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§ 3 POLITISCHE SITUATION I. Forderungen der Märzausschüsse101

Die konstitutionelle Verfassungsbewegung setzt im Vergleich zu ande-ren Staaten des Deutschen Bundes im Fürstentum Liechtenstein spät ein.102Dieser Umstand erklärt sich einerseits aus der die Staatsführung beherrschenden Stellung der Landesfürsten und ihrer auf Österreich ausgerichteten Verfassungspolitik103und andererseits aus der kleinbäuer-lichen Bevölkerungsstruktur und der geographischen Lage des Landes, das ein Randgebiet des Deutschen Bundes bildete. Es fehlte beispielsweise ein gebildetes Bürgertum, wie es in der deutschen National -versammlung anzutreffen war.104 So kam es erst 1848 im Rahmen des Verfassungsvorhabens der Deutschen Nationalversammlung zu

Verfas-101 Die Gemeinden wählten ihre Ausschüsse, die am 22. März 1848 einen dreiköpfigen Landesausschuss bestellten. Sie wandten sich am 22. und 24. März 1848 an Fürst Alois II. und unterbreiteten ihm ihre Bitten und Wünsche. Ausführlich dazu Peter Geiger, Geschichte, S. 59 ff.

102 Die Konstitutionelle Verfassung vom 28. September 1862 hat die Sigmaringer Ver-fassung von 1833 zum Vorbild, sodass sich Liechtenstein, wie Peter Geiger, Geschichte, S. 285, schreibt, «mit beträchtlicher Verspätung» dem «süddeutschen Konstitutionalismus» angeschlossen habe.

103 Vgl. den Fürstlichen Erlass vom 19. März 1848, abgedruckt in: LPS 8, S. 263 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>), in dem Fürst Alois II. zu verstehen gibt, dass er sich auch fortan «möglichst den Regierungs-Grundsätzen des Kaiser-staates anzuschliessen» gedenke.

104 Vgl. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, S. 606; Jörg-Detlef Kühne, 150 Jahre Revolution von 1848/49, S. 1515, der darauf verweist, «dass das Bildung-niveau der Paulskirchenmitglieder über jeden Zweifel erhaben ist».

sungsentwürfen, die eine konstitutionelle Ausgestaltung des monar-chischen Staates ins Auge fassten.

Es wurden Forderungen nach einer «freiheitlicheren Verfassung»

laut,105die die Landständische Verfassung ersetzen sollte. Die Märzaus-schüsse insistierten auf einer frei gewählten Volksvertretung und einer Teilhabe des Volkes an der Gesetzgebung. Ohne Beratung und Zustim-mung der Volksvertretung sollten keine neuen Gesetze und Abgaben eingeführt werden dürfen. Auch wenn die Begehren vereinzelt revolu-tionäre Züge trugen,106die Monarchie als Staatsform wurde nicht infrage gestellt.

II. Monarchische Konzessionen 1. Erlass vom 19. März 1848

Fürst Alois II.107versuchte, einer revolutionären Stimmung, die über das benachbarte Vorarlberg von Österreich aus ins Land übergreifen konnte, entgegenzuwirken.108In einem Erlass vom 19. März 1848109versprach er, soweit es die Verhältnisse des Landes erlaubten, dem Beispiel des öster-reichischen Kaisers zu folgen, der «in den letzteren Tagen», d. h. bei Ausbruch der Revolution in Wien am 13. März 1848 den Erlass einer

«Constitution des Vaterlandes» in Aussicht gestellt hatte.110 Er appel-lierte an den «geraden Sinn» und das «Ehrgefühl» der Liechtensteiner und mahnte zu «Gehorsam und Ordnung», da sonst die «Selbständig-keit» des Landes gefährdet sei.

In Gemeindeversammlungen und gewählten Ausschüssen konnten die aufrührerischen Bestrebungen aufgefangen und so in geordnete Bahnen gelenkt werden. Rektor Peter Kaiser, der «Lenker der

Revolu-105 Peter Geiger, Geschichte, S. 63 f.

