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9. I NTERPRETATION DER E RGEBNISSE

9.3. Soziale Therapie in der Arbeit mit substanzabhängigen

Eines der zentralen Themen der Untersuchung ist Soziale Therapie in der Arbeit mit substanzabhängigen KlientInnen in einem stationären Setting. Die interviewten Personen wurden mittels mehrerer Fragen an diese Thematik herangeführt und anschließend dazu befragt ihre Sicht zu erläutern.

Vorab wurden die InterviewpartnerInnen allgemein zum Begriff Therapie befragt.

Unterschiedlichste Überlegungen und Beschreibungen wurden zum Verständnis von Therapie geäußert, wobei als erste Reaktion stets Psychotherapie mit diesem Begriff verbunden wurde. Die SozialarbeiterInnen sehen Therapie als Verfahren nicht in ihrem Berufskontext verankert. Die Antworten verweisen darauf, dass therapeutisches Handeln als Prozess zu verstehen ist, in dem ein Mensch bei seiner Entwicklung bzw.

Weiterentwicklung unterstützt wird. Auch die Eigeninitiative des Klienten/der Klientin bildet nach Ansicht der Befragten einen wichtigen Anteil in diesem Prozess. Die Befragten bezeichneten den gesamten stationären Aufenthalt als Therapie. Somit ist anzunehmen, dass auch dieser als therapeutischer Prozess gesehen werden kann.

Sehr schnell wurde während der Interviews festgestellt, dass keine der beiden Berufsgruppen mit dem Begriff Soziale Therapie vertraut ist. Zwei InterviewpartnerInnen bezeichneten die Wohngruppen in ihrer Einrichtung womöglich als „sozialtherapeutisch“.

Hier würden alle Tätigkeiten - vom Erledigen des Haushalts, über das Zusammenleben im Allgemeinen und die Gespräche unter den KlientInnen sowie mit den Fachkräften - sozialtherapeutische Vorgänge sein. Eine weitere Person gab an, dass sie mit Sozialer Therapie die Integration einer Person in gesellschaftliche Strukturen, also das Wiedererlernen von Fähigkeiten, die den KlientInnen durch die Suchterkrankung abhandengekommen sind, bezeichnen würde.

Wird nun die vorherige Auseinandersetzung mit der recherchierten Literatur zu diesem Themenkomplex betrachtet, können Parallelen zu den Ausführungen in den Interviews gezogen werden. Helmut Pauls (2013) spricht von zwei Perspektiven, wenn es um Soziale Therapie geht: einerseits von der Hilfeleistung, die auf einer stabilen Beziehung zwischen KlientIn und Helfendem/r basiert sowie andererseits von der Wiedereingliederung in gesellschaftliche Verhältnisse (vgl. Pauls 2013: 290).

Werden nun die Ausführungen der interviewten Personen herangezogen, so kann vermutet werden, dass die Institutionen mit ihren Konzepten genau diese Absicht verfolgen, nämlich Menschen, die zuvor in prekären Situationen gelebt haben und aus den gesellschaftlichen Strukturen herausgefallen sind, wieder in diese zu führen. Dieses Vorhaben wird mit Hilfe von Unterstützungsmaßnahmen unterschiedlichster Berufsgruppen begleitet, wobei hier die Beziehungsarbeit, wie es aus den Interviews sichtbar wird, sehr hoch bewertet wird. Wichtig ist es jede Person als eigene Persönlichkeit wahrzunehmen, auf welche individuell eingegangen werden muss.

Deshalb müssen Interventionen auch auf jeden Menschen im Speziellen zugeschnitten sein.

Hier ist die psychosoziale Sichtweise von Pauls zu erwähnen, die als Voraussetzung dafür gilt, dass das Vorhaben des Wiedereingliederns gelingen kann. Auch die interviewten Personen bewerten die psychosoziale Sichtweise sehr hoch. Speziell in der Betreuung von suchterkrankten Menschen, die neben ihrer Suchterkrankung meist noch weitere Problemfelder aufweisen, müssen diese beiden Dimensionen in die Arbeit miteinfließen.

Helmut Pauls erwähnt in seinen Ausführungen zur Sozialer Therapie ebenfalls BezugstherapeutInnen, die es benötig, um eine sozialtherapeutische Behandlung zu begleiten. Dieser/diese ist wichtig, um den Verlauf der Therapie im Auge zu behalten und gegebenenfalls intervenieren zu können. (vgl. Pauls 2013: 298). Allerdings führt er nicht an, um welche Berufsgruppe es sich bei diesen BezugstherapeutInnen handelt.

Betrachtet man noch einmal die gewonnenen Ergebnisse, dann wird in diesen immer wieder erwähnt, dass die PsychotherapeutInnen in den untersuchten Einrichtungen die Fallführung übernehmen. Genauer gesagt kennen sie den Verlauf der Behandlungen zu jedem Zeitpunkt des stationären Aufenthalts. Hier könnte also die Vermutung aufkommen, dass die Berufsgruppe der Psychotherapeuten als BezugstherapeutInnen der KlientInnen agieren. Wenn es um das implementieren des Konzeptes der Sozialen Therapie geht wäre es daher wichtig eine genaue Berufsgruppe zu benennen, die als Begleitung bei einer sozialtherapeutischen Behandlung auftritt.

Die suchtkranken KlientInnen, mit welchen die InterviewpartnerInnen arbeiten, sind sogenannte „hard-to-reach“ KlientInnen. Diese Bezeichnung gilt Personen, die durch übliche Hilfsangeboten nur schwer erreichbar sind. Da eine Sucht, im Speziellen hier eine Drogensucht, in den meisten Fällen mit hohem Abhängigkeitsfaktor und enormen Entzugserscheinungen einhergeht, wollen sich viele Betroffene oftmals nicht helfen lassen. Das Konzept der Sozialen Therapie ist auf genau diese Fälle ausgerichtet. Es soll die Möglichkeit eingeräumt werden, dass „hard-to-reach“ KlientInnen eine therapeutische Unterstützung bekommen, die leichter zugänglich ist als beispielsweise eine Psychotherapie. Psychotherapeutische Behandlung, wie wir sie aus den niedergelassenen Praxen kennen, wird meist nur von Personen wahrgenommen, die entsprechende Ressourcen zu Verfügung haben.

Auch Dario Deloie (2011) betont diesen Umstand. Er spricht von Sozialer Psychotherapie und sieht mit dieser die Möglichkeit gegeben, die Entstehung von psychosozialen Problemen im sozialen Kontext zu fokussieren (vgl. Deloie 2011: 20). Er gibt aus seiner Sicht eine sehr konkrete Definition für Soziale Therapie, in der er den theoretischen sowie praktischen Rahmen, die ein Sozialtherapeut/eine Sozialtherapeutin haben soll, präzisiert. In dieser Definition wird auch die Netzwerkarbeit als wichtiger Bestandteil erwähnt. Das soziale Netzwerk soll dazu dienen, vorhandene Ressourcen zu aktivieren und neue Ressourcen zu erschließen. Auch die Interviews zeigen, dass die befragten Personen auf diesen Umstand großen Wert legen und ihre Arbeit darauf ausrichten.

Im stationären Setting kann eine gute Kombination zwischen Sozialer Therapie und psychotherapeutischen Angeboten stattfinden. Da sich Soziale Therapie eher auf das soziale Umfeld und Psychotherapie mehr auf die innerpsychischen Vorgänge konzentriert, kann bei einer Zusammenarbeit ein ganzheitliches Bild geschaffen werden, welches beide Ebenen inkludiert.

Binner, Ortmann und Röh beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema der Sozialen Therapie. Sie führen eine Unterscheidung zwischen vier Formen an, wobei sich eine auf die Lebenspraxis bzw. Lebenssituation bezieht. Hier geht es vor allem um eine Institution, die in einem professionellen Rahmen Hilfeangebote setzt (vgl.: Binner & Ortmann 2008:

82).

Die hier aufgesuchten stationären Settings mit ihren KlientInnen und den InterviewpartnerInnen könnten unter diese von Binner und Ortmann beschriebenen Form fallen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Ausführungen einiger ProfessionistInnen auf sozialtherapeutische Interventionen schließen lassen und der Klientel die Möglichkeit geboten wird in einer sicheren und unterstützenden Umgebung die Krankheit aufzuarbeiten, was mit Hilfe von psychosozialen Angeboten unterstützt wird.

Was während der Recherche allerdings immer wieder thematisiert wurde ist die Tatsache, dass es bis jetzt noch keine einheitliche Definition für Soziale Therapie gibt. Es wurden lediglich unterschiedlichste Begriffsbestimmungen gefunden, wie beispielsweise von Helmut Pauls (2013) oder Dario Deloie (2011). Dieser Umstand wurde auch im Laufe der Interviewphase immer wieder spürbar, da sich die Zusammenarbeit mit den beiden Berufsgruppen mit einer konkreten Antwort auf die Frage „Was ist Soziale Therapie?“

vermutlich leichter gestaltet hätte. Außerdem konnte auch festgestellt werden, dass der Begriff der Therapie in Verbindung mit Sozialer Arbeit auf Widerstand stößt. Die SozialarbeiterInnen wollten nicht von therapieren sprechen und fühlten sich mit den Begriffen Beratung und Behandlung wohler.

Insbesondere ein Psychotherapeut kritisierte den Umstand sehr, dass von Sozialer

„Therapie“ gesprochen wird. Er kreidete den Umstand an, dass eine Person nach einer zweijährigen Ausbildung (zum/zur Klinischen SozialarbeiterIn) therapieren darf. Er gab zu bedenken, dass die Ausbildung zum/zur PsychotherapeutIn sehr lange dauert, in welcher nicht nur das theoretische Werkzeug erlernt wird, sondern auch darauf geachtet wird, dass man eine hohe Anzahl an Selbsterfahrungsstunden wahrnimmt. Vor allem die Aufarbeitung des eigenen Lebens sowie der Problematiken, die sich in dieser Zeit ergeben haben, sieht er als Voraussetzung für die (psycho)therapeutische Arbeit an.

Diese Äußerung führt zur Frage, ob es nicht von Vorteil wäre, Selbsterfahrung verpflichtend in der sozialtherapeutischen Ausbildung, also im Studium der Klinischen Sozialen Arbeit, einzuführen. Hier kann noch weitergedacht und überlegt werden, ob nicht generell für SozialarbeiterInnen Selbsterfahrung verpflichtend sein sollte. Zwar gibt es in den meisten Fällen die Möglichkeit Einzel- bzw. Teamsupervision in Anspruch zu nehmen, allerdings liegt hier der Fokus lediglich auf der Arbeit sowie der Befindlichkeit in dieser und nicht auf der Person selbst.

Abschließend kann festgehalten werden, dass Soziale Therapie in der Arbeit der interviewten Personen vermutlich zu finden ist, allerdings wird sie nicht wahrgenommen.

Wenn die theoretischen Fundierungen, die in der Recherche zu diesem Thema gefunden worden sind, betrachtet werden, lassen sich Parallelen in der Arbeit mit substanzabhängigen KlientInnen in den stationären Settings finden. Was hier aber noch einmal betont werden muss ist die Tatsache, dass es bis jetzt keine einheitliche Definition für Soziale Therapie zu finden gibt, was es wiederum schwierig macht, eindeutige Schlüsse zu ziehen. Des Weiteren kann dadurch, ebenso wie in der Literatur immer wieder kritisiert, nicht festgemacht werden, wer nun sozialtherapeutisch tätig ist und wer nicht. Denn bis jetzt kann jeder behaupten Soziale Therapie zu praktizieren.

9.4. Psychosoziale bzw. biopsychosoziale Behandlungsabläufe als