Epoche des 19. Jahrhunderts.179

Schlussakte zu einem bundesrechtlichen Satz von den weitesttragenden politischen Konsequenzen erhoben. Einfach und selbstverständlich nämlich ist der staatsliche Inhalt des Dogmas, das nicht anderes besagt, als dass der Monarch, der recht-lich allein als Schöpfer der Verfassung zu gelten hat, alle staatrecht-lichen Befugnisse be-sitzt, in deren Ausübung er sich nicht ausdrücklich beschränkt hat, daher die Ver-mutung stets für seine Zuständigkeit spricht. Politisch hingegen ist dieses monarchische Prinzip von erstaunlicher Vieldeutigkeit, aus dem jeder die ihm er-wünschten Folgerungen ziehen kann.»

177 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 40.

178 Jan Rolin, Der Ursprung des Staates, S. 148 f.

179 Es ist dies der verfassungsgeschichtliche Zeitabschnitt nach dem Absolutismus und vor der Einführung eines demokratisch-parlamentarischen Regierungssystems in

Im deutschen Sprachgebrauch wird er der Staatsform der konstitutio-nellen Monarchie gleichgesetzt.180 Es ist die Rede vom monarchischen Konstitutionalismus, wie er sich als das «gemeineuropäische Verfas-sungsmuster» durchgesetzt hat.181 Dieser Staatsform war eine starke monokratische Spitze eigen.182Die Monarchie war aber nicht mehr abso-lutistisch geprägt. Sie war «durch eine (schriftliche) Verfassung» in der Weise beschränkt, «dass Monarch und Parlament in zumindest einem der grossen Verfassungsbereiche Legislative oder Exekutive notwendig zusammenwirken müssen, damit die Verfassung funktioniert».183

2. Im weiteren Sinn

Es gibt im europäischen Vergleich auch andere Definitionen. Vor allem im englischen Verständnis hat der Begriff des Konstitutionalismus eine weiter gefasste Bedeutung. Er beschäftigt sich generell mit der «Idee der Machteinschränkung» politischer Herrschaft und markiert in der engli-schen Verfassungsgeschichte eine Entwicklung, die vornehmlich im 17. Jahrhundert beginnt.184

Deutschland. So Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 365.

180 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 40 ff. mit Literatur-hinweisen; vgl. auch Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaa-tes, S. 59 ff. Rz. 21 und 22 mit Literaturhinweisen. Nach Hans Boldt, Deutsche Ver-fassungsgeschichte, Bd. 2, S. 194 f. versteht man unter «konstitutioneller Monar-chie» ganz allgemein eine «verfassungsmässig beschränkte MonarMonar-chie».

181 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 599 unter Bezug-nahme auf Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 26 und 402 ff. So sprach etwa auch § 3 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates von 1848 von einer «monarchisch konstitutionelle(n)» Regierungsform. Siehe vorne S. 66 und Peter Geiger, Geschichte, S. 109.

182 Nach Werner Frauendienst, Demokratisierung des deutschen Konstitutionalismus, S. 721 wird dieser Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie wegen des

«Übergewichts des monarchischen Elements» von der parlamentarischen Monar-chie englisch-belgischer Prägung untersMonar-chieden.

183 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 600 mit Verweis auf Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45 und 65.

184 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 40 ff.; Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 365 f., der meint, dass der Begriff «Konstitutionalismus» in diesem weiten Sinne «weithin jegliche Konturen»

verliere. Vgl. auch Walter Pauly, Konstitutionalismus, Sp. 1313 ff.

II. Erscheinungsformen

Das Verfassungsmodell des monarchischen Konstitutionalismus tritt in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Je nachdem, wie die Ein-flusspositionen verteilt sind, handelt es sich um eine konstitutionelle Monarchie mit dominierendem Parlament oder um eine konstitutionelle Monarchie mit Vorrang des Monarchen oder um eine «napoleonische Variante».185In dieser dualistischen oder zweipoligen Konstellation war das Rollenverständnis von Monarch und Volksvertretung von besonde-rer Bedeutung.186 Von ihrem Verhalten hing es ab, ob sich ein solches

«Kompromissgefüge»187 auf Dauer halten konnte. Dieses dualistische Kräfteverhältnis erweist sich nämlich nicht als statisch, sondern als «ver-änderlich und entwicklungsoffen».188Die Staatspraxis hat in den einzel-nen europäischen Staaten eine grosse «Vielfalt» und eieinzel-nen «Alternati-venreichtum» an Musterbeispielen dieser verfassungsrechtlichen Grund-verteilung zwischen Monarchie und Volksvertretung hervorgebracht.189

Der dualistisch geprägte monarchische Konstitutionalismus war im 19. Jahrhundert der dominierende Typ des europäischen Verfassungs-staates.190

III. Systemfrage

Die verfassungsmässige Aufteilung der Macht im Staat macht es not-wendig, dass die beiden Hauptakteure, Fürst und Volksvertretung (Land tag) kooperieren. Fehlt diese Bereitschaft, kommt das Verfas-sungsleben zum Stillstand. Es wurde denn auch schon gesagt, dass eine solche zweipolige Verfassungskonstruktion eine «prekäre Staatsform»

185 Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 600 mit Verweis auf Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 65 und 66 f.; vgl. auch Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576.

186 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576.

187 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 578.

188 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 573.

189 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 576; vgl. auch Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 386 f.

190 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 409 und ders.,Ver-fassungsrechtlicher Rahmen und politische Praxis, S. 69 f.

darstellt und der «steten Balancierung» der beiden Machtfaktoren, Fürst und Volksvertretung, bedarf.191Auch wenn sie konfliktanfällig ist, muss sie nicht zwangsläufig zum Verfassungskonflikt führen. Anerkennen die beiden Verfassungskräfte eine solche «dualistische Machtverteilung als Grundprinzip», bleibt das System intakt.192

Eine andere Frage ist, ob es sich beim konstitutionellen Verfas-sungssystem nur um eine Übergangsform zur Demokratie oder um eine eigenständige Staatsform handelt. Dieses Problem wurde am Beispiel der deutschen konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts erörtert, wie sie sich vor allem in der preussischen Verfassung von 1850 ausge-formt hatte. Die Auffassungen sind in der Lehre geteilt. Die eine sieht in ihr eine selbständige politische Form und in sich ruhende Ordnung neben Absolutismus und Parlamentarismus, die andere erkennt in ihr nur einen Kompromiss und eine Übergangserscheinung zwischen diesen beiden Arten von politischer Ordnung.193Neuerdings wird der mittel-europäische Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts bewusst aus die-ser Kontroverse herausgehalten und als «lebensfähige Symbiose wech-selseitig korrespondierender Teilsouveränitäten» interpretiert.194

Vom monarchischen Konstitutionalismus kann solange gesprochen werden, wie ein rechtlicher und machtpolitischer Dualismus zwischen Monarch und Parlament zumindest im Bereich der Legislative oder Exe-kutive noch besteht.195

191 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 294 f.

192 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 372; Hans-Christof Kraus, Monarchischer Konstitutionalismus, S. 617; Rainer Wahl, Der Konstitutio-nalismus als Bewegungsgeschichte, S. 577.

193 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monar-chie, S. 273, wo er sich mit der These von Ernst Rudolf Huber auseinandersetzt.

Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, S. 440 wendet ein, wenn es ein eigenständiger Verfassungstyp gewesen wäre, hätte er eine besondere Legitimation haben müssen.

Aber das von den Fürsten in Anspruch genommene Gottesgnadentum sei eine leere Formel gewesen, weil es eine verbindliche religiös-sakrale Weltordnung nicht mehr gegeben habe.

194 Arthur Schlegelmilch, Die Alternative des monarchischen Konstitutionalismus, S. 193.

195 So Martin Kirsch / Anne G. Kosfeld / Pierangelo Schiera (Hrsg.), Der Verfassungs-staat vor den Herausforderungen der Massengesellschaft, Vorwort, S. 17.

§ 8 KONSTITUTIONELLE VERFASSUNG VON 1862196 I. Verfassungsstruktur

1. Machtverteilung bzw. Gewaltenteilung

Die Konstitutionelle Verfassung bricht mit der absoluten Herrschaftsge-walt des Fürsten. Die (Erb-)Monarchie197 ist nicht mehr absolutistisch bzw. monistisch geprägt, wie dies noch in der Landständischen Verfas-sung von 1818 der Fall gewesen ist.198Die Konstitutionelle Verfassung ist im Legislativbereich dualistisch strukturiert. So müssen Landesfürst und Landtag notwendigerweise aufeinander zugehen, wollen sie sich nicht gegenseitig blockieren. Sie müssen zusammenwirken, damit die Verfassung erhalten bleibt.199 Diese Art von Machtverteilung ist kenn-zeichnend für den Verfassungstyp des monarchischen Konstitutionalis-mus, der die gemeinschaftliche Ausübung der Legislativgewalt zum Grundprinzip hat.

2. Monarchisches Prinzip

Der Landesfürst bleibt alleiniger Inhaber der Staatsgewalt. Die Verfas-sung beharrt in § 2 auf dem monarchischen Prinzip, wie es in Art. 57 der Wiener Schlussakte festgelegt und allen Gliedstaaten bundesrechtlich verbürgt und ihnen gleichzeitig verfassungsrechtlich auch zur Pflicht gemacht worden ist.200 Danach muss «die gesammte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter

196 Abgedruckt in: LPS 8, S. 273–294 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).

197 Die Erbmonarchie wird als Verfassung oder Staat definiert, in dem «das Amt des Staatshauptes nicht nur auf Lebensdauer von einem Würdenträger besetzt, sondern gemäss einer Thronfolgeordnung in einer Familie vererbt wird». So Adolf Merkl, Das Kriterium von Republik und Monarchie, S. 80 f.

198 Dazu Rupert Quaderer, Politische Geschichte, S. 16–30.

199 Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert, S. 45, 49 ff.

200 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 655.

Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden».201Es konzen-triert die ganze staatliche Macht in der Hand des Fürsten. Er soll alleini-ger Inhaber und einzige Quelle der Staatsgewalt bleiben.

Das monarchische Prinzip ist der «zentrale Rechtstitel»202 des Fürsten, der ihn als Inhaber aller Staatsgewalt ausweist. Es ist nichts anderes als ein konstitutionelles Synonym für Souveränität gewesen203 und wendet sich gegen eine Souveränitätsteilhabe des Volkes.204Die Ver-mutung spricht in allen Zuständigkeitskonflikten für die Zuständigkeit des Staatsoberhauptes,205der alleiniger Inhaber der Staatsgewalt bleiben soll. Das monarchische Prinzip lässt keine Teilung der Souveränität, auch nicht der gesetzgebenden Gewalt dem Bestande nach zu.

3. Legitimationsgrundlagen

Dem Landesfürsten gegenüber tritt der Landtag, der das Volk repräsen-tiert und durch die Wahl kraft eigenen Rechts legitimiert ist, wenngleich wegen der starken Beschränkung des Wahlrechts und der Ernennung von drei Abgeordneten durch den Fürsten von einer vollen demokratischen Legitimation nicht die Rede sein kann. Deutliches Zeichen der eigenstän-digen Legitimation war auch, dass die Abgeordneten – in klarer Abkehr von altständischen Vorstellungen – keinen Weisungen unterworfen und dem Gemeinwohl verpflichtet waren. Dieser Dualismus setzt sich im Verhältnis von Fürst und seiner Regierung und Landtag fort. Dieser hatte die Rechte des Volkes gegenüber der fürstlichen Regierung zu wahren.206 So heisst es in § 39, dass der Landtag das gesetzmässige Organ der

Ge-201 Zitiert nach Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 99. Die Unterscheidung zwischen Trägerschaft und Ausübung der Staats-gewalt hat der deutsche Konstitutionalismus aus der französischen Charte constitu-tionelle von 1814 übernommen und unter der Bezeichnung «monarchisches Prin-zip» zur Grundnorm der deutschen Verfassungen erhoben. Vgl. Dieter Grimm, Das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition, S. 3.

202 Rainer Wahl, Der Konstitutionalismus als Bewegungsgeschichte, S. 572 Fn. 5.

203 Hans Boldt, Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, S. 35.

204 Rolf Grawert, Gesetz, S. 904.

205 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 654 und Bd. III, S. 343.

206 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51.

samtheit der Landesangehörigen und als solches berufen sei, «deren Rechte gegenüber im Verhältnisse zur Regierung nach den Bestimmun-gen der Verfassungsurkunde geltend zu machen und das allgemeine Wohl des Fürsten und des Landes [...] möglichst zu befördern».

4. Bindung und Beschränkung der fürstlichen Gewalt

Auch wenn der Landtag kein Selbstversammlungs- und kein Selbstauf-lösungsrecht hat (§ 90) und der Landesfürst nach wie vor «alle Rechte der Staatsgewalt» in sich «vereinigt» (§ 2), ist charakteristisch, dass der Landesfürst sich gleichwohl nicht mehr aus der verfassungsrechtlichen Bindung zurückziehen und die Verfassung selbständig ändern bzw. auf-heben kann. Die Verfassung ist zwar ein Zugeständnis des Fürsten, aber ein endgültiges. Verfassungsänderungen sind nur noch mit, nicht aber gegen den Landtag möglich (§ 121).207Sie sind entgegen dem umfassend bekundeten Souveränitätsanspruch nur im Verfassungsänderungsverfah-ren unter Beteiligung des ebenfalls zur Ausübung der gesetzgebenden Gewalt berufenen Landtages, d. h. mit dessen einhelliger Zustimmung oder mit drei Viertel der anwesenden Mitglieder in zwei nacheinander folgenden ordentlichen Landtagssitzungen zulässig. Aus diesem Grund ist der Landesfürst nach Inkraftsetzung der Verfassung auch nur noch pouvoir constitué (verfasste Gewalt), d. h. Verfassungsorgan.208

Konzeptionell wirkte die Konstitutionelle Verfassung gegenüber der fürstlichen Staatsgewalt in erster Linie als Beschränkung. So wird denn auch die konstitutionelle Monarchie nicht nur als eine verfassungs-mässige, sondern auch als eine von parlamentarischer Mitbestimmung beschränkte Monarchie aufgefasst.209

Mit dem Übergang zur konstitutionellen Monarchie wurde auch die patrimoniale Auffassung des Staates «als Bündelung monarchischer Herrschaftsrechte» endgültig überwunden, da die Verfassung nicht mehr einseitig vom Fürsten zurückgenommen werden konnte. Der Staat hat

207 Vgl. auch Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 41.

208 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 374. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit des Systems.

209 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 51 f.

die Gestalt einer verfestigten Korporation, eines Organismus angenom-men, «der nach den Regeln der Verfassung verschiedenen Mächtegrup-pen Einfluss gibt».210

II. Oktroyierte oder paktierte Verfassung

Die Konstitutionelle Verfassung vom 26. September 1862211greift auf die frühkonstitutionelle Verfassungsphase zurück212und weist den Fürsten als Verfassunggeber aus, der die Verfassung von 1818 jederzeit einseitig ändern und aufheben konnte. Auch wenn im Ingress der Verfassung von

«vertragsmässiger Zustimmung» die Rede ist,213liegt der förmliche Gel-tungsgrund der Verfassung in seiner Inkraftsetzung.214 Der Fürst erscheint als derjenige, der die Verfassung allein «geordnet» hat. Er ist als

«souveräner Fürst» der eigentliche Verfassunggeber. Sie wurde von ihm gewährt und galt als «Ausdruck der Souveränität des Herrschers».215Die Landstände treten nicht als konstituierende Gewalt auf. Es handelte sich zwar um einen vollständig überarbeiteten Verfassungsentwurf der

Land-210 Stefan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 47; vgl. zur patrimonialen Staatstheo-rie vorne S. 59 Fn. 96 und hinten S. 247 ff.

211 Zur Entstehung der Verfassung siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 248–286 (264 ff.).

212 Peter Geiger, Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 41.

213 Sie beruft sich auch auf das Gottesgnadentum, das die «göttliche Einsetzung» bein-haltete bzw. aus dem sich die monarchische Gewalt herleitete. So Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 199 f. Siehe den Unterschied zur Verfassung für das Königreich Württemberg von 1819, abgedruckt, in: Ernst Rudolf Huber, Doku-mente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 187. Dort fehlt die Formulie-rung «von Uns geordnet wurde» und die Präambel ist anders gefasst, sodass sie nach Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 334 «der erste echte Verfassungsvertrag des konstitutionellen Repräsentativsystems» gewesen ist.

214 Vgl. Christian Hermann Schmidt, Vorrang der Verfassung, S. 45.

215 Werner Heun, Die Struktur des deutschen Konstitutionalismus, S. 373 f.; vgl. auch Dieter Grimm, Die Zukunft der Verfassung, S. 59. Nach ihm liegt der Geltungs-grund im Willen des Monarchen. Günther Winkler, Staatsverträge, S. 112 sieht den Grund für das noch einigermassen zurückhaltende konstitutionelle Konzept des Jahres 1862 darin, «dass der Fürst auf Grund seiner Vollsouveränität die Verfassung einseitig erliess und zögerte, seine Prärogativen zu sehr zu beschneiden». Vgl. auch Stefan Malfèr, Der Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie, S. 18. Er weist darauf hin, dass die Verfassungen, auch wenn sie in Wirklichkeit aufgrund inneren und äusseren Druckes gegeben werden mussten, in formaler Hinsicht als gewährt und als freiwillige Selbstbeschränkung hingestellt worden seien.

stände. Er wurde aber letztlich in der Fassung des Fürsten angenommen.

Peter Geiger meint denn auch, dass der Fürst allein die Verfassung gege-ben habe. Er habe den pouvoir constituant, die verfassunggegege-bende Gewalt, beansprucht. Die Zustimmung der Landstände zur Verfassung deutet er dementsprechend «weniger als Legitimation denn als ein(en) zusätzliche(n) Gnadenbeweis gegenüber dem Volk».216 Der Sache nach stellt die Verfassung eine Konzession an die Landstände dar. Sie kann auch als «Zutat eines geläuterten monarchischen Prinzips» verstanden werden, «das den Verfassungsoktroi nicht mehr als zeitgemäss ansah».217 Jedenfalls versucht die Verfassung, den Fürsten nach wie vor als unein-geschränkten Inhaber der Staatsgewalt zu verstehen.218Letztlich hat er bestimmt, welche Befugnisse dem Landtag zugestanden und wie sie ihm zugestanden wurden. So hat Fürst Alois II. schon am 7. März 1849 die Konstitutionellen Übergangsbestimmungen erlassen und sie im Reakti-onserlass vom 20. Juli 1852 wieder zurückgenommen. Dies waren ohne Zweifel einseitige Akte des Fürsten. Er war noch «im vollen Besitz des pouvoir constituant».219Fürst Johann II. gibt im Zusammenhang mit der Sanktionierung der Konstitutionellen Verfassung zu verstehen, dass er sich nun in der Lage sieht, «der künftigen Landesvertretung eine grös-sere Einflussnahme auf die Gesetzgebung und auf die innere Verwaltung des Fürstenthumes zuzuerkennen».

Im Schrifttum wird auch die Auffassung vertreten, dass die Kon-stitutionelle Verfassung auf «vertragsgemässem Wege» zustande

gekom-216 Peter Geiger, Geschichte, S. 287 f.; vgl. auch S. 269 und 302 Fn. 56.

217 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. V, S. 359.

218 § 2 KV 1862 lässt keinen Zweifel daran, dass alle Rechte der Staatsgewalt in der Per-son des Landesfürsten vereinigt sind. So könnte man mit Christian Waldhoff, Entstehung des Verfassungsgesetzes, S. 322 Rz. 30 sagen, dass der «äusserlich vertrag -liche Charakter» nur mühsam die realen Machtverhältnisse kaschierte. Vgl. auch Klaus von Beyme, Die verfassunggebende Gewalt, S. 26, der festhält, dass die oktroyierte Verfassung als die «einzige Art der Verfassunggebung» galt, «die mit dem monarchischen Prinzip vereinbar war». § 2 KV 1862 unterscheidet in Anleh-nung an Art. 57 WSA zwischen Inhaberschaft und Ausübung der Staatsgewalt. Ste-fan Korioth, «Monarchisches Prinzip», S. 29 nennt diese Aufspaltung von Substanz und Ausübung der Staatsgewalt eine «kryptische Staatsformel», die verschiedene Deutungen des Verhältnisses von alten und neuen Kräften, von monarchischer und demokratischer Legitimation, zuliess. Diese Unterscheidung wurde notwendig, um sich gegenüber den Rechten der Volksvertretung abzugrenzen.

219 Peter Geiger, Geschichte, S. 123.

men sei und es sich demnach bei ihr nicht um eine einseitige Rechtsge-währung, sondern um einen «vertragsmässigen Ausgleich»220gehandelt habe, sodass sie als paktierte Verfassung angesehen wird.221

Praktisch gesehen macht es aber zwischen einer oktroyierten und einer paktierten Verfassung keinen wesentlichen Unterschied,222da der Landesfürst in jedem Fall den Ständen entgegenkommen und Zuge-ständnisse machen musste, um seine Machtstellung zu sichern. So wur-den auch einseitig gewährte bzw. oktroyierte Verfassungen nicht nur

«freiwillig» gegeben. Sie entstanden vielmehr auf «politischen Druck des Bürgertums und hatten daher realiter durchaus den Charakter einer Abmachung».223

§ 9 DER LANDESFÜRST ALS STAATSOBERHAUPT I. Träger der Staatsgewalt

Der Landesfürst ist Staatsoberhaupt und alleiniger Träger der Staatsge-walt, deren Ausübung allerdings an die Bestimmungen der Verfassung gebunden ist (§ 2 KV). Innehabung und Ausübung der Staatsgewalt wer-den auseinandergehalten. Diese Unterscheidung hat vor allem kompe-tenzrechtliche Bedeutung. Soweit die Zuständigkeit des Landtages nicht ausdrücklich verfassungsrechtlich begründet ist, liegt sie beim Landes-fürsten.224Im Zweifelsfall spricht die Vermutung der Berechtigung für

220 Diese Formulierung ist Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 144 Fn. 3 entlehnt.

221 Alexander Ignor, Monarchisches und demokratisches Prinzip, S. 478 f.; Dietmar Willoweit, Die Stellvertretung des Landesfürsten, S. 123; ders., Deutsche Verfas-sungsgeschichte, S. 221; Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Ver-fassungsrecht, S. 33 f.; Wilhelm Beck, Das Recht des Fürstentums Liechtenstein, S. 22. Er verweist allein auf den Ingress der Verfassung. Nach Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins, S. 39 ist die Konstitutionelle Verfassung «mit Zustimmung des Landtages» zustande gekommen.

222 Nach Hartmut Maurer, Die Verfassungsgewähr im konstitutionellen Staatsrecht, S. 727 ergeben sich aus dieser Differenzierung für die Verfassungen, was ihre Exis-tenz und ihren Inhalt betrifft, keine Unterschiede.

223 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 79 f.; vgl. auch Michael Kotulla, Schutz der Verfassung, S. 169 f.; Rainer Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungs-staates, S. 62 Rz. 24.

224 Vgl. Klaus Kröger, Verfassungsgeschichte, S. 38.

ihn. Aus dieser Kompetenzpräsumption folgt, dass ihm alle diejenigen Befugnisse zustehen, welche ihm nicht ausdrücklich verweigert worden sind. Der Landtag ist dagegen auf die ihm in der Verfassung zugewiese-nen Zuständigkeiten beschränkt.225

Die verfassungsrechtliche Prämisse jeder konstitutionellen Monar-chie ist, dass der Fürst für sein Handeln weder juristisch noch politisch zur Verantwortung gezogen werden kann. Seine Regierungsakte unter-liegen keiner Kontrolle. Er kann für sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden, denn seine Person ist heilig und unverletzlich (§ 2 Satz 2 KV).226 Daher bedürfen seine Anordnungen bzw. Erlasse («Gesetze und Ver-ordnungen»)227zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines «im Lande anwesenden»228und «vom Fürsten bestimmten verantwortlichen Beam-ten»229, der ihn von der Verantwortung entbindet und sie selbst

Die verfassungsrechtliche Prämisse jeder konstitutionellen Monar-chie ist, dass der Fürst für sein Handeln weder juristisch noch politisch zur Verantwortung gezogen werden kann. Seine Regierungsakte unter-liegen keiner Kontrolle. Er kann für sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden, denn seine Person ist heilig und unverletzlich (§ 2 Satz 2 KV).226 Daher bedürfen seine Anordnungen bzw. Erlasse («Gesetze und Ver-ordnungen»)227zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines «im Lande anwesenden»228und «vom Fürsten bestimmten verantwortlichen Beam-ten»229, der ihn von der Verantwortung entbindet und sie selbst