106 Peter Geiger, Geschichte, S. 68.

107 Zu seiner Person siehe Evelin Oberhammer, in: Historisches Lexikon, Bd. 1, S. 527 ff.

108 Peter Geiger, Geschichte, S. 57 und 65.

109 Siehe vorne S. 60 Fn. 103.

110 Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, S. 115.

tion»111, bemühte sich, «mässigend auf das erregte Volk ein(zu)wir-ken».112 Er sprach sich gegen jegliche Ausschreitungen aus. Im April 1848 wurde er zum Landesvertreter in die Frankfurter Paulskirche gewählt. In der von ihm verfassten Adresse der Landesausschüsse vom 22. März 1848 an Fürst Alois II. formulierte er die Beweggründe und das Volksbegehren wie folgt: «Die Art, wie wir bisher verwaltet und regiert wurden, ist für unser Ländlein zu kostspielig, das Grundeigenthum zu schwer belastet. Wir haben nur zu lange unter diesem doppelten Druck gelitten. So ergreift auch uns die Bewegung, welche ganz Deutschland durchzuckt und an alle Throne klopft: Auch wir wollen eine freie Ver-fassung, Entlastung des Grundeigenthums, wir wollen in Zukunft(,) als Bürger und nicht als Unterthanen behandelt sein [...]».113

2. Erlass vom 7. April 1848

Fürst Alois II. geht in seinem Erlass vom 7. April 1848114auf das Verfas-sungsanliegen der Ausschüsse der Gemeinden ein. Er kommt zunächst jenen Bitten und Wünschen nach, die sich mit seinen Vorstellungen de-cken, um «nach Möglichkeit volle Beruhigung zu geben», denn in ihrem Forderungskatalog gab es auch Fragen, die nach seiner Meinung zuerst

«noch der Vorbereitung oder Verhandlung» bedurften. Er sichert ihnen

«rechtsverbindlich» ein «Verfassungsgesetz nach constitutionellen Grundsätzen» zu, das aber, wie er abschliessend erklärt, erst dann in An-griff genommen werden könne, wenn das «Verfassungswerk» für ganz Deutschland, an dem «durch Volksvertreter zu verstärkenden Bundes-tage» eben gearbeitet werde, beschlossen sei. Daraus spricht ein vorsich-tiges Taktieren des Fürsten, konnte er doch unter diesem Vorwand «eine ganze Reihe von Begehren» mit «Schweigen» übergehen.115 Er wollte

111 Peter Geiger, Politisches Wirken Peter Kaisers, S. 32. Er stellte sich an die Spitze der Revolutionsbewegung. Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 59. Er war ab 1817 an der Universität Freiburg im Breisgau und dort ein «begeisterter Schüler» von Karl von Rotteck, einem Exponenten der vernunftrechtlichen Richtung in der vormärzlichen Staatslehre. So Peter Geiger, Geschichte, S. 43 und 109.

112 Peter Geiger, Geschichte, S. 59.

113 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, S. 60 ff.

114 Abgedruckt in: LPS 10, S. 264–266 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).

115 Peter Geiger, Geschichte, S. 74.

vor allem der Verfassungsentwicklung in Österreich nicht vorgreifen. Er zeigt zwar Bereitschaft zu einer konstitutionellen Verfassungsordnung, macht sie aber abhängig von der deutschen und österreichischen Verfas-sung(sentwicklung), mit der sie, wie es seiner Regierungspolitik ent-spricht, möglichst im «Einklang» stehen sollte, und behält sie zudem der künftigen Volksvertretung vor, die erst noch nach der neuen Verfassung bestellt werden musste. Soweit er selber die konstitutionelle Ausrich-tung der Verfassung konkretisiert, lässt er, was die Rechte der Volksver-tretung betrifft, Vorsicht walten und gibt sich zurückhaltend. Er gesteht zwar die freie Wahl der Volksvertreter zu, bindet sie allerdings an Besitz und Bildung. Der Volksvertretung («Landtag») räumt er jedoch nur das Recht ein, alle «neu einzuführenden Steuern» zu bewilligen, nicht auch das Recht, «allen neu zu erlassenden Gesetzen» beizustimmen. Er ist nicht bereit, sie an der Gesetzgebung zu beteiligen. Die Volksvertretung bzw. der Landtag soll Gesetze nur beraten können.116

Diese abwartende Haltung des Fürsten trug kaum zur Beruhigung der Bevölkerung bei, die sich an den Zugeständnissen orientierte, die die Fürsten in anderen Staaten des Deutschen Bundes machen mussten. Es missfiel ihr, dass sich seine Verfassungspolitik zu sehr in das «Schlepptau der österreichischen Entwicklung» begab,117 die keinen Fortgang ver-sprach. Es zeichneten sich denn auch im Lande keine Veränderungen ab, die auf eine politische und rechtliche Neugestaltung hoffen liessen, obwohl im Rahmen des Deutschen Bundes jedem Staat genügend Frei-raum blieb, eine eigene Verfassungspolitik zu betreiben.118Aus diesem Grund erinnerte die Versammlung der Landesausschüsse den Fürsten in einem Schreiben vom 21. April 1848 daran, «dass, da unser Land ein selbständiges Bundesgebiet ist, wir berechtigt zu sein glauben, auch eigene, den Verhältnissen und Bedürfnissen des Volkes angemessene Gesetze und Ordnungen zu haben [...], dass wir folglich nicht wieder auf die Muster eines mächtigen Nachbarstaates angewiesen werden; wir wollen eigene, oder allgemein deutsche, nicht österreichische Gesetze in allen Beziehungen des öffentlichen Lebens».119

116 Vgl. auch Peter Geiger, Geschichte, S. 71 ff. (74).

117 Peter Geiger, Geschichte, S. 65.

118 Siehe schon vorne S. 52 f.

119 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, S. 80.

§ 4 VERFASSUNGSENTWÜRFE UND -PROJEKTE VON 1848 I. Verfassungsentwurf von Peter Kaiser

Der Verfassungsentwurf von Peter Kaiser vom März 1848120beteiligt das Volk an der «höchsten Gewalt», die Fürst und Volk innehaben. Sie bil-den zusammen die gesetzgebende Gewalt bzw. Behörde. Anstelle des Volkes tritt ein von ihm «frei erwählter Landrath» (§ 7). Dieser besteht aus 24 Mitgliedern, die in den Gemeinden «frei gewählt werden» (§ 12).

Er entscheidet über die Ausgaben und Einnahmen allein und prüft den Rechenschaftsbericht der gesamten Verwaltung, deren Beamte ihm ver-antwortlich sind (§ 14).

Der Verfassungsentwurf rückte vom monarchischen Prinzip ab, wonach die gesamte Staatsgewalt im Fürsten vereinigt war. Der Fürst verkörperte nicht mehr den Staat. Das Volk sollte massgeblich an der Staatsgewalt beteiligt werden. So sollte die gesetzgebende Gewalt bei der Gesamtheit der Bürger und beim Fürsten liegen und von ihnen gemein-sam ausgeübt werden.

II. Verfassungsentwurf des Verfassungsrates 1. Im Allgemeinen

Der Verfassungsrat, der seine Hauptaufgabe in der Ausarbeitung einer freiheitlichen Verfassung sah, baute zu einem wesentlichen Teil auf dem Verfassungsentwurf von Peter Kaiser auf, der wegen «republikanischer Tendenzen» beim Regierungsamt121 auf Ablehnung stiess. Der Verfas-sungsentwurf des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848122 folgt denn

120 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>.

121 Im fürstlichen Handbillet vom 8. April 1848 wurden das «Oberamt» in «Regie-rungsamt» und der «Landvogt» in «Landesverweser» umbenannt. Siehe Peter Gei-ger, Geschichte, S. 72.

122 Im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>. Er wurde nach Beratung in den Gemeindeversammlungen samt Wahlordnung am 1. Oktober 1848 dem Fürsten übermittelt. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 107.

auch in den Grundsätzen dem demokratischen Staatsgedanken, wie ihn Peter Kaiser verfochten hat. Es gibt aber auch Abweichungen, wie bei-spielsweise die Frage der politischen Verantwortlichkeit des Landesver-wesers, die Peter Kaiser im Sinne eines Abberufungsrechts des Landra-tes löste, womit er ihm ein politisches Übergewicht gegenüber dem Lan-desfürsten einräumte. Diesem Vorschlag schloss sich der Verfassungsrat nicht an.

Es ist auch bezeichnend, wie Peter Geiger123vermerkt, dass gerade jene Vorschriften des Entwurfs des Verfassungsrates, die vom Projekt Peter Kaisers stammten, vom Fürsten nicht gebilligt wurden. Landes-verweser Johann Michael Menzinger124, der an der Verfassungsarbeit des Verfassungsrates beteiligt war,125ist entschieden der Ansicht, «der Fürst soll auch Fürst bleiben, es sollen ihm seine Rechte, die nie zur Bedrü-ckung des Volkes angewendet worden sind, unverkümmert belassen seyn.»126 Über ihn kamen im Verfassungsrat auch die Verfassungsvor-stellungen von Franz Joseph Oehri127 zur Sprache, der sich mit Peter Kaisers Verfassungsentwurf eingehend auseinandergesetzt und ihn kom-mentiert hatte. Er tritt im Unterschied zu Peter Kaiser für eine «ausge-glichenere Balance zwischen Fürst und Volk» ein.128

2. Im Besonderen

Nach dem Verfassungsentwurf des Verfassungsrates geht die staatliche Gewalt nicht mehr vom Fürsten allein aus. Fürst und Volk stehen einan-der im Staat als Staatsorgane gleichberechtigt gegenüber. So heisst es in

§ 34, dass die höchste Gewalt in Bezug auf die Gesetzgebung, Verwal-tung und Rechtspflege beim Fürsten und Volke «vereint» sei. Der Fürst ist oberstes Vollzugsorgan (§§ 34 und 94). Die Exekutivgewalt liegt allein bei ihm, die er durch den von ihm ernannten Landesverweser ausüben

123 Peter Geiger, Geschichte, S. 101.

124 Zu seiner Person siehe Karl Heinz Burmeister, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 612 f.

125 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 105 f. und 117.

126 Zitiert nach Peter Geiger, Geschichte, S. 105.

127 Zu seiner Person siehe Roland Steinacher, in: Historisches Lexikon, Bd. 2, S. 674.

128 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 102 ff.

lässt (§§ 34 und 37). Der Verfassungsentwurf definiert dementsprechend die Regierungsform als «monarchisch konstitutionelle» und bezeichnet den Landesherrn als «konstitutionellen Fürsten» (§ 3).129

Während der Fürst den Landesverweser, der als «Regierungsvor-steher» fungiert und im Namen des Fürsten die «Vollziehungsgewalt»

wahrnimmt, allein («von sich selbst») bestellt, wählt er die «übrigen Staatsbeamten» auf Vorschlag des Landrates (§ 37). Der Landesverweser ist dem Landrat verantwortlich (§§ 34 und 96), der ihn aber nur wegen Verletzung der Verfassung oder der Gesetze oder pflichtwidriger Ver-ausgabung der Staatseinnahmen in den Anklagezustand versetzen kann. Nach dem Verfassungsentwurf von Peter Kaiser sollte der Lan-desverweser auf Vorschlag der Volksvertretung (Landrat) vom Fürsten ernannt werden. Er sollte auch – wie übrigens alle Beamten – dem Land-rat verantwortlich sein und auf zweimaligen Antrag abberufen werden müssen. Dieser Vorschlag hätte eine parlamentarische Verantwortlich-keit beinhaltet.130

Der Landrat ist die «oberste gesetzgebende Behörde», die vom Volk gewählt wird und seinen Anteil an der Gesetzgebung in dessen Namen und Vertretung ausübt (§ 65). Das Recht der freien Wahl des Landrates ist den Staatsangehörigen verfassungsmässig garantiert (§ 55).

Ohne seine Zustimmung darf kein Gesetz kundgemacht, keine Steuern erhoben und keine Staatsanleihen aufgenommen werden (§ 91). Demzu-folge entspricht es der Stellung des Landrates als oberster gesetzgeben-der Behörde, dass gesetzgeben-der Fürst, gesetzgeben-der mit dem Landrat das Gesetzgebungs-recht teilt, nur mehr über ein suspensives Veto verfügt (§ 81).131Es soll allerdings nur unter erschwerten Bedingungen ausser Kraft gesetzt wer-den können. Danach tritt ein Gesetzesvorschlag, der auch in der dritten Beratung aufrechterhalten wird, nachdem er in zwei verschiedenen

Sit-129 Dieser Passus wurde vom Landrat bereits im revidierten Verfassungsentwurf vom 22. Dezember 1849 fallen gelassen. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 173 f.

130 Peter Geiger, Geschichte, S. 99.

131 Peter Geiger, Geschichte, S. 98 f. Der liechtensteinische Vertreter in der National-versammlung, Karl Schädler, sprach sich mit der Minderheit für ein beschränktes Veto der Regierungen (Fürsten) gegen Beschlüsse der Volksvertretungen und ebenso dafür aus, dass eine Landesverfassung nicht einseitig von der Regierung (Fürsten) gegeben oder geändert werden dürfe. Siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 145 Fn. 109. Zur Person von Karl Schädler siehe Rudolf Rheinberger, in: Histori-sches Lexikon, Bd. 2, S. 829–831.

zungen gefasst, aber vom Fürsten nicht bestätigt worden ist, in «gesetz-liche Wirksamkeit, wenn auch die nachgesuchte Bestätigung binnen vierzig Tagen nicht erfolgen würde», nachdem der Gesetzesbeschluss dem Landesfürsten zur Genehmigung unterbreitet worden war (§ 81).

Ein derart restriktives Vorgehen sollte einsichtig machen, dass der Beschluss dem Volkswillen entspricht, und sicherstellen, dass übereilte Beschlüsse oder eine Willkürherrschaft zufälliger Majoritäten nicht zustande kommen können.132 Dieses Verfahren gleicht dem Vorschlag der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849.133Der Land-rat gibt sich selber eine Geschäftsordnung und wählt seinen Präsidenten (§ 77).

3. Verfassungspolitische Bedeutung

Die verfassungspolitische Bedeutung des vom Verfassungsausschuss im Juli/August 1848 ausgearbeiteten Verfassungsentwurfs liegt darin, dass er die Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk teilt und eine Entwicklung in Gang bringt, die sich erst in der heute geltenden Verfassung von 1921 durchsetzt. Fürst und Volksvertretung verfügen nur über Teile der Staatsgewalt, während Träger der Souveränität der Staat selber ist. Dies entsprach der organischen Staatstheorie des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert.134Der Landrat repräsentiert zum ersten Mal das Volk.

Ihm gebührt in der Gesetzgebung gegenüber dem Fürsten der Vorrang, dem nur mehr ein suspensives Veto zukommt. In einem revidierten Ver-fassungsentwurf vom 22. Dezember 1849 zeigte sich der Landrat kom-promissbereit und konzedierte dem Landesfürsten ein absolutes Geset-zesveto, rückte also vom suspensiven Veto ab.135

132 Vgl. Manfred Botzenhart, Die Parlamentarismusmodelle der deutschen Parteien, S. 140.

133 Vgl. § 101 Verfassung des Deutschen Reiches, publiziert in: Dietmar Willoweit / Ulrike Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 575 (auch abrufbar unter

<www.e-archiv.li>).

134 Peter Geiger, Geschichte, S. 108 f.; vgl. zur Organismuslehre ausführlich Ernst-Wolf gang Böckenförde, Der Staat als Organismus, S. 263 ff.

135 Vgl. zu den Gründen Peter Geiger, Geschichte, S. 173 f. Auch Fürst Alois II. lehnte das suspensive Veto in den Übergangsbestimmungen ab. Siehe Peter Geiger, Revo-lution, S. 40 und hinten S. 70.

Dieser Verfassungsentwurf, wie er am 1. Oktober 1848 Fürst Alois II.

übergeben worden ist, wird 1860 vom Verfassungsrat mit fast unverän-dertem Inhalt an Fürst Johann II. gesandt. Er bildet für ihn den Aus-gangspunkt und die Grundlage der Verfassungsauseinandersetzungen, die 1862 zur Konstitutionellen Verfassung geführt haben.136

§ 5 ÜBERGANGSPHASE

I. Konstitutionelle Übergangsbestimmungen137 1. Bedrängnis des Fürsten

Fürst Alois II. hielt es aus den gleichen Gründen, wie er sie schon in sei-nem Erlass vom 7. April 1848 ins Feld geführt hatte, nicht für ratsam, das vom Verfassungsrat vorgelegte Verfassungswerk weiter zu verfolgen, obwohl der Verfassungsrat auf eine Inkraftsetzung drängte und darauf bestand, dass es mit den Frankfurter Beschlüssen übereinstimmte.138 Fraglich bleibt allerdings, ob eine Einigung in den systemrelevanten Ver-fassungsfragen, wie dem Vetorecht des Fürsten gegenüber Gesetzesbe-schlüssen des Landrates oder der parlamentarischen Verantwortlichkeit des «Regierungs-Vorstehers» (Landesverweser) (§ 96), auf dem «Kom-promisswege» hätte erzielt werden können.139Sie bleiben jedenfalls von den Übergangsbestimmungen ausgeklammert, da Fürst Alois II. gegen sie Bedenken hegte.140 Er hatte zwar eine konstitutionelle Verfassung zugesagt. Der Zeitpunkt war aber nach wie vor ungünstig, sodass es nicht opportun war, sich auf eine neue Verfassungsordnung einzulassen, bevor nicht Klarheit über die deutsche Verfassung und die Stellung des Landes im Deutschen Bund herrschte.141 Im November 1848 hatte er

136 Siehe hinten S. 72 ff.

137 Abgedruckt in: LPS 8, S. 267–270 (im Internet abrufbar unter: <www.e-archiv.li>).

138 Peter Geiger, Geschichte, S. 119.

139 So Peter Geiger, Geschichte, S. 118 f.

140 Vgl. die Einleitung zu den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen.

141 Vgl. Peter Geiger, Geschichte, S. 119 f. Die Konstitutionellen Übergangsbestim-mungen sprechen in der Einleitung von «schwankenden Verhältnissen Deutsch-lands» und verweisen in Ziffer 9 auf § 1 des Verfassungsentwurfs des

Verfassungs-noch den Verfassungsrat angehalten, die Frankfurter Verfassung abzu-warten. Unruhen im Volk waren infolge enttäuschter Erwartungen nicht auszuschliessen.

2. Provisorische Wahlordnung

In dieser Bedrängnis entschloss sich Fürst Alois II., einen Teil seiner Zusicherungen provisorisch in Kraft zu setzen. Es handelte sich dabei um die Vorschriften des Verfassungsentwurfes, in die der Fürst einwil-ligte.142 So fanden Teile des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates, insbesondere soweit sie die Volksvertretung und deren Teilnahme an der staatlichen Willensbildung betrafen, Eingang in die Konstitutionellen Übergangsbestimmungen. Fürst Alois II. erliess sie am 7. März 1849 als

«Zwischenlösung».143

Die Wahlordnung des Verfassungsrates ermöglichte eine freie demokratische Wahl der Volksvertretung. Der Landrat, dem 24 Mitglie-der und 8 ErsatzmitglieMitglie-der angehörten, wurde direkt und nicht mehr durch Wahlmänner gewählt, wie dies bei der Abgeordnetenwahl zur Deutschen Nationalversammlung noch der Fall gewesen war. Die Wahl des Landrates fand im Mai 1849 statt. Er kann als «erstes demokratisches Parlament» betrachtet werden.144Fürst Alois II. hat den Landtag aller-dings nach der ersten Sitzungsperiode nicht mehr einberufen.

3. Staatspolitische Einordnung

Fürst Alois II. stellte sich dem reformerischen Ansinnen des Verfas-sungsrates nicht grundsätzlich entgegen. Jedenfalls war er bereit, die

rates, in dem sowohl der Überzeugung des Fürsten als auch des Landes Ausdruck verliehen wird, «dass das Fürstenthum als solches und überhaupt selbständig nur im Deutschen Reichsverbande denkbar ist».

142 Siehe die in den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen aufgelisteten Paragraphen des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates; vgl. auch Peter Geiger, Ge -schichte, S. 120 f.

143 Peter Geiger, Geschichte, S. 120 ff. (122).

144 Siehe zum Landrat und Wahlrecht Peter Geiger, Geschichte, S. 158 ff. und ders., Die liechtensteinische Volksvertretung, S. 37 f.

Macht zu teilen bzw. Hoheitsrechte an den Landrat abzugeben und so das «Fürstenthum [...] schon in den Besitz der werthvollsten Güter eines constitutionellen Staates treten» zu lassen.145 Das hiess, dass die höchste Gewalt in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung

«beim Fürsten und Volke vereint» liegen sollte.146Die Kompetenzord-nung in diesen Staatsbereichen bleibt allerdings der Verfassung vorbe-halten, die letztlich erst darüber Auskunft geben könnte, ob der Fürst nicht mehr am monarchischen Prinzip festhält bzw. ob er und inwieweit er von ihm Abstand nimmt. Vorerst konnten frei gewählte Volksvertre-ter, der Landrat, bei den «Finanz- sowie bei anderen zu erlassenden Gesetzen» mitwirken. Diese konnten aber nur mit seiner Zustimmung Gültigkeit erlangen.

Die konstitutionellen Übergangsbestimmungen stellen ein Entge-genkommen des Fürsten dar und sollten die Zeit bis zur endgültigen Annahme der Verfassung überbrücken. Sie traten vorläufig an die Stelle der Landständischen Verfassung und «leiteten (vorübergehend) eine konstitutionelle Periode ein».147

Der Fürst behält sich aber wesentliche Bereiche des Verfassungs-entwurfs des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848 vor, die das monar-chische Prinzip infrage stellten, beispielsweise die Teilung der Staatsge-walt («höchsten GeStaatsge-walt») zwischen Fürst und Volk, die Verantwortlich-keit des Landesverwesers gegenüber der Volksvertretung oder das suspensive Veto in Gesetzgebungsangelegenheiten.148Zudem hatte die-ses Verfassungsprovisorium nur bis zum 20. Juli 1852 Bestand, sodass die Landständische Verfassung von 1818 wieder in Kraft trat. Der Land-rat war lediglich auf ein Jahr gewählt worden, da man die «definitive Verfassung» erwartete. Er trat nach Februar 1850 nicht mehr zusam-men.149

145 Vgl. die Einleitung zu den Konstitutionellen Übergangsbestimmungen.

146 So § 34 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848; siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 108 sowie S. 116 ff. und 120 ff.

146 So § 34 des Verfassungsentwurfs des Verfassungsrates vom 1. Oktober 1848; siehe Peter Geiger, Geschichte, S. 108 sowie S. 116 ff. und 120 ff